VwGH 92/17/0232

VwGH92/17/023221.4.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde der S Ges.m.b.H. in H, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 28. Juli 1992, Zl. II/1-BE-338-16/1-92 (mitbeteiligte Partei: Gemeinde Hennersdorf, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W), betreffend Nachsicht von Lohnsummensteuer, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §115 Abs1;
BAO §236 Abs1 impl;
BAO §236 Abs1;
BAO §236;
BAO §250 Abs1;
BAO §289 Abs2;
BAO §289;
BAO §299 Abs1 lita;
B-VG Art119a Abs5;
GdO NÖ 1973 §35 Abs2;
LAO NÖ 1977 §183 Abs1;
LAO NÖ 1977 §183;
LAO NÖ 1977 §195;
LAO NÖ 1977 §213 Abs2;
LAO NÖ 1977 §213;
LAO NÖ 1977 §220 Abs1 lita;
LAO NÖ 1977 §93 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
BAO §115 Abs1;
BAO §236 Abs1 impl;
BAO §236 Abs1;
BAO §236;
BAO §250 Abs1;
BAO §289 Abs2;
BAO §289;
BAO §299 Abs1 lita;
B-VG Art119a Abs5;
GdO NÖ 1973 §35 Abs2;
LAO NÖ 1977 §183 Abs1;
LAO NÖ 1977 §183;
LAO NÖ 1977 §195;
LAO NÖ 1977 §213 Abs2;
LAO NÖ 1977 §213;
LAO NÖ 1977 §220 Abs1 lita;
LAO NÖ 1977 §93 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der Jahre 1987 und 1989 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben; im übrigen wird der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Jahre 1988 und 1990 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 28. März 1990 gab der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde als Abgabenbehörde erster Instanz dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 17. Juli 1989 auf Nachlaß der fälligen Lohnsummensteuer für die Jahre 1987 und 1988 zur Gänze, für 1989 und 1990 zu 50 % insoweit Folge, als die Beschwerdeführerin für die Kalenderjahre 1986 und 1987 von der Lohnsummensteuer befreit wurde und für die Kalenderjahre 1988 und 1989 die halbe Abgabenschuld erlassen wurde. Mit Schreiben vom 9. April 1990, welches von den Behörden des Verwaltungsverfahrens als Berufung gesehen wurde, brachte die Beschwerdeführerin vor, die Betriebsaufnahme sei erst im Jänner 1987 erfolgt, im Jahr 1986 sei daher noch kein Personal im Werk beschäftigt gewesen, es sei daher auch für das Jahr 1986 keine Abgabenpflicht entstanden und keine Befreiung anrechenbar. Es sei daher die 100 %ige Lohnsteuerbefreiung auf die Jahre 1987 und 1988 und die 50 %ige Lohnsteuerbefreiung auf die Jahre 1989 und 1990 anzurechnen.

Mit Bescheid vom 12. Februar 1992 hob der Gemeinderat der der mitbeteiligten Gemeinde aufgrund der Berufung der Beschwerdeführerin den Bescheid des Bürgermeisters auf und entschied gemäß § 35 Abs. 2 Z. 18 lit. d der NÖ Gemeindeordnung im Zusammenhalt mit § 213 Abs. 2 NÖ LAO 1977, daß den Anträgen der Beschwerdeführerin, ihr die Lohnsummensteuer für die Kalenderjahre 1987 und 1988 zur Gänze und für die Kalenderjahre 1989 und 1990 zur Hälfte zu erlassen, abgewiesen werde. Begründend führt der Gemeinderat aus, daß gemäß § 35 Abs. 2 Z. 18 lit. d der NÖ Gemeindeordnung die Stundung von Abgabenschuldigkeiten sowie die gänzliche oder teilweise Abschreibung zweifelhafter oder uneinbringlicher Forderungen in die Kompetenz des Gemeinderates falle. Dem Nachsichtansuchen der Beschwerdeführerin sei nicht stattzugeben gewesen, da sie in ihren Eingaben nicht dargetan habe, aus welchen Gründen die Einhebung der Lohnsummensteuer unbillig wäre. Sie habe keine wirtschaftlichen Daten angegeben, welche auf eine wirtschaftliche Notlage schließen ließen. Der Gemeinderat bezog sich in diesem Bescheid sowohl auf den schon von der Behörde erster Instanz zugrundegelegten Antrag vom 17. Juli 1989 als auch auf einen am 4. September 1991 (neuerlich, offenbar aus Vorsichtsgründen von der Beschwerdeführerin) gestellten Antrag, in dem der Antrag auf Nachlaß der Lohnsummensteuer für die Jahre 1987 und 1988 zur Gänze, für die Jahre 1989 und 1990 zu 50 % wiederholt wurde.

In der Vorstellung gegen diesen Bescheid brachte die Beschwerdeführerin nicht nur vor, daß ihr der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde hinsichtlich der Nachsichterteilung rechtsverbindliche Zusagen gemacht habe, sondern machte als Mangelhaftigkeit des Verfahrens auch geltend, daß ihr Vorbringen vor der Behörde erster Instanz hinsichtlich der finanziellen Situation des Unternehmens, welche als Hintergrund für die Antragstellung der Behörde erster Instanz dargestellt worden sei, nicht berücksichtigt worden wäre. Es wird in diesem Zusammenhang insbesondere angeführt, in welche Länder das Unternehmen hauptsächlich exportiere und daß aufgrund der Situation in diesen Ländern gerade in der Zeit der Betriebsübersiedlung bzw. danach Umsatzeinbußen aufgetreten seien.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheid wurde die Vorstellung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen. In der Begründung führt die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin unterhalte in der mitbeteiligten Gemeinde einen lohnsummensteuerpflichtigen Betrieb. Für das Jahr 1986 sei eine Nullerklärung gelegt worden, da in diesem Jahr noch keine Dienstnehmer beschäftigt gewesen seien. Trotz wiederholter Aufforderungen, die vollständige Lohnsummensteuer zu entrichten, habe die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die Zusagen des Bürgermeisters bekanntgegeben, für die Jahre 1987 und 1988 keine Lohnsummensteuer und für das Jahr 1989 die Lohnsummensteuer nur in der Höhe von 50 % zu entrichten. Mit Schriftsatz vom 9. April 1990 habe die Beschwerdeführerin vorgebracht, daß die im Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde gewährte Nachsicht mit einer mündlichen Vereinbarung insoweit nicht übereinstimme, als auf Grund mündlicher Zusagen für die Jahre 1987 und 1988 eine 100 %ige und für die Jahre 1989 und 1990 eine 50 %ige Lohnsummensteuerreduzierung zugesagt worden sei. In diesem Sinne werde auch eine Berichtigung des Bescheides erwartet.

Mit Bescheid des Gemeinderates sei der Bescheid des Bürgermeisters behoben worden und den Anträgen um gänzlichen bzw. teilweisen Nachlaß der Lohnsummensteuer keine Folge gegeben worden. In der gegen diesen Bescheid gerichteten Vorstellung sei gerügt worden, daß bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides die Zusagen des Bürgermeisters betreffend die Lohnsummensteuerbefreiung keinen Niederschlag gefunden hätten. Darüber hinaus sei Mangelhaftigkeit des Verfahrens gerügt und dies damit begründet worden, daß bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die Ausführungen des Geschäftsführers der Beschwerdeführerin anläßlich eines Gespräches, in dem die Beweggründe für den seinerzeitigen Antrag dargelegt worden seien, nicht berücksichtigt worden seien. In rechtlicher Hinsicht sei gerügt worden, der behobene Bescheid des Bürgermeisters sei nie angefochten worden, da das als Berufung betrachtete Schreiben vom 9. April 1990 nicht als Berufung angesehen werden könne und andererseits die Nichtanerkennung der Unbilligkeit zu Unrecht erfolgt sei.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, der Schriftsatz vom 9. April 1990 sei als Berufung zu werten, da er den angefochtenen Bescheid bezeichne und aus diesem Schriftsatz eindeutig hervorgehe, die gewährte Befreiung von der Lohnsummensteuer entspreche nicht den Vorstellungen der Beschwerdeführerin. Darüber hinaus sei dem Schriftsatz eindeutig entnehmbar, welche Maßnahme die Beschwerdeführerin erwarte. Es könne daher kein Zweifel darüber bestehen, daß dieser Schriftsatz, der von einem Rechtsunkundigen verfaßt worden sei, als Berufung im Sinne der Abgabenordnung anzusehen sei.

