VwGH 92/08/0011

VwGH92/08/001116.6.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der M in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den auf Grund des Beschlusses gemäß § 56 Abs. 3 iVm § 59 AlVG zuständigen Unterausschusses des Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 27. November 1991, Zl. IVb-7022-7100 B, betreffend Einstellung der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §33 Abs2 litc;
AVG §37;
B-VG Art130 Abs2;
NotstandshilfeV §2;
NotstandshilfeV §6 Abs4;
VwRallg;
AlVG 1977 §33 Abs2 litc;
AVG §37;
B-VG Art130 Abs2;
NotstandshilfeV §2;
NotstandshilfeV §6 Abs4;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Arbeitsamtes Versicherungsdienste Wien vom 9. August 1991 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 33 Abs. 2 lit. c iVm den §§ 38 und 24 Abs. 1 AlVG und § 2 NHVO, BGBl. Nr. 354/1973, die Notstandshilfe mangels Notlage ab 1. August 1991 im wesentlichen mit der Begründung eingestellt, ihr Gatte erziele ab 1. Juli 1991 ein Nettoeinkommen von monatlich S 11.423,24. Der davon ab 1. August 1991 anzurechnende Betrag von S 6.119,-- übersteige den Notstandshilfeanspruch.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der von der Beschwerdeführerin gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung keine Folge. In der Begründung wurde nach Zitierung der in Frage kommenden gesetzlichen Bestimmungen und kurzer Wiedergabe des unbestrittenen Sachverhaltes ausgeführt, daß die von der Beschwerdeführerin eingewendeten Mehrkosten für cholesterinarme Diät, Rezeptgebühren und fallweise Ausflüge in abgasärmere Gebiete mit dem Pauschalbetrag von S 550,-- berücksichtigt worden seien, zumal die Beschwerdeführerin auch nicht behauptet habe, daß Rezeptgebühren in unüblichem Ausmaße angefallen seien und zwingende weitere bzw. längere Reisen unternommen werden müßten. Da jedoch bei einer Freigrenzenerhöhung von S 550,-- immer noch S 183,10 täglich als Anrechnung einem Tagessatz von nur S 163,10 gegenüberstünden, sei Notlage nicht anzunehmen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht. Nach dem Beschwerdevorbringen werde durch § 6 Abs. 4 der Notstandshilfeverordnung vom 10. Juli 1973, BGBl. Nr. 352, der Behörde eingeräumt, Ermessen im Sinn des Art. 130 Abs. 2 B-VG zu üben. Im angefochtenen Bescheid unterlasse die belangte Behörde jedoch jegliche Auseinandersetzung mit der zitierten Norm, sondern gebe lediglich den Inhalt dieser Bestimmung wieder. In der Tatsache, daß die Behörde von ihrem Entscheidungsspielraum mit dem angefochtenen Bescheid nicht "im Sinne des Gesetzes" Gebrauch mache, liege ein Ermessensmißbrauch, der zu einer materiellen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides führe. Darüber hinaus gehe der angefochtene Bescheid davon aus, daß der Beschwerdeführerin durch ihre Krankheit entstehende Mehrkosten (Rezeptgebühren, Diätkosten, Ausflüge in abgasärmere Gebiete) mit einem Pauschalbetrag von S 550,-- zu berücksichtigen seien, und berufe sich dabei auf eine Entscheidung des Landesarbeitsamtes Wien, die der Beschwerdeführerin im Ermittlungsverfahren nicht bekannt gemacht worden sei, sodaß es ihr nicht möglich gewesen sei, diese Entscheidung inhaltlich zu widerlegen. Darin liege eine Verletzung des Parteiengehörs, weil der Beschwerdeführerin verwehrt worden sei, diese Vorentscheidung zu widerlegen, womit sie die Unrichtigkeit der durchaus lebensfremden Summe von S 550,-- nachweisen hätte können. Die belangte Behörde sei überdies verpflichtet gewesen, in einem eigenen Beweisverfahren den Betrag von S 550,-- als angemessen und richtig zu begründen. Der Sachverhalt sei in diesem Punkt ergänzungsbedürftig, da bei einer richtigen Bemessung der der Beschwerdeführerin entstandenen Kosten der Bescheid zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Die Beschwerdeführerin leide an einer chronischen obstruktiven Atemwegserkrankung, hervorgerufen durch Asthma bronchiale, an einem hyperkinetischen Herzsyndrom und anderen chronischen Leiden, wozu auf die im Ermittlungsverfahren vorgelegten Gutachten verwiesen werde. Die Beschwerdeführerin habe regelmäßig eine Reihe von Medikamenten einzunehmen und eine cholesterinarme Diät einzuhalten, wodurch ihr Aufwand für Nahrung naturgemäß steige; aus all dem ergebe sich, daß ein Pauschalbetrag von lediglich S 550,-- für alle ihr entstehenden Mehrkosten klar erkennbar bei weitem zu niedrig angesetzt sei.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt, und legte die Verwaltungsakten vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 33 Abs. 2 lit. c AlVG ist (unter anderem) Voraussetzung für die Gewährung der Notstandshilfe, daß der Arbeitslose sich in Notlage befindet. Nach Abs. 4 leg. