VwGH 93/18/0146

VwGH93/18/014628.4.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Robl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 5. Februar 1993, Zl. Fr 2731/92, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54;
AsylG 1991 §1 Z1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 5. Februar 1993 wurde der vom Beschwerdeführer, einem tunesischen Staatsangehörigen, gestellte Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung nach Tunesien gemäß § 54 Fremdengesetz (FrG) abgewiesen und festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme einer Bedrohung gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bestehen.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, die erstinstanzliche Behörde habe ihren abweisenden Bescheid darauf gestützt, daß durch das Gerichtsurteil dokumentiert werde, daß der Beschwerdeführer einem formellen Verfahren unterzogen worden sei, und es nicht der Schutzbestimmung des § 37 Abs. 1 und 2 FrG entsprechen könne, daß sich Fremde, die "gegen demokratische gesetzliche Normen verstoßen", dem Strafantritt entziehen könnten.

In der Berufung habe der Beschwerdeführer ausgeführt, daß Tunesien zwar formell Schritte zum Schutz der Menschenrechte setze und das Übereinkommen gegen die Folter ratifiziert habe, doch sei es eine traurige Tatsache, daß manche Regierungen Begriffe wie Demokratie und Menschenwürde inflationär gebrauchten. Die Erstbehörde habe die Hizb al-Nahda als extremistisch und islamisch fundamentalistisch bezeichnet, doch sei dies eine unzulässige Verallgemeinerung. In dieser Bewegung gebe es zwei Flügel mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Er sei innerhalb der Partei für die Erledigung von Botendiensten zuständig und bei einer regionalen Gruppe als Kassier tätig gewesen. Er habe das Haus seines Vaters für geheime Zusammenkünfte der Parteimitglieder zur Verfügung gestellt. Im Oktober 1992 sei das Haus von der Polizei gestürmt worden. Dabei seien sechs Parteimitglieder verhaftet worden. Er sei nur zufällig der Verhaftung entgangen. Es bestehe kein Grund zur Annahme, daß er sich irgendeiner Gewalttat schuldig gemacht habe. Die strafrechtliche Verfolgung durch die tunesische Regierung sei ein Deckmantel für grobe Menschenrechtsverletzungen.

Zu diesem Vorbringen führte die belangte Behörde aus, in Tunesien sei der Islam Staatsreligion. Die im Jahr 1989 durchgeführten Wahlen seien von den oppositionellen Parteien angefochten worden. Der Beschwerdeführer habe nach seinem Vorbringen in seiner Partei nicht in leitender Funktion mitgewirkt und sei auch nicht im Haus seines Vaters verhaftet worden. Oppositionsparteien seien in Tunesien vorhanden und zugelassen. Es sei nicht glaubhaft, daß alle Mitglieder einer Partei, auch wenn sie zum Teil für die Partei über die Mitgliedschaft hinaus tätig würden, von der Regierung als Bedrohung betrachtet würden. Der Beschwerdeführer sei auch nicht willkürlich festgenommen oder wegen seiner politischen Ansichten gefoltert, sondern "durch ein formelles Gerichtsverfahren" verurteilt worden. In allen westlichen Demokratien seien die obersten staatlichen Organe durch strafrechtliche Normen geschützt. Bei einem Strafverfahren in seiner Heimat habe der Beschwerdeführer die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, um eine andere Entscheidung herbeizuführen. Die Vollziehung einer gerichtlichen Entscheidung sei - abgesehen von der Verhängung der Todesstrafe oder einer unmenschlichen Strafe - von der Schutznorm des § 37 FrG nicht umfaßt. Allfällige Unzukömmlichkeiten oder Übergriffe im Strafvollzug seien nicht zu prüfen, weil dies nicht als "systembedingt" anzusehen sei. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in seine Heimat sei daher abzuweisen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Im Hinblick auf ein diesbezügliches Vorbringen in der Gegenschrift sei festgehalten, daß nach der Aktenlage kein Zweifel daran bestehen kann, daß die Beschwerde von dem Adressaten des angefochtenen Bescheides erhoben wurde und daß die Anführung des Geburtsjahres 1974 (statt richtig 1964) in der Beschwerde offensichtlich auf einem Schreibfehler beruht.