Hinsichtlich der nicht gewährten Nachsicht werde festgestellt, daß die Ablehnung zum einen darauf gestützt worden sei, daß die Beschwerdeführerin nichts vorgebracht habe, was auf eine wirtschaftliche Notlage schließen ließe. Ohne ausreichende Begründung des Antrages könne jedoch keine Unbilligkeit im Sinne des § 183 NÖ LAO angenommen werden. Gegen diese Feststellungen wende die Beschwerdeführerin ein, daß die Einhebung der Abgabe die wirtschaftliche Existenz des Unternehmens und deren Arbeitnehmer gefährde, das Unternehmen liquidiert werden müsse, die Abstattung auch nicht durch die Veräußerung oder Verschleuderung von Vermögenswerten des Unternehmens möglich sei und es Sache der Gemeinde sei, daran mitzuwirken, daß das gegenständliche Unternehmen erhalten bliebe. Überdies habe sich auch die Abgabenbehörde zweiter Instanz an die seinerzeitigen Zusagen zu halten. Damit verkenne die Beschwerdeführerin sowohl den Gang als auch den Zweck des Nachsichtverfahrens. Beim Nachsichtverfahren handle es sich um ein Hoheitsverfahren, das von der Gemeinde als Abgabenbehörde durchzuführen sei. Es diene nicht als Instrument zur Gewährung von Wirtschaftsförderungen, die die Gemeinde als Gebietskörperschaft bzw. selbständiger Wirtschaftskörper einsetzen könne. Die Förderung von Betriebsansiedlungen dürfe nicht mit dem Instrument der Nachsicht im Sinne der Abgabenordnung geschehen. Im Nachsichtverfahren werde nämlich auf die Unbilligkeit bei der Einhebung der Abgaben abgestellt. Sie setze sohin die Fälligkeit der Abgaben voraus, die bei einem neu zu gründenden Betrieb naturgemäß nicht vorliege. Bei der Nachsicht könne auch nicht an generelle Kriterien wie bei der Wirtschaftsförderung angeknüpft werden, sondern es müsse jeweils auf die Lage des Einzelfalles abgestellt werden. Die besondere Lage des Einzelfalles sei jeweils einer Beurteilung zu unterziehen und festzustellen, ob die Einhebung der Abgabe eine Unbilligkeit darstelle. Als Besonderheit sei im Nachsichtverfahren der Grundsatz der Amtswegigkeit eingeschränkt und es könne von einer Umkehr der Beweislast gesprochen werden. Der Nachsichtwerber habe die Umstände darzutun, die für die Gewährung einer Nachsicht sprechen. Dabei dürfe er sich nicht auf die Wiedergabe von Sachverhalten beschränken, die zwar jeder für sich das Vorliegen einer Unbilligkeit dartun können, jedoch als solche nicht geeignet seien, nachzuweisen, daß gerade auch diese Sachverhalte im gegenständlichen Falle zutreffen. Es sei beispielsweise in keiner Weise erkennbar, wieso durch die Einhebung die wirtschaftliche Existenz des Abgabepflichtigen gefährdet würde. Da die Beschwerdeführerin weder im gemeindebehördlichen Verfahren noch in der Vorstellung konkrete Gründe dargetan habe, die für das Vorliegen einer Unbilligkeit sprechen, sei das Vorliegen einer Unbilligkeit zu verneinen.

Darüber hinaus stütze der Gemeinderat seine Ablehnung auch darauf, daß die Gewährung einer Nachsicht deswegen nicht zum Tragen komme, da die Finanzsituation, bedingt durch den geänderten Finanzausgleich, sehr angespannt sei. Dieser Umstand schließe zwar das Vorliegen einer Unbilligkeit nicht aus, könne jedoch im Zusammenhalt nur so verstanden werden, daß selbst bei Vorliegen einer Unbilligkeit die Ermessensentscheidung, welche die Nachsichtsgewährung zweifellos darstelle, zu Ungunsten der Beschwerdeführerin erfolgt sei. Unter Berücksichtigung der Finanzlage der Gemeinde könne diese Ermessensentscheidung keinesfalls als dem Gesetz widersprechend angesehen werden. Im übrigen könnten die Zusagen des Bürgermeisters für die Entscheidung des im Nachsichtsverfahren allein zuständigen Gemeinderates keine Bindungswirkung entfalten. Aus diesen Gründen sei die Vorstellung nicht geeignet, eine Verletzung subjektiver Rechte darzutun.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Nach dem gesamten Inhalt ihres Vorbringens erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Abgabennachsicht verletzt. Sie beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Frage der Entscheidungskompetenz des Gemeinderats aufgrund der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde:

Die Beschwerdeführerin bringt vor, der Bescheid des Bürgermeisters sei nur teilweise angefochten worden, Berufungsgegenstand sei jedoch nur dann die ganze Rechtssache, wenn der Verfahrensgegenstand nicht teilbar sei, ansonsten nur der angefochtene Teil. Die nicht angefochtenen Teile würden in Rechtskraft erwachsen.

