VwGH 92/09/0070

VwGH92/09/007019.5.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Fürnsinn und Dr. Germ als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über die Beschwerde des W in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 21. Jänner 1992, Zl. VII/2a-V-1574/0/0-91, betreffend Einschätzung nach dem Behinderteneinstellungsgesetz, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §16 Abs1;
AVG §16 Abs2;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §16 Abs1;
AVG §16 Abs2;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 16. Juli 1991 stellte das Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland auf Grund des Antrages des Beschwerdeführers vom 7. Februar 1990 gemäß § 14 Abs. 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG) fest, daß der Beschwerdeführer dem Kreis der begünstigten Behinderten angehöre und der Grad seiner Behinderung 60 v.H. betrage.

Die vom Beschwerdeführer dagegen erhobene Berufung richtete sich nur gegen die Einschätzung; der Beschwerdeführer legte ein ärztliches Attest vor und ersuchte im Hinblick auf "Unfälle" um die weitere Einholung eines orthopädischen Gutachtens.

Dieser Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid nicht stattgegeben. Zur Begründung wird nach Wiedergabe des Spruches des erstinstanzlichen Bescheides und der Berufung im wesentlichen weiter ausgeführt:

Auf Grund der Berufung des Beschwerdeführers sei eine neue Begutachtung der der erstinstanzlichen Entscheidung zugrunde gelegten medizinischen Beurteilung durch die medizinische Fachabteilung beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung veranlaßt worden. Der Beschwerdeführer erachte seine Wirbelsäulenveränderungen und seine Neuralgie im Arm-Schulterbereich zu gering berücksichtigt; er könne infolge seiner starken Steißbeinschmerzen nicht länger sitzen und dies auch nur auf einem weichen Polster; darüber hinaus bestehe eine Osteoporose, mit der er an der Knochenambulanz der II. Medizinischen Universitätsklinik Wien in Behandlung und unter Kontrolle stehe, sowie eine incipiente Coxarthrose beidseits und eine beginnende Arthrose der beiden Iliosacralgelenke. Er habe Röntgenbilder und Befunde von Dr. Sa vorgelegt; ferner habe er angegeben, daß er in letzter Zeit obstipiert sei; er habe jetzt 62 kg Körpergewicht, habe aber gegenüber Dezember 1990 um 5 kg zugenommen. Zur Vorgeschichte habe der Beschwerdeführer angegeben, daß er am 1. Dezember 1988 gestürzt sei und sich die linke Schulter und die linke Hüfte geprellt habe, er könne jetzt den linken Arm nicht heben, Schulter und Arm links nicht belasten, nicht darauf liegen usw. Schon im März 1986 sei er gestürzt und habe sich das Steißbein und die Halswirbelsäule geprellt, er habe gleich nach dem Unfall Schmerzen in der Steißbeingegend gehabt, erst zwei Monate später auch in der Halswirbelsäule, dazu Schwindel und Schmerzen, die in den Rücken ausstrahlten. Im September 1986 habe er beim Heben einer Last plötzlich Schmerzen im Kreuz bekommen, die eher linksseitig lokalisiert worden seien, und in der linken Hüfte. Der Befund der II. Medizinischen

Universitätsklinik Wien vom 23. Oktober 1990 gebe an:

Appendektomie, Osteoporose-Verdacht, seit 1988 19 kg Gewichtsverlust, Laborbefunde im wesentlichen unauffällig.

Ergebnis: Manifeste Osteoporose liege nicht vor, aber eine gewisse Osteopenie.

Im Krankenhaus K sei am 21. Dezember 1990 ein Tonsillarabszeß links saniert und eine anteroseptale Infarktnarbe im EKG festgestellt worden; die Laborbefunde seien, von einem leicht erhöhten Gamma-GT-Wert abgesehen, unauffällig gewesen. Etwas später sei der Beschwerdeführer nochmals wegen Schmerzen in der linken Halswirbelsäule und Drehschwindel im Krankenhaus K in Behandlung gewesen.

An jetzigen Beschwerden gebe der Beschwerdeführer an, er könne die Wirbelsäule nicht belasten und hätte Schmerzen in der ganzen Wirbelsäule, besonders in der Steißbeingegend; er müsse sich einen weichen Sitzpolster zum Sitzen unterlegen, könne nur noch auf der rechten Brust- bzw. Bauchseite schlafen, weil ihn jede andere Körperhaltung beim Schlafen schmerze; er müsse zum Einschlafen abends zwei Tabletten Temesta einnehmen.

Im folgenden wird dann in der Begründung des angefochtenen Bescheides das Ergebnis der "klinischen Untersuchung" wiedergegeben und abschließend das Ergebnis der Beurteilung des untersuchenden Arztes wie folgt dargelegt:

"Meines Erachtens wurden seine Leiden und Behinderungen vom Gutachter des Landesinvalidenamtes korrekt und im richtigen Ausmaße diagnostiziert und ihm eine seinen tatsächlichen Behinderungen entsprechende Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 % zuerkannt."

In der Begründung des angefochtenen Bescheides heißt es dann weiter, der wesentliche Inhalt dieses Gutachtens sei dem Beschwerdeführer anläßlich eines fernmündlichen Gespräches zur Kenntnis gebracht worden; er habe auf die Abgabe einer weiteren Stellungnahme verzichtet.

Nach Wiedergabe des § 2 Abs. 1 BEinstG führte die belangte Behörde weiter aus, das in sich widerspruchsfreie, schlüssige und somit auch glaubwürdige Gutachten des Amtssachverständigen vom 30. September 1991 sei zu dem Ergebnis gelangt, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers mit 60 v.H. anzunehmen und eine höhere Einstufung nicht gerechtfertigt sei. Ausgehend von diesem Gutachten habe der Berufung nicht stattgegeben werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der kostenpflichtige Aufhebung begehrt wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und kostenpflichtige Abweisung beantragt.

Der Beschwerdeführer hat unaufgefordert eine Äußerung zur Gegenschrift sowie medizinische Gutachten zur Stützung seiner Auffassung vorgelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der Fassung BGBl. Nr. 614/1987, sind begünstigte Behinderte im Sinne dieses Bundesgesetzes österreichische Staatsbürger mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H.

Nach § 3 Abs. 1 BEinstG ist Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder psychischen Zustand beruht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 3 Abs. 2 BEinstG sind für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Vorschriften der §§ 7 und 9 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152 (KOVG 1957), mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, daß Gesundheitsstörungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. außer Betracht zu lassen sind, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Liegt - wie im Falle des Beschwerdeführers - ein Nachweis im Sinne des § 14 Abs. 1 BEinstG über die Schätzung seiner Behinderung nicht vor, dann hat nach § 14 Abs. 2 BEinstG auf Antrag des Behinderten das örtlich zuständige Landesinvalidenamt unter Mitwirkung von amtlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung einzuschätzen und bei Zutreffen der im § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung (§ 3) festzustellen. § 90 KOVG 1957 gilt sinngemäß.

Auf das Verfahren finden nach § 19 Abs. 1 BEinstG - soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt - das AVG und hinsichtlich des § 21 das VStG Anwendung.

Amtliche Wahrnehmungen und Mitteilungen, die der Behörde telefonisch zugehen, ferner mündliche Belehrungen, Aufforderungen und Anordnungen, über die keine schriftliche Ausfertigung erlassen wird, schließlich Umstände, die nur für den inneren Dienst der Behörde in Betracht kommen, sind nach § 16 Abs. 1 AVG, wenn nicht anderes bestimmt und kein Anlaß zur Aufnahme einer Niederschrift gegeben ist, erforderlichenfalls in einem Aktenvermerk kurz festzuhalten. Der Inhalt des Aktenvermerkes ist nach Abs. 2 der genannten Bestimmung vom Amtsorgan durch Beisetzung von Datum und Unterschrift zu bestätigen.

