VwGH 93/13/0258

VwGH93/13/025830.9.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und Senatspräsident Dr. Pokorny sowie die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Repa, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. Hermann Sperk, Rechtsanwalt in Wien I, Goldschmiedgasse 3, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 8. März 1993, Zl. 6/3 - 3187/80-05, betreffend Zurücknahme von Berufungen gemäß § 275 BAO (Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer für die Jahre 1983 bis 1987), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §198;
BAO §250 Abs1 litb;
BAO §250 Abs1 litc;
BAO §250 Abs1 litd;
BAO §250;
BAO §275;
BAO §289;
BAO §198;
BAO §250 Abs1 litb;
BAO §250 Abs1 litc;
BAO §250 Abs1 litd;
BAO §250;
BAO §275;
BAO §289;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 30. April 1985 ersuchte der Beschwerdeführer um Fristverlängerung für die Abgabe der Steuererklärungen betreffend Umsatzsteuer, Einkommensteuer und Gewerbesteuer 1983 bis 31. Mai 1985. Da innerhalb der erbetenen Frist weder die Steuererklärungen eingereicht wurden noch um weitere diesbezügliche Fristverlängerung angesucht wurde, forderte das Finanzamt den Beschwerdeführer mit verfahrensleitender Verfügung vom 23. August 1985 auf, seiner Abgabenerklärungspflicht bis zum 16. September 1985 zu entsprechen. Da auf diese Verfügung keine Reaktion des Beschwerdeführers erfolgte, wurde mit Datum 4. Oktober 1985 eine nochmalige gleichartige Verfügung erlassen, wobei als Frist für die Abgabe der Steuererklärungen der 31. Oktober 1985 festgesetzt wurde. Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer für den Fall, daß er der Verfügung nicht entsprechen sollte, eine Zwangsstrafe von S 2.000,-- angedroht.

Für das Jahr 1984 wiederholte sich dieser Vorgang im wesentlichen und zwar mit nachstehenden Daten: Fristverlängerung begehrt bis 30. Juni 1986; Verfügung des Finanzamtes mit Fristsetzung bis 25. August 1986.

Für die Abgabe der Steuererklärungen betreffend das Jahr 1985 wurde um Fristverlängerung bis 30. Juni 1987 ersucht. Dieser Antrag wurde vom Finanzamt abgewiesen und eine Nachfrist bis 30. Juni 1987 gewährt. Eine weitere Nachfrist wurde von Amts wegen bis 30. September 1987 gewährt.

Für das Jahr 1986 wiederholte sich der Vorgang analog zu den Jahren 1983 und 1984 mit nachstehenden Daten: Fristverlängerung begehrt bis 31. Mai 1988; Verfügung mit Fristsetzung zunächst bis 30. September 1988, dann nochmals (von Amts wegen) bis 30. Dezember 1988.

Für das Jahr 1987 ist kein Fristverlängerungsansuchen aktenkundig.

Da der Beschwerdeführer nach wie vor für keines der Jahre Abgabenerklärungen einreichte, erließ das Finanzamt mit Datum 12. April 1989 im Schätzungsweg vorläufige Bescheide betreffend Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer für die Jahre 1983 bis 1987 und wies in der Begründung darauf hin, daß keine Abgabenerklärungen eingereicht worden seien.

Der Beschwerdeführer erhob für jede Abgabenart und jedes Jahr gesonderte Berufungen mit im wesentlichen wortgetreu gleichem Inhalt. Er rügte die mangelhafte Begründung, weil das Finanzamt nicht dargelegt habe, aufgrund welcher Feststellungen und Überlegungen es die Abgabenbemessungsgrundlagen ermittelt habe. Weiters wurde Verletzung des Parteiengehörs und Aktenwidrigkeit geltend gemacht. Letztere erblickte der Beschwerdeführer darin, daß er stets Fristverlängerungsansuchen eingebracht habe, die vom Finanzamt nicht abgewiesen worden seien, sodaß nicht davon gesprochen werden könne, er habe seiner Abgabenerklärungspflicht nicht entsprochen. In allen Berufungen wurde der Antrag gestellt, den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, "daß er ersatzlos behoben wird und die vorgeschriebenen Abgaben auf Null gestellt werden". In eventu wurde beantragt, den jeweils bekämpften Bescheid zu beheben, neuerliche Erhebungen anzustellen und danach eine nochmalige Entscheidung zu treffen.

