VwGH 94/20/0212

VwGH94/20/02126.7.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Blaschek und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des F in H, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in H, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. Oktober 1993, Zl. 4.329.216/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Nationalität, ist am 29. Dezember 1991 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 7. Jänner 1992 beantragt, daß ihm Asyl gewährt werde.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich hat mit Bescheid vom 21. Februar 1992 festgestellt, daß die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 78/1974, beim Beschwerdeführer nicht zuträfen.

Aufgrund der Berufung des Beschwerdeführers erging der nunmehr angefochtene Bescheid, mit dem der Bundesminister für Inneres die Berufung abwies und feststellte, daß Österreich dem Beschwerdeführer kein Asyl gewähre.

Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der Angaben des Beschwerdeführers in der Vernehmung vor der Behörde erster Instanz und Anführung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen (im vorliegenden Fall ist das Asylgesetz 1991 anzuwenden) aus, daß das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers, nicht ergeben habe, daß er Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.

Nach Darstellung des Flüchtlingsbegriffs nach dem Asylgesetz stellte die Behörde fest, daß für die Gewährung von Asyl Voraussetzung sei, daß den vom Asylwerber im Laufe des Asylverfahrens vorgebrachten Argumenten glaubhaft entnommen werden müsse, er müsse konkrete Verfolgung oder Furcht vor Verfolgung aus den im Asylgesetz 1991 zitierten Gründen befürchten. Dies könne im vorliegenden Fall jedoch nicht glaubhaft entnommen werden. Die belangte Behörde führte dazu näher aus, welche Tätigkeit die PKK (Partia Karkeren Kurdistan) ausgeübt habe. Die belangte Behörde kommt zum Schluß, daß die PKK eine Organisation sei, die in den letzten Jahren häufig terroristische Anschläge nicht nur auf militärische und sicherheitsbehördliche Einrichtungen verübt habe. Die terroristischen Aktivitäten richteten sich vielmehr auch gegen zivile Einrichtungen. Der Beschwerdeführer habe in seiner Vernehmung vor der Behörde erster Instanz keinerlei Verfolgungshandlungen genannt, die allein aufgrund seiner Abstammung gegen ihn gesetzt worden wären. Dies und die notorische Tatsache, daß in der Türkei kein Kurde allein wegen seiner Abstammung verfolgt werde, habe die erkennende Behörde zur Feststellung geführt, daß er allein aufgrund seiner ethnischen Herkunft keine Verfolgung in seinem Heimatstaat zu gewärtigen habe.

Die allgemeine Situation, in der sich die kurdische Bevölkerung in der Türkei befinde, genüge für sich allein für die Gewährung des Asyls nicht. Auch hinsichtlich der vom Beschwerdeführer angesprochenen Unterdrückung aufgrund seiner Religionszugehörigkeit sei es ihm nicht möglich darzutun, welcher Art diese Unterdrückung gewesen sei und wer sie ausgeübt habe.

Schließlich führt die belangte Behörde aus, daß auch eine Verfolgung wegen der politischen Gesinnung des Beschwerdeführers nicht dargetan sei. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Verurteilung wegen Unterstützung der PKK durch Propaganda sei aus strafrechtlichen Überlegungen und nicht wegen seiner Gesinnung erfolgt. Es wäre auch jemand, der ohne oder mit anderer Gesinnung, beispielsweise gegen Entgelt, in der vom Beschwerdeführer behaupteten Weise die PKK unterstützt hätte, denselben Verfolgungshandlungen von Seiten der türkischen Behörden ausgesetzt gewesen. Die strafrechtliche Verfolgung von Separatismus und insbesondere damit im Zusammenhang stehendem Terrorismus sei keine politische Verfolgung, "wenn ein Mehrvölkerstaat damit seine Herrschaftsstruktur aufrechterhalten sowie staatliche Einheit und Gebietsstand bewahren" wolle, "es sei denn, er ließe dabei die Überzeugung seiner Staatsbürger nicht unbehelligt oder leugne die kulturelle und ethnische Eigenart bestimmter Volksgruppen und hindere sie an einer ihrer Eigenart entsprechenden Lebensweise". Die Strafverfolgung wegen Terrorismus der PKK, die Mitgliedschaft bei ihr oder ihre aktive Unterstützung könne daher keinen Asylgewährungsgrund darstellen, weil es sich dabei um kriminelle Tatbestände handle und mit der Strafverfolgung der Verdächtige nicht in seiner Gesinnung getroffen werden soll. Eine Strafverfolgung in diesem Zusammenhang stelle keine Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes 1991 dar, da sie auch in westlichen demokratischen Gesellschaften für die Verteidigung der Ordnung sowie zum Schutz der Gesundheit, Rechte und Freiheiten anderer notwendig sei und demzufolge rechtsstaatlich legitimen Zwecken diene. Daher könne auch die behauptete Verurteilung im Zusammenhang mit der Unterstützung der PKK zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe die Gewährung von Asyl nicht rechtfertigen, da der Beschwerdeführer von einem ordentlichen Gericht aus den oben genannten Gründen dazu verurteilt worden sei. Der Beschwerdeführer sei aus der Türkei ausgereist, um sich dem Vollzug dieser Freiheitsstrafe zu entziehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung des sich aus dem Asylgesetz 1991 ergebenden Rechts auf Asylgewährung aufgrund des in § 1 Abs. 2 des Asylgesetzes 1991 normierten Flüchtlingsbegriffes und die Verletzung des sich aus § 16 Abs. 1 des Asylgesetzes 1991 ergebenden Rechts, daß die Behörde von Amts wegen durch Fragestellungen oder in anderer Weise darauf hinwirkt, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht werden, geltend gemacht wird. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Da das Asylverfahren im vorliegenden Fall am 1. Juni 1992 beim Bundesminister für Inneres bereits anhängig war, hatte die belangte Behörde gemäß § 25 Abs. 2 AsylG 1991 dieses Gesetz anzuwenden.

