VwGH 92/08/0184

VwGH92/08/018422.9.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über den Antrag des H in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in V, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde und über die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 15. Juni 1992, Zl. 123.248/3-7/92, den Beschluß gefaßt:

Normen

ABGB §1332;
VwGG §26 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
ZustG §17 Abs3;
ABGB §1332;
VwGG §26 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
ZustG §17 Abs3;

 

Spruch:

Gemäß § 46 VwGG wird der Antrag abgewiesen.

Gleichzeitig wird die Beschwerde wegen Versäumung der Einbringungsfrist gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, mit der vorliegenden Beschwerde angefochtenen Bescheid wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 21. April 1992, Zl. VI/6-853/1-1992, betreffend Versicherungspflicht in der Pensionsversicherung der Bauern gemäß § 2 Abs. 1 Z. 1, Abs. 2 und Abs. 3 BSVG ab 1. Juli 1982 bis laufend, keine Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 6. Juli 1992 durch postamtliche Hinterlegung zugestellt.

Mit dem am 26. August 1992 zur Post gegebenen Schriftsatz (daher nach Ablauf der sechswöchigen Beschwerdefrist, die mit 17. August 1992 abgelaufen ist) beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist und erhob zugleich die vorliegende Beschwerde. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages machte er geltend, er habe den angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 15. Juni 1992, Zl. 123.248/3-7/92, am 17. Juli 1992 beim Postamt Hollenstein behoben und sei zu diesem Zeitpunkt noch bis zum 24. August 1992 der Überzeugung gewesen, daß die Frist zur Erhebung eines Rechtsmittels bzw. Rechtsbehelfes mit dem Tag der tatsächlichen Behebung zu laufen beginne. Der Beschwerdeführer habe seinem ausgewiesenen Rechtsfreund bei seinem telefonischen Auftrag vom 30. Juli 1992 zur Einbringung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen den genannten Bescheid auf dessen Anfrage als Zustelldatum den 17. Juli genannt. In dem genannten Telefongespräch vom 30. Juli 1992 habe weder der Beschwerdeführer noch der ausgewiesene Rechtsfreund eine Veranlassung gehabt, die Frage, ob die Sendung hinterlegt worden sei, aufzuwerfen. Am 24. August 1992 habe in der Kanzlei des Rechtsfreundes eine Besprechung der bereits zu diesem Zeitpunkt konzipierten Verwaltungsgerichtshofbeschwerde stattgefunden, anläßlich derer erstmals vom Beschwerdeführer seinem Rechtsfreund bekanntgegeben worden sei, daß die Sendung tatsächlich hinterlegt und erst am 17. Juli 1992 beim Postamt behoben worden sei. Der ausgewiesene Rechtsvertreter habe erstmals am 24. August 1992 einen Anhaltspunkt in der Richtung gehabt, daß die Sendung hinterlegt und daher die Frist zur Einbringung der Beschwerde bereits abgelaufen gewesen sei. Da der ausgewiesene Vertreter erst am 24. August 1992 einen Anhaltspunkt in diese Richtung erhalten habe und dem Beschwerdeführer insbesondere auf Grund seines hohen Alters (geboren 1912) nicht (mehr) bewußt gewesen sei, daß Schriftstücke schon mit dem ersten Tag der Abholfrist als zugestellt gelten, sei die Frist zur Erhebung der Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde versäumt worden, ohne daß dem Beschwerdeführer bzw. dem ausgewiesenen Vertreter der Vorwurf einer wiedereinsetzungsschädlichen auffallenden Sorglosigkeit gemacht werden könne. Der Wiedereinsetzungsantrag sei auch im Hinblick auf das Aufhören des Hindernisses (24. August 1992) rechtzeitig.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach der zu dieser Gesetzesstelle ergangenen ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, von der abzugehen kein Anlaß besteht, stellt ein Irrtum des Beschwerdeführers oder seines Vertreters über die geltende Rechtslage (hier: Wirkung der Zustellung durch postamtliche Hinterlegung) grundsätzlich kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar, das eine Wiedereinsetzung rechtfertigen könnte (vgl. die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Jänner 1985, Zl. 84/04/0234, 0235, und vom 22. Jänner 1986, Zl. 85/09/0284, 0285, u.a.). Ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist auch, daß der Begriff des minderen Grades des Versehens als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen sei. Weder der Wiedereinsetzungswerber noch sein Vertreter dürfen daher auffallend sorglos gehandelt haben. Sie dürfen die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihnen nach den persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht außer acht lassen (vgl. den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Juni 1986,

Zlen. 86/11/0050. 0051). So kann auch z.B. Personen, die um die Wiedergabe umfassender Informationen über die für die Fristberechnung maßgeblichen Umstände an ihren Rechtsvertreter nicht bemüht sind, im Hinblick auf die prozessuale Bedeutung der gesetzlich festgelegten Frist zur Einbringung von Beschwerden nicht ein nur minderer Grad des Versehens zugebilligt werden (vgl. den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Mai 1986, Zl. 86/04/0071). Ganz davon abgesehen, daß auf der Benachrichtigung von der Hinterlegung eine - für jedermann begreifbare - Belehrung über die Zustellwirkung der postamtlichen Hinterlegung enthalten ist und sich grundsätzlich niemand auf mangelnde Rechtskenntnis zu berufen vermag, wäre bloße Rechtsunkenntnis für sich allein weder als unvorhergesehenes noch unabwendbares Ereignis das die Voraussetzung des § 46 Abs. 1 VwGG für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bilden könnte, zu werten. Außerdem ist doch gerade dem Beschwerdeführer als ehemaligem Angehörigen eines der rechtsberatenden Berufe zumutbar, der Zustellung durch postamtliche Hinterlegung jene Bedeutung beizumessen, die ihr nach der Gesetzeslage zukommt. Daß ihn sein Geisteszustand daran gehindert hätte, wird nicht behauptet. Er hätte also im Zweifelsfalle zumindest von sich aus seinen Rechtsfreund davon in Kenntnis setzen müssen, daß die Zustellung nicht durch persönliche Übernahme, sondern durch Hinterlegung erfolgt war. Der bevollmächtigte Vertreter braucht freilich grundsätzlich Tatsachenangaben (Informationen) seines Mandanten nicht in Zweifel zu ziehen. Teilte der Beschwerdeführer daher dem ausgewiesenen Rechtsfreund als Tag der Zustellung ohne jeden weiteren Anhaltspunkt den Tag der Behebung mit, so bestand für diesen kein Anlaß, die Frist von einem anderen als dem angegebenen Tag an zu berechnen.

Das ändert aber nichts daran, daß der rechtskundige Beschwerdeführer selbst nicht durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis iSd § 46 Abs. 1 VwGG unter Anwendung ihm zumutbarer Sorgfalt verhindert war, die Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen den angefochtenen Bescheid einzuhalten. Dem Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnte daher nicht stattgegeben werden.

Gleichzeitig war die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist zurückzuweisen.

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