VwGH 93/18/0105

VwGH93/18/010514.4.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 1. September 1992, Zl. SD 237/92, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 1954 §3 Abs2 Z1;
FrPolG 1954 §3 Abs3 idF 1987/575;
StGB §129;
StGB §143;
StGB §84;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z1;
FrPolG 1954 §3 Abs3 idF 1987/575;
StGB §129;
StGB §143;
StGB §84;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 1. September 1992 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes (im folgenden: FPG) ein bis zum 30. Juni 2002 befristetes Aufenthaltsverbot für das gesamte Bundesgebiet erlassen.

In der Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer sei am 4. Oktober 1990 vom Jugendgerichtshof Wien wegen schweren Raubes, schwerer Körperverletzung und Einbruchsdiebstahles zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 12 Monate bedingt auf drei Jahre Probezeit, rechtskräftig verurteilt worden. In Anbetracht des Umstandes, daß der Beschwerdeführer bereits im Alter von 18 Jahren zahlreiche schwere Delikte gegen Leib und Leben begangen habe, erscheine die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes dringend geboten. Es sei der belangten Behörde klar, daß diese Maßnahme für den Beschwerdeführer, der in Wien geboren worden sei und dessen Eltern seit langem in Österreich lebten, einen schweren Eingriff in sein Privat- bzw. Familienleben darstelle. Die vom Beschwerdeführer gesetzten strafbaren Handlungen, die teilweise mit besonderer Gewaltanwendung begangen worden seien, stellten jedoch derart schwere Rechtsbrüche dar, daß die öffentlichen Interessen bzw. die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme vom Aufenthaltsverbot unverhältnismäßig schwerer wiegen würden als die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Immerhin sei dieser Mitglied einer Jugendbande gewesen, die auf offener Straße zahlreiche Raubüberfälle verübt hätte. Bei zwei dieser Delikte habe der Beschwerdeführer gemeinsam mit den anderen Bandenmitgliedern mit Fäusten auf die Opfer eingeschlagen und ihnen Fußtritte versetzt, bis die Opfer verletzt am Boden liegen geblieben seien. Wie sich überdies aus der Begründung des erwähnten Gerichtsurteiles ergebe, sei es den Bandenmitgliedern nicht nur um die Aneignung fremden Vermögens gegangen, sondern seien sie in vielen Fällen geradezu darauf aus gewesen, die Opfer zu verletzen bzw. zu mißhandeln. Es bestehe kein wie immer gearteter Anlaß, diese Straftaten zu bagatellisieren bzw. sie als "Lausbubenstreiche" abzutun.

Selbst die Tatsache, daß der Beschwerdeführer in Wien geboren worden sei und hier mit seiner Familie lebe, ändere nichts an der Notwendigkeit der gegen ihn gerichteten fremdenpolizeilichen Maßnahme. Darüber hinaus lebten die Großeltern des Beschwerdeführers noch in der Türkei (seiner Heimat). Bei diesen habe er sich immerhin im Zeitraum von 1979 bis 1984 aufgehalten und auch dort die Schule besucht. Es könne daher auch nicht davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführer keinerlei familiäre Beziehungen mehr zu seinem Heimatland habe. Im übrigen sei auf das jugendliche Alter des Beschwerdeführers insoferne Rücksicht genommen worden, als das Aufenthaltsverbot befristet ausgesprochen worden sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher die Behandlung derselben mit Beschluß vom 9. Dezember 1992, Zl. B 1594/92, ablehnte und sie in der Folge gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abtrat. Dieser hat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des § 3 Abs. 1, Abs. 2 Z. 1 sowie des Abs. 3 FPG lauten:

§ 3 (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958, genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder

1. von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist; einer solchen Verurteilung ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht dann gleichzuhalten, wenn sie den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht.

(3) Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen, als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;

  1. 2. die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen;
  2. 3. die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen.

    Der Beschwerdeführer läßt die - zutreffende - Annahme der belangten Behörde, daß der Tatbestand des § 3 Abs. 2 Z. 1 FPG verwirklicht sei, unbestritten. Damit ist nach der ständigen hg. Rechtsprechung (vgl. neben vielen anderen das Erkenntnis vom 17. September 1992, Zl. 92/18/0336) davon auszugehen, daß die Annahme gerechtfertigt ist, der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder laufe anderen im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwider.

    Auch die im Grunde des § 3 Abs. 3 FPG vorgenommene Interessenabwägung begegnet keinen Bedenken: Das von der belangten Behörde im Beschwerdefall zu Recht als eminent angesehene öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes kann - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - nicht schon wegen der Dauer des Verwaltungsverfahrens in einem anderen Licht gesehen werden. Gleiches gilt für die Behauptung des Beschwerdeführers, daß alle Straftaten, deren er schuldig gesprochen worden sei, "in einer einzigen Nacht" gesetzt worden seien. Im Hinblick auf das von der belangten Behörde beschriebene, dem Beschwerdeführer konkret vorgeworfene Verhalten ist dem Verwaltungsgerichtshof unerfindlich, weshalb die in der damaligen Nacht gesetzten Straftaten "auch ohne Beteiligung" des Beschwerdeführers gesetzt worden wären.

    Weiters gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, eine Wesentlichkeit der von ihm behaupteten Verfahrensmängel darzutun: Auch wenn sich in der Heimat des Beschwerdeführers nur mehr der Großvater des Beschwerdeführers befinden sollte, zu dem keine intensive Bindung bestehe, fiele dies ebensowenig entscheidend ins Gewicht, wie der Umstand, daß der Beschwerdeführer (nunmehr) als Hilfsarbeiter tätig sei, zumal er diese berufliche Tätigkeit nicht nur in Österreich ausüben kann. Selbst im Zusammenhang mit der starken sozialen Integration des Beschwerdeführers vermag der Verwaltungsgerichtshof der belangten Behörde nicht entgegenzutreten, wenn sie wegen der Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen, die insbesondere eine grobe Geringschätzung der körperlichen Integrität anderer Menschen erkennen läßt, das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes als unverhältnismäßig schwerer wiegend ansah, als das gegenläufige private Interesse des Beschwerdeführers. Auf das jugendliche Alter des Beschwerdeführers zur Tatzeit hat die belangte Behörde durch die Befristung des Aufenthaltsverbotes Bedacht genommen.

    Da bereits der Inhalt der vorliegenden Beschwerde erkennen läßt, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

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