2. Gemäß § 54 Abs. 1 FrG hat die Behörde auf Antrag eines Fremden mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 bedroht ist.

Gemäß § 37 Abs. 1 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Fremden in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß er Gefahr liefe, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Zufolge § 37 Abs. 2 FrG ist die Zurückweisung oder Zurückschiebung eines Fremden in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dort sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z. 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolles über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974).

3. In seinem Antrag vom 17. Jänner 1993 auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung hat der Beschwerdeführer unter anderem vorgebracht, daß er, wie aus einem vorgelegten Gerichtsurteil hervorgehe, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr nur deshalb verurteilt worden sei, weil er von seinem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht und einer verbotenen politischen Organisation angehört habe. Weiters sei während seiner Flucht in seiner Abwesenheit gegen Mitglieder der Hizb al-Nhada ein Strafverfahren durchgeführt worden. Dabei sei er zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von viereinhalb Jahren verurteilt worden.

Mit diesem Antrag hat der Beschwerdeführer die Ablichtung einer aus zwölf Seiten bestehenden Urkunde in arabischer Schrift vorgelegt und dazu ausgeführt, daß es sich dabei um eine Kopie des ersten von ihm genannten Urteiles handle.

4. Die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Auffassung der belangten Behörde, eine Bedrohung der Freiheit des Beschwerdeführers aus Gründen seiner politischen Ansichten liege nicht vor, weil er durch ein "formelles Gerichtsverfahren verurteilt" worden sei, kann nicht geteilt werden. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer durch seine Mitgliedschaft bei einer verbotenen Partei sich einer nach dem Recht seines Heimatstaates strafbaren Handlung schuldig gemacht hat und daher mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen mußte, hat nicht zur Folge, daß diese strafrechtlichen Konsequenzen keine Bedrohung seiner Freiheit aus Gründen seiner politischen Gesinnung darstellen können. Strafverfahren wegen absolut politischer Delikte, aber auch wegen relativ politischer Delikte, das heißt anderer als politischer Delikte, die aus politischen Motiven oder zu politischen Zwecken begangen werden, können eine Bedrohung der Freiheit des Fremden aus Gründen seiner politischen Ansichten darstellen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 9. September 1993, Zl. 92/01/1010). Die Verhängung einer Freiheitsstrafe wegen der Mitgliedschaft bei einer verbotenen politischen Bewegung kann daher die Gefahr der Verfolgung aus Gründen der politischen Ansichten darstellen, sodaß die Auffassung der belangten Behörde, "die Vollziehung einer gerichtlichen Entscheidung" sei vom Schutzumfang des § 37 FrG - sofern nicht die Todesstrafe oder eine unmenschliche Strafe verhängt worden sei - nicht erfaßt, rechtswidrig ist.

Das in der Gegenschrift der belangten Behörde ins Treffen geführte Argument, der Beschwerdeführer leugne nicht, daß Angehörige der Hizb al-Nahda sich verschiedener Gewalttaten schuldig gemacht hätten, führt zu keiner anderen Beurteilung. Unter welchen Voraussetzungen Fremde, die eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich oder für die Gemeinschaft darstellen, trotz Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 2 FrG abgeschoben werden dürfen, ist im § 54 Abs. 4 und 5 FrG geregelt. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

5. Soweit sich die belangte Behörde in der Gegenschrift mit der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers auseinandersetzt, war darauf nicht näher einzugehen, weil die Verurteilung des Beschwerdeführers im angefochtenen Bescheid nicht in Zweifel gezogen wurde. Selbst ausführliche Darlegungen in der Gegenschrift können fehlende Erwägungen und Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht ersetzen (siehe die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 607 zitierte hg. Rechtsprechung). Mit der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und dem Beweiswert der von ihm vorgelegten Urkunde wird sich die belangte Behörde allenfalls im fortzusetzenden Verfahren zu befassen haben.

6. Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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