Den Parteien ist nach § 45 Abs. 3 AVG Gelegenheit zu geben, von dem Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.

Schon nach § 37 AVG ist das Parteiengehör zu wahren. § 45 Abs. 3 AVG stellt klar, daß der Partei die Möglichkeit einzuräumen ist, nicht nur vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu nehmen, sondern auch Stellung zu nehmen. Alle Feststellungen des Ermittlungsverfahrens, welche von der Behörde bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden, sind den Parteien von Amts wegen und unter Angabe der Beweismittel zur Kenntnis zu bringen. Auch Sachverständigenäußerungen des entscheidenden Organs unterliegen dem Parteiengehör (vgl. beispielsweise Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. November 1980, Slg. N. F. Nr. 10.290/A).

Der Beschwerdeführer bringt im wesentlichen vor, entgegen den diesbezüglichen Ausführungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides sei ihm kein Parteiengehör zu dem genannten ärztlichen Gutachten eingeräumt worden. Es sei ihm weder der Inhalt dieses Gutachtens fernmündlich zur Kenntnis gebracht worden, noch habe er auf die Abgabe einer weiteren Stellungnahme verzichtet. Zwar habe es ein kurzes Telefongespräch (- der Beschwerdeführer sei Notstandshilfeempfänger und könne sich kein längeres Telefongespräch leisten -) mit einem namentlich genannten Vertreter der belangten Behörde gegeben, dessen Inhalt sich aber nur darauf erstreckt habe, bis wann mit der Erlassung des Berufungsbescheides zu rechnen sei. Zur inhaltlichen Untermauerung seines Vorbringens hat der Beschwerdeführer ein umfangreiches privatärztliches Gutachten vorgelegt.

Die belangte Behörde hat dazu insbesondere auf einen bei den Akten befindlichen Aktenvermerk des Referenten hingewiesen. Dieser Aktenvermerk ist handschriftlich am Rand eines Formulars angebracht und lautet wie folgt:

"AV: lt. telef. Mitteilung v. Hrn. W (Beschwerdeführer) am 13.1.1992 ist er mit einer 60-prozentigen Einschätzung des Grades der Behinderung einverstanden und ersucht um dringende Bescheiderledigung."

Gezeichnet ist dieser Aktenvermerk mit einem unleserlichen Handzeichen, als Datumsangabe ist dem beigesetzt "22/1/92", wobei die Bezeichnung des Monates ursprünglich "2" gelautet hat und umgebildet wurde.

Der angefochtene Bescheid ist mit 21. Jänner 1992 datiert.

Eine Belehrung (Aufforderung) kann nur dann Gegenstand eines beweiskräftigen Aktenvermerkes im Sinne des § 16 AVG sein, wenn diesem wenigstens der Name des Organwalters, der die Belehrung (Aufforderung) erteilte, der Gegenstand der Belehrung (Aufforderung) sowie der Zeitpunkt, zu dem diese erfolgte, entnommen werden kann (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Februar 1970, Slg. N. F. Nr. 7742/A).

Der vorliegende Aktenvermerk entspricht diesen Anforderungen nicht. Er ist jedenfalls nicht mit der Unterschrift des Amtsorganes versehen; die Datumsangabe ist umgebildet; das solcherart "dokumentierte" Telefongespräch hat mindestens neun Tage vor der Erstellung dieses Aktenvermerkes stattgefunden. Aus dem Inhalt dieses Aktenvermerkes ergibt sich überhaupt kein Hinweis darauf, daß dem Beschwerdeführer der Inhalt des ärztlichen Gutachtens zur Kenntnis gebracht worden wäre. Es ist von vornherein zu bezweifeln, ob das Parteiengehör im vorliegenden Fall im Hinblick auf den Inhalt und den Umfang des ärztlichen Sachverständigengutachtens überhaupt in fernmündlicher Art und Weise rechtens eingeräumt werden hätte können.

Die vom Beschwerdeführer behauptete Verletzung von Verfahrensvorschriften ist daher gegeben; da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung dieser Verfahrensverfehler zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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