VwGH 94/05/0189

VwGH94/05/018919.12.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des R in I, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der OÖ LReg vom 11. März 1994, Zl. BauR - 020234/2 - 1994 Ru/Lan, betreffend Enteignung einer Ergänzungsfläche (mPen: 1. Stadtgemeinde Y, vertreten durch den Bgm, 2. L in Y, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in Y), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §365;
AVG §8;
BauO OÖ 1875 §6;
BauO OÖ 1976 §10 Abs1;
BauO OÖ 1976 §43 Abs2 litb;
BauO OÖ 1976 §49;
BauRallg;
B-VG Art18 Abs1;
ROG OÖ 1972 §20 Abs2 Z1;
StGG Art5;
VwRallg;
ABGB §365;
AVG §8;
BauO OÖ 1875 §6;
BauO OÖ 1976 §10 Abs1;
BauO OÖ 1976 §43 Abs2 litb;
BauO OÖ 1976 §49;
BauRallg;
B-VG Art18 Abs1;
ROG OÖ 1972 §20 Abs2 Z1;
StGG Art5;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Oberösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von S 11.360,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach dem offenen Grundbuch ist der Beschwerdeführer Alleineigentümer der EZ 203, Grundbuch Y, beinhaltend das Grundstück Nr. .256, und der EZ 212, Grundbuch Y, beinhaltend das Grundstück Nr. .259 (Salzburger Vorstadt Nr. 5). Seiner Nachbarin M.L. gehört die Liegenschaft EZ 213, Grundstück Nr. .258 (Salzburger Vorstadt Nr. 7). Eine Rechtsvorgängerin des Beschwerdeführers erwarb von den Rechtsvorgängern der Nachbarin mit Kaufvertrag vom 22. Juni 1886 das im Grundbuch der Stadtgemeinde Y unter der EZ 212 eingetragene Haus Nummer 214. Am 10. August 1886 schlossen die damaligen Partner des Kaufvertrages einen "Kaufvertragsnachtrag", dessen Inhalt auszugsweise folgendermaßen lautet (der Einfachheit halber wird die Rechtsvorgängerin des Beschwerdeführers im folgenden in Klammer als "Erwerber" und werden die Rechtsvorgänger der Nachbarin in Klammer als "Verkäufer" bezeichnet):

"... Mit Kaufvertrag vom 22. Juni 1886 haben (Verkäufer) das ihnen eigenthümlich gewesene Haus Nr. 214 zu Y sammt darauf haftender Melblersgerechtigkeit "(=Mehlverkäufer lt. Grimm"s Wörterbuch)" im Grundbuche der Stadt Y E.Z. 212 an (Erwerber) verkauft und übergeben und ist (Erwerber) bereits bücherliche Eigenthümerin dieser Realität.

Dieses verkaufte Haus Nr. 214 zu Y grenzt nach Süden an das gleichfalls den Verkäufern (Verkäufer) eigenthümliche Haus Nr. 215 zu Y sammt hierauf haftender Glasergerechtigkeit und zwar dermal, daß das Vorhaus und der Hauseingang des Hauses Nr. 215 zu Y sich unter dem südlichen Fenster der Hausfront des Hauses Nr. 214 zu Y befindet und der Raum des ersten und zweiten Stockwerkes bis einschließlich das Dach in der Richtung gegen Süden hin sich über das ebenerdige Vorhaus des Hauses Nr. 215 zu Y, der ganzen von Osten nach Westen hin sich ausdehnenden Länge dieses Vorhauses nach erstreckt.

Im Grundbuche erscheint dieses Rechtsverhältnis nicht ausgezeigt, sondern es ist lediglich die Bauparzelle Nr. 259 als Haus Nr. 214 zu Y und die Bauparzelle Nr. 258 als Haus Nr. 215 zu Y vorgetragen.

Nachdem jener Raum, welcher sich als ebenerdiges Vorhaus und Hauseingang des Hauses Nr. 215 zu Y darstellt, als Grundfläche und Bauparzelle Nr. 258 des Hauses Nr. 215 zu Y und der darüber befindliche Luftraum als Theil des ersten und zweiten Stockwerkes und Daches des Nachbarhauses Nr. 214 zu Y erscheinen, so ergibt dieser thatsächliche Zustand das Rechtsverhältnis der Servitut, daß die jeweiligen Besitzer des Hauses Nr. 215 zu Y die Baulichkeiten des ersten und zweiten Stockwerkes, sowie des Daches des Nachbarhauses Nr. 214 zu Y über ihrem Vorhause und Hauseingange des Hauses Nr. 215 zu Y in der ganzen von Osten nach Westen sich erstreckenden Länge der Bauparzelle Nr. 258 zu dulden haben und der Luftraum über diesem Vorhause und Hauseingange des Hauses Nr. 215 zu Y vom ersten Stockwerke aufwärts unbeschränkt den jeweiligen Besitzern des Hauses Nr. 214 zu Y zur Benützung zugewiesen ist.

