VwGH 93/10/0201

VwGH93/10/020126.6.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der K in W, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 8. Juni 1993, Zl. UVS-03/18/00938/93, betreffend Übertretungen des Art. VIII erster und zweiter Fall und des Art. IX Z. 1 und 2 EGVG, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §66 Abs4;
EGVG 2008 Art9 Abs1 Z1;
EGVG 2008 Art9 Abs1 Z2;
EGVG Art8/Wr Fall1 Anstandsverletzung;
EGVG Art8/Wr Fall2 Lärmerregung;
VStG §22 Abs1;
VStG §24;
VStG §44a Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §66 Abs4;
EGVG 2008 Art9 Abs1 Z1;
EGVG 2008 Art9 Abs1 Z2;
EGVG Art8/Wr Fall1 Anstandsverletzung;
EGVG Art8/Wr Fall2 Lärmerregung;
VStG §22 Abs1;
VStG §24;
VStG §44a Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Inneres) und der Bundeshauptstadt (Land) Wien Aufwendungen in der Höhe von je S 2.282,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, sie habe am 13. Juni 1991 zwischen 11.15 und 11.29 Uhr in Wien in einem Amtszimmer des Magistratischen Bezirksamtes für den 23. Bezirk

1. durch lautes Schreien ungebührlicherweise störenden Lärm erregt, 2. durch den Gebrauch von Schimpfworten wie "Arschlöcher, Scheißdreck" den öffentlichen Anstand verletzt,

3. durch lautes Schreien und Schimpfen ein Verhalten gesetzt, das geeignet war, Aufsehen und Ärgernis zu erregen und auch tatsächlich erregt hat, sohin die Ordnung an einem öffentlichen Ort in empfindlicher Weise gestört, und 4. durch ungestüme Gestik und Verwenden unpassender Äußerungen in erregtem Ton, ungeachtet einer vorhergehenden Abmahnung, sich gegenüber einem im Dienst befindlichen Wachebeamten ungestüm benommen. Dadurch habe sie folgende Rechsvorschriften verletzt:

  1. 1. Art. VIII zweiter Fall EGVG,
  2. 2. Art. VIII erster Fall EGVG,
  3. 3. Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG,
  4. 4. Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG.

    Über die Beschwerdeführerin wurde jeweils eine Geldstrafe von S 500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 30 Stunden) verhängt. Ferner wurde die Vorhaft, die die Beschwerdeführerin im Anschluß an ihre Festnahme im Zuge des gegenständlichen Vorfalles erlitten hatte, angerechnet.

    In ihrer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend; sie beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat den Strafakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

    Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

    Nach Art. VIII EGVG (in der als landesgesetzliche Vorschrift in Wien in Geltung gestandenen Fassung) begeht eine Verwaltungsübertretung, wer den öffentlichen Anstand verletzt (erster Fall) oder ungebührlicherweise störenden Lärm erregt (zweiter Fall).

    Nach Art. IX Abs. 1 EGVG (in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 143/1992) begeht eine Verwaltungsübertretung, wer

    1. durch ein Verhalten, das Ärgernis zu erregen geeignet ist, die Ordnung an öffentlichen Orten stört,

    2. sich ungeachtet vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht, während es sich in rechtmäßiger Ausübung des Amtes oder Dienstes befindet, ungestüm benimmt.

    Die von der belangten Behörde als erwiesen angenommenen Taten sind entsprechend dem Gebot des § 44a Abs. 1 Z. 1 VStG in dem (mit dem angefochtenen Bescheid bestätigten und damit übernommenen) Spruch des Straferkenntnisses der Bundespolizeidirektion Wien vom 11. Jänner 1993 umschrieben. Der von der Beschwerdeführerin vermißten Wiederholung dieser Feststellungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides bedurfte es nicht.