Die Beschwerdeführerin ist mit diesem Vorbringen insoweit im Recht, als sich der Bescheid des Bürgermeisters vom 28. März 1990 auf den Nachlaß der fälligen Lohnsummensteuer für verschiedene Kalenderjahre bezog und dieser Bescheid mit dem als Berufung gedeuteten Schreiben vom 9. April 1990 tatsächlich nur insoweit angefochten wurde, als dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung einer 100 %igen Befreiung für die Jahre 1987 und 1988 und eine 50 %ige Befreiung für die Jahre 1989 und 1990 nicht stattgegeben wurde. Damit wurde - wie in der Beschwerde ausgeführt wird - der Ausspruch des Bürgermeisters betreffend die 100 %ige Befreiung für das Jahr 1987 und die 50 %ige Befreiung für das Jahr 1989 nicht angefochten. Eine Abänderung des Bescheides wurde ausdrücklich nur für die Jahre 1988 und 1990 beantragt. Wenn man auch dem Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde und der belangten Behörde darin folgen kann, das nicht als Berufung bezeichnete Schreiben sei im Hinblick darauf, daß es alle inhaltlichen Merkmale einer Berufung aufweist, als Berufung im Sinne des § 189 iVm § 195 NÖ AO 1977 aufzufassen, so betraf diese Berufung jedoch nicht den gesamten Bescheid, sondern nur den Ausspruch betreffend die Jahre 1988 und 1990 (hinsichtlich des letzteren Jahres insofern, als die mit dem erstinstanzlichen Bescheid erfolgte implizite Abweisung des von der Beschwerdeführerin als auch für dieses Jahr als gestellt gesehenen Antrags bekämpft wurde). Da hinsichtlich der Nachsichterteilung gemäß § 183 Nö AO 1977 für verschiedene Kalenderjahre Teilbarkeit gegeben ist, bewirkte die nur teilweise Anfechtung des Bescheides des Bürgermeisters, daß hinsichtlich der nicht angefochtenen Teile (also hinsichtlich der Jahre 1987 und 1989) Rechtskraft eingetreten ist.

Die Entscheidungskompetenz des Gemeinderates als Berufungsbehörde erstreckte sich daher lediglich auf die Frage des Nachlasses für die Jahre 1988 und 1990. Wenn die Beschwerdeführerin meint, daß der Ausspruch für das Jahr 1988 nur insoweit angefochten gewesen sei, als nur 50 % und nicht 100 % Nachlaß gewährt worden sei, und daher der Ausspruch hinsichtlich des 50 %igen Nachlasses in Teilrechtskraft erwachsen sei, so verkennt sie, daß insoweit eine Trennung des Ausspruches über einen Nachlaß nicht möglich ist. Bekämpft die Partei einen prozentmäßig festgesetzten Nachlaß, so ist Gegenstand des Berufungsverfahrens die Frage der Nachlaßgewährung als solche, nicht aber bloß die Frage, ob ein über den bereits festgesetzten Prozentsatz hinausgehender Nachlaß gewährt werden könne. Verfahrensgegenstand im Berufungsverfahren war daher die Frage des Nachlasses für das Jahr 1988 und nicht (allein) die Frage, ob der Nachlaß mit mehr als 50 % festgesetzt werden könne. Hinsichtlich des Jahres 1990 war im Bescheid des Bürgermeisters der Antrag der Beschwerdeführerin - im Ergebnis - abgewiesen worden; mit der Berufung wurde auch der diesbezügliche Ausspruch bekämpft. Auch insoweit war daher die Entscheidungskompetenz des Gemeinderates gegeben.