Damit nun dieser thatsächliche Zustand seine entsprechende bücherliche Auszeigung findet, ertheilen hiemit (Verkäufer) als Besitzer des Hauses Nr. 215 zu Y sammt hierauf haftender Glasergerechtigkeit im Nachhange zum Kaufvertrage ddo. 22. Juni 1886 die Bewilligung, daß diese vorbezeichnete Servitut der Benützung des Luftraumes vom ersten Stockwerke des Hauses Nr. 214 zu Y angefangen aufwärts über dem Vorhause und Hauseingange des Hauses Nr. 215 zu Y in der Ausdehnung der ganzen Länge dieses Vorhauses zu gunsten der jeweiligen Besitzer des Hauses Nr. 214 zu Y bei diesem Hause Nr. 215 zu Y im Grundbuche der St.G.Y E.Z. 213 als dienendem und dem Hause Nr. 214 zu Y im Grundbuche der St.G. Y E.Z. 212 als herrschendem Reale einverleibt werde.

Eine Bewerthung dieser Servitut entfällt, nachdem im Kaufvertrage ddo. 22. Juni 1886 der Kaufpreis um das Haus Nr. 214 zu Y schon mit Rücksicht auf diese baulichen Verhältnisse bedungen worden ist. ..."

Diese Vereinbarung findet im Grundbuch insoweit ihren Niederschlag, als im A 2-Blatt der EZ 212 des Erwerbers die Grunddienstbarkeit der Benützung des Luftraumes über dem Vorhaus an EZ 213 eingetragen ist; dementsprechend ist im C-Blatt der EZ 213 der Nachbarin die Dienstbarkeit der Benützung des Luftraumes des Hauses Nr. 215 gemäß Kaufvertragsnachtrag vom 10. August 1886 für EZ 212.

Gegenstand des dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Verfahrens ist der Antrag des Beschwerdeführers vom 28. und 29. November 1989 auf Enteignung der unterhalb des von der Servitut erfaßten Bereiches liegenden Grundstücksfläche sowie des Lichthofes, wie im Teilungsplan des Dipl.Ing. G.K. vom 10. Juli 1990 dargestellt. Aus dem Grundstück .258 sollen die 32 m2 verbaute Fläche und die 6 m2 Lichthof dem Grundstück Nr. .259 zugeschlagen werden.

Der Verwaltungsgerichtshof war bereits einmal mit diesem Begehren befaßt (Zl. 92/05/0039); damals wurde der Bescheid der belangten Behörde vom 13. November 1991 bekämpft, mit welchem diese nach Stellung eines Devolutionsantrages über den Enteignungsantrag in erster Instanz entschieden hatte. Diesen Bescheid hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 15. Dezember 1992 wegen Unzuständigkeit auf, weil die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 AVG nicht vorgelegen gewesen seien, sodaß nach wie vor die Bezirkshauptmannschaft zur Entscheidung zuständig gewesen sei.

Die Bezirkshauptmannschaft Braunau wies den Enteignungsantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 1. September 1993 ab. Die dagegen erstattete Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet ab. Im rechtskräftigen Bebauungsplan der Stadtgemeinde Y sei nicht vorgesehen, daß die vom Beschwerdeführer begehrten Grundflächen zu einem im Bebauungsplan ausgewiesenen Bauplatz als Ergänzungsflächen gehörten. Daher seien die in § 10 Abs. 1 Oö BauO genannten Voraussetzungen der Enteignung nicht erfüllt.

In der vorliegenden Beschwerde erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein mängelfreies Verfahren und auf Stattgebung seines Enteignungsansuchens verletzt. Er begehrt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete - ebenso wie die Zweitmitbeteiligte - eine Gegenschrift. Die mitbeteiligte Stadtgemeinde legte über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes die Bauakten, betreffend die Baubewilligungen vom 9. März 1962 und vom 2. Mai 1986, vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 10 Oö BauO LGBl. Nr. 35/1976 (im folgenden: BO) lautet:

"§ 10

Ergänzungsflächen

(1) Der Eigentümer von mindestens zwei Dritteln der zu einem Bauplatz nach dem Bebauungsplan gehörenden Grundfläche kann die Enteignung der nach dem Bebauungsplan zum Bauplatz gehörenden und der allenfalls zu Verkehrsflächen abzutretenden Grundflächen, die nicht in seinem Eigentum stehen (Ergänzungsflächen), gegen Entschädigung zum Zweck eines Neu-, Zu- oder Umbaues beantragen, wenn die Ergänzungsflächen insgesamt nicht größer als 500 Quadratmeter sind und der Enteignungswerber gleichzeitig um die Bauplatzbewilligung (§ 3) und um die Baubewilligung (§ 43) ansucht.