Das Finanzamt forderte daraufhin den Beschwerdeführer ein weiteres Mal mit Vorhalt vom 16. Juni 1989 auf, die Abgabenerklärungen für die Jahre 1983 bis 1987 vorzulegen.

Da der Beschwerdeführer untätig blieb, erließ das Finanzamt mit Datum 8. November 1989 einen Mängelbehebungsauftrag gemäß § 275 BAO mit folgendem Wortlaut:

"...

Es fehlt die konkrete Erklärung, welche Änderungen, insbesondere hinsichtlich des Eventualantrages, beantragt werden ...".

Mit gleichem Datum erging an den Beschwerdeführer ein weiterer Vorhalt mit der Aufforderung, die Abgabenerklärungen einzureichen. Außerdem wurde der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, daß seiner Steuerberaterin keine weiteren Fristerstreckungen zur Abgabe der Steuerklärungen eingeräumt worden seien, daß das Vertretungsverhältnis zwischenzeitlich nicht mehr bestehe, daß das Finanzamt berechtigt und verpflichtet gewesen sei, im Hinblick auf das Fehlen von Abgabenerklärungen die Abgabenbemessungsgrundlagen im Schätzungsweg zu ermitteln und daß dem Eventualbegehren eine nochmalige Entscheidung zu treffen nur stattgegeben werden könne, wenn der Beschwerdeführer seiner Verpflichtung gemäß § 119 BAO zur Vorlage von Abgabenerklärungen nachkomme.

Der Beschwerdeführer ersuchte um Fristerstreckung betreffend die Beantwortung des Vorhaltes und die Behebung der Mängel. Ohne juristische Beratung sei er außerstande, diesen zu beantworten.

Mit Bescheid vom 18. Dezember 1989 erklärte das Finanzamt gemäß § 275 BAO die Berufung als zurückgenommen, weil dem Mängelbehebungsauftrag nicht nachgekommen worden sei.

Der Beschwerdeführer bekämpfte diesen Bescheid mit Berufung und legte in allgemein gehaltenen Worten dar, welchen Anforderungen Bescheide der Abgabenbehörden entsprechen müßten. Die Begründung, daß dem Mängelbehebungsauftrag nicht entsprochen worden sei, werde nicht ausreichend fallbezogen bewiesen. Er habe ein Fristverlängerungsansuchen eingebracht und darauf vertraut, daß diesem stattgegeben werde. Die Vorgangsweise des Finanzamtes verletze den Grundsatz von Treu und Glauben.

Das Finanzamt gab der Berufung mit Berufungsvorentscheidung statt und verlängerte die Frist zur Behebung der Mängel bis zum 20. Februar 1990. Dieser Fristverlängerungsbescheid wurde dem Beschwerdeführer am 20. Februar 1990 durch Hinterlegung zugestellt, also am selben Tag, an dem die verlängerte Frist endete.

Mit Schreiben vom 6. März 1990 gab der Beschwerdeführer hiezu eine "Äußerung" ab, in der er um weitere Fristverlängerung bis 31. März 1990 ersuchte.

Dieses Fristverlängerungsansuchen wies das Finanzamt mit der Begründung ab, daß eine Frist nur verlängert werden könne, wenn der diesbezügliche Antrag innerhalb offener Frist eingebracht werde.

Mit Bescheid vom 18. Mai 1990 erklärte das Finanzamt die Berufung gegen die Bescheide betreffend Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuerbescheide für die Jahre 1983 bis 1987 (zum zweiten Mal) für zurückgenommen.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen neuerlichen Zurücknahmebescheid Berufung und brachte im wesentlichen vor, daß der seinerzeit erteilte Mängelbehebungsauftrag zu Unrecht ergangen sei, weil seine Berufung den gesetzlichen Erfordernissen entsprochen habe.