    Diese Feststellungen stützen sich auf die Anzeige vom 13. Juni 1991 und die Aussagen von drei als Zeugen vernommenen Bediensteten des Magistratischen Bezirksamtes für den

    23. Bezirk. Deren Aussagen schenkte die belangte Behörde nach der Begründung des angefochtenen Bescheides insbesondere deshalb Glauben, weil sie klar, widerspruchsfrei und nachvollziehbar seien, weil diese Zeugen im Falle der Verletzung der Wahrheitspflicht mit straf- und dienstrechtlichen Sanktionen zu rechnen hätten und weil kein Anhaltspunkt dafür bestehe, daß sie die Beschwerdeführerin wahrheitswidrig hätten belasten wollen. Der belangten Behörde kann nicht entgegengetreten werden, wenn sie den mit der Anzeige übereinstimmenden Aussagen der drei Zeugen gefolgt ist, zumal die Beschwerdeführerin weder im Einspruch, noch in ihrer Stellungnahme zu den ihr bekanntgegebenen Zeugenaussagen noch in der Berufung den Zeugenaussagen konkret entgegengetreten ist. Sie hat auch niemals eine konkrete abweichende Schilderung des Geschehensablaufes aus ihrer Sicht gegeben. Daß für die belangte Behörde - unter anderem - der Umstand maßgebend war, daß die Zeugen unter Wahrheitspflicht stehen und im Falle deren Verletzung mit Sanktionen zu rechnen haben, und eine solche Begründung nach Meinung der Beschwerdeführerin "eine generelle - im Prinzip kaum widerlegbare - Glaubwürdigkeitsvermutung derartiger Personen" darstelle, zeigt entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin keine Rechtswidrigkeit der Beweiswürdigung auf. Daß in der Anzeige vom 13. Juni 1991 (offenbar versehentlich) von einer Ersatzfreiheitsstrafe von 29 Tagen (für zwei von der Beschwerdeführerin zuvor begangene Verwaltungsübertretungen) die Rede ist, in dem von der Zeugin Ingeborg B. verfaßten Aktenvermerk vom selben Tag hingegen von 27 Stunden, stellt keinen Widerspruch zwischen den Zeugenaussagen dar. Unerheblich ist das Fehlen der Namen der Zeugen im angefochtenen Bescheid. Deren Aussagen waren der Beschwerdeführerin bereits im erstinstanzlichen Verfahren zur Kenntnis gebracht worden. Angesichts dessen und in Anbetracht des Umstandes, daß die Beschwerdeführerin diesen Aussagen weder in ihrer abschließenden Stellungnahme vom 1. Juni 1992 noch in ihrer Berufung konkret entgegengetreten ist, bestand für die belangte Behörde kein Anlaß, diese Zeugen neuerlich zu vernehmen, zumal die Beschwerdeführerin selbst keinen dahingehenden Antrag gestellt hatte. Damit erweist sich der Vorwurf, die belangte Behörde habe zu Unrecht die neuerliche Vernehmung der besagten Zeugen unterlassen, als nicht berechtigt.

    Die Beschwerde tritt den Feststellungen der belangten Behörde nicht entgegen, die Beschwerdeführerin sei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zum festgesetzten Termin (8. Juni 1993, 10.00 Uhr), sondern erst 20 Minuten nach Fällung des Erkenntnisses erschienen und sie sei in den zwei an sie ergangenen Ladungen ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß ihr Nichterscheinen weder die Durchführung der Verhandlung noch die Fällung des Erkenntnisses hindere. Die Beschwerde wirft der belangten Behörde in diesem Zusammenhang jedoch vor, die Manuduktionspflicht dadurch verletzt zu haben, daß sie die nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin nicht angeleitet habe, einen ordentlichen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen. Andernfalls hätte die Beschwerdeführerin darlegen können, daß die Versäumung des Termines durch die versehentliche Benützung eines falschen Verkehrsmittels verursacht worden sei. Damit sei es ihr verwehrt gewesen, in der mündlichen Verhandlung Fragen an die Zeugen zu richten und allfällige Beweisanträge zu stellen. Auf diese Weise sei eine erschöpfende Erörterung des Sachverhaltes unterblieben.

