VwGH 93/18/0084

VwGH93/18/008417.6.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerden 1. der ÖK (geborene T) in L, 2. der NT in D, beide vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in D, gegen die Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 7. Jänner 1993, jeweils Zl. III 370-13783/93, betreffend Versagung von Sichtvermerken, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §68 Abs1;
FrG 1993 §10 Abs1 Z1;
VerfGG 1953 §85 Abs2;
VerfGG 1953 §85 Abs3;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §30 Abs3;
VwRallg;
AVG §68 Abs1;
FrG 1993 §10 Abs1 Z1;
VerfGG 1953 §85 Abs2;
VerfGG 1953 §85 Abs3;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §30 Abs3;
VwRallg;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat jeder der beiden Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Schriftsatz vom 5. September 1991 beantragten die Beschwerdeführerinnen - es handelt sich um türkische Staatsangehörige - die Erteilung von Sichtvermerken.

2. Mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 9. November 1992 wurden gegen die Beschwerdeführerinnen gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 6 in Verbindung mit § 4 Fremdenpolizeigesetz bis zum 3. März 1997 befristete Aufenthaltsverbote für das ganze Bundesgebiet erlassen.

Die Beschwerdeführerinnen erhoben dagegen Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof jeweils mit dem Antrag, ihren Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, "und zwar in der Weise, daß

Mit den am 12. Jänner 1993 zugestellten Beschlüssen vom 7. Jänner 1993, B 1895/92-3 (betreffend die Erstbeschwerdeführerin) und B 1854/92-3 (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin), wurde den Anträgen, den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gemäß § 85 Abs. 2 und 4 VerfGG 1953 Folge gegeben.

3. Mit den am 13. Jänner 1993 zugestellten Bescheiden vom 7. Jänner 1993 wies die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn (die belangte Behörde) die (oben unter Punkt I.1 genannten) Anträge auf Erteilung von Sichtvermerken gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 Fremdengesetz (FrG) ab.

In der Begründung dieser Bescheide verwies die belangte Behörde auf die gegen die Beschwerdeführerinnen erlassenen Aufenthaltsverbote; es liege daher der Versagungsgrund gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. vor.

4. Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, die der Verwaltungsgerichtshof wegen ihres engen sachlichen Zusammenhanges - sie sind weitgehend wortgleich - zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und über die er erwogen hat:

II.

1. Gemäß § 7 Abs. 1 FrG kann ein Sichtvermerk einem Fremden auf Antrag erteilt werden, sofern ein gültiges Reisedokument vorliegt und kein Versagungsgrund gemäß § 10 gegeben ist. Der Sichtvermerk kann befristet oder unbefristet erteilt werden.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn gegen den Sichtvermerkswerber ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot besteht, es sei denn, daß die Voraussetzungen für eine Wiedereinreisebewilligung (§ 23) vorliegen.

2.1. Die Beschwerdeführerinnen halten die angefochtenen Bescheide für rechtswidrig, weil bereits vor ihrer Erlassung (durch die Zustellung am 13. Jänner 1993) die Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes vom 7. Jänner 1993, mit denen die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei, wirksam geworden seien. Auf Grund der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hätten die im Instanzenzug ergangenen Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 9. November 1992 nicht mehr den Versagungsgrund nach § 10 Abs. 1 Z. 1 FrG dargestellt.

2.2. Gemäß § 85 Abs. 2 VerfGG hat der Verfassungsgerichtshof der Beschwerde auf Antrag des Beschwerdeführers mit Beschluß aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

Gemäß § 85 Abs. 3 leg. cit. sind Beschlüsse gemäß Abs. 2 dem Beschwerdeführer, der Behörde (§ 83 Abs. 1) und etwa sonst Beteiligten zuzustellen. Im Falle der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hat die Behörde den Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes aufzuschieben und die hiezu erforderlichen Vorkehrungen zu treffen; der durch den angefochtenen Bescheid Berechtigte darf die Berechtigung nicht ausüben.

Diese Bestimmungen und die nahezu gleichlautenden Bestimmungen des § 30 Abs. 2 und 3 VwGG dienen der Wirksamkeit der Rechtsschutzfunktion der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, weil damit unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit geschaffen wird, zu verhindern, daß der angefochtene Bescheid während des Beschwerdeverfahrens vollstreckt oder in anderer Weise zum Nachteil des Beschwerdeführers in die Wirklichkeit umgesetzt wird.

2.3. Daß Beschwerden gegen Bescheide, mit denen ein Aufenthaltsverbot erlassen wird, die aufschiebende Wirkung zuerkannt werden kann, bedarf im Hinblick auf die unmittelbare Vollstreckbarkeit solcher Bescheide (siehe § 13 Fremdenpolizeigesetz und § 36 FrG) keiner besonderen Erörterung.

Entscheidend für den Ausgang der vorliegenden Beschwerdeverfahren ist die Frage, ob die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verfassungsgerichtshof über den Aufschub der unmittelbaren Vollstreckung hinausgehende Wirkungen hatte. Der Verfassungsgerichtshof versteht den Begriff der "aufschiebenden Wirkung" sehr weit, nämlich in dem Sinne, daß der angefochtene Bescheid vorläufig keine Rechtswirkungen zu äußern vermag (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25. Juni 1970, Slg. Nr. 6215), weshalb alle verwaltungsbehördlichen Maßnahmen zu unterbleiben haben, die der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die Beschwerde vorgreifen würden. Es ist daher davon auszugehen, daß der Verfassungsgerichtshof mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung alle an die das Aufenthaltsverbot betreffend die Beschwerdeführerinnen aussprechenden rechtskräftigen Bescheide geknüpften Wirkungen aufgeschoben hat, damit auch die Bindungswirkung und die Tatbestandswirkung dieser Bescheide, sodaß sich die nunmehr angefochtenen Bescheide nicht rechtens auf den Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 1 FrG stützen konnten, auch wenn sich an der Rechtskraft der beim Verfassungsgerichtshof bekämpften Bescheide durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nichts geändert hat.

Dem von der belangten Behörde in der Gegenschrift zur Stützung ihrer Auffassung zitierten hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 1992, Zl. 92/18/0412, lag insofern ein anders gelagerter Sachverhalt zugrunde, als dort - zum Unterschied von den vorliegenden Fällen - der Beschwerde gegen den das Aufenthaltsverbot enthaltenden Bescheid erst NACH der auf das rechtskräftige Aufenthaltsverbot gestützten Versagung des Sichtvermerkes (gemäß § 25 Abs. 3 lit. c Paßgesetz 1969) die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, worauf in jenem Erkenntnis ausdrücklich Bedacht genommen wurde.

2.4. Klargestellt sei, daß die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung die belangte Behörde nicht daran hindert, selbständig - ohne Bindung an die beim Verfassungsgerichtshof bekämpften Bescheide - Feststellungen über das Verhalten der Beschwerdeführerinnen zu treffen und zu beurteilen, ob dieses einen anderen Sichtvermerksversagungsgrund gemäß § 10 FrG darstellt.

3. Aus den dargelegten Gründen erweisen sich die angefochtenen Bescheide als rechtswidrig, auch wenn die belangte Behörde im Zeitpunkt der Verfassung dieser Bescheide die (am 12. Jänner 1993 zugestellten) Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes vom 7. Jänner 1993 nicht berücksichtigen und auch nicht vorhersehen konnte, daß ihre Bescheide im Zeitpunkt ihrer Erlassung (durch ihre Zustellung am 13. Jänner 1993) rechtswidrig sein würden.

Die angefochtenen Bescheide waren gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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