Das Finanzamt gab dieser Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom 29. Juni 1992 statt und hob den (zweiten) Zurücknahmebescheid auf. Begründet wurde die Berufungsvorentscheidung nicht; aus dem Akteninhalt ist aber zu entnehmen, daß die Stattgabe deswegen erfolgte, weil der Bescheid, mit dem die oben erwähnte Frist bis zum 20. Februar 1990 erstreckt worden war, erst am Tag der Beendigung dieser Frist zugestellt wurde. Gleichzeitig erließ das Finanzamt einen neuerlichen (dritten) Mängelbehebungsauftrag, der den gleichen Inhalt hatte, wie die vorangegangenen. Als Frist für die Behebung der Mängel wurde der 4. September 1992 festgesetzt.

Der Beschwerdeführer äußerte sich zu diesem Mängelbehebungsauftrag mit Schreiben vom 3. September 1992. Seine Berufung sei mängelfrei, insbesondere sei klar erkennbar, daß er die ersatzlose Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehre. Der Mängelbehebungsauftrag gemäß § 275 BAO sei daher zu Unrecht erlassen worden. Weiters wies der Beschwerdeführer darauf hin, daß über seine "Berufungen aus dem Jahre 1979 bis zum heutigen Tag" noch nicht entschieden worden sei, sodaß das nach dem Grundsatz der "Bilanzkontinuität (Bilanzidentität)" (gemeint ist offensichtlich der Grundsatz des Bilanzenzusammenhanges) geforderte lückenlose Anschließen der verschiedenen Geschäftsperioden nicht gewährleistet sei. Im übrigen sei gemäß § 207 BAO bereits Bemessungsverjährung eingetreten. "Es wolle zur Kenntnis genommen werden, daß ich nicht die erforderlichen Steuererklärungen zur Verfügung habe und es sollen mir solche von Amts wegen zur Verfügung gestellt werden".

Mit Bescheid vom 1. Dezember 1992 erklärte das Finanzamt die Berufungen betreffend Umsatzsteuer, Einkommensteuer und Gewerbesteuer 1983 bis 1987 neuerlich als gemäß § 275 BAO zurückgenommen.

Der Beschwerdeführer erhob abermals Berufung, verwies auf frühere Eingaben, behauptete neuerlich seinerzeit Berufungen eingebracht zu haben, die den gesetzlichen Vorschriften entsprochen hätten, rügte, daß seinem Wunsch auf Zusendung von Abgabenerklärungsformularen nicht entsprochen worden sei, vertrat die Ansicht, daß "gegen ihn mit einer besonderen Willkürlichkeit vorgegangen wird" und beklagte die "nicht mehr zur rechtfertigende bestehende Saumseligkeit" der Abgabenbehörde zweiter Instanz bei der Erledigung seiner Berufungen aus dem Jahre 1979 als "einen Rekord einer Rechtsverweigerung".

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab und begründete dies im wesentlichen damit, daß der seinerzeitige Berufungsantrag des Beschwerdeführers "Bescheide ersatzlos beheben ... nicht dem Wortlaut oder Sinn des § 250 BAO" entspreche. Das Finanzamt habe daher zu Recht jenen Mängelbehebungsauftrag erlassen, dem der Beschwerdeführer nicht nachgekommen sei. Der Bescheid, mit dem die Zurücknahme der Berufung ausgesprochen worden sei, entspreche daher dem Gesetz.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete und von diesem an den Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde erwogen:

Wenn eine Berufung nicht den im § 250 Abs. 1 oder Abs. 2 erster Satz BAO umschriebenen Erfordernissen entspricht, so hat die Abgabenbehörde erster Instanz gemäß § 275 BAO dem Berufungswerber die Behebung dieser inhaltlichen Mängel mit dem Hinweis aufzutragen, daß die Berufung nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt.

Gemäß § 250 Abs. 1 BAO hat eine Berufung unter anderem die Erklärung zu enthalten, in welchen Punkten der Bescheid angefochtene wird und welche Änderungen beantragt werden.