    Dieses Vorbringen zeigt schon deshalb keinen wesentlichen Verfahrensmangel auf, weil in der Beschwerde nicht dargelegt wird, was die Beschwerdeführerin andernfalls vorgebracht und inwieweit sich dadurch ein in wesentlichen Punkten anderer Sachverhalt ergeben hätte.

    Das gleiche gilt sinngemäß für den Vorwurf, es sei nicht erhoben worden, ob die Sicherheitswacheorgane zur Vornahme der Amtshandlung vom 13. Juni 1991 überhaupt rechtlich befugt gewesen seien. Die Beschwerde läßt jeglichen Hinweis vermissen, aus welchen Gründen die belangte Behörde daran hätte Zweifel hegen müssen. Die Beschwerdeführerin hat im Verwaltungsverfahren begründete Zweifel nicht geäußert; sie bringt auch in der Beschwerde dazu nichts vor.

    Als inhaltlich rechtswidrig erachtet die Beschwerde, daß die Beschwerdeführerin wegen zweier Tatbestände gemäß Art. VIII EGVG verurteilt worden sei. Aus dem Gesetzeswortlaut "begeht EINE Verwaltungsübertretung" ergebe sich, daß nach Art. VIII EGVG nur EINE Strafe hätte verhängt werden dürfen.

    Die Beschwerde ist damit nicht im Recht. Art. VIII EGVG normiert zwei unterschiedliche, einander nicht ausschließende Tatbestände, die gegebenenfalls durch ein Verhalten gleichzeitig erfüllt sein können (vgl. das ein lautes Schreien von Schimpfworten betreffende hg. Erkenntnis vom 15. Juni 1987, Zl. 86/10/0045). Trifft, wie im vorliegenden Fall, letzteres zu, so sind entsprechend dem Kumulationsprinzip des § 22 VStG zwei Strafen zu verhängen. Der von der Beschwerde aus der Wendung "begeht eine Verwaltungsübertretung" gezogene gegenteilige Schluß verbietet sich im Hinblick auf die disjunktive Verbindung ("oder") der beiden Tatbestände des Art. VIII EGVG.

    Mit dem Vorbringen, eine "kurzfristige Stimmerhebung" könne nicht als ungebührliche Lärmerregung qualifiziert werden, macht die Beschwerde der Sache nach geltend, ein solches - noch nicht strafbares - Verhalten gesetzt zu haben. Abgesehen von der Unbeachtlichkeit dieses gegen das Neuerungsverbot verstoßenden Vorbringens, entfernt sich die Beschwerde damit von der Aktenlage. Danach kann keine Rede davon sein, daß die Beschwerdeführerin beim gegenständlichen Vorfall ihre Stimme bloß kurzfristig erhoben hätte.

