VwGH 93/10/0029

VwGH93/10/002919.12.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Novak, Dr. Mizner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde der Mag. pharm. I in T, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Gesundheit, Sport- und Konsumentenschutz vom 23. Dezember 1992, Zl. 262.200/1-II/A/4/92, betreffend Bewilligung zum Betrieb einer Filialapotheke in T/O (mitbeteiligte Partei: Mag. pharm. J in H, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Normen

ApG 1907 §24 Abs1;
ApG 1907 §24 Abs7;
ApG 1907 §24;
ApG 1907 §47 Abs2;
ApG 1907 §9 Abs2;
ApG 1907 §24 Abs1;
ApG 1907 §24 Abs7;
ApG 1907 §24;
ApG 1907 §47 Abs2;
ApG 1907 §9 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Schreiben vom 31. Oktober 1991 beantragte die Beschwerdeführerin die Bewilligung zum Betrieb einer Filialapotheke für das Standortgebiet der Stadtgemeinde T, Ortschaft O, unter Anführung bestimmter Grenzen. Der Betrieb der Filialapotheke befände sich innerhalb des Standortes ihrer bereits bewilligten Stammapotheke ("D-Apotheke" in T). Die Heilmittelversorgung der Bevölkerung von O, die immerhin mindestens 3.000 Personen zähle, erfolge fast ausschließlich durch die Stammapotheke der Beschwerdeführerin. Die Bevölkerung habe diesbezüglich allerdings einen äußerst beschwerlichen Anreiseweg von ca. 3 km auf sich zu nehmen. In O selbst befinde sich weder eine öffentliche Apotheke noch eine ärztliche Hausapotheke.

Gegen das Ansuchen der Beschwerdeführerin erhob unter anderem der Mitbeteiligte Einspruch. Seiner Ansicht nach werde die Bevölkerung von O sowohl von den in T als auch von den in H befindlichen Apotheken ausreichend und gut versorgt. Die beantragte Filialapotheke sei im übrigen von seiner Apotheke ("X-Apotheke") nur 2,7 km entfernt.

Mit Schreiben vom 28. Jänner 1992 legte die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land die nachfolgenden Erhebungsergebnisse vor: Das Gemeindeamt H habe eine negative Stellungnahme abgegeben, da die Bevölkerung von T/O in das Einzugsgebiet der "X-Apotheke" falle, deren Bestand bei Errichtung einer Filialapotheke gefährdet wäre. Keinen Einwand hätten die Stadtgemeinde Y und A sowie die Gemeinde P erhoben.

Die Stadtgemeinde T befürwortete die Errichtung einer Filialapotheke in O, wobei unter anderem darauf hingewiesen wurde, daß die Zahl der zu versorgenden Personen unter Berücksichtigung der ständigen Einwohner im beabsichtigten Standort 4.450 betrage. Die der Filialapotheke nächstgelegene öffentliche Apotheke sei die "X-Apotheke" in einer Entfernung von 2.600 m. Beim Ortsteil O der Stadtgemeinde T handle es sich um ein abgeschlossenes Siedlungsgebiet im Sinne des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. März 1991 (gemeint: Zlen. 90/10/0020 - 0024, 0030).

Die Österreichische Apothekerkammer, Landesgeschäftsstelle Oberösterreich, sprach sich mit Schreiben vom 18. Februar 1992 gegen das Ansuchen der Beschwerdeführerin aus. Aufgrund der guten örtlichen Verkehrsverbindungen, der Lebens- und Einkaufsgewohnheiten der städtischen Bevölkerung und der relativ geringen Distanzen zwischen O und den nächstgelegenen öffentlichen Apotheken bestünde nämlich keine Notwendigkeit für die Errichtung einer Filialapotheke.

