Normen
AVG §8;
BauO Stmk 1968 §4 Abs1;
BauO Stmk 1968 §61 Abs2 litd;
BauRallg;
VwRallg;
AVG §8;
BauO Stmk 1968 §4 Abs1;
BauO Stmk 1968 §61 Abs2 litd;
BauRallg;
VwRallg;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Gemeinde S hat dem Land Steiermark Aufwendungen von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Gemeinde vom 29. April 1992 wurde der mitbeteiligten Partei die Baubewilligung zur Errichtung eines Einfamilienwohnhauses und einer freistehenden Garage erteilt. Anläßlich der Rohbaubeschau vom 1. September 1992 wurde durch die Baubehörde festgestellt, daß an der nördlichen Grundgrenze der gesetzliche Abstand von 3 m nicht eingehalten worden sei.
Mit Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Gemeinde vom 29. Juni 1993 wurde dem Mitbeteiligten aufgetragen, die konsenslose Baumaßnahme, bestehend in der Nichteinhaltung des vorgeschriebenen Mindestabstandes zum benachbarten Grundstück dadurch, daß das Kellergeschoß einerseits ein Teil des aufgehenden Mauerwerkes sei und andererseits einen Gebäudeteil darstelle, auf den sich die Abstandberechnung gemäß § 4 Abs. 1 der Steiermärkischen Bauordnung 1968 beziehe, bis spätestens 30. September 1993 zu beseitigen.
Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Mitbeteiligten hat der Gemeinderat der beschwerdeführenden Gemeinde mit Bescheid vom 17. September 1993 den Beseitigungsauftrag "dahin abgeändert", daß für das 60 cm hoch aufgehende Mauerwerk des Kellergeschoßes "als Teil der zur Nachbarseite hin aufgehenden Gebäudefront 3 m erreicht" würden. Zugleich wurde die Erfüllungsfrist mit 30. Oktober 1993 festgesetzt.
Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung des Mitbeteiligten behob die belangte Behörde den Bescheid des Gemeinderates der beschwerdeführenden Gemeinde vom 17. September 1993 wegen Verletzung von Rechten des Mitbeteiligten und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zurück. Nach Zitierung des § 4 Abs. 1 der Steiermärkischen Bauordnung führt die belangte Behörde in diesem Bescheid aus, daß die Abstände vom aufgehenden Mauerwerk der Gebäudefront zu messen seien, solange nicht ganz außergewöhnliche Abmessungen oder Ausführungen von Dachvorsprüngen, Balkonen, Erkern usw., es nach dem Sinn der Abstandsvorschriften rechtfertigten, den Gebäude- und Grenzabstand von solchen Bauteilen aus zu messen. Der Begriff Gebäudefront, der in der Bauordnung nicht näher bestimmt werde, lasse die Frage offen, ob und bejahendenfalls welche Vorsprünge vor der Gebäudewand zu beachten seien. Maßgeblich könne in diesem Zusammenhang nur sein, wie die Gebäudefront oberirdisch überwiegend in Erscheinung trete. Im vorliegenden Fall ragten lediglich 60 cm des Kellergeschoßes, das in einer Entfernung von 2,85 m zur Nachbargrundgrenze errichtet worden sei, über das Geländeniveau hinaus; die überwiegende, dem Erdgeschoß zuzuordnende Gebäudefront werde im ausreichenden Abstand zur Grundgrenze errichtet. Schon vom Auslegungsgrundsatz "im Zweifel für die Baufreiheit" sei davon auszugehen, daß gewisse Bauteile, wie z.B. auch Erker, Balkone oder sonstige Mauervorsprünge als "nicht abstandsbegründend" zulässig seien, es sei denn, es würde der Eindruck vermittelt werden, die Außenwand des Gebäudes sei gar nicht mehr die Gebäudefront. Gerade dieser Eindruck könne beim vorliegenden Wohnhaus durch den Vorsprung des Kellergeschoßes in einer Höhe von 60 cm nicht entstehen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde der Gemeinde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie der Mitbeteiligte - die Abweisung der Beschwerde und - anders als der Mitbeteiligte - den Zuspruch des Aufwandersatzes beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die zwischen der beschwerdeführenden Gemeinde und der belangten Behörde strittige Rechtsfrage, ob der Seitenabstand mit oder ohne Berücksichtigung eines 60 cm über Niveau in einer Tiefe von 15 cm in den Seitenabstand vorspringenden Mauerbandes zu berechnen ist, ist anhand des § 4 Abs. 1 dritter Satz der Steiermärkischen Bauordnung 1968, LGBl. Nr. 149, zu lösen:
Danach muß eine Gebäudefront, die nicht unmittelbar an einer Nachbargrundgrenze errichtet wird, von dieser mindestens soviele Meter entfernt sein, als die Anzahl der Geschoße vermehrt um zwei ergibt. Bei Gebäuden ohne die übliche Geschoßeinteilung errechnet sich die Geschoßanzahl aus der Gebäudehöhe in Metern geteilt durch drei.