    Unberechtigt sind auch die Rechtsrügen, das Arbeitszimmer, in dem sich der Vorfall abgespielt habe, sei kein öffentlicher Ort, und es könne der öffentliche Anstand gar nicht verletzt worden sein, weil das Verhalten der Beschwerdeführerin nur für den kleinen Kreis der anwesenden Beteiligten wahrnehmbar gewesen sei. Die Beschwerdeführerin verkennt dabei, daß ein Arbeitszimmer eines Magistratischen Bezirksamtes jedenfalls während der Dienstzeiten einen öffentlichen Ort im Sinne des Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG darstellt, da es grundsätzlich jederzeit von einem nicht von vornherein beschränkten Personenkreis betreten werden kann (vgl. zum Begriff "öffentlicher Ort" die bei Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Band I, Seite 154, E 14. und E 15. angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Mit dem Hinweis auf den "kleinen Kreis der anwesenden Beteiligten" bezieht sich die Beschwerde offenbar auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach eine Verletzung des öffentlichen Anstandes nicht immer schon dann vorliegt, wenn die Tat an einem öffentlichen Ort begangen wird, sondern daß auch die konkrete Möglichkeit der Kenntnisnahme der Anstandsverletzung über den Kreis der Beteiligten hinaus gegeben sein muß (Erkenntnis vom 8. Februar 1965, Slg. Nr. 6578/A). Diese Möglichkeit war im vorliegenden Fall im Hinblick darauf gegeben, daß das Amtszimmer, in dem die Amtshandlung stattfand, über Ersuchen der betreffenden Beamtin von zwei weiteren, an der Amtshandlung nicht beteiligten Bediensteten des Bezirksamtes betreten wurde, die in der Folge das inkriminierte Verhalten der Beschwerdeführerin als Zeugen wahrgenommen haben (siehe Bl. 20 und 22 des Verwaltungsaktes).

    Für die Beschwerdeführerin ist auch mit dem Vorbringen nichts zu gewinnen, ihr Verhalten vom 13. Juni 1991 sei darauf zurückzuführen, daß sie auf Grund der falschen Information der Beamtin, die Beschwerdeführerin habe im Falle der Uneinbringlichkeit einer über sie verhängten Geldstrafe von S 450,-- eine Ersatzfreiheitsstrafe von 29 Tagen (statt richtig: 27 Stunden) zu verbüßen, in eine außerordentlich heftige und berechtigte Erregung geraten sei. Abgesehen davon, daß es sich dabei um eine unzulässige Neuerung handelt, läßt dieses Vorbringen außer acht, daß die Beschwerdeführerin auf Grund des an sie ergangenen Berufungsbescheides der Wiener Landesregierung vom 24. September 1990 sofort erkennen konnte, daß es sich bei dieser Äußerung der Beamtin - falls sie überhaupt so wie in der Beschwerde geschildert gefallen ist - nur um ein Vergreifen im Ausdruck handeln kann. Im übrigen hätte eine einfache Rückfrage allfällige Zweifel unverzüglich beseitigen können. Damit kann entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin von einer begreiflichen und berechtigten Gemütserregung keine Rede sein. In weiterer Folge ist damit jenen Ausführungen der Boden entzogen, mit denen die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die behauptete heftige Gemütserregung versucht, das inkriminierte Verhalten zu rechtfertigen und zu entschuldigen sowie darzutun, daß sie außerstande gewesen sei, die mehrmaligen Abmahnungen durch die einschreitenden Polizeibeamten wahrzunehmen (mit der Folge der Unzulässigkeit ihrer Bestrafung wegen ungestümen Benehmens), und daß die Strafbemessung wegen Nichtberücksichtigung eines Milderungsgrundes rechtswidrig sei.

    Auch das Vorbringen, im Hinblick auf die schon aus der Uneinbringlichkeit eines Betrages von S 495,-- ersichtliche schlechte Vermögenslage der Beschwerdeführerin, die letztlich zur Vorsprache vom 13. Juni 1991 geführt habe, und das angewendete Kumulationsprinzip seien die verhängten Geldstrafen bei weitem zu hoch bemessen, zeigt keine Rechtswidrigkeit der Strafbemessung auf. Die belangte Behörde hat die schlechte Einkommenssituation der Beschwerdeführerin und ihre Vermögenslosigkeit bei der Strafbemessung ausdrücklich berücksichtigt, sich aber im Hinblick auf die übrigen angeführten Strafzumessungsgründe nicht veranlaßt gesehen, niedrigere Geldstrafen zu verhängen. Davon abgesehen, ist das begründungslos gebliebene Vorbringen, wegen der Anwendung des Kumulationsprinzips hätten die Strafen weitaus geringer ausfallen müssen, nicht nachvollziehbar.

    Die Beschwerde ist somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

    Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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