VwGH 92/10/0405

VwGH92/10/040525.1.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Puck und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des W in L, vertreten durch Dr. X, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 5. August 1991, Zl. III-4033/90, betreffend Übertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG, zu Recht erkannt:

Normen

EGVG Art9 Abs1 Z1;
MRKZP 07te Art4;
StGB §267;
VStG §22;
VStG §30;
EGVG Art9 Abs1 Z1;
MRKZP 07te Art4;
StGB §267;
VStG §22;
VStG §30;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Inneres) Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 5. August 1991 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 4. Juni 1990 gegen 2.00 Uhr in S im Festzelt des Sommerfestes, die Ordnung an einem öffentlichen Ort durch sein Verhalten, das geeignet war, Ärgernis zu erregen, gestört, indem er mit einem Festgast eine tätliche Auseinandersetzung geführt und in weiterer Folge ein Ablagebrett und mehrere Gläser zerschlagen habe. Weiters habe er am 4. Juni 1990 zwischen 2.25 Uhr und 2.35 Uhr auf dem Festplatz vor dem Festzelt des Sommerfestes in S die Ordnung an einem öffentlichen Ort durch sein Verhalten, welches geeignet war, Ärgernis zu erregen, gestört, indem er Inspektor B tätlich attackiert habe. Der Beschwerdeführer habe dadurch Verwaltungsübertretungen nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG begangen. Es wurden zwei Geldstrafen von je S 3.000,-- verhängt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Darin erachtete er sich in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt, die er wie folgt bezeichnete:

"Recht auf verfassungskonforme Gesetzeslage; Verletzung des Verbots der Doppelbestrafung; verfassungswidrige Übergangsbestimmungen; unfaires Verfahren".

Er brachte vor, die Fehlhandlungen, die ihm von der Verwaltungsbehörde angelastet worden seien, seien Teil eines Verhaltens gewesen, für das er wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt vom Landesgericht Feldkirch rechtskräftig verurteilt worden sei. Es habe sich daher um in die Zuständigkeit der Gerichte fallende Übertretungen strafrechtlicher Normen gehandelt. Damit ergebe sich, daß nicht zusätzlich zum gerichtlichen Vergehen noch eine Verwaltungsübertretung vorliegen könne. Der angefochtene Bescheid lege in dankenswerter Offenheit dar, daß Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG eine (Doppel‑)Bestrafung auch für jene Fälle vorsehe, in denen bereits eine gerichtliche oder sonstige Strafzuständigkeit bestehe. Dies verstoße sowohl gegen den Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung als auch gegen das Verbot der Doppelbestrafung nach Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur Menschenrechtskonvention. Der Verwaltungsstrafgesetzgeber dürfe keinen Tatbestand normieren, dessen Ahndung unter den Kompetenztatbestand Strafrecht falle. Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG sei daher verfassungswidrig. Verfassungswidrig seien auch die Übergangsbestimmungen (gemeint offenbar: die Übergangsbestimmungen der B-VG-Novelle 1988, BGBl. Nr. 685, und der VStG-Novelle 1990, BGBl. Nr. 358/1990), weil sie die Unabhängigen Verwaltungssenate nur zur Entscheidung in Angelegenheiten beriefen, die ab dem 1. Jänner 1991 in erster Instanz anhängig geworden seien.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluß vom 17. Juni 1992, B 900/91, ab, weil vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu § 22 VStG (vgl. VfSlg. 7926/1976, 8295/1978, 10137/1984), des Verfassungsranges der Erklärung Österreichs zu Art. 4 des 7. Zusatzprotokolles zu EMRK, BGBl. Nr. 628/1988, des Vorbehaltes Österreichs zu Art. 5 EMRK (vgl. VfSlg. 5021/1965, 8234/1978, 10291/1984, 11569/1987, 11917/1988, 12162/1989) sowie der maßgeblichen Übergangsbestimmung (der B-VG-Novelle 1988, BGBl. Nr. 685) das Beschwerdevorbringen die behaupteten Rechtsverletzungen, aber auch die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen lasse, daß sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Über Antrag des Beschwerdeführers trat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 18. September 1992, B 1085/91, die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