Im Hinblick auf die von der belangten Behörde zutreffend erkannte Zuständigkeitsproblematik ist in diesem Zusammenhang für den Beschwerdefall noch folgendes auszuführen:

§ 35 Abs. 2 der NÖ Gemeindeordnung 1973 lautet:

"Dem Gemeinderat sind insbesondere vorbehalten

...

18. folgende Angelegenheiten der Vermögenswirtschaft:

...

d) die Löschung fälliger, uneinbringlicher Abgabenschuldigkeiten (§ 182 NÖ Abgabenordnung 1977, LGBl. 3400), die Nachsicht fälliger Abgabenschuldigkeiten wegen Unbilligkeit (§ 183 NÖ Abgabenordnung 1977) ..."

Dies bedeutet, daß der Gemeinderat über Nachsichtansuchen in erster Instanz zu entscheiden hat und nicht, wie dies im Beschwerdefall erfolgte, der Bürgermeister. AUFGRUND DER BERUFUNG der Beschwerdeführerin WAR DER GEMEINDERAT der mitbeteiligten Gemeinde daher GRUNDSÄTZLICH BERECHTIGT UND

VERPFLICHTET, DIE UNZUSTÄNDIGKEIT DES BÜRGERMEISTERS

WAHRZUNEHMEN und dessen Bescheid aufzuheben. Dies JEDOCH NUR SOWEIT, ALS DER BESCHEID DES BÜRGERMEISTERS AUCH (tatsächlich) MIT BERUFUNG ANGEFOCHTEN WAR. Eine Aufhebung des Bescheides des Bürgermeisters vom 28. März 1990 wegen Unzuständigkeit kam auf Grund der Berufung daher nur insoweit in Betracht, als der Bescheid mit Berufung bekämpft war.

Die Aufhebung des Bescheides und neuerliche Entscheidung in der Sache bezüglich der Jahre 1987 und 1989 AUFGRUND DER BERUFUNG DER BESCHWERDEFÜHRERIN durch den Gemeinderat war daher rechtswidrig. Auch der Umstand, daß gemäß § 220 Abs. 1 lit. a NÖ AO 1977 Bescheide in Ausübung des Aufsichtsrechtes aufgehoben werden können, wenn sie von einer unzuständigen Behörde erlassen wurden, kann daran im Beschwerdefall nichts ändern, hat sich doch der Gemeinderat nicht auf diese Bestimmung gestützt. Der Gemeinderat hat vielmehr als Abgabenbehörde zweiter Instanz eine Berufungsentscheidung gemäß § 213 Abs. 2 der NÖ Landesabgabenordnung 1988 getroffen. Wie in der Gegenschrift zutreffend ausgeführt wird, ist es nicht möglich, nachträglich eine derartige Entscheidung auf eine andere Rechtsgrundlage zu stützen (vgl. Stoll, BAO, Band 3, 2879, und das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 1986, Zl. 86/16/0017).

Die belangte Behörde hätte diese Rechtswidrigkeit im angefochtenen Bescheid wahrnehmen müssen und den bei ihr bekämpften Bescheid insoweit aufheben müssen, als der Gemeinderat aufgrund der Berufung der Beschwerdeführerin unzulässigerweise den erstinstanzlichen Bescheid auch hinsichtlich des Ausspruchs über die Jahre 1987 und 1989 aufgehoben hat und in der Folge insoweit eine neue Sachentscheidung getroffen hat, zu der er bei Beachtung der Rechtskraft des erstinstanzlichen Bescheides in diesem Umfang nicht berechtigt war. Da sie dies nicht getan hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid insoweit mit einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Der angefochtene Bescheid war daher in diesem Umfang schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

2. Zur Frage der Nachsicht für die Jahre 1988 und 1990:

Nach dem unter 1. Ausgeführten war der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde aufgrund der Berufung der Beschwerdeführerin lediglich befugt, hinsichtlich der Nachsichterteilung für die Jahre 1988 und 1990 in der Sache zu entscheiden. Der Gemeinderat hat insofern zutreffend den bei ihm bekämpften Bescheid wegen Unzuständigkeit des Bürgermeisters aufgehoben und - im Ergebnis zutreffend - gestützt auf § 35 Nö Gemeindeordnung eine Sachentscheidung über die Anträge der Beschwerdeführerin getroffen (welche als erstinstanzliche Entscheidung anzusehen ist, sodaß die Berufung auf § 213 NÖ AO hinsichtlich der Entscheidungskompetenz der Abgabenbehörde zweiter Instanz insofern verfehlt war, ohne daß hiedurch Rechte der Beschwerdeführerin verletzt wurden).

