VwGH 93/14/0105

VwGH93/14/010521.9.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Karger, Dr. Baumann und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde der M in N, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich (Berufungssenat I) vom 30. April 1993, Zl. 11/4/3-BK/F-1993, betreffend Einkommensteuer 1986 bis 1991, zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1972 §34;
EStG 1988 §34 Abs7;
EStG 1988 §34;
EStG 1972 §34;
EStG 1988 §34 Abs7;
EStG 1988 §34;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin machte in den Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1986 bis 1991 jeweils außergewöhnliche Belastungen infolge Inanspruchnahme aus einer seinerzeit für ihren inzwischen geschiedenen Ehegatten abgegebenen Bürgschaft geltend (1986 S 1,284.921,--; 1987 S 307.430,--; 1988 S 1,806.934,--; 1989 S 1,297.686,--; 1990 S 1,100.000,--; 1991 S 1,260.000,--).

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid versagte die belangte Behörde diesen Zahlungen die Anerkennung als außergewöhnliche Belastung. Sie ging in der strittigen Frage, ob die Beschwerdeführerin aus sittlichen Gründen zur Übernahme der Bürgschaft für ihren damaligen Ehegatten verpflichtet war, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (insbesondere dem Erkenntnis vom 26. April 1989, 86/14/0085) aus und legte im wesentlichen folgendes dar:

Es sei auf jenen Zeitpunkt abzustellen, in dem die Beschwerdeführerin die Wechselverwendungserklärung sowie das Blankoakzept unterschrieben habe (23. November 1978). Das spätere Eingehen von neuerlichen Bürgschaften, die lediglich der Umschuldung bzw. Entlastung von bereits bestehenden Verbindlichkeiten gedient hätten, könne hingegen für die Beurteilung der Frage der Zwangsläufigkeit der Bürgschaftsübernahme nicht mehr von Bedeutung sein.

Der Beschwerdeführerin sei zuzubilligen, daß sie geglaubt habe, durch die Übernahme der Bürgschaft für ihren damaligen Ehegatten von ihm eine existenzbedrohende Notlage mit Aussicht auf Erfolg abwenden zu können.

Es möge im allgemeinen zutreffen, daß gescheiterte selbständige Erwerbstätige schwer eine andere Beschäftigung finden würden; damit sei noch keineswegs gesagt, daß auch im gegenständlichen Fall die wirtschaftliche Existenz des damaligen Ehegatten der Beschwerdeführerin überhaupt verloren zu gehen gedroht hätte. Der Ehegatte hätte in dem der Beschwerdeführerin gehörenden (und damals an ihren Ehegatten verpachteten) Schotterwerksbetrieb beschäftigt werden können. Eine zum damaligen Zeitpunkt erfolgte Konkurseröffnung über das Vermögen des Ehegatten hätte also nicht unbedingt die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Ehegatten bedeutet.

Die Beschwerdeführerin habe vorgebracht, daß sie die von der Bürgschaft umfaßten Darlehen, die der Errichtung und Erweiterung des Betriebes gedient hätten (im Gesamtbetrag von S 9,550.792,--), bei der S-Bank eingelöst und den von ihr bezahlten Betrag von S 12,141.236,72 nicht als außergewöhnliche Belastung angesehen und geltend gemacht habe. Die Richtigkeit dieses Berufungsvorbringens werde nicht bezweifelt, jedoch sei folgendes zu bedenken: Die Bürgschaft für die Verbindlichkeiten des Ehegatten bei der S-Bank sei für alle zum damaligen Zeitpunkt noch offenen Forderungen der S-Bank abgegeben worden (in Form einer Wechselverwendungserklärung und eines Blankoakzepts), ohne zu unterscheiden, ob es sich um Darlehen gehandelt habe, die der Errichtung und Erweiterung des Betriebes dienten oder um Forderungen aus dem laufenden Betrieb. Die S-Bank hätte einer eingeschränkten Bürgschaftsübernahme nur für die Verbindlichkeiten aus dem laufenden Betrieb wohl kaum zugestimmt. Es handle sich daher um eine einheitliche Bürgschaft, die entweder zur Gänze zwangsläufig eingegangen worden sei oder nicht. Da ein Großteil der Bürgschaft auf Kredite entfallen sei, die der Errichtung und Erweiterung des Betriebes gedient hätten, sei nach der Rechtsprechung die steuerliche Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung ausgeschlossen.

