VwGH 94/01/0779

VwGH94/01/07796.9.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Dolp und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. Oktober 1994, Zl. 10.520/42-II/13/94, betreffend Ausfolgungsantrag gemäß § 392 ABGB, der Bundesminister für Inneres vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien I, Singerstraße 17-19, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §309;
ABGB §388;
ABGB §392;
ABGB §309;
ABGB §388;
ABGB §392;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Unbestritten ist, daß der Beschwerdeführer am 8. Dezember 1992 in der Herrengarderobe des Tennisvereins XX im 2. Wiener Gemeindebezirk ein 11 x 20 cm großes Kuvert, in dem sich Bargeld in Höhe von S 61.440,--, eine silberfarbene Geldspange und eine Rechnung des Hotels Imperial vom 5. Dezember 1992 befanden, aufgefunden und am darauffolgenden Tag in einem Wachzimmer der Bundespolizeidirektion Wien darüber eine "Fundanzeige" erstattet hat. Der von ihm mit Eingabe vom 15. Dezember 1993 gestellte Antrag auf Ausfolgung eines Betrages von S 61.440,-- "zuzüglich Zinsen" wurde mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. Oktober 1994 - in Erledigung der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 23. Juni 1994, mit dem seiner Berufung gegen den abweislichen Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 20. Jänner 1994 keine Folge gegeben worden war - abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer beruft sich zur Geltendmachung seines Herausgabeanspruches, wie bereits im Verwaltungsverfahren, auf § 392 ABGB, wonach dann, wenn die gefundene Sache innerhalb der Jahresfrist von niemandem mit Recht angesprochen wird, der Finder das Recht erhält, die Sache oder den daraus gelösten Wert zu benützen. Die belangte Behörde hat die Anwendbarkeit dieser Bestimmung deshalb verneint, weil es sich bei dem gegenständlichen Kuvert samt Inhalt ihrer Auffassung nach nicht um eine verlorene Sache handle, habe sie sich doch - ungeachtet dessen, daß der XX davon keine Kenntnis gehabt habe - in fremder Gewahrsame befunden. Daß es bei Beurteilung der Frage, ob eine Sache im Sinne des § 388 ABGB (mit der Folge, daß die fundrechtlichen Vorschriften zum Tragen kommen) als "gefunden" anzusehen ist, darauf ankommt, ob die betreffende Sache gewahrsamsfrei ist oder nicht, entspricht der herrschenden Lehre und Rechtsprechung (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Februar 1990, Slg. Nr. 13.117/A, mit den entsprechenden Hinweisen, wobei allerdings nunmehr auf Grund von Neuauflagen auf die von Leukauf-Steininger, Kommentar zum StGB3 in Rz 28 zu § 127 StGB referierte Judikatur und Spielbüchler in Rummel, Kommentar zum ABGB I2 Rz 3 zu § 388 ABGB zu verweisen ist). Auch der Beschwerdeführer geht von dieser Rechtslage aus, meint aber, daß die gegenständliche Sache aus mehreren Gründen gewahrsamsfrei gewesen sei.

Seiner Auffassung, der XX habe als Verein "mangels individualisierter Mitglieder, deren Anzahl nicht limitiert ist und die auch nicht einer Haftung unterliegen, von Natur aus nicht Gewahrsamsinhaber" sein können, kann nicht beigepflichtet werden. Auch einem eingetragenen Verein kommt - ohne Einschränkung in dieser Richtung - Rechtspersönlichkeit zu, weshalb er, wenn auch durch den für ihn Verfügungsberechtigten, Gewahrsame an einer Sache haben kann. Die dagegen vom Beschwerdeführer vorgebrachte Begründung - einerseits, "daß ein Verein mit wechselnden Mitgliedern ... einem öffentlichen Ort gleichzustellen ist", und andererseits, daß diese Garderobe "nicht nur Mitglieder betreten", sondern vor allem auch deren Gäste und Mitglieder "von anderen Sportclubs" - vermag an dem für das Vorliegen einer Gewahrsame geforderten "faktischen Naheverhältnis" nichts zu ändern. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem bereits zitierten Erkenntnis dargelegt, daß Sachen, die z.B. in einem öffentlichen Verkehrsmittel, im Warteraum einer Bahnstation oder in Lokalitäten, die unter der Aufsicht eines anderen stehen (wie etwa in einem Gasthaus, Restaurant oder Verkaufslokal), vergessen bzw. unbeabsichtigt zurückgelassen wurden, nicht als gewahrsamsfrei und damit nicht als verloren anzusehen seien und dies ebenso für eine öffentliche Toilettenanlage gelte. Diesen Beispielsfällen ist von vornherein eigen, daß es sich jeweils um räumlich abgegrenzte Örtlichkeiten handelt, die von einem unbestimmten Personenkreis aufgesucht werden.