Die Beschwerdeführerin bestreitet die Richtigkeit der Rechtsauffassung der belangten Behörde im wesentlichen mit der Begründung, daß der über die ganze Hausfront zum Nachbarn sich hinziehende Kellersockel Teil der zum Nachbarn gerichteten Gebäudefront sei und daher für diesen Gebäudefrontteil die zwingenden Abstandsregeln des § 4 Abs. 1 BO zu gelten hätten. Ein Ermessen stehe der Behörde in dieser Frage ebensowenig zu, wie ein "Zweifel", der - im Sinne der Begründung der belangten Behörde - "für die Baufreiheit" auszulegen sei.
Die Frage, ob der mehrfach genannte Mauervorsprung unmittelbar zum aufgehenden Mauerwerk zu rechnen ist, wird in der Steiermärkischen Bauordnung nicht geregelt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird der Begriff der Gebäudefront so ausgelegt, daß diese mit dem aufgehenden Mauerwerk ident sei, jedoch vorspringende Bauteile (Balkonplatten vgl. das Erkenntnis vom 15. Juni 1989, Zl. 87/06/0051; ein Vordach - vgl. das Erkenntnis vom 28. Jänner 1993, Zl. 90/06/0202) bei der Berechnung des Seitenabstandes nicht zu berücksichtigen seien (ebenso das Erkenntnis vom 22. Jänner 1987, Zl. 84/06/0181, BauSlg. Nr. 849).
Die Regeln für Seitenabstände gelten nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - wenn nicht das Gegenteil in den Gesetzen angeordnet ist - nur für oberirdische Bauwerke, nicht aber für Bauführungen unterhalb der Erdoberfläche (vgl. die bei Hauer, Der Nachbar im Baurecht3, Seite 168, wiedergegebene Rechtsprechung).
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist der hier strittige Sockel des Kellergeschoßes zunächst nicht schon deshalb als in die Abstandsfläche ragend anzusehen, weil er Teil des (unterirdischen) Kellergeschoßes ist. Die zu beantwortende Frage ist vielmehr, ob der vom aufgehenden Mauerwerk zu berechnende Seitenabstand mit oder ohne diesen Teil zu berechnen ist.
Die Beantwortung dieser Rechtsfrage hat von der Überlegung auszugehen, daß ein Kellersockel des hier gegebenen Ausmaßes nach der Verkehrsauffassung einen Mauervorsprung darstellt und kein prinzipieller Unterschied darin zu erkennen ist, ob sich ein Vorsprung (etwa in Form eines Dachvorsprunges) an der Oberkante des aufgehenden Mauerwerkes befindet oder in Form eines solchen "Kellergeschoßsockels" an der Unterkante. Wesentlich ist vielmehr, daß die Rechte des Nachbarn (unter dem Gesichtspunkt der Zwecke von Abstandsflächen) durch diesen Mauervorsprung nicht beeinträchtigt werden können und daß dieser Teil des aufgehenden Mauerwerkes seiner Größe nach den Charakter eines Mauervorsprunges nicht überschreitet.
Beurteilt man den vorliegenden Sachverhalt unter diesen Gesichtspunkten, so vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen, daß denkbare Rechte des Nachbarn durch diesen Mauersockel in höherem Maße beeinträchtigt werden könnten, als etwa durch einen Dachvorsprung ähnlicher Tiefe. Auch kann nicht gesagt werden, daß ein Mauersockel von 60 cm Höhe (der keinen Raumgewinn bezogen auf die einzelnen - für den Seitenabstand maßgeblichen - Geschoße gestattet) und 15 cm Tiefe dem Gesamteindruck nach als wesentliches Element der Gebäudefront angesehen werden müßte (anders als etwa ein über die ganze Gebäudehöhe aufsteigender Kamin - vgl. das Erkenntnis vom 26. April 1977, Slg. 9306/A).
Ein solcher Bauteil ist daher - in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der belangten Behörde - bei Berechnung des Seitenabstandes außer acht zu lassen. Die belangte Behörde hat daher zu Recht den Bescheid des Gemeinderates der beschwerdeführenden Gemeinde aufgehoben.
Da somit die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten nicht verletzt wurde, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
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