Der Beschwerdeführer hat in allen seinen Berufungen betreffend die Umsatzsteuer, Einkommensteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 1983 bis 1987 den Antrag gestellt, in Stattgebung der Berufung wolle:

"1. der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert werden, daß er ersatzlos behoben wird und die vorgeschriebenen Abgaben auf Null gestellt werden;

in eventu der bekämpfte Bescheid behoben, neuerliche Erhebungen angestellt und danach eine nochmalige Entscheidung getroffen werden;

..."

Der letzte (maßgebende) Mängelbehebungsauftrag lautete:

"Es fehlt eine konkrete Erklärung, welche Änderungen hinsichtlich der Bemessungsgrundlagen beantragt werden. Für die Jahre 1983 bis 1987 sind den Formvorschriften der BAO entsprechende Steuererklärungen nachzureichen." (Zitat unter Weglassung grammatikalischer Fehler).

Die belangte Behörde irrt, wenn sie meint, das ausdrückliche Begehren der ersatzlosen Behebung eines Abgabenbescheides sei keine ausreichende Erklärung im Sinne des § 250 Abs. 1 lit. b und c BAO. Ein solches Begehren zielt darauf ab, daß von der Erlassung eines Abgabenbescheides überhaupt Abstand genommen wird. Eine Erklärung, welche Änderungen hinsichtlich der Bemessungsgrundlage beantragt werden, kann begrifflich nicht abgegeben werden, weil ein nicht zu erlassender Abgabenbescheid keine Abgabenbemessungsgrundlage haben kann. Mit dem zusätzlichen Begehren, die vorgeschriebenen Abgaben mögen "auf Null gestellt werden" hat der Beschwerdeführer mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, daß seiner Ansicht nach keine Abgaben vorzuschreiben wären. Was bei einem solchen Begehren fehlt, ist die Begründung (§ 250 Abs. 1 lit. d BAO); eine solche wurde vom Beschwerdeführer jedoch entgegen der Vorschrift des § 275 BAO nicht verlangt.

Jene Mängel, deren Behebung dem Beschwerdeführer aufgetragen wurde, lagen demnach nicht vor, sodaß das diesbezügliche Untätigbleiben des Beschwerdeführers die Erlassung eines Bescheides, mit dem die Berufungen als zurückgenommen erklärt wurde, nicht rechtfertigte. Jener Mangel, der den Berufungen gegen die Abgabenbescheide tatsächlich anhaftete, nämlich das Fehlen einer Begründung, wurde nicht zum Gegenstand eines Mängelbehebungsauftrages gemacht, sodaß auch die Rechtsfolge des § 275 BAO nicht zum Tragen kommen konnte.

Daß das Eventualbegehren in den Berufungen des Beschwerdeführers auf Wiederholung des Ermittlungsverfahrens und Erlassung neuer Abgabenbescheide nicht den Vorschriften des § 250 Abs. 1 lit. b und c BAO entsprach, ändert an diesem Ergebnis nichts, weil eine Vorgangsweise gemäß § 275 BAO schon dann nicht mehr in Betracht kommt, wenn eine Berufung ein Anfechtungssubstrat enthält, welches unabhängig von einem allfälligen weiteren Vorbringen einer meritorischen Berufungerledigung zugänglich ist.

Da die belangte Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Mit Rücksicht auf das Verhalten des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren sieht sich der Gerichtshof noch zu folgenden Ausführungen veranlaßt:

Ein Abgabepflichtiger, der sich, wie der Beschwerdeführer, beharrlich (viele Jahre hindurch und trotz zahlreicher "Erinnerungen") weigert, seiner Abgabenerklärungs- und Offenlegungspflicht (§§ 119 und 133 BAO) nachzukommen und auf diesem Gebiet völlig untätig bleibt, verstößt damit nicht nur grundlegend gegen die genannten gesetzlichen Verpflichtungen, was dazu führt, daß die Abgabenbehörde zur Schätzung der Abgabenbemessungsgrundlagen berechtigt und verpflichtet ist (§ 184 BAO); er setzt damit auch ein Verhalten, das geeignet ist, den Eindruck zu erwecken, er strebe eine derartige Schätzung in der Erwartung an, diese könnte sich für ihn vorteilhafter erweisen, als es bei Offenlegung aller abgabenrechtlich relevanten Fakten der Fall wäre.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 30. September 1998

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