Der Beschwerdeführer hat zur Bekräftigung seines Standpunktes schon im Verwaltungsverfahren auf Spielbüchler in Rummel, a.a.O., Bezug genommen, wo es heißt, daß die in allgemein zugänglichen fremden Räumen (welche beispielsweise aufgezählt werden) liegengelassenen oder abhanden gekommenen Sachen von der fremden Gewahrsame miterfaßt würden, Verlust aber auch in solchen Räumen anzunehmen sein werde, wenn die Sache wegen ihrer Kleinheit oder Unauffälligkeit schwer zu erkennen sei, so die Zahlungsanweisung unter dem Schreibtisch der Gerichtskanzlei oder der Ring in einer Fußbodenritze. Derartige Ausnahmen könnten allgemein ihre Rechtfertigung nur darin finden, daß Innehabung (Gewahrsame) nicht bloß räumlich-körperlich, sondern als äußere Erscheinung der Herrschaft über den Gegenstand nach Maßgabe der Verkehrsauffassung zu verstehen ist (Spielbüchler in Rummel, a. a.O., Rz 2 zu § 309 ABGB). In diesem Sinne wurde auch in GlUNF 2633, worauf sich das in der erwähnten Literaturstelle gebrauchte Beispiel einer Zahlungsanweisung unter dem Schreibtisch einer Gerichtskanzlei stützt, zum Ausdruck gebracht, daß eine Sache nur dann verloren ist, wenn sie aus der Gewalt ihres früheren Besitzers ohne seinen Willen gekommen ist und sich in niemandes sichtbarer Detention befindet, und letzteres mangels "Verpflichtung zur Obsorge für derlei verstreute, in Verstoß geratene und dem Zufall preisgegebene Sachen" angenommen. Wenn der Beschwerdeführer geltend macht, daß das gegenständliche Kuvert (samt Inhalt) "klein genug ist, um" ebenso "als "Sonderfall" in Betracht zu kommen", so ist ihm entgegenzuhalten, daß dieses Kriterium in der zitierten oberstgerichtlichen Entscheidung ohne Bedeutung war und auf Grund der festgestellten Größe des Kuverts für seinen Standpunkt daraus allein nichts zu gewinnen ist. Der Beschwerdeführer führt aber zusätzlich ins Treffen, daß "das Kuvert völlig unauffällig und sohin nicht leicht zu finden" gewesen sei. Er hat bereits im Verwaltungsverfahren behauptet, daß es sich zwischen einem Garderobekasten und einem Heizkörper an einer schwer zugänglichen Stelle befunden habe. Er habe das Kuvert "nur durch Zufall entdeckt" und es "wäre unter üblichen Umständen unentdeckt geblieben", die Garderobe werde "prinzipiell oberflächlich gereinigt" und das Kuvert "wäre auch bei sorgfältiger Reinigung nicht aufgefallen". Würde dieses Vorbringen den Tatsachen entsprechen, so könnte nicht mehr davon die Rede sein, daß das Vorhandensein einer mit der Gewahrsame über die gegenständliche Sache verbundenen Rechtslage erkennbar gewesen ist. Die belangte Behörde vertritt erst in ihrer Gegenschrift demgegenüber in Verkennung der Rechtslage die Ansicht, daß "für jeden Fundort innerhalb der Baulichkeiten des Tennisvereines XX gleichermaßen gilt, daß der XX Gewahrsamsinhaber aller dort vergessenen, zurückgelassenen oder auch versteckten Gegenstände ist", stellt also unzutreffend ausschließlich auf das räumliche Naheverhältnis ab. Hingegen hat sie in der Begründung des angefochtenen Bescheides der vom Beschwerdeführer aufgezeigten rechtlichen Problematik insofern Beachtung geschenkt, als sie die Meinung vertreten hat, daß ein Kuvert in einer Garderobe "nicht so unauffällig wie eine Zahlungsanweisung in einer Gerichtskanzlei, wo üblicherweise Papier (Akten) aufbewahrt wird", sei. Auf die vom Beschwerdeführer behaupteten näheren Umstände des Einzelfalles, über die ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchzuführen gewesen wäre, ist sie aber nicht eingegangen.

Da somit der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, wobei sich eine Auseinandersetzung mit dem weiteren Beschwerdevorbringen - insbesondere im Zusammenhang mit der lediglich "in eventu" eingenommenen, von der belangten Behörde gleichfalls abgelehnten Rechtsposition des Beschwerdeführers, es handle sich um eine "verborgene" Sache gemäß § 395 ABGB - erübrigte.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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