Die belangte Behörde stützt ihre Annahme, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 sei, insbesondere auf ihre Wertung der Tätigkeit der PKK und davon ausgehend auf die Bewertung der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Verurteilung zu einer dreimonatigen Haftstrafe.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in vergleichbaren Fällen (vgl. hiezu insbesondere das hg. Erkenntnis vom 5. November 1992, Zl. 92/01/0703, sowie die hg. Erkenntnisse vom 10. März 1993, Zl. 92/01/0882, und vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0945) ausgesprochen hat, kann dieser Argumentation der belangten Behörde mangels Durchführung weiterer Ermittlungen und entsprechender Feststellungen im Verwaltungsverfahren nicht gefolgt werden. Die belangte Behörde hatte gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991, soferne nicht ein Fall des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 gegeben ist, aufgrund der Ermittlungsergebnisse des Verfahrens erster Instanz in der Sache zu entscheiden. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem hg. Erkenntnis vom 5. November 1992, Zl. 92/01/0703, ausgesprochen hat, hindert selbst die Teilnahme an bewaffneten Kampfhandlungen der PKK gegen türkische Regierungstruppen nicht von vornherein die Anerkennung als Konventionsflüchtling, sofern nicht der Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegt. Die belangte Behörde hat auch im vorliegenden Fall - wie wohl sie bei der Wiedergabe der Rechtsgrundlagen auch Art. 1 Abschnitt F anführt - vom zitierten Ausschließungsgrund der Genfer Flüchtlingskonvention keinen Gebrauch gemacht. Sie hat dadurch, daß sie die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Sanktionen der türkischen Behörden gegen ihn wegen seiner Tätigkeit für die PKK nicht als Verfolgungen aus Konventionsgründen, sondern vielmehr als Maßnahmen wegen krimineller Handlungen qualifizierte, ohne weitere Ermittlungen und Feststellungen über die tatsächlichen Aktivitäten der PKK und den Beitrag des Beschwerdeführers zu dieser anzustellen, ihren Bescheid mit einem Verfahrensmangel belastet. Dies im vorliegenden Fall insbesondere auch deshalb, weil die Ermittlungsergebnisse die dem Bescheid zugrundegelegte Annahme, der Beschwerdeführer habe die PKK etwa bei terroristischen Akten gegen zivile Einrichtungen unterstützt, nicht decken. Die von der belangten Behörde gezogene Schlußfolgerung entbehrt daher jeder Grundlage.

Weiters ist die Schlußfolgerung der Behörde verfehlt, die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verurteilung sei aufgrund "strafrechtlicher Überlegungen" und nicht wegen seiner Gesinnung erfolgt. Unhaltbar ist auch die Feststellung, daß auch in westlichen demokratischen Gesellschaften vergleichbares Handeln unter Strafsanktion gestellt wäre. Der Beschwerdeführer hat in seiner Vernehmung angegeben, wegen der Propaganda für die PKK bestraft worden zu sein. Eine Feststellung darüber, nach welcher Strafbestimmung der Beschwerdeführer bestraft wurde, ist im Verfahren erster Instanz nicht erfolgt. Der Schluß, daß die westlichen Demokratien vergleichbare Strafbestimmungen hätten, ist daher nicht nachzuvollziehen. Insbesondere kann der Aussage, daß die strafrechtliche Verfolgung von Separatismus keine politische Verfolgung darstelle, in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden.

Da der Beschwerdeführer konkrete, gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen geltend gemacht hat, gehen die Ausführungen im angefochtenen Bescheid über die mangelnde Relevanz der allgemeinen Lage der Kurden in der Türkei ins Leere.

Aufgrund der aufgezeigten Verfahrensmängel bezüglich der geltend gemachten Verfolgung aus ethnisch-politischen Gründen ist auf die in der Beschwerde weiters geltend gemachte religiöse Verfolgung und die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid nicht näher einzugehen.

Da die belangte Behörde aufgrund der obigen Überlegungen daher ihren Bescheid mit Verfahrensfehlern belastete, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

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