VwGH 94/19/0056

VwGH94/19/005610.3.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des A in F, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. Jänner 1993, Zl. 4.327.531/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 27. Jänner 1992 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer - ein Staatsangehöriger der ehemaligen UdSSR, der am 12. September 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist - nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (1968) sei. Die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. Jänner 1993 gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat anläßlich seiner ersten Befragung im Asylverfahren am 18. September 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich im wesentlichen angegeben, in seiner Heimat keiner politischen Organisation als Mitglied angehört zu haben. Die UdSSR habe er verlassen, weil er mit dem System nicht einverstanden gewesen sei; es würden nur unnötige und sinnlose Arbeiten verrichtet, wodurch die Wirtschaft zugrunde gerichtet würde. Es gebe keine Arbeitsmoral, und die Vorgesetzten wären korrupt und unmoralisch. Seit Mai 1990 gehöre er der "Pentikostalen Religionsgemeinschaft" an. Diese werde von der Regierung nicht unterstützt und von der orthodoxen Kirche bekämpft. Am 13. April 1991 sei die Kirche dieser Religionsgemeinschaft durch Angehörige der orthodoxen Kirche zerstört und seien die Gläubigen zusammengeschlagen worden. Die diesbezügliche Anzeige, die den Angehörigen der Religionsgemeinschaft bei der Miliz hätten erstatten wollen, sei von dieser nicht entgegengenommen worden. Auch der Bitte, die religiösen Zusammenkünfte durch einen Milizbeamten überwachen zu lassen, sei man nicht nachgekommen. Der Beschwerdeführer habe das Land verlassen, da er unter diesen Umständen seine Religion nicht frei habe ausüben können.

In seiner Berufung führte der Beschwerdeführer weiters aus, daß am Tage nach der "Schlägerei" drei Männer der orthodoxen Kirche zu ihm gekommen wären und ihm verboten hätten, jemals wieder das Haus zu betreten, in dem diese religiösen Zusammenkünfte abgehalten worden seien und das dazu von der Gemeinde zur Verfügung gestellt worden sei. Auch andere Mitglieder der Glaubensgemeinschaft hätten solche Besuche erhalten. Als hierauf der Führer der religiösen Gemeinschaft bei der Polizei um Schutz angesucht habe, habe er keine Antwort erhalten. Dem Beschwerdeführer habe die Polizei gesagt, daß er nur dann Schutz erhalten könne, wenn "die Männer" ihn bedrohen würden.

Die belangte Behörde vertrat in Anwendung des Asylgesetzes 1991 die Auffassung, das durchgeführte Ermittlungsverfahren habe keine Anhaltspunkte für die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers ergeben. Die von ihm behaupteten Verfolgungen seien nicht seinem Heimatstaat zuzurechnen, weil sie nicht von staatlichen Stellen ausgegangen seien. Eine derartige Verfolgung sei asylrechtlich nur dann relevant, wenn der Heimatstaat des Asylwerbers nicht in der Lage oder nicht gewillt sei, solche Verfolgungen hintanzuhalten. Es habe die grundsätzliche Schutzbereitschaft des Staates im Falle des Beschwerdeführers bestanden, es sei aber "auch in westlichen Demokratien unmöglich, umfassenden Schutz für den Einzelnen zu gewähren bzw. diesen vor von ihm befürchteten Übergriffen effektiv zu schützen". "Genauso" müsse auch die Weigerung der Behörde gesehen werden, für den Schutz der religiösen Zusammenkünfte einen Polizisten abzustellen; es sei für den Staat nicht möglich, alle eventuell gefährdeten Personen und Zusammenkünfte vorbeugend zu überwachen. Auch der Umstand, daß die Anzeige des Beschwerdeführers über die "Schlägerei" von der Miliz nicht entgegengenommen worden sei, sei "zwar zu kritisieren", stelle aber keine Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes 1991 dar und sei auch keine persönlich gegen den Beschwerdeführer gerichtete Handlung, was eine Voraussetzung für die Asylgewährung bilde. Das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers sei nicht geeignet, die Gewährung von Asyl zu rechtfertigen, weil er keine konkrete Verfolgung seiner Person durch die staatlichen Behörden dargelegt habe, sondern vielmehr die Intoleranz und das Unverständnis von Privatpersonen, religiöse Anschauungen anderer zu respektieren und zu akzeptieren.