Mit Bescheid vom 8. Mai 1992 gab der Landeshauptmann von Oberösterreich dem Ansuchen der Beschwerdeführerin unter Einschränkung des Standortes statt. Nach der Begründung sei O - unter Berücksichtigung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. März 1991 - als "Ortschaft" gemäß § 24 des Apothekengesetzes (in der Folge: ApG) zu qualifizieren. In dieser Ortschaft befänden sich weder eine ärztliche Hausapotheke noch eine öffentliche Apotheke. In der näheren Umgebung der geplanten Filialapotheke befänden sich die Stammapotheke der Beschwerdeführerin (Entfernung 2,8 km), die Stadtapotheke T (3,4 km) sowie die "X-Apotheke" des Mitbeteiligten in H (Entfernung 2,6 km). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei für die Ermittlung des Bedarfes an Filialapotheken einerseits die Versorgung einer bestimmten Personenzahl und andererseits eine Erleichterung der Heilmittelversorgung als maßgebend anzusehen. Eine Wegeersparnis von über 2,5 km für die Bevölkerung von O stelle sicherlich eine wesentliche Erleichterung der Heilmittelversorgung dar.

Der Mitbeteiligte erhob Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung Folge gegeben und das Ansuchen der Beschwerdeführerin abgewiesen. In der Begründung vertrat die belangte Behörde im wesentlichen die Auffassung, daß O keine "Ortschaft" im Sinne des § 24 Abs. 1 ApG darstelle. Das von der Behörde erster Instanz herangezogene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. März 1991 könne zur Lösung der gegenständlichen Frage aus folgenden Gründen nicht unreflektiert übertragen werden: Nach dem genannten Erkenntnis könne unter einer Ortschaft nur eine Siedlung für eine "wohnhafte Bevölkerung" verstanden werden, weshalb eine Fabrikationsanlage bzw. ein Einkaufszentrum keine Ortschaft im Sinne des § 24 Abs. 1 leg. cit. darstellten. Wenn der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis eine Vielzahl von Erklärungen des Begriffes "Ortschaft" anführe, so sei all diesen gemeinsam, daß vor allem das Element der jeweils notwendigen WOHNBEVÖLKERUNG hervorgehoben werde und die Ortschaft eher als eine untere Einheit einer zusammenhängenden Siedlungstätigkeit (aus einem verbauten Ortskern und aus den um diesen gelagerten unverbauten Grundstücken bestehenden Flächen) anzusehen sei. Die gegenständliche Frage, ob ein - mehr oder weniger - separierter oder zusammenhängender Stadtteil überhaupt einem Ortschaftsbegriff zugänglich sei, habe das Erkenntnis jedoch nicht gelöst. Gerade im städtischen Bereich fänden sich immer häufiger Bauvorhaben an der Peripherie, wobei allmählich auch eine ausgedehnte Siedlungstätigkeit und damit eine Art zusammenhängende Siedlung entstehen könne, ohne daß jedoch hier von einer "Ortschaft" gesprochen werden könne. Wenn man die geographische Lage, die Infrastruktur, die Verkehrsverbindungen und die über 23.000 liegende Einwohnerzahl der Stadtgemeinde T mit ihren Stadtteilen N, O, S, M und T betrachte, so stelle sich dieser Bereich in seiner Gesamtheit als städtisches Gebiet dar, ebenso etwa vergleichbar mit den Bezirken von G oder W, wenn auch hier die Größenordnung eine andere sei. Im Prinzip seien jedoch die städtischen Verhältnisse an sich analog zu sehen. Auch ein Randbezirk von W oder ein Teil davon mit eigenständigen abgeschlossenen Siedlungen und zum Teil etwa schon ländlichem Charakter könne nicht als "Ortschaft" im Sinne des § 24 Abs. 1 ApG qualifiziert werden. Daß der Stadtteil O auf jeden Fall mit dem übrigen Stadtgemeindegebiet von T unmittelbar verbunden sei, zeige sich z. B. in der Linienführung des City-Bus-Verkehrs in T. Die Stadtgemeinde T weise neben der Stammapotheke der Beschwerdeführerin und der Stadtapotheke auch im eigenen Stadtteil T-M eine eigene öffentliche Apotheke auf. Die im gegenständlichen Fall zu beurteilende Grundfrage, ob im städtischen Bereich überhaupt eine Filialapotheke begrifflich möglich sei, sei auch in dem Erkenntnis vom 22. Oktober 1991, Zl. 87/08/0278, nicht gelöst worden. Beurteilungskriterien für Filialapotheken seien danach einerseits die Personenanzahl und andererseits die Erleichterung der Arzneimittelversorgung. Nach Auffassung der belangten Behörde solle eine Filialapotheke nur dort errichtet werden, wo einerseits keine ärztliche Hausapotheke installiert werden könne und andererseits mangels Bevölkerungszahl noch kein ausreichender Bedarf für eine öffentliche Apotheke bestehe. Daß eine Filialapotheke nur für eine entsprechende Region bzw. für vom Stadtgebiet getrennte, eher entlegenere Gebiete/Ortschaften gedacht sei, ergebe sich schon aus der 5-jährigen Sperrfrist des § 47 Abs. 2 ApG. Nach Auffassung der belangten Behörde sei daher die Errichtung einer Filialapotheke im Stadtgebiet bzw. im städtischen Randgebiet ausgeschlossen, wenn sich in dieser Stadt (wie z.B. in T) bereits eine öffentliche Apotheke befinde.

Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin sowohl Beschwerde an den Verfassungs- als auch an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der Beschwerde mit Beschluß vom 27. September 1993, B 253/93-9, abgelehnt.

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Auch der Mitbeteiligte beantragte in seiner Gegenschrift

die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 24 ApG idF der Novelle BGBl. Nr. 502/1984 lautet

auszugsweise:

"(1) Dem Inhaber einer öffentlichen Apotheke ist die Bewilligung zum Betrieb einer Filialapotheke für eine Ortschaft, in der sich keine öffentliche Apotheke oder ärztliche Hausapotheke befindet, zu erteilen, wenn diese Ortschaft nicht mehr als vier Straßenkilometer von der Betriebsstätte der öffentlichen Apotheke entfernt ist und der Bedarf nach einer Verabreichungsstelle von Arzneimitteln besteht.

(2) Die Filialapotheke darf nur im Zusammenhang mit der öffentlichen Apotheke, für die sie bewilligt wurde, betrieben werden.

...

(4) Die Betriebszeiten einer Filialapotheke sind unter Berücksichtigung des Bedarfes nach Anhören der Österreichischen Apothekerkammer von der Bezirksverwaltungsbehörde so festzusetzen, daß zumindest ein zeitweises Offenhalten an Werktagen gegeben ist. Eine Dienstbereitschaft außerhalb der jeweils festgesetzten Offenhaltezeiten entfällt.

...

(7) Für Filialapotheken gelten § 9 Abs. 2 und § 14 Abs. 1 sinngemäß."

§ 9 Abs. 2 ApG hat folgenden Inhalt:

"(2) In der Konzessionsurkunde ist als Standort der Apotheke eine Gemeinde, eine Ortschaft, ein Stadtbezirk oder ein Teil eines solchen Gebietes zu bestimmen. Bei Apotheken, welche schon früher betrieben worden sind, ist der bisherige Standort aufrecht zu erhalten. Die Konzession hat nur für den Standort Geltung."

