VwGH 95/01/0073

VwGH95/01/00734.10.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Dolp und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des A in K, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Februar 1995, Zl. 4.330.335/10-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Februar 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers - eines Staatsangehörigen "der Jugosl. Föderation", der am 30. September 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 2. Oktober 1991 den Asylantrag gestellt hat - gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 23. Jänner 1992, betreffend Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft, abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat auf Grund der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers bei seiner Vernehmung am 11. Oktober 1991 festgestellt, daß er seit 1989 Mitglied "der demokratischen Bewegung" in Mitrovice sei und seither an verschiedenen Demonstrationen für mehr Demokratie und Freiheit für sein Volk - der Beschwerdeführer gehört der albanischen Volksgruppe im Kosovo an - teilgenommen habe. Diesbezüglich habe er jedoch keine Schwierigkeiten gehabt. Er habe sein Heimatland verlassen, nachdem er am 15. September 1991 bereits den zweiten Einberufungsbefehl zum Militär erhalten gehabt habe, er jedoch nicht im Krieg gegen die Kroaten habe kämpfen wollen.

Diesen Sachverhalt hat die belangte Behörde - in der Meinung, daß keiner der Fälle des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 (in der bereinigten Fassung nach der Kundmachung BGBl. Nr. 610/1994) vorliege, auf Grund dessen eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen gewesen wäre - ihrer Entscheidung als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz gemäß § 20 Abs. 1 leg. cit. zugrunde gelegt. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung hat sie ausgeführt, daß die Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe und die behauptete Mitgliedschaft zur "demokratischen Bewegung" für sich allein nicht zur Gewährung von Asyl führen könnten. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers seien keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß er deshalb konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes 1991 seitens der Behörden seines Heimatlandes ausgesetzt gewesen sei. Auch die behauptete Teilnahme an Demonstrationen sei nicht geeignet, die Gewährung von Asyl zu rechtfertigen. Außerdem habe er ausdrücklich angegeben, daß er diesbezüglich (vollständig wohl: keine) Schwierigkeiten gehabt habe. Die Einberufung zur Militärdienstleistung, an welchem Einsatzort auch immer, stelle keine Verfolgung "im Sinne des § 1 AsylG 1991" dar, da die erforderliche Verfolgungsmotivation nicht gegeben sei, wenn die staatlichen Maßnahmen der Durchsetzung staatsbürgerlicher Pflichten dienten. In diesem Sinne stelle die Militärdienstpflicht und deren Sicherstellung durch Strafdrohung eine auf einem originären und souveränen staatlichen Recht beruhende legitime Maßnahme dar, weshalb eine unter Umständen auch strenge Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion als solche keine Verfolgung "im Sinne des § 1 AsylG 1991" darstelle. Die Beweggründe des Beschwerdeführers, der von ihm geforderten Militärdienstpflicht nicht nachzukommen, seien asylrechtlich insofern unbeachtlich, als sie für sich noch keine Rückschlüsse auf eine Verfolgungsmotivation des Staates zuließen. Seinem Vorbringen seien keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß mit seiner Einberufung eine asylrelevante Verfolgung beabsichtigt gewesen wäre.

Damit hat sich die belangte Behörde, was die Einberufung zum Militärdienst anlangt, im wesentlichen der gleichen Begründung bedient, wie sie in dem Bescheid gebraucht wurde, der Gegenstand der Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof in dem mit Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, abgeschlossenen Verfahren war. In jenem Beschwerdefall hat der Gerichtshof - unter grundsätzlicher Aufrechterhaltung seiner bisher diesbezüglich ergangenen Judikatur - eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin erblickt, daß die belangte Behörde die Nichtbefolgung der Einberufung zum Militärdienst durch den Beschwerdeführer ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Verletzung seiner staatsbürgerlichen Pflichten behandelte und rechtlich das Problem des vom Beschwerdeführer behaupteten Zusammenhanges zwischen seiner Einberufung zum Militärdienst und seiner Eigenschaft als Angehöriger der von den Serben unterdrückten albanischen Nationalität im Kosovo verkannte. Der Beschwerdeführer bezieht sich im Ergebnis mit Recht auf dieses Erkenntnis, hat er doch bereits im erstinstanzlichen Verfahren deutlich genug einen derartigen Zusammenhang hergestellt, indem er bei seiner Vernehmung erklärt hat, er wolle "nicht in den Krieg", da die Serben Angehörige der albanischen Volksgruppe an die vorderste Front schicken würden, um gegen die Kroaten zu kämpfen, was nur so verstanden werden konnte, daß dem Beschwerdeführer aus ethnischen Gründen auf diese Weise eine erhebliche Benachteiligung im Vergleich zu Angehörigen anderer Volksgruppen gedroht habe. Die belangte Behörde hat diese (bei Wiedergabe der Angaben des Beschwerdeführers erwähnte, jedoch bei ihren Feststellungen nicht berücksichtigte) Aussage des Beschwerdeführers offenbar in ihre rechtliche Beurteilung miteinbezogen, wofür die im Zusammenhang mit der Einberufung zum Militärdienst von ihr verwendeten Worte "an welchem Einsatzort auch immer" sprechen. In Verkennung der Rechtslage hat sie es aber - wie schon die Erstbehörde, weshalb insofern eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 vorlag - unterlassen, Ermittlungen hinsichtlich der im Vergleich zu Angehörigen anderer Volksgruppen bei Angehörigen der albanischen Volksgruppe geübten Praxis seitens der Behörden im Heimatland des Beschwerdeführers in sämtlichen im zitierten Erkenntnis eines verstärkten Senates genannten Belangen - und nicht nur in bezug auf die von ihm im erstinstanzlichen Verfahren eigens angesprochene Schlechterstellung betreffend die Umstände der Ableistung des Militärdienstes - anzustellen, auf Grund deren Ergebnisse ihr erst eine ausreichende asylrechtliche Beurteilung möglich gewesen wäre. Im übrigen hat der Beschwerdeführer in der Berufung allgemein auf die Lage der Kosovo-Albaner, sowohl derer, die einen Einberufungsbefehl befolgt haben, als auch jener, die ihm nicht nachgekommen sind, hingewiesen und im ergänzenden Schriftsatz vom 1. Februar 1995 betont, daß er auf Grund seiner nationalen Zugehörigkeit "eine besonders harte bzw. unmenschliche Strafe zu erwarten hätte", wobei "nicht nur auf die gängige Strafpraxis Rücksicht zu nehmen" sei, "sondern auch auf den Umstand, daß Kosovo-Albaner in der möglichen ihnen drohenden Haftstrafe unmenschlich behandelt werden und eben als Kosovo-Albaner Haftbedingungen ausgesetzt werden, welche mit Folter und ähnlichen drastischen Mitteln begleitet werden". Daß in der Beschwerde in diesem Zusammenhang lediglich davon die Rede ist, daß der Beschwerdeführer aus Gründen der Nationalität "der Gefahr einer besonders unmenschlichen oder harten Strafe ausgesetzt" sei, "wobei Serben für das gleiche Delikt keine oder überhaupt eine mildere Strafe zu befürchten haben", ist ohne Belang, sind doch Feststellungen der belangten Behörde, die nach dem zitierten Erkenntnis eines verstärkten Senates erforderlich gewesen wären, insgesamt unterblieben.

Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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