Soweit der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorbringt, daß die Tatsache, wonach er über einen gültigen Reisepaß seines Heimatstaates verfüge, keineswegs besage, daß er in seinem Heimatland nicht verfolgt worden sei, ist dies nicht nachvollziehbar. Weder geht nämlich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid davon aus, daß der Beschwerdeführer über einen Reisepaß verfügt habe, noch hat dies der Beschwerdeführer selbst bisher behauptet. Er hat vielmehr bei seiner Ersteinvernahme ausdrücklich angegeben, daß ihm am 7. Juli 1991 ein russischer Reisepaß ausgestellt worden sei, den er aber am 8. Juli 1991 an einen ihm nicht namentlich Bekannten für 100 $ verkauft habe.

Dagegen ist nicht ersichtlich, welche Auswirkungen der Umstand, daß der Beschwerdeführer der deutschen Sprache kaum mächtig sei, auf das vorliegende Verfahren haben könnte, war doch bei seiner Ersteinvernahme ein Dolmetscher beigezogen und hat der Beschwerdeführer ausdrücklich angegeben, den Inhalt der Niederschrift verstanden und nichts hinzuzufügen zu haben.

Wenn der Beschwerdeführer weiter ausführt, daß eine Verletzung der Manuduktionspflicht vorliege, da die Tatsache, daß im kommunistischen System der ehemaligen UdSSR nur die orthodoxe Kirche als Religionsgemeinschaft von der Regierung anerkannt gewesen sei, als bekannt vorauszusetzen sei, kann auch hierin kein relevanter Verfahrensmangel erblickt werden; der Beschwerdeführer hat nämlich in keiner Weise ausgeführt, welche Angaben er bei Vorhalt dieser Tatsache gemacht hätte.

Unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit geht der Beschwerdeführer davon aus, daß die Verfolgungshandlungen durch "Angehörige der Gruppe der Orthodoxen als mittelbaren Staatsorganen" infolge des Unterlassens von Schutzhandlungen dem Staate zuzurechnen sei. Auch das Unterlassen von Schutzhandlungen eines Staates, welche dazu dienen könnten, Verfolgungsmaßnahmen von "Privatleuten" hintanzuhalten, sei geeignet, Verfolgungshandlungen des Staates gleichgestellt zu werden.

Der angefochtene Bescheid befindet sich jedoch völlig im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach eine nicht von staatlichen Stellen des Heimatlandes eines Asylwerbers ausgehende Verfolgung nur dann von Bedeutung ist, wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, diese Verfolgung hintanzuhalten (vgl. nur das hg. Erkenntnis vom 10. März 1993, Zl. 92/01/1090, sowie das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1994, Zl. 94/19/0169); dies gilt auch für die behauptete Verfolgung durch "Angehörige einer Gruppe von Orthodoxen" in der ehemaligen UdSSR, da es bei der Beurteilung des Vorliegens von Fluchtgründen immer auf die konkrete Situation des jeweiligen Asylwerbers und nicht auf die allgemeinen politischen Verhältnisse in seinem Heimatland ankommt. Es genügt daher ein Hinweis auf die allgemeine Lage in dem Heimatland des Beschwerdeführers nicht, sondern es müssen konkrete, ihn selbst betreffende Umstände behauptet und glaubhaft gemacht werden, aus denen die im § 1 Z. 1 AsylG 1991 geforderte Furcht rechtlich ableitbar ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. November 1993, Zl. 93/01/1082). Derartige individuelle und konkrete Umstände hat jedoch der Beschwerdeführer in erster Instanz nicht vorgebracht.

Da sich der angefochtene Bescheid sohin als frei von den behaupteten Rechtswidrigkeiten erweist, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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