Aus § 24 Abs. 1 ApG ergibt sich, daß die Bewilligung zum Betrieb einer Filialapotheke für eine "Ortschaft" zu erteilen ist. Aus § 9 Abs. 2 ApG, wonach in der Konzessionsurkunde als Standort der Apotheke eine Gemeinde, eine Ortschaft, ein Stadtbezirk oder ein Teil eines solchen Gebietes zu bestimmen ist, und wonach die Konzession nur für den Standort Geltung hat, folgt, daß der Begriff der "Ortschaft" nicht mit jenem der "Gemeinde" identisch ist. Die sinngemäße Anwendung des § 9 Abs. 2 leg. cit. auf die Filialapothekenbewilligung bedeutet, daß auch für eine Filialapotheke ein Standort festgelegt werden muß (wobei die Bedeutung dieser Festlegung darin besteht, daß innerhalb dieses Standortes die erleichterte Verlegbarkeit nach § 14 Abs. 1 ApG gegeben ist). Die sinngemäße Anwendung des § 9 Abs. 2 leg. cit. bedeutet weiters, daß der Standort mit der Ortschaft oder einem Teil der Ortschaft, für die die übrigen Merkmale des § 24 Abs. 1 ApG zutreffen, umschrieben werden muß. Auch dann, wenn der Standort mit einem Teil der Ortschaft festgelegt wird, muß für die Ortschaft, für die die Bewilligung gemäß § 24 Abs. 1 zu erteilen ist, unter anderem zutreffen, daß sich dort keine öffentliche Apotheke oder ärztliche Hausapotheke befindet (vgl. das Erkenntnis vom 22. März 1991, Zlen. 90/10/0020 - 0024, 0030). In diesem Erkenntnis, das die Bewilligung zum Betrieb einer Filialapotheke in einem Einkaufszentrum betraf, hat der Verwaltungsgerichtshof in ausführlicher Begründung dargelegt, daß der in § 24 Abs. 1 ApG verwendete Begriff der "Ortschaft" einen durchaus bestimmbaren, historisch gewachsenen Inhalt hat. Unter einer Ortschaft in diesem Sinn werden in herkömmlicher Weise die regelmäßig aus einem verbauten Ortskern und aus den um diesen gelagerten unverbauten Grundstücken bestehenden Flächen, die in ihrer Gesamtheit das Gemeindegebiet bilden, verstanden.

Bei Bedachtnahme auf den Zweck der Vorschrift des § 24 ApG, den Bedarf nach einer Verabreichungsstelle von Arzneimitteln zu decken, und auf die in § 47 Abs. 2 letzter Satz ApG normierten Wirkungen der Errichtung einer Filialapotheke ist der Begriff der "Ortschaft" in § 24 Abs. 1 ApG im Sinne eines räumlich von anderen Siedlungsgebieten klar abgegrenzten Siedlungsgebietes zu verstehen. Davon ausgehend ist die Rechtsauffassung der belangten Behörde, daß innerhalb eines städtischen (geschlossenen) Siedlungsraumes gelegene Gebiete nicht als "Ortschaft" im Sinne des § 24 ApG anzusprechen sind, zutreffend; dies hat im Hinblick auf geänderte tatsächliche Verhältnisse auch dann zu gelten, wenn es sich historisch um das Gebiet früherer "Ortschaften" handelt. Es ist im vorliegenden Zusammenhang daher - ohne Bedachtnahme auf die Gemeindegründe im rechtlichen Sinn - unter topographischen und strukturellen Gesichtspunkten zu untersuchen, ob ein räumlich von anderen Siedlungsgebieten klar abgegrenztes Siedlungsgebiet im Sinne des dem § 24 ApG zugrundeliegenden Begriffes einer "Ortschaft" vorliegt.

Mit dieser Frage hat sich die belangte Behörde auf der Sachverhaltsebene nicht ausreichend auseinandergesetzt. Auf welcher konkreten Sachverhaltsgrundlage ihre Auffassung beruht, Oedt sei unter Gesichtspunkten der geographischen Lage, der Infrastruktur, der Verkehrsverbindungen und der Einwohnerzahl der Stadtgemeinde T als Teil eines städtischen Siedlungsgebietes anzusehen, ist dem angefochtenen Bescheid nicht in nachprüfbarer Weise zu entnehmen. Betreffend die geographische Lage und die Infrastruktur fehlen konkrete Aussagen überhaupt; die Gesamteinwohnerzahl von T ist im vorliegenden Zusammenhang nicht aussagekräftig. Allein auf die im Bescheid getroffenen Feststellungen betreffend die Autobusverbindungen des fraglichen Gebietes kann dessen Beurteilung als Teil eines städtischen Siedlungsraumes ebenfalls nicht gestützt werden.

Der Sachverhalt erweist sich daher als ergänzungsbedürftig, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben war.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebührenersatz konnte nur für drei Beschwerdeausfertigungen, den in einer Ausfertigung vorzulegenden Bescheid und die angeschlossenen zwei Beilagen zugesprochen werden.

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