Soweit sich die Beschwerde gegen den Ausspruch des angefochtenen Bescheides betreffend den Bescheid des Gemeinderates bezüglich der Jahre 1988 und 1990 wendet, ist folgendes auszuführen:

Gemäß § 183 Abs. 1 NÖ LAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die im § 183 NÖ LAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneinte die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum (vgl. z.B. das zu § 236 Abs. 1 BAO ergangene hg. Erkenntnis vom 8. April 1991, 90/15/0015).

Der Gemeinderat hat in seiner Entscheidung sowohl das Vorliegen der Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneint, als auch ausgeführt, daß selbst dann, wenn man das Vorliegen einer Unbilligkeit bejahen könnte, die Ermessensentscheidung im Beschwerdefall nicht zugunsten der Beschwerdeführerin ausfallen könnte. Die belangte Behörde hat sich dieser Beurteilung angeschlossen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere auch zum inhaltsgleichen § 236 Abs. 1 BAO, setzt der Tatbestand der "Unbilligkeit der Einhebung nach der Lage des Falles" das Vorliegen eines in den subjektiven Verhältnissen des Steuerpflichtigen oder des Steuergegenstandes gelegenen Sachverhaltselementes voraus, aus dem sich wirtschaftliches Mißverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den in jenem subjektiven Bereich entstehenden Nachteilen ergibt. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn die Einhebung die Existenz des Abgabepflichtigen gefährden würde. Allerdings bedarf es zur Bewilligung einer Nachsicht nicht unbedingt der Gefährdung des Nahrungsstandes, der Existenzgefährdung, besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genügt, daß die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa, wenn die Abstattung der Abgabenschuld trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleichkäme (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 1994, Zl. 92/17/0235, aber auch das hg. Erkenntnis vom 10. Mai 1995, Zl. 95/13/0010). Die Unbilligkeit kann "persönlich" oder "sachlich" bedingt sein. Eine "persönliche" Unbilligkeit liegt insbesondere dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlagen des Nachsichtswerbers gefährdet.

Eine sachliche Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall der Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus "persönlichen" Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Jedenfalls muß es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 1994, Zl. 92/13/0129, oder vom 10. Mai 1995, Zl. 95/13/0010). Überschuldung oder Liquiditätskrisen, "finanzielle Engpässe", wirtschaftliche Bedrängnisse allein werden den strengen Unbilligkeitsanforderungen der Rechtsprechung nicht gerecht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. April 1991, Zl. 90/15/0015). Eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung kann aber gegeben sein, wenn die wirtschaftliche Situation von der Art ist und die gehäuften wirtschaftlichen Schwierigkeiten von der Intensität und Dauer sind, daß die Einhebung der Abgaben zur Gefährdung der Existenz des Unternehmens (damit des Abgabepflichtigen) führen kann. Dabei sind bei Beurteilung der Unbilligkeit der Einhebung im einzelnen Fall nachteilige Folgen, die alle Wirtschaftstreibenden in ähnlicher Lage treffen, Konjunkturschwankungen, Geschäftsvorfälle, die im Bereich des allgemeinen Unternehmerwagnisses gelegen sind, und allgemeine wirtschafts- und sozialpolitische Erwägungen (z.B. regionalpolitische, arbeitsmarktpolitische, an der Sicherung von Arbeitsplätzen ausgerichtete Gesichtspunkte) allein nicht zur Rechtfertigung der Annahme einer wirtschaftlich erschwerten "unbilligen" Einhebung heranziehbar (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, Band 3, S. 2434 f).

Mit ihrem Vorbringen, daß die Betriebsansiedlung in der mitbeteiligten Gemeinde nur auf Grund der Annahme erfolgt sei, daß die ansonsten als Lohnsummensteuer abzuführenden Beträge für Aufwendungen anläßlich der Betriebsansiedlung zur Verfügung stehen würden, konnte die Beschwerdeführerin eine Unbilligkeit der Einhebung im Sinne der Rechtsprechung nicht aufzeigen.

Die Beschwerdeführerin hat sich nach ihrem Vorbringen in der Vorstellung jedoch im Verwaltungsverfahren nicht nur auf die Vereinbarungen mit dem Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde berufen. Die Beschwerdeführerin hat vielmehr in der Vorstellung darauf hingewiesen, daß die wirtschaftlichen Hintergründe des seinerzeitigen Antrages auf Nachsicht der Lohnsummensteuer der Gemeinde gegenüber dargelegt worden seien und diese Angaben im Berufungsbescheid zu Unrecht nicht verwertet worden seien. Bei dieser Sachlage durfte die belangte Behörde ohne Ermittlungen nicht davon ausgehen, daß ein Sachvorbringen, aus dem auf das Vorliegen der oben dargestellten Schwierigkeiten, die allenfalls die Gewährung der Nachsicht rechtfertigen hätten können, geschlossen hätte werden können, im Verwaltungsverfahren vor den Gemeindebehörden nicht erstattet worden sei. Die Beschwerdeführerin weist in der Beschwerde auch zutreffend darauf hin, daß ihr vor Erlassung des Bescheides des Gemeinderates keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Ergebnissen der Sachverhaltsfeststellung des Gemeinderates gegeben worden sei. Es kann auch im Beschwerdefall nicht davon ausgegangen werden, daß die Beschwerdeführerin etwa gehalten gewesen wäre, in der Berufung auf entsprechende Sachverhaltsfeststellungen der Behörde erster Instanz bezüglich der geltend gemachten wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu replizieren (und die Behörde zweiter Instanz derartige Feststellungen damit als unbestritten ihrem Bescheid zugrundelegen hätte können), da der Bescheid erster Instanz keinerlei derartige Feststellungen enthält.

Damit zeigte die Beschwerdeführerin jedoch einen wesentlichen Verfahrensmangel auf.

Wie der Verwaltungsgerichtshof zwar in ständiger Rechtsprechung betont (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 13. Oktober 1983, Zl. 82/15/0124, oder vom 25. Juni 1990, Zl. 89/15/0088, und zu § 183 NÖ AO zuletzt etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. Mai 1994, Zl. 92/17/0235, oder vom 14. Juli 1994, Zl. 91/17/0170), ist es im Nachsichtsverfahren Sache des Nachsichtswerbers, im Sinne der ihn treffenden Mitwirkungspflicht einwandfrei und unter Ausschluß jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann. Im Beschwerdefall hat sich die Beschwerdeführerin in der Vorstellung darauf berufen, derartige Ausführungen - wie etwa die Beschwerdeführer in den beiden eben zitierten Erkenntnissen zu § 183 Nö AO - erstattet zu haben, sodaß die Gemeindebehörde gehalten gewesen wäre, in der Entscheidung auf diese Gründe einzugehen, allenfalls auch Präzisierungen von der Beschwerdeführerin zu verlangen und gegebenenfalls ausgehend von diesen Angaben Sachverhaltsfeststellungen betreffend das Vorliegen der geltend gemachten Gründe zu treffen (vgl. in diesem Zusammenhang den im Erkenntnis vom 14. Juli 1994, Zl. 91/17/0170, angelegten Maßstab, daß bei Zutreffen der Behauptungen des Nachsichtswerbers die "Unbilligkeit" zu bejahen wäre). Auch im Falle einer Mitwirkungspflicht der Partei im Abgabenverfahren ist die Verwaltungsbehörde nicht von ihrer Ermittlungspflicht befreit (vgl. in diesem Sinne das bereits zitierte Erkenntnis vom 14. Juli 1994, Zl. 91/17/0170). Die belangte Behörde hätte daher ohne weitere Sachverhaltsfeststellungen, ob das von der Beschwerdeführerin behauptete Vorbringen im Verwaltungsverfahren vor den Gemeindebehörden tatsächlich erstattet wurde, nicht davon ausgehen dürfen, daß kein ausreichendes Vorbringen im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtsprechung vorlag.

Der angefochtene Bescheid war daher insofern (also soweit der angefochtene Bescheid den Ausspruch über die Jahre 1988 und 1990 betrifft) gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Der angefochtene Bescheid war daher aus den unter 1. dargestellten Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, soweit er sich auf die Jahre 1987 und 1989 bezog, und er war aus den unter 2. dargestellten Gründen wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, soweit er sich auf die Jahre 1988 und 1990 bezog.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere auch auf deren Art. III Abs. 2. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft nicht erforderlichen Stempelaufwand.

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