VwGH 92/13/0096

VwGH92/13/009611.8.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde der W-KG in S, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der FLD für Wien, NÖ und Bgld, vom 19.2.1992, GZ. 6/1-1069/90-15, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens und Feststellung von Einkünften sowie einheitlicher Gewerbesteuermeßbetrag für die Jahre 1985 bis 1987, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §303 Abs4;
EStG 1972 §4 Abs4;
EStG 1972 §6 Z1;
EStG 1972 §6 Z2;
BAO §303 Abs4;
EStG 1972 §4 Abs4;
EStG 1972 §6 Z1;
EStG 1972 §6 Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Aus den dem Verwaltungsgerichtshof nur bruchstückhaft vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens ist erkennbar, daß nach Durchführung einer abgabenbehördlichen Prüfung Bescheide betreffend Feststellung von Einkünften, einheitlicher Gewerbesteuermeßbetrag, Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrages und sowie Gewerbesteuer 1985 bis 1987, teilweise nach Wiederaufnahme des Verfahrens, erlassen wurden.

In der Berufung gegen diese Bescheide wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin betreibe die Erzeugung von Stahlbrücken und anderen Stahlkonstruktionen mit dem Standort in S. Für die Herstellung von großen Objekten sei lediglich die Halle 5 geeignet. Diese Halle 5 grenze unmittelbar an das seinerzeitige Wohnhaus des Johann K. an. Nach Erstattung einer Anzeige durch Johann K. sei 1983 ein Verwaltungsverfahren durchgeführt worden. Dabei sei festgestellt worden, daß die Halle 5 1973 als Lagerhalle mit zwei Laufkränen mit Hebezeugen von 5 t Tragkraft bewilligt worden sei. Tatsächlich seien später Kräne mit 15 t Tragkraft eingesetzt worden; die Halle 5 sei nicht nur als Lagerhalle, sondern auch als Produktionsstätte verwendet worden. In einem lärmtechnischen Gutachten sei festgestellt worden, daß eine deutlich unzumutbare Lärmbelästigung der Nachbarschaft gegeben sei. Im Jahre 1984 sei das Verwaltungsverfahren, betreffend eine gewerberechtliche Genehmigung, bis zur Klärung privatrechtlicher Forderungen des Johann K. "ausgesetzt" worden. Es habe daher die Einstellung des Brückenbaues wegen unzumutbarer Lärmbelästigung des Anrainers Johann K. unmittelbar gedroht. Die Beschwerdeführerin sei unter diesen Umständen gezwungen gewesen, Johann K. für seine Liegenschaft einen weit überhöhten Preis zu bezahlen. Vor Abschluß des Kaufvertrages hätten die Geschäftsführerin und die "Buchhalterin" der Beschwerdeführerin zwei Organe des zuständigen Finanzamtes, nämlich Amtsdirektor G. und Regierungsrat W., um eine Rechtsauskunft ersucht. Nach Auskunft dieser beiden Organträger hätte ein über dem Verkehrswert der Liegenschaft liegender Mehrbetrag als "verlorener Aufwand" im Jahre der Ausgabe zur Gänze als Betriebsausgabe verrechnet werden können. Darüber sei von der Beschwerdeführerin ein Aktenvermerk angefertigt worden.

Der Kaufpreis der Liegenschaft des Johann K. hätte einschließlich aller Nebenkosten S 2,209.158,-- betragen. Davon seien auf Grund und Boden S 244.800,-- und auf Gebäude S 367.200,-- entfallen. Der Restbetrag von S 1,597.158,-- sei auf die Abwehr der drohenden Einstellung des Brückenbaues entfallen. Es wurde beantragt, den letztgenannten Betrag als "Abwehrkosten" im Jahre 1985 voll zu berücksichtigen. Eventualiter wurde eine dementsprechende Abschreibung auf den niedrigeren Teilwert beantragt. In den Beweisanträgen wurde unter anderem begehrt, die Behörde möge in den Aktenvermerk über die Rechtsauskunft Einsicht nehmen.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde nach Durchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung über die Berufung insoweit entschieden, als die Wiederaufnahme des Verfahrens, die Feststellung von Einkünften und der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag für die Jahre 1985 bis 1987 bekämpft wurden. (Eine Entscheidung über die Berufung, soweit sie sich gegen die weiteren nach der Betriebsprüfung erlassenen Bescheide richtete, ist den vorgelegten Aktenteilen nicht zu entnehmen.) Hinsichtlich eines Streitpunktes betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens vertrat die belangte Behörde die Auffassung, die als "Abwehrkosten" bezeichneten Aufwendungen seien als neu hervorgekommene Tatsachen zu betrachten. In den Bilanzen seien nämlich die tatsächlichen Umstände, die für diese Aufwendungen maßgeblich waren, nicht ersichtlich gemacht worden. Darüberhinaus gründe sich die Wiederaufnahme auf weitere, von der Betriebsprüfung vorgenommene Bilanzberichtigungen (fertige Bauten, Rückstellung für Gewährleistungen, unfertige Bauten). Ansonst vertrat die Behörde die Auffassung, daß der über dem Verkehrswert an den Nachbarn bezahlte Betrag weder als "verlorener Aufwand" absetzbar sei noch daß eine Abschreibung der erworbenen Liegenschaft auf den niedrigeren Teilwert gerechtfertigt sei. Dem Einwand einer Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben wurde entgegengehalten, daß dem Prinzip der "Rechtsrichtigkeit" überragende Bedeutung zuzumessen sei.