(2) Sind die Ergänzungsflächen bzw. ist eine von mehreren Ergänzungsflächen wertvoller als der Rest des Bauplatzes, so hat der Eigentümer der Ergänzungsflächen, bzw., wenn eine von mehreren Ergänzungsflächen wertvoller ist, der Eigentümer dieser Ergänzungsfläche das Recht, die Enteignung seines Grundes dadurch abzuwehren, daß er die Enteignung des gesamten Restes des Bauplatzes gegen Entschädigung beantragt; auch in diesem Fall ist gleichzeitig um die Bauplatzbewilligung (§ 3) und um die Baubewilligung (§ 43) anzusuchen. Bei gleichem Wert hat derjenige den Vorrang, der zuerst den Enteignungsantrag gestellt hat. Für die Bewertung des Grundes gelten die Bestimmungen des § 17 Abs. 4 bis 6.

(3) § 9 Abs. 5 gilt sinngemäß.

(4) Einem Enteignungsantrag darf nur stattgegeben werden, wenn die Bauplatzbewilligung und die Baubewilligung rechtskräftig erteilt wurden. Die Bauplatzbewilligung und die Baubewilligung setzen in diesem Fall die Zustimmung des Grundeigentümers nicht voraus; die Bauplatzbewilligung und die Baubewilligung werden unwirksam, wenn der Enteignungsantrag zurückgezogen oder rechtskräftig abgewiesen wird."

Gemäß § 20 Abs. 2 Z 1 des Oö Raumordnungsgesetzes (ROG), LGBl. Nr. 18/1972, KÖNNEN in den Bebauungsplänen nach Maßgabe des § 19 insbesondere Bauplätze, ihre Mindestgröße und Höhenlage festgelegt oder ausgewiesen werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat schon im genannten Erkenntnis vom 15. Dezember 1992 aus der Zusammenschau der Bestimmungen des § 20 Abs. 2 Z. 1 ROG und des § 10 Abs. 1 BO abgeleitet, daß die Voraussetzungen für eine Enteignung nicht gegeben sind. Der vom Beschwerdeführer vorgelegte Auszug aus dem Bebauungsplan, der vom Gemeinderat am 30. November 1988 beschlossen wurde, sieht nicht vor, daß die vom Beschwerdeführer begehrten Grundflächen zu einem im Bebauungsplan ausgewiesenen Bauplatz gehören; einen Rechtsanspruch auf Erlassung einer derartigen Verordnung hat der Beschwerdeführer nicht. Im übrigen wird auf die in dem genannten Erkenntnis enthaltenen Ausführungen zu der Frage verwiesen, weshalb der Verwaltungsgerichtshof keine Bedenken gegen die Nichtfestlegung hat.

Schließlich ist daran zu erinnern, daß § 10 Abs. 3 BO auf dessen § 9 Abs. 5 verweist, wonach der Bestand von BAULICHEN ANLAGEN auf Grundstücken die Enteignung grundsätzlich ausschließt.

Soweit der Beschwerdeführer die Notwendigkeit der Enteignung für eine zweckmäßige und bauordnungsgemäße Bebauung hervorhebt, verkennt er, daß selbstverständlich auch die Enteignung einer Ergänzungsfläche nur unter den Voraussetzungen des Art. 5 StGG i.V.m. § 365 ABGB, also u.a. im öffentlichen Interesse, erfolgen darf (vgl. u.a. das Erkenntnis des VfGH vom 19. Dezember 1959, Slg. Nr. 3666). Im öffentlichen Interesse sind Enteignungen von Ergänzungsflächen, wie sie in mehreren Bauordnungen vorgesehen sind, dann notwendig, wenn es im Bauland nicht hingenommen werden kann, daß zwischen Bauplätzen unverbaubare Grundflächen verbleiben (Krzizek, System des österreichischen Baurechts I, 456). Im vorliegenden Fall ist die zu enteignende Fläche längst bebaut; die Enteignung soll nicht dem (öffentlichen) Interesse an der Bebaubarkeit des Baulandes dienen, sondern lediglich eine - für den Antragsteller zweifelsohne ungünstige - privatrechtliche Vereinbarung beseitigen.

Auch die Baubewilligungen vom 9. März 1962 und vom 2. Mai 1986 ersetzen die geforderte Festlegung im aktuellen Bebauungsplan nicht. Darüber hinaus bezogen sich diese Baubewilligungen ausschließlich auf die Parzellen .259 und .256, nicht aber auf die Parzelle .258.

Der Beschwerdeführer verkennt weiters, daß die vorliegenden sachenrechtlichen Gegebenheiten mit gängigen Fällen von Miteigentum (insbesondere beim Wohnungseigentum) durchaus vergleichbar sind; in all diesen Fällen scheitert ein Bauvorhaben zunächst, wenn die erforderliche Zustimmung der Miteigentümer nicht erteilt wird. Nach Maßgabe der privatrechtlichen Bestimmungen kann eine solche Zustimmung allenfalls gerichtlich erzwungen werden; für einen hoheitlichen Eingriff durch Enteignung fehlt aber die Rechtsgrundlage.

Damit erwies sich die Beschwerde zur Gänze als unbegründet, sodaß sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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