Um beurteilen zu können, ob nach einem objektiven Pflichtbegriff nach der herrschenden moralischen Anschauung ein Steuerpflichtiger aus sittlichen Gründen verpflichtet sei, eine Bürgschaft für seinen Ehegatten einzugehen, sei zunächst das Einkommen und Vermögen des Steuerpflichtigen einerseits sowie die Höhe und die Art der eingegangenen Bürgschaft gegenüber zu stellen. Nach den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 1976 bis 1985 hätten die Einkünfte der Beschwerdeführerin jährlich zwischen minus S 333.727,-- und plus S 408.396,-- betragen. Das Vermögen der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt des Eingehens der Bürgschaft habe im wesentlichen aus dem an ihren Ehegatten verpachteten Schotterwerksbetrieb sowie Grundstücken des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens sowie des Grundvermögens bestanden. Die Schotterwerksverpachtung habe zum 1. Jänner 1977 einen Einheitswert von S 1,762.000,-- und zum 1. Jänner 1978 einen Einheitswert von S 788.000,-- gehabt. Zum Stichtag 1. Jänner 1979 habe die Beschwerdefüherin land- und forstwirtschaftliches Vermögen mit einem Einheitswert von S 474.000,-- sowie Grundvermögen mit einem Einheitswert von S 1,788.000,-- besessen. Die Bürgschaft sei für Betriebsschulden des Ehegatten bei der S-Bank eingegangen worden, die im Zeitraum 1973 bis 1981 zwischen S 8,694.918,-- und S 36,179.754,-- betragen hätten. Die Fremdkapitalkosten hätten im selben Zeitraum zwischen S 585.576,-- und S 4,564.297,-- betragen. Hieraus sei bereits ersichtlich, daß die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beschwerdeführerin einerseits und die Höhe der Betriebsschulden sowie die jährlichen Fremdkapitalkosten des geschiedenen Ehegatten andererseits in krassem Mißverhältnis stünden. Dies bestätigten auch die Berufungsausführungen, wonach die zum Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme ausstehenden Gesamtverbindlichkeiten bei der S-Bank ca. S 22,000.000,-- betragen hätten, sowie das Schreiben der S-Bank, wonach die von der Bürgschaft der Beschwerdeführerin gesicherten Gesamtverbindlichkeiten zum 31. Dezember 1980 S 33,457.595,-- ausgemacht hätten. Auch wenn die Beschwerdeführerin geglaubt haben möge, daß sie durch die Übernahme der Bürgschaft eine existenzbedrohende Notlage ihres Ehegatten abgewendet habe und daß der Ehegatte in der Folge aufgrund der günstigen betriebswirtschaftlichen Aussichten des Betriebes die bestehenden Verbindlichkeiten zurückzahlen würde, so liege es doch im Wesen einer Bürgschaft, daß der Bürge mit der Einlösung der Bürgschaft ernstlich rechnen müsse. Vergleiche man nun die Einkünfte der Beschwerdeführerin zum damaligen Zeitpunkt mit den Fremdkapitalkosten für die unter die Bürgschaft fallenden Verbindlichkeiten, so werde klar, daß es unmöglich gewesen sei, die Zinsen, geschweige denn Darlehensrückzahlungen, aus dem laufenden Einkommen zu leisten. Die Bürgschaft sei somit einer Haftung des gesamten Liegenschaftsvermögens der Beschwerdeführerin für die Betriebsschulden ihres Ehegatten gleichgekommen. Damit habe sie aber die eigene Existenz und die ihrer Familie aufs Spiel gesetzt. Es sei zwar bewundernswert und spreche für die Tüchtigkeit der Beschwerdeführerin, daß sie es nach dem Konkurs des Ehegatten geschafft habe, sich aus den Bürgschaftsverpflichtungen zu befreien, ohne ihre eigene Existenz zu verlieren; sittlich verpflichtend könne dieses Verhalten aber nicht gewesen sein. Weder die Ertragssteigerungen des Schotterwerksbetriebes, die wesentlich zur Befreiung aus den Bürgschaftsverpflichtungen beigetragen hätten, noch der Verkauf des Großteils des Liegenschaftsbesitzes habe nach dem Pflichtbegriff der herrschenden moralischen Anschauung zum Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme von der Beschwerdeführerin verlangt werden können. Auch wenn man berücksichtige, daß die Beschwerdeführerin mit ihrem geschiedenen Ehegatten zwei Kinder habe, so könne doch nach einem objektiven Pflichtbegriff nicht verlangt werden, daß jemand für die Betriebsschulden seines Ehegatten seinen gesamten Liegenschaftsbesitz und gleichzeitig damit seine eigene Existenz und die der Familie gefährde.

