VwGH 94/08/0248

VwGH94/08/024817.1.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schidlof, über die Beschwerde der Wiener Gebietskrankenkasse, Wien X, Wienerbergstraße 15-19, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. September 1994, Zl. MA 15-II/B 50/94, betreffend Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Parteien: W, F und L, alle vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §410 Abs1 Z1;
ASVG §67 Abs10 idF 1989/642;
ASVG §67 Abs10;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
ASVG §410 Abs1 Z1;
ASVG §67 Abs10 idF 1989/642;
ASVG §67 Abs10;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der Beschwerde und den mit ihr vorgelegten Ausfertigungen der Bescheide der Beschwerdeführerin vom 21. Juni 1994 und vom 12. August 1994 sowie der belangten Behörde vom 9. September 1994 (des angefochtenen Bescheides) ergibt sich nachstehender Sachverhalt:

Mit Bescheid vom 21. Juni 1994 in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 12. August 1994 sprach die Beschwerdeführerin aus, daß die Mitbeteiligten als Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft der Beitragsschuldnerin A. KG gemäß § 67 Abs. 10 im Zusammenhang mit § 83 ASVG zur ungeteilten Hand verpflichtet seien, der Beschwerdeführerin die ihr auf einem näher bezeichneten Beitragskonto der Beitragsschuldnerin A. KG rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren der Beitragszeiträume Jänner 1991 bis November 1993 in noch festzustellendem Ausmaß zu zahlen. Begründend wurde ausgeführt, daß die im Spruch genannten Beiträge teilweise unbeglichen seien. Die A. KG habe einen gerichtlichen Ausgleich mit einer Quote von 40 % abgeschlossen. Daher könnten die über die Ausgleichsquote hinausgehenden Beiträge samt Nebengebühren im Ausmaß von 60 % nicht mehr von ihr hereingebracht werden. Gegen ihre Haftung als Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft der A. KG hätten die Mitbeteiligten Einwendungen erhoben und Aufstellungen über die im Zeitraum der Fälligkeit der Beiträge vorhandenen Mittel und Verbindlichkeiten der A. KG vorgelegt. Diese Unterlagen bedürften noch einer genaueren Erörterung und Abklärung, sodaß derzeit das Ausmaß der Haftung noch nicht feststehe. Aus den Unterlagen ergebe sich jedoch, daß andere Verbindlichkeiten beglichen worden seien, während die gleichzeitig fällig gewordenen Sozialversicherungsbeiträge unbeglichen geblieben seien. Es sei daher mit dem Bescheid die Haftung dem Grunde nach festzustellen gewesen, das Ausmaß der Haftung werde in einem gesonderten Bescheid festgelegt.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde den Einsprüchen der Mitbeteiligten gegen den berichtigten Bescheid der Beschwerdeführerin statt und hob diesen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG auf. Begründend wurde ausgeführt, daß den Mitbeteiligten mit dem bekämpften Bescheid rückständige Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren für die Beitragszeiträume Jänner 1991 bis November 1993 in noch festzustellendem Ausmaß vorgeschrieben worden seien. Diesbezüglich sei festzuhalten, daß nach der Judikatur die Vorschreibung von Beiträgen nur mit einem ziffernmäßig bestimmten, konkreten Betrag erfolgen könne und nicht etwa - wie im Spruch des bekämpften Bescheides angeführt - "in einem noch festzustellenden Ausmaß". Da somit im vorliegenden Fall ein Abspruch über eine konkrete Beitragshöhe nicht erfolgt sei, sei der bekämpfte Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG aufzuheben gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, nach der sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Erlassung eines Feststellungsbescheides über die Haftung der Mitbeteiligten ohne Anführung eines ziffernmäßig bestimmten Haftungsbetrages verletzt erachtet. Zur Begründung bringt sie unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, es sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG nur mit einem ziffernmäßigen Betrag geltend gemacht werden könne. Die belangte Behörde beziehe sich diesbezüglich nur auf die "Judikatur". Der Beschwerdeführerin sei eine derartige Judikatur aber nicht bekannt. Die Nichtanführung der Judikatur bzw. der Begründung der genannten Auffassung stelle eine bedeutungsvolle Begründungslücke des angefochtenen Bescheides dar, weil die Beschwerdeführerin dadurch gehindert sei, den angefochtenen Bescheid auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erblickt die Beschwerdeführerin in folgendem: Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes könnten Verwaltungsbehörden im Rahmen ihrer örtlichen und sachlichen Zuständigkeit Feststellungsbescheide erlassen, wenn die Feststellung im öffentlichen Interesse oder im rechtlichen Interesse einer Partei liege und die Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmten. Für einen Feststellungsbescheid sei dort kein Raum, wo ein Leistungsbescheid möglich sei oder die im Verwaltungsverfahren strittige Frage im Rahmen eines anderen Verfahrens entschieden werden könne. Gemäß § 410 ASVG habe ein Versicherungsträger Bescheide zu erlassen, wenn er die sich aus diesem Bundesgesetz ergebenden Rechte und Pflichten von Versicherten und von deren Dienstgebern oder die gesetzliche Haftung Dritter für Sozialversicherungsbeiträge feststelle. Im vorliegenden Fall sei die Erlassung eines konkreten, summenmäßig bestimmten Haftungsbescheides derzeit nicht möglich, weil einerseits bestimmte Unterlagen trotz monatelangem Schriftverkehr von den Mitbeteiligten nicht vorgelegt worden seien und andererseits bezüglich der Uneinbringlichkeit der Beiträge nicht feststehe, ob der "Nachtrag 4/94" (für die Zeit von Jänner bis November 1993) von der A. KG zu 100 % oder nur zu 40 % zu bezahlen sei. Da die Klärung der mit der Haftung verbundenen Fragen voraussichtlich noch einige Zeit dauern werde, habe sich die Beschwerdeführerin im Hinblick auf das Ausgleichsverfahren und zwecks Unterbrechung der Verjährung veranlaßt gesehen, zunächst die Haftung dem Grunde nach festzustellen und die Feststellung der Höhe des Haftungsbetrages einem weiteren Bescheid vorzubehalten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Es trifft zu, daß, wie die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt hat, "nach der Judikatur die Vorschreibung von Beiträgen nur mit einem ziffernmäßig bestimmten, konkreten Betrag erfolgen" darf (vgl. u. a. die Erkenntnisse vom 15. Oktober 1984, Zl. 84/08/0153, vom 28. November 1985, Zl. 85/08/0132, und vom 20. Oktober 1992, Zl. 90/08/0024). Diese (für Bescheide im Beitragsverfahren gegenüber dem Beitragsschuldner entwickelte) Judikatur ist aus folgenden Gründen auch auf Bescheide anzuwenden, in denen der Versicherungsträger nach § 410 Abs. 1 Z. 4 ASVG die Haftung für Beitragsschulden gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ausspricht:

Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften unter anderem die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Wie der Verwaltungsgerichtshof zuletzt im Erkenntnis vom 22. März 1994, Zlen. 93/08/0210, 0211, ausgeführt hat, normiert § 67 Abs. 10 ASVG - seit der am 1. Jänner 1990 wirksamen Neufassung dieser Bestimmung durch die 48. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 642 - eine Ausfallshaftung dergestalt, daß der danach Haftungspflichtige jedenfalls solange nicht in Anspruch genommen werden darf, als ein Ausfall beim Beitragsschuldner als Primärschuldner noch nicht angenommen werden kann. Wesentliche (und primäre) sachliche Voraussetzung der subsidiären Haftung eines Vertreters nach § 67 Abs. 10 ASVG ist daher die objektive (gänzliche oder zumindest teilweise) Uneinbringlichkeit der betreffenden Beiträge beim Primärschuldner. Erst wenn diese feststeht, ist auf die Prüfung der für eine Haftung nach dieser Bestimmung maßgebenden weiteren, an die Person des allenfalls Haftungspflichtigen geknüpften Voraussetzungen einzugehen. Andernfalls, d.h. wenn (noch) nicht einmal eine teilweise (ziffernmäßig bestimmbare) Uneinbringlichkeit feststeht, kommt eine Haftung (noch) nicht in Betracht und ist ein dennoch von der erstinstanzlichen Behörde von Amts wegen erlassener Haftungsbescheid von der Einspruchsbehörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG mit der Rechtsfolge zu beheben, daß die erstinstanzliche Behörde über diesen Gegenstand (bei gleicher Sach- und Rechtslage) nicht mehr neuerlich entscheiden darf, d.h. - in Bindung an den Behebungsgrund - so lange nicht, als nicht die (gänzliche oder zumindest teilweise) Uneinbringlichkeit feststeht. Allfällige Verjährungsbefürchtungen stehen demnach der ausführlichen Begründung dieses Erkenntnisses nicht entgegen.

Unter Bedachtnahme einerseits auf diese Haftungsgrundsätze und andererseits auf die von der Beschwerdeführerin angesprochene Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes über die Zulässigkeit von Feststellungsbescheiden (vgl. dazu Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts5, Rzen 406 ff) ist jedenfalls dann ein Haftungsbescheid dem Grunde nach unzulässig, wenn zumindest schon eine teilweise (ziffernmäßig bestimmbare) Uneinbringlichkeit von Beiträgen beim Primärschuldner und in bezug auf diese Beiträge die an die Person des Haftungspflichtigen geknüpften Haftungsvoraussetzungen nach § 67 Abs. 10 ASVG feststellbar sind. Die im Zeitpunkt der Erlassung eines solchen Teilbescheides im Sinne des § 59 Abs. 1 AVG noch nicht gegebene Möglichkeit einer Feststellung der Uneinbringlichkeit weiterer (von den zuerst genannten im Sinne des § 59 Abs. 1 AVG trennbaren) Beiträgen und - umso mehr - die noch nicht beendeten Ermittlungen über die persönlichen Haftungsvoraussetzungen der grundsätzlich Haftungspflichtigen (die ja eine Voraussetzung der Haftung darstellten) rechtfertigen - wiederum unter Beachtung der Ausführungen im obzitierten Erkenntnis zur Verjährung - die Erlassung eines Haftungsbescheides dem Grunde nach nicht.

Auf den Beschwerdefall angewendet bedeutet dies, daß dann, wenn nicht einmal eine teilweise (ziffernmäßig bestimmbare) Uneinbringlichkeit der strittigen Beiträge bei der A. KG und/oder das Vorliegen der persönlichen Haftungsvoraussetzungen der Mitbeteiligten feststehen sollte, ein Haftungsbescheid dem Grunde nach schon zufolge Fehlens der Haftungsvoraussetzungen nicht in Betracht kam. Sollte das Vorbringen der Beschwerdeführerin aber so zu verstehen sein, daß zumindest eine teilweise (ziffernmäßig bestimmbare) Uneinbringlichkeit der strittigen Beiträge bei der A. KG und das Vorliegen der persönlichen Haftungsvoraussetzungen der Mitbeteiligten in bezug auf diese Beiträge - wenn auch nach Vornahme weiterer Ermittlungsschritte - feststellbar seien, so rechtfertigte weder der Hinweis auf das Ausgleichsverfahren noch die (im Sinne des zitierten Erkenntnisses vom 22. März 1994 unbegründete) Befürchtung einer Verjährung die Erlassung eines Haftungsbescheides dem Grunde nach.

Da somit schon der Inhalt der vorliegenden Beschwerde erkennen läßt, daß die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

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