Gegen diesen Bescheid werden dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Obgleich im Spruch des angefochtenen Bescheides darauf hingewiesen wird, daß der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung Ausführungen gemacht hat, wird in der Begründung auf den Ablauf der mündlichen Verhandlung und dabei allenfalls gestellte Anträge in keiner Weise eingegangen. In Verbindung mit dem Umstand, daß auch eine Niederschrift über die mündliche Verhandlung in den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Aktenteilen nicht enthalten war, ist eine Nachprüfbarkeit des angefochtenen Bescheides auf seine inhaltliche Gesetzmäßigkeit nicht gegeben. Die belangte Behörde hat bei Erlassung dieses Bescheides somit Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Wiederaufnahmebescheide wendet, ist sie dabei im Recht, wenn sie darauf hinweist, daß der Sachverhalt hinsichtlich der in Rede stehenden "Abwehrkosten" im Hinblick auf die eingeholte Rechtsauskunft keine neue Tatsache im Sinne des § 303 Abs. 4 BAO darstellt. Die im angefochtenen Bescheid vertretene Auffassung, dieser Sachverhalt sei im Zuge der Betriebsprüfung neu hervorgekommen, ist daher aktenwidrig.

Die Beschwerdeführerin übersieht zwar, daß es für die Frage der Voraussetzung der Wiederaufnahme keineswegs allein darauf ankommt, ob der Sachverhalt im Zusammenhang mit dem Liegenschaftserwerb eine neue Tatsache war; es genügt nämlich ein einziger Wiederaufnahmsgrund, um die Steuer neu festzusetzen und dabei andere, bereits bekannt gewesene, aber nicht beachtete Tatsachen zu berücksichtigen (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Mai 1992, 91/16/0019, mit weiterem Hinweis). Die belangte Behörde hat sich im angefochtenen Bescheid jedoch darauf beschränkt, auf weitere, vom Prüfer vorgenommene Bilanzberichtigungen hinzuweisen. Damit hat die belangte Behörde aber nicht dargelegt, daß und welche neue Tatsachen vorgelegen sind. Der Umstand, daß der Prüfer weitere Änderungen gegenüber den eingereichten Steuererklärungen vorgenommen hat, trifft keine Aussage darüber, ob er zu diesen Änderungen auf Grund eines neu hervorgekommenen Sachverhaltes gelangt ist. Die Bilanzberichtigung bedeutet für sich keine neue Tatsache. Die belangte Behörde hat somit den angefochtenen Bescheid auch hinsichtlich der Frage der Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens mit einer wesentlichen Begründungslücke belastet, zumal es die belangte Behörde sogar unterlassen hat, den Prüfungsbericht, geschweige denn die Akten des Prüfungsverfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen.

Schließlich ist auch die Rüge der Beschwerdeführerin berechtigt, die belangte Behörde habe es unterlassen, die Ausübung des ihr hinsichtlich der Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens eingeräumten Ermessens zu begründen. Im Gegensatz zu der in der Gegenschrift vertretenen Auffassung der belangten Behörde stellt die bloße Aufzählung von durch den Prüfer vorgenommenen Berichtigungen keine Begründung des geübten Ermessens dar.

Aus verfahrensökonomischen Gründen wird für das fortzusetzende Verfahren bemerkt: Die sinngemäß zum Ausdruck gebrachte Auffassung der belangten Behörde, es handle sich bei dem in Rede stehenden Aufwand für den Erwerb der Nachbarliegenschaft deswegen nicht um "Abwehrkosten", weil ihnen ein entsprechender "Gegenwert" gegenüberstehe, trifft zu. Die insgesamt für die Nachbarliegenschaft geleisteten Beträge stellen vielmehr Anschaffungskosten im Sinne des § 6 Z. 1 und 2 EStG 1972 dar.

Soweit sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid entsprechend dem in der Berufung enthaltenen Eventualbegehren mit dem Teilwert des unbestrittenermaßen zu einem überhöhten Kaufpreis angeschafften Wirtschaftsgutes auseinandersetzt, ist ihr jedoch folgendes entgegenzuhalten: Für die Feststellung des Teilwertes der Liegenschaft ist die Frage, ob ein fiktiver Erwerber des Unternehmens die Liegenschaft zu denselben Konditionen - zur Sicherstellung des Fortbestandes des Unternehmens - ERWORBEN HÄTTE, nicht von Bedeutung. Die Fragestellung hat vielmehr den Wert der - bereits im Betriebsvermögen befindlichen - Liegenschaft im Rahmen des Gesamtkaufpreises beim Erwerb durch den "fiktiven Erwerber" zum Inhalt. Die belangte Behörde wird sich bei der Frage nach dem Teilwert mit dem - jedenfalls in der Beschwerde geltend gemachten - Umstand zu befassen haben, daß die erworbene Liegenschaft weder als Wohngrundstück noch - mangels entsprechender Flächenwidmung - als Betriebsgrundstück verwendet werden kann.

Aus den oben dargestellten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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