In der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Beschwerdeergänzung erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht, nicht ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen bestraft zu werden, in seinem Recht, nicht für EIN Delikt doppelt bestraft zu werden und in den in der ursprünglichen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof geschilderten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten als verletzt. Er bringt vor, er mache dieselben Beschwerdegründe geltend wie beim Verfassungsgerichtshof. Er mache seine Beschwerdegründe zusätzlich unter einfachgesetzlichen Gesichtspunkten geltend. Er meine, daß eine verfassungskonforme Reduktion der maßgeblichen Strafnorm zum Ergebnis führen hätte müssen, daß nicht aus ein- und demselben Tatbestand zwei Bestrafungen erfolgen hätten dürfen. Die Normprüfungsanregungen an den Verfassungsgerichtshof würden als Bitte an den Verwaltungsgerichtshof, seinerseits die inkriminierten Normen an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, aufrecht erhalten.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer durch ein Verhalten, das Ärgernis zu erregen geeignet ist, die Ordnung an öffentlichen Orten stört.

Nach § 22 Abs. 1 VStG sind die Strafen nebeneinander zu verhängen, wenn jemand durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat oder wenn eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen fällt.

Nach § 22 Abs. 2 leg. cit. gilt dasselbe bei einem Zusammentreffen von Verwaltungsübertretungen mit anderen von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gerichte zu ahndenden strafbaren Handlungen.

§ 30 Abs. 1 VStG bestimmt, daß dann, wenn einem Beschuldigten von verschiedenen Behörden zu ahndende Verwaltungsübertretungen oder eine Verwaltungsübertretung und eine andere von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu ahndende strafbare Handlung zur Last liegen, die strafbaren Handlungen unabhängig voneinander zu verfolgen sind, und zwar in der Regel auch dann, wenn die strafbaren Handlungen durch eine und dieselbe Tat begangen worden sind.

Aus den §§ 22 und 30 VStG ergibt sich, daß eine von einer Verwaltungsbehörde zu ahndende strafbare Handlung auch dann von dieser Behörde zu verfolgen ist, wenn die Tat gleichzeitig unter einen gerichtlich strafbaren Tatbestand fällt, es sei denn, das Gesetz normiert ausdrücklich eine Ausnahme von diesem Grundsatz oder es läge sonst ein Fall bloß scheinbarer Konkurrenz (Gesetzeskonkurrenz) vor (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Juni 1978, Slg. 8295).

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, das ihm von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid zur Last gelegte Verhalten gesetzt zu haben. Art. IX Abs. 1 EGVG enthält bezüglich der Ziffer 1 keinen Vorbehalt des Inhalts, daß dieser Straftatbestand nur zur Anwendung gelange, wenn die Tat nicht gerichtlich zu verfolgen sei. Es liegt auch kein sonstiger Fall einer Scheinkonkurrenz - etwa zum gerichtlich strafbaren Tatbestand des Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§ 267 StGB) - vor.

Was die von ihm behauptete Verfassungswidrigkeit des Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG anlangt, bringt der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdeergänzung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keine Argumente vor, die über jene hinausgingen, die bereits in seiner Verfassungsgerichtshofbeschwerde enthalten waren und die nicht geeignet waren, den Verfassungsgerichtshof zu einer Prüfung des Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG zu veranlassen. Der Verwaltungsgerichtshof sieht daher keinen Anlaß, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Prüfung der zitierten Norm zu stellen.

Da die Unterstellung des vom Beschwerdeführer gesetzten Verhaltens sowohl unter gerichtlich strafbare Tatbestände als auch unter die Bestimmung des Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, geht der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Einwand ins Leere, Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG müsse verfassungskonform dahingehend interpretiert werden, daß im Falle einer Verurteilung wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt keine Bestrafung nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG mehr erfolgen dürfe.

Aus den dargelegten Erwägungen ergibt sich, daß die Beschwerde unbegründet ist, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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