Durch diesen Bescheid erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Anerkennung ihrer aufgrund der Bürgschaftsübernahme vom 23. November 1978 gegenüber der S-Bank zur Sicherstellung von Darlehen und Krediten ihres inzwischen von ihr geschiedenen Ehegatten erbrachten Leistungen für die Jahre 1986 bis 1991 verletzt. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vorauszuschicken ist für die Streitjahre 1989 bis 1991, daß der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung von Quantschnigg (ÖStZ 1992, 339; vgl. auch LStR 1992, Rz 568), Bürgschaftszahlungen in Zusammenhang mit einer Existenzbedrohung naher Angehöriger könnten im Hinblick auf § 34 Abs. 7 EStG 1988 (vgl. hiezu VfGH 12. Dezember 1991, G 290/91, und nunmehr die Neufassung BGBl. Nr. 312/1992) nicht mehr abgezogen werden, nicht teilt. Bei den streitgegenständlichen Zahlungen aus Bürgschaften für Betriebsschulden des Ehegatten handelte es sich nicht um Unterhaltsleistungen im Sinne des § 34 Abs. 7 EStG 1988. Vielmehr umfaßt der Unterhalt etwa Aufwendungen für Nahrung, Kleidung, Wohnung, Erholung, Freizeitgestaltung und medizinische Versorgung (vgl. auch Pichler in Rummel I, 2. Auflage, § 94 ABGB Rz 3). Damit sind die Leistungen der Beschwerdeführerin nicht gleichzusetzen.

Somit ist die Frage, ob die auf die Übernahme von Bürgschaftsverpflichtungen zurückzuführenden Zahlungen der Beschwerdeführerin als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen sind, für alle Streitjahre anhand folgender von der Rechtsprechung (vgl. aus jüngster Zeit die hg. Erkenntnisse vom 20. April 1993, 88/14/0199, und vom 7. September 1993, 90/14/0063) entwickelten Grundsätze zu beurteilen:

1. Es ist erforderlich, daß der Steuerpflichtige glaubt, durch die Übernahme von Bürgschaften eine existenzbedrohende Notlage eines nahen Angehörigen mit Aussicht auf Erfolg abwenden zu können.

2. Eine existenzbedrohende Notlage liegt nicht schon dann vor, wenn nur die Fortführung einer selbständigen Betätigung ohne die Übernahme von Bürgschaften nicht mehr möglich scheint, sondern wenn die wirtschaftliche Existenz des nahen Angehörigen überhaupt verloren zu gehen droht, dieser also seine berufliche Existenz nicht auch auf andere ihm zumutbare Weise hätte erhalten können.

3. Die besicherten Kredite dürfen nicht dazu dienen, den Betrieb des Schuldners zu erweitern oder ihm sonst bessere Ertragschancen zu vermitteln.

4. Es besteht keine sittliche Verpflichtung eines Steuerpflichtigen zur Übernahme von Bürgschaften für Schulden, die ein naher Angehöriger ohne besondere Notwendigkeit eingegangen ist.

5. Eine Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen setzt voraus, daß sich der Steuerpflichtige nach dem Urteil billig und gerecht denkender Menschen der Übernahme von Bürgschaften nicht entziehen kann. Nicht das persönliche Pflichtgefühl des Steuerpflichtigen, sondern der objektive Pflichtbegriff nach den herrschenden moralischen Anschauungen ist entscheidend. Es reicht daher nicht aus, daß das Handeln des Steuerpflichtigen menschlich verständlich ist, es muß vielmehr die Sittenordnung dieses Handeln gebieten.

Im Beschwerdefall ergibt sich hiezu folgendes:

ad 1. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat die belangte

Behörde nicht bezweifelt.

ad 2. Der Ansicht der belangten Behörde, die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Ehegatten der Beschwerdeführerin hätte nicht unbedingt die Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz bedeutet, weil ihn die Beschwerdeführerin hätte weiter beschäftigen können, kann der Verwaltungsgerichtshof nicht beipflichten. Vielmehr hat der Gerichtshof schon wiederholt ausgesprochen, daß eine existenzbedrohende Notlage insbesondere dann vorliegt, wenn dem nahen Angehörigen ohne Bürgschaftsübernahme Konkurs und damit ein vollkommener Vermögensverlust (vgl. weiters für die Zeit nach Konkursaufhebung die §§ 60, 61 KO) droht (vgl. aus jüngster Zeit die hg. Erkenntnisse vom 20. Jänner 1993, 91/13/0009, und vom 7. September 1993, 90/14/0063).

ad 3. Die belangte Behörde bestreitet nicht, daß die Beschwerdeführerin Zahlungen aus Bürgschaften für Darlehen, die der Errichtung und Erweiterung des Betriebes gedient hätten, nicht als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht hat. Ihre Auffassung wegen der Einheitlichkeit der Bürgschaftserklärung, die nicht unterscheide, ob es sich um Darlehen handle, die der Errichtung und Erweiterung des Betriebes dienten, oder um Forderungen aus dem laufenden Betrieb, könnten auch die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Beträge keine steuerliche Anerkennung finden, ist verfehlt. Maßgeblich ist der Zweck des jeweiligen Kredites, mag eine einzige Bürgschaftserklärung auch mehrere Kredite mit unterschiedlichen Zwecken erfassen. Gegen die von der Beschwerdeführerin vorgenommene Aufteilung nach Kreditzwecken bestehen daher keine Bedenken.

ad 4. Dem angefochtenen Bescheid ist nicht zu entnehmen, daß der damalige Ehegatte der Beschwerdeführerin die Betriebsschulden, für die sich die Beschwerdeführerin verbürgte, ohne besondere Notwendigkeit (leichtsinnig; vgl. die hg. Erkenntnisse vom 7. Dezember 1988, 88/13/0020, und vom 10. Dezember 1991, 91/14/0146) eingegangen wäre.

ad 5. Diese Voraussetzung ist im Beschwerdefall nicht gegeben: Nach dem Urteil billig und gerecht denkender Menschen ist grundsätzlich niemand verpflichtet, einem Angehörigen das von diesem eingegangene Unternehmerrisiko abzunehmen (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 7. September 1993, 90/14/0063). Selbst bei einem - in der Beschwerde behaupteten - Vermögen der Beschwerdeführerin von ca. S 40,000.000,-- gebot es die Sittenordnung nicht, für Betriebsschulden des Ehegatten im Umfang von ca. S 22,000.000,-- die Bürgschaft zu übernehmen, mag die Sittenordnung eine solche Handlung auch gutheißen. Wie die belangte Behörde richtig erkannt hat, konnte von der Beschwerdeführerin nicht verlangt werden, ihren Liegenschaftsbesitz zur Besicherung dieser Betriebsschulden aufs Spiel zu setzen. Wenn die Beschwerdeführerin rügt, sie hätte, wäre sie zur Darlegung ihrer Vermögensverhältnisse im Jahr 1978 aufgefordert worden, darstellen können, daß ihr Vermögen damals - insbesondere wegen der Differenzen zwischen Einheitswerten und Verkehrswerten - etwa S 40,000.000,-- betragen habe, so macht sie damit keinen im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wesentlichen Verfahrensmangel geltend, weil die belangte Behörde, hätte sie die von der Beschwerdeführerin angestrebte Feststellung getroffen, zu keinem anderen Bescheid hätte kommen können.

Schon der Inhalt der Beschwerde läßt erkennen, daß - aus dem ad 5. genannten Grund - die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, weshalb die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen war. Damit erübrigte sich eine Entscheidung über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

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