VwGH 94/08/0148

VwGH94/08/01485.9.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Müller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Möslinger-Gehmayr, über die Beschwerde des E in K, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in S, gegen den aufgrund des Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Oberösterreich vom 24. Mai 1994, Zl. IVa-AlV-7022-4-B/1874 041254/Linz, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs6 litc;
AlVG 1977 §12 Abs6;
AlVG 1977 §12 Abs9;
AlVG 1977 §20 Abs2;
AlVG 1977 §24;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §5 Abs2 litc;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
EStG §2 Abs3 Z3;
EStG §2 Abs3 Z6;
AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs6 litc;
AlVG 1977 §12 Abs6;
AlVG 1977 §12 Abs9;
AlVG 1977 §20 Abs2;
AlVG 1977 §24;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §5 Abs2 litc;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
EStG §2 Abs3 Z3;
EStG §2 Abs3 Z6;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Dem Beschwerdeführer wurde im Anschluß an die Beendigung seines arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses mit der L Ges.m.b.H. mit 31. Dezember 1992 unter anderem über seine Anträge vom 4. Jänner und 9. September 1993 Arbeitslosengeld und Notstandshilfe gewährt.

Mit Bescheid vom 18. Februar 1994 sprach das Arbeitsamt Linz aus, daß gemäß § 12 Abs. 1 in Verbindung mit § 24 Abs. 2 AlVG der Bezug des Arbeitslosengeldes vom 23. Jänner 1993 bis 8. September 1993 und der Bezug der Notstandshilfe vom 9. September bis 10. September 1993 (diesfalls in Verbindung mit § 38 ALVG) widerrufen und rückgefordert werde; der rückzufordernde Gesamtbetrag belaufe sich auf S 96.538,--. Begründet wurde der Bescheid damit, daß der Beschwerdeführer in seinen Anträgen vom 4. Jänner und 9. September 1993 nicht bekannt gegeben habe, eine selbständige Tätigkeit auszuüben, die laut Steuerbescheid 1991 über der Geringfügigkeitsgrenze gelegen sei. Da diese selbständige Tätigkeit noch laufend ausgeübt werde, sei Arbeitslosigkeit nicht eingetreten und stehe dem Beschwerdeführer daher keine Leistung nach dem AlVG zu. Ihre Zuerkennung sei daher gemäß § 24 Abs. 2 in Verbindung mit § 38 AlVG zu widerrufen und der Beschwerdeführer nach § 25 Abs. 1 in Verbindung mit § 38 AlVG wegen Verschweigung maßgebender Tatsachen zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten gewesen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wandte der Beschwerdeführer ein, gemäß § 12 Abs. 6 lit. c AlVG gelte

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung nicht statt und sprach aus, daß die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gemäß § 24 Abs. 2 in Verbindung mit § 12 Abs. 1 AlVG für die Zeit vom 23. Jänner bis 8. September 1993 und die Zuerkennung der Notstandshilfe gemäß § 24 Abs. 2 in Verbindung mit den § 12 Abs. 1 und 38 AlVG für die Zeit vom 9. September bis 10. September 1993 widerrufen werde und der sich aus dem Widerruf der Zuerkennung ergebende unberechtigt empfangene Betrag von S 97.391,-- an Arbeitslosengeld und Notstandshilfe gemäß § 25 Abs. 1 in Verbindung mit § 38 AlVG zum Rückersatz vorgeschrieben werde. In der Bescheidbegründung wird nach Wiedergabe des bisherigen Verwaltungsgeschehens und nach Anführung der anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen ausgeführt, es sei unbestritten, daß der Beschwerdeführer in der Zeit vom 23. Jänner bis 17. Juni 1993 und 7. Juli bis 8. September 1993 Arbeitslosengeld im Ausmaß von täglich S 459,70 und Notstandshilfe in der Zeit vom 9. September bis 10. September 1993 im Ausmaß von täglich S 426,50 bezogen habe. Weiters sei unbestritten, daß er seit 1975 bei der D-Versicherung auf Provisionsbasis selbständig tätig sei. Dazu habe er einen Einkommensteuerbescheid für das Wirtschaftsjahr 1990 vorgelegt, aus dem Bruttoeinkünfte aus Gewerbebetrieb im Betrag von S 39.372,-- ersichtlich seien. Geteilt durch 12 entspreche dies einem monatlichen Bruttoeinkommen von S 3.281,--. Die nach § 12 Abs. 6 lit. c AlVG maßgebende Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 lit. c ASVG habe im Jahre 1990 monatlich S 2.658,-- brutto betragen. Die vom Beschwerdeführer ausgeübte Tätigkeit als Provisionsvertreter habe somit zumindest im Jahre 1990 Arbeitslosigkeit ausgeschlossen. Dem Berufungseinwand, es lägen nach Berücksichtigung des Verlustes aus Vermietung und Verpachtung keine Einkünfte über der Geringfügigkeitsgrenze vor, komme keine Berechtigung zu: Bei einer mittelbaren Nutzung des eigenen Vermögens (z.B. Vermietung eines Hauses) liege keine selbständige Erwerbstätigkeit vor (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Februar 1954, Zl. 684/53). Da § 12 Abs. 6 lit. c AlVG dezidiert auf Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit abziele, sei ein Verlustausgleich von Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit wie Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nicht zulässig. Da der Beschwerdeführer seine selbständige Erwerbstätigkeit, die zumindest im Jahre 1990 Arbeitslosigkeit nicht ausgeschlossen habe, zumindest bis Jänner 1994 laufend ausgeübt habe, liege Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG in den maßgeblichen Zeiträumen nicht vor. Der Anspruch des Beschwerdeführers auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe im genannten Zeitraum sei daher gemäß § 24 Abs. 2 in Verbindung mit § 38 AlVG zu widerrufen gewesen und der Beschwerdeführer zufolge Verschweigung der maßgebenden Tatsache der selbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 25 Abs. 1 in Verbindung mit § 38 AlVG zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen (von S 96.538,-- an Arbeitslosengeld und S 853,-- an Notstandshilfe) zu verpflichten gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltendmachende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 gebildeten Dreiersenat erwogen:

Die Rechtmäßigkeit des mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochenen Widerrufs der Zuerkennung des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe an den Beschwerdeführer für die angeführten Zeiträume im Jahre 1993 und seiner Verpflichtung zum Rückersatz des empfangenen Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe ist - entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur grundsätzlichen Zeitraumbezogenheit von Absprüchen über Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom 21. November 1989, Zl. 88/08/0287, vom 28. April 1992, Zl. 92/08/0025, und vom 30. September 1994, Zl. 93/08/0254) - mangels diesbezüglich anderes anordnender gesetzlicher Bestimmungen - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - nach der im Widerrufs- und Rückforderungszeitraum geltenden Rechtslage des AlVG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 817/1993, die diesbezüglich erst am 1. Jänner 1994 in Kraft getreten ist (§ 79 Abs. 7 in der Fassung dieser Novelle) zu prüfen.

Der Beschwerdeführer wendet sich aber - aus nachstehenden Gründen im Ergebnis zu Recht - gegen die Auffassung der belangten Behörde, er gelte auf dem Boden dieser Rechtslage - trotz Beendigung seines arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses "zu Beginn des Jahres 1993" - schon deshalb nicht als arbeitslos, weil er aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit im Jahre 1990 ein die Geringfügigkeitsgrenzen des § 5 ASVG übersteigendes Einkommen bezogen habe und diese selbständige Erwerbstätigkeit bis 1994 ausgeübt habe:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. unter anderem das Erkenntnis vom 30. September 1994, Zl. 93/08/0198, mit weiteren Judikaturhinweisen) setzt die Annahme der (gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit § 38 AlVG für den Anspruch auf Arbeitslosengeld und Notstandshilfe erforderlichen) Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 AlVG voraus, daß EINERSEITS - sieht man von den im Beschwerdefall nicht relevanten Bestimmungen der Absätze 7 und 8 des § 12 leg. cit. ab - das Beschäftigungsverhältnis des Anspruchswerbers, an das die Arbeitslosenversicherungspflicht anknüpft, beendet ist und ANDERERSEITS weder ein Fall des § 12 Abs. 3 lit. c, e oder f AlVG vorliegt noch der Anspruchswerber eine (nicht unter einen der Tatbestände des § 12 Abs. 6 AlVG fallende) neue Beschäftigung gefunden hat. Hat der Anspruchswerber aber - so wie in dem dem § 12 Abs. 1 AlVG vorschwebenden Regelfall - eine neue Beschäftigung nicht erst nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses, an das die Arbeitslosenversicherungspflicht anknüpft, gefunden, sondern war er immer schon neben diesem Beschäftigungsverhältnis unselbständig (aber nicht arbeitslosenversicherungspflichtig) oder selbständig erwerbstätig, so ist - entgegen der Auffassung der belangten Behörde, die die beiden zu trennenden Voraussetzungen der Arbeitslosigkeit in unzulässiger Weise vermengt - nicht schon deshalb seine Arbeitslosigkeit nach § 12 Abs. 1 AlVG zu verneinen, weil und solange er nicht auch diese Beschäftigung beendet hat; ein solcher Anspruchswerber gilt vielmehr trotz dieser Beschäftigung als arbeitslos, wenn bzw. sobald das Einkommen aus dieser Beschäftigung die im § 12 Abs. 6 leg. cit. angeführten Beträge bzw. Werte nicht übersteigt (vgl. dazu das Erkenntnis vom 23. Oktober 1986, Zl. 85/08/0196).

Die belangte Behörde hätte demgemäß zwecks Prüfung des Vorliegens der zweiten Tatbetandsvoraussetzung des § 12 Abs. 1 AlVG - sachverhaltsbezogen - im Sinne des § 12 Abs. 1 in Verbindung mit den Absätzen 3 lit. b, 6 lit. c sowie 9 AlVG ermitteln müssen, ob der Beschwerdeführer aus seiner von ihm selbst auch für das Jahr 1993 zugestandenen selbständigen Erwerbstätigkeit auch noch in diesem Kalenderjahr ein nach Maßgabe des § 12 Abs. 9 AlVG festzustellendes Einkommen erzielt hat, das den in § 5 Abs. 2 lit. c ASVG angeführten Betrag (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Betrages bei einer einen Monat übersteigenden Tätigkeit unter anderem die Erkenntnisse vom 9. Februar 1993, Zl. 92/08/0265, und vom 8. Juni 1993, Zl. 93/08/0094, 0029) überstiegen hat; dies ungeachtet des Umstandes, ob der Beschwerdeführer in den Jahren 1990 bis 1992 ein die Geringfügigkeitsgrenze übersteigendes Einkommen aus dieser selbständigen Erwerbstätigkeit erzielt hat. Solche Ermittlungen und darauf gestützte, dem § 60 AVG entsprechende Feststellungen hat die belangte Behörde aber, ausgehend von der genannten rechtsirrigen Auffassung, nicht vorgenommen.

Bei der Ermittlung des allein relevanten Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit im Jahre 1993 kommt es aber - entgegen den Beschwerdeausführungen - trotz des Hinweises auf § 2 Abs. 2 EStG 1988 im § 12 Abs. 9 AlVG nur auf das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit, um dessen Ermittlung es ja nach § 12 Abs. 6 lit. c in Verbindung mit Abs. 9 AlVG geht, an. Dieses Einkommen ist zwar auch aus den Einkünften aus Gewerbebetrieb im Sinne des § 2 Abs. 3 Z. 3 EStG 1988 (vgl. dazu das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 94/08/0098), grundsätzlich aber nicht aus jenen aus Vermietung und Verpachtung im Sinne des § 2 Abs. 3 Z. 6 EStG 1988 zu ermitteln, weil (und sofern) letztere nur aus der mittelbaren Nutzung des eigenen Vermögens, die keine selbständige Erwerbstätigkeit im Sinne des § 12 Abs. 6 lit. c AlVG darstellt, resultieren (vgl. dazu außer dem von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis vom 17. Februar 1954, Slg. Nr. 3306/A, die Erkenntnisse vom 16. Juni 1992, Zlen. 91/08/0149, 0150, mit zustimmender Anmerkung von Pfeil, im Kommentar zum Erkenntnis vom 28. April 1992, Zl. 92/08/0025, ZAS 1993, 77, und vom 30. September 1994, Zl. 93/08/0202); zu den Voraussetzungen, unter denen eine Vermietung als selbständige Erwerbstätigkeit zu werten ist, vgl. das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 94/08/0011). Von dieser Wertung hängt die Berechtigung des geltend gemachten Ausgleiches mit Verlusten aus den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung im Jahre 1993 ab.

Aus den oben angeführten Gründen (aber auch deshalb, weil die belangte Behörde den Ersatzbetrag nicht nur, wie im erstinstanzlichen Bescheid ausgesprochen, mit S 96.538,--, sondern mit S 97.391,-- festgesetzt und dadurch die "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG überschritten hat) war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.

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