VwGH 93/01/0061

VwGH93/01/006122.6.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Graf, Dr. Händschke und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde der T in L, mit mj. E, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. November 1992, Zl. 4.337.117/3-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1;
AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1968 §1;
AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. November 1992 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin, einer Staatsangehörigen der "früheren SFRJ", die am 15. April 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 25. Juni 1992, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, abgewiesen. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin hat bei ihrer niederschriftlichen Vernehmung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich am 8. Mai 1992 im wesentlichen ausgeführt, sie sei islamischen Religionsbekenntnisses und habe in Bosnien gelebt. Sie habe bei ihrem Schwager im gleichen Haus gewohnt. Nachdem dieses durch die Kriegswirren zerstört worden sei, hätten sie alle vor den "Tschetniks" flüchten müssen, um nicht getötet zu werden. Ihr Mann, der zu diesem Zeitpunkt in Belgrad gearbeitet habe, sei Ende April 1992 ebenfalls nach Österreich geflüchtet.

In ihrer Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid hat die Beschwerdeführerin im wesentlichen vorgebracht, sie sei Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und gehöre der moslemischen Minderheit an. Sie habe bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs im Haus ihres Schwagers gewohnt, das vor ihren Augen von den "Tschetniks" niedergebrannt worden sei. Auch die Häuser ihrer Geschwister seien zerstört worden. Sie sei vor den "Tschetniks" geflüchtet, um nicht getötet zu werden. Sie habe die Leichen von 45 moslemischen Männern gesehen, die von den "Tschetniks" grauenvoll niedergemetzelt worden seien. Bei den Getöteten habe es sich um Freunde, Nachbarn und Bekannte aus ihrem Dorf gehandelt. Daraufhin sei sie in den Fluß "Drina" geflüchtet, in dem sie sich zwei Tage lang im kalten Wasser habe verstecken müssen, obwohl sie im sechsten Monat schwanger gewesen sei. Anschließend habe sie sich fünf Tage lang im Wald versteckt. Als sie auch dort nicht mehr sicher gewesen sei, habe sie sich entschlossen, nach Österreich zu flüchten, um nicht von den "Tschetniks" getötet zu werden. Im Fall einer Rückkehr müßte die Beschwerdeführerin um ihr Leben, jedenfalls aber um ihre körperliche Unversehrtheit fürchten. Sie bitte um nochmalige Prüfung ihrer Angaben, insbesondere um Beischaffung entsprechender objektiver Informationen über die Situation der moslemischen Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina zur Untermauerung der Glaubwürdigkeit und Richtigkeit ihrer Angaben.

Die belangte Behörde hat die Abweisung der Berufung im wesentlichen damit begründet, daß die Beschwerdeführerin im gesamten Verwaltungsverfahren keine Umstände geltend gemacht habe, die "unter das Asylgesetz 1991 zu subsumieren" seien, welches Gesetz im gegenständlichen Verfahren, das "am bzw. nach dem 1. Juni 1992 beim Bundesminister für Inneres anhängig war", anzuwenden gewesen wäre. Der Umstand, daß die Beschwerdeführerin von den "bürgerkriegsähnlichen Ereignissen" in ihrem Heimatland betroffen worden sei und ihr dadurch "die Möglichkeit einer gesicherten Lebensführung" gefehlt habe, könne allein schon mangels Vorliegens einer konkreten Verfolgung nicht unter § 1 AsylG 1991 subsumiert werden und daher die Gewährung von Asyl nicht rechtfertigen. Ihre Betroffenheit von den von ihr angesprochenen Ereignissen sei "in typologischer Sicht eher der Heimsuchung durch eine Naturkatastrophe vergleichbar, denn intentional gezielt gegen ihre Person gerichteten Repressionshandlungen der Staatsgewalt, welch letztere allein allenfalls "Verfolgung" zu begründen vermöchten". Konkrete Verfolgung oder Furcht vor Verfolgung habe die Beschwerdeführerin nicht dargetan, sondern ausdrücklich ausgeführt, daß sie ihr Heimatland wegen der herrschenden Verhältnisse verlassen habe. Nachteile, die sich aus der allgemeinen Situation ergeben "und jeden treffen könnte, der dort lebt", seien aber nicht als Verfolgung zu qualifizieren.

Dem hält die Beschwerdeführerin im wesentlichen entgegen, sie habe ihre "gesamte Leidensgeschichte" dargestellt und dabei wesentlich mehr angegeben, als die Behörde in die Niederschrift aufgenommen habe. Die Behörde habe sie auch in keiner Weise befragt, worin konkret die gegen ihre Person oder gegen ihre Tochter gerichteten bzw. drohenden Verfolgungshandlungen bestanden hätten. Dessen ungeachtet hätte die belangte Behörde aufgrund des festgestellten Sachverhaltes davon ausgehen müssen, daß bei der Beschwerdeführerin wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 vorliege. Sie sei nämlich von den "Tschetniks" konkret "mit dem Umbringen" bedroht worden. Sie habe die Drohung der "Tschetniks" über Megaphone gehört und sie habe die getöteten Männer ihres Dorfes gesehen. Es stelle sich daher die Frage, was ihr noch hätte passieren müssen, damit ihr von der belangten Behörde wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zugestanden werde. Ihr Dorf sei mittlerweile in den Händen der "serbischen Tschetniks" und "ethnisch gesäubert". Wäre sie nicht geflohen, so wären sie und ihre Tochter vermutlich nicht mehr am Leben.

Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt:

Gemäß § 25 Abs. 1 AsylG 1991 sind am 1. Juni 1992 in erster Instanz anhängige Verfahren nach der bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes geltenden Rechtslage zu Ende zu führen, während gemäß § 25 Abs. 2 AsylG 1991 die am 1. Juni 1992 beim Bundesminister für Inneres bereits anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des AsylG 1991 zu Ende zu führen sind. Im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde folgt daraus, daß sie im vorliegenden Fall das Asylgesetz (1968) anzuwenden gehabt hätte, weil nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten das Verfahren - zufolge des am 1. Juli 1992 erlassenen erstinstanzlichen Bescheides und der am 10. Juli 1992 dagegen erhobenen Berufung - am 1. Juni 1992 in erster Instanz und nicht beim Bundesminister für Inneres anhängig war (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831). Die belangte Behörde war daher - anders als nach § 20 Abs. 1 AsylG 1991 - gehalten, ihren Sachverhaltsfeststellungen nach Maßgabe des Ergebnisses der Beweiswürdigung das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren in gleicher Weise zugrunde zu legen wie deren Vorbringen in erster Instanz. Davon ausgehend erweist sich freilich die Argumentation der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe "im gesamten Verwaltungsverfahren" ihre Person konkret betreffende Verfolgung nicht darzutun vermocht, als unzutreffend. Denn die Beschwerdeführerin brachte - in Ansätzen bereits in ihrer erstinstanzlichen Einvernahme, insbesondere aber in ihrer Berufung - vor, sie sei aus Furcht, als Angehörige der moslemischen Minderheit in Bosnien von den "Tschetniks" getötet zu werden, geflüchtet, und es ist dieses Vorbringen - vor dem Hintergrund der notorischen Lage der Moslems in den umkämpften Gebieten Bosniens - sehr wohl geeignet, wohlbegründete Furcht der Beschwerdeführerin vor konkreter Verfolgung aus einem Konventionsgrund in ihrem Heimatland (das beide Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens offensichtlich in Bosnien-Herzegowina erblicken, das von Österreich am 7. April 1992 als unabhängiger Staat anerkannt wurde) darzutun. Die Annahme einer derartigen Befürchtung setzt nämlich - im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde - nicht voraus, daß die Beschwerdeführerin vor ihrer Ausreise eine individuell gegen sie gerichtete Verfolgung erlitten hätte oder ihr zumindest eine solche bereits konkret angedroht worden wäre. Auch dann, wenn die Verhältnisse im Heimatland der Beschwerdeführerin dergestalt wären, daß davon gesprochen werden müßte, daß systematisch eine Gruppenverfolgung der Moslems, denen die Beschwerdeführerin angehört, aus Gründen der Nationalität (und, davon offenbar nicht zu trennen, auch der Religion) erfolgt, wäre eine derartige Befürchtung gerechtfertigt, weil die Beschwerdeführerin dadurch der Gefahr ausgesetzt wäre, davon unmittelbar betroffen zu sein (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Jänner 1994, Zl. 93/01/0034). Das Vorbringen der Beschwerdeführerin enthielt deutliche Hinweise darauf, daß für sie eine daraus resultierende Verfolgungsgefahr von erheblicher Intensität bestanden habe. Es handelte sich nicht allein um die Tatsache, daß es im Heimatland der Beschwerdeführerin zu kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen ist - worin noch kein Grund gelegen wäre, darin gegen sie selbst konkret gerichtete Verfolgungshandlungen zu erblicken (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Dezember 1989, Zlen. 89/01/0283 bis 0286). Vielmehr hatten diese Aktivitäten - nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin - Maßnahmen gegen die Gesamtheit der dort lebenden Moslems zum Ziel, und zwar solche, die nicht bloß in Beeinträchtigungen allgemeiner Natur bestanden, wie sie von allen hingenommen werden müßten.

Inwieweit diese, der Beschwerdeführerin nach ihrem Vorbringen von den "Tschetniks" drohende Verfolgung staatlichen Stellen ihres Heimatlandes zuzurechnen ist, ist nach hg. Judikatur davon abhängig, ob der betreffende Staat in der Lage ist, diese Verfolgung hintanzuhalten (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. März 1993, Zl. 92/01/1090). Hätte daher die staatliche Auotrität zufolge der Aktivitäten der "Tschetniks" ihre Wirksamkeit in dem davon betroffenen Gebiet verloren, so wären die von diesen dort gesetzten Verfolgungshandlungen - in asylrechtlicher Hinsicht - staatlichen Maßnahmen gleichzuhalten. Daß eine inländische Fluchtalternative bestanden hätte, ergibt sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht.

Dadurch, daß die belangte Behörde es in Verkennung der Rechtslage unterlassen hat, sich mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin dahingehend auseinanderzusetzen, ob durch das Vorgehen der "Tschetniks" aus objektiver Sicht eine solche Situation geschaffen wurde, daß die Furcht der Beschwerdeführerin, wegen ihrer Zugehörigkeit zur moslemischen Volksgruppe verfolgt zu werden, wohlbegründet ist, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden mußte.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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