VwGH 92/15/0095

VwGH92/15/009523.11.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Karger, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Mag. Wochner, über die Beschwerde der R-GmbH, Bauleitungen und Planungen, in S, vertreten durch Dr. U, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid der FLD für Salzburg (Berufungssenat II) vom 19.10.1989, Zl. 15/GA 4 BK-ML/89, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich USt 1983 und 1984 sowie USt für 1983 und 1984, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §69 Abs3;
BAO §303 Abs4;
AVG §69 Abs3;
BAO §303 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Gesellschaft m.b.H. und somit eine juristische Person, schloß am 15. Oktober 1981 rückwirkend auf den 1. Jänner 1981 mit ihren beiden Gesellschaftern einen Vertrag über die Errichtung einer atypischen stillen Gesellschaft, deren Zweck es u.a. war, Bauleitungen, Planungen, Bauabrechnungen und die Überwachung von Bauausführungen jeder Art durchzuführen. Dem Finanzamt Salzburg Stadt (in der Folge kurz: FA) wurde mit Schreiben vom 4. Dezember 1981 mitgeteilt, daß ab 1. Jänner 1982 jene Umsatzsteuer, die bisher unter der Steuernummer der Beschwerdeführerin einbezahlt wurde, bei der atypischen stillen Gesellschaft (in Wahrheit handelte es sich um zwei atypische stille Gesellschaften; vgl. z.B. Straube in Straube, Kommentar zum HGB I Rz 10 zu § 355 HGB-Art. 7 Nr. 22 EVHGB, jetzt § 178 HGB) anfallen werde, die ab diesem Zeitpunkt ihre Tätigkeit aufgenommen habe.

Betreffend die streitgegenständlichen Jahre 1983 und 1984 reichte die stille Gesellschaft Umsatzsteuererklärungen am

4. JULI 1985 bzw. 30. MAI 1986 beim FA ein, aus denen u.a. erkennbar war, daß sie für ihre planende Tätigkeit den ermäßigten Steuersatz gemäß der in den Streitjahren noch in Geltung gestandenen Z. 7 lit. c des § 10 Abs. 2 UStG in Anspruch nahm.

Bereits durch eine im Jahr 1984 bei der Beschwerdeführerin durchgeführte Betriebsprüfung (Prüfungsbericht vom 5. Dezember 1984) wurde beim FA offenkundig, daß im wirtschaftlichen Verkehr nur die Beschwerdeführerin, nicht aber die stille Gesellschaft nach außen hin in Erscheinung trat. Dem steuerlichen Vertreter der Beschwerdeführerin wurde von der für die Beschwerdeführerin zuständigen Referentin des GmbH-Referates des FA laut AV vom 28. Jänner 1985 mitgeteilt, daß die Umsatzsteuer richtigerweise bei der Beschwerdeführerin anfalle und zu deren Steuernummer gezahlt werden müsse. Der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin hatte zuvor schriftlich und mündlich bei der genannten Referentin dahin interveniert, daß die Änderung der Vorgangsweise (nämlich die Zuordnung der Umsatzsteuer an die Beschwerdeführerin anstelle der stillen Gesellschaft) erst ab 1. Jänner 1985 vorzunehmen wäre und daß Steuererklärungen für die Streitjahre noch von der stillen Gesellschaft abgegeben werden dürften. Mangels Einreichung von Umsatzsteuererklärungen durch die Beschwerdeführerin für die Streitjahre wurde in der Folge mit Bescheid vom 19. JULI 1985 die Umsatzsteuer für das Jahr 1983 gemäß § 21 Abs. 7 UStG nicht festgesetzt bzw. mit Bescheid vom

8. AUGUST 1986 die Umsatzsteuer für das Jahr 1984 mit S 0,00 festgesetzt.

Ende 1987 fand sowohl bei der Beschwerdeführerin als auch bei der stillen Gesellschaft eine Betriebsprüfung statt, wobei der Prüfer u.a. für die Streitjahre feststellte, daß nach außen hin nur die Beschwerdeführerin als Unternehmer aufgetreten sei und daß diese als juristische Person den begünstigten Steuersatz nicht in Anspruch nehmen könne. Das FA nahm hierauf mit Bescheiden vom 15. April 1988 die mit den Bescheiden vom 19. Juli 1985 und 8. August 1986 abgeschlossenen Verfahren hinsichtlich der Umsatzsteuer für 1983 bis 1985 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf und erließ neue Umsatzsteuerbescheide, worin in Anwendung des Normalsteuersatzes die Umsatzsteuer für das Jahr 1983 mit S 2,386.902,-- und für das Jahr 1984 mit S 572.243,-- festgesetzt wurde.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die von der Beschwerdeführerin erhobenen Berufungen gegen die Bescheide betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens für 1983 und 1984 sowie betreffend Umsatzsteuer 1983 und 1984 als unbegründet ab (betreffend das jetzt nicht streitgegenständliche Jahr 1985 hatte die Berufung Erfolg).

Die belangte Behörde vertrat dabei die Rechtsansicht, die der Intervention des steuerlichen Vertreters der Beschwerdeführerin entgegengekommene Veranlagungsreferentin habe keinen Anlaß gehabt anzunehmen, daß die Beschwerdeführerin ab 1983 auf den ermäßigten Steuersatz übergegangen sei. Dieser Umstand sei erst im Zuge der neuerlichen abgabenbehördlichen Prüfung (Ende 1987) offenkundig geworden. Die Kenntnis dieses Umstandes hätte aber zu einem im Spruch anders lautenden Bescheid führen müssen, weshalb betreffend die Streitjahre die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 4 BAO vorlägen; einer amtswegigen Wiederaufnahme stehe ein allfälliges Verschulden der Behörde bzw. eine Verletzung der Ermittlungspflicht nicht entgegen.

In der Sache selbst brachte die belangte Behörde, gestützt auf das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 1984, Zl. 83/15/0118, den Normalsteuersatz mit der Begründung zur Anwendung, der ermäßigte Steuersatz gelte nicht für die Tätigkeiten juristischer Personen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid insoweit in ihren Rechten verletzt, als der Berufung gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens für 1983 und 1984 keine Folge gegeben und unterstellt wurde, daß die Unkenntnis einer für die Umsatzsteuerveranlagung zuständigen Referentin eine "neu hervorgekommene Tatsache" i.S. des § 303 Abs. 4 BAO darstelle, auch wenn der Behörde als Gesamtorganisation der Sachverhalt konkret bekannt gewesen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Kern der Beschwerdeausführungen ist die Behauptung, dem FA sei durch die Umsatzsteuererklärungen (der stillen Gesellschaft) für die Streitjahre bekannt gewesen, daß der ermäßigte Steuersatz zur Anwendung gebracht worden sei, die zuständige Referentin des FA sei damit einverstanden gewesen, daß die Steuererklärungen, die die stille Gesellschaft für die Streitjahre abgegeben habe, an die Stelle der in Wahrheit von der Beschwerdeführerin abzugebenden Steuererklärungen treten sollten.

Diesem Argument kann sich der Verwaltungsgerichtshof nicht verschließen. Zwar ist es richtig, wenn die belangte Behörde betont, daß ein schuldhaftes Unterbleiben von Nachforschungen einer amtswegigen Wiederaufnahme nicht entgegensteht (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 18. März 1992, Zl. 88/14/0003 und vom 14. März 1990, Zl. 88/13/0011), jedoch geht es im vorliegenden Fall nicht darum, daß die zur Begründung der Wiederaufnahme herangezogenen Tatsachen zufolge Verschuldens der Abgabenbehörde nicht ermittelt wurden, sondern vielmehr um die Frage, ob die streitgegenständlichen relevanten Umstände der Abgabenbehörde nicht ohnehin schon bei Erlassung der seinerzeitigen Sachbescheide vom 19. Juli 1985 bzw. 8. August 1986 bekannt waren. Diese Frage muß aber aus folgenden Gründen bejaht werden:

Vorauszuschicken ist, daß es nach ständiger hg. Judikatur nicht darauf ankommt, ob die Tatsache gerade jener Abteilung der Behörde, die ein Verfahren wiederaufnehmen will, bereits früher bekannt war (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 2. April 1987, Zl. 86/16/0130 bis 0133 und vom 29. März 1965, Zl. 1335/64, Slg. N.F. Nr. 3250/F). Für die Zulässigkeit einer amtswegigen Wiederaufnahme ist erforderlich, daß aktenmäßig erkennbar ist, daß dem FA NACHTRÄGLICH Tatumstände zugänglich wurden, von denen es nicht schon zuvor Kenntnis gehabt hat. Eine nachträglich anders geartete rechtliche Beurteilung oder Würdigung eines schon bekannt gewesenen Sachverhaltes allein rechtfertigt einen behördlichen Eingriff in die Rechtskraft nicht (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 5. April 1989, Zl. 88/13/0052 und vom 19. September 1990, Zl. 89/13/0245).

Da nach dem insoweit unstrittigen Sachverhalt dem FA bereits seit dem Bericht des Betriebsprüfers vom 5. Dezember 1984 (spätestens seit 15. Jänner 1985) bekannt war, daß nur die Beschwerdeführerin nach außen hin in Erscheinung tritt, da dem FA weiters seit den von der stillen Gesellschaft am 4. Juli 1985 bzw. 30. Mai 1986 eingereichten Umsatzsteuererklärungen bekannt war, daß für die Streitjahre der ermäßigte Steuersatz in Anspruch genommen wurde, und da im Jänner 1985 bei der zuständigen Referentin des GmbH-Referates interventionsweise erreicht wurde, daß die Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre statt von der Beschwerdeführerin von der stillen Gesellschaft abgegeben werden durften, kann nicht davon gesprochen werden, der Behörde sei erst durch die Betriebsprüfung Ende 1987 und sohin nachträglich bekannt geworden, daß die Beschwerdeführerin ab 1983 auf den ermäßigten Steuersatz übergegangen sei. Die belangte Behörde hat daher durch die Annahme, es läge ein Grund für eine amtswegige Wiederaufnahme vor, ihren Bescheid und damit einschließlich der Sachbeschscheide) mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, was gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zu seiner Aufhebung führen muß.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf § 47 ff VwGG i.V.m. der VO BGBl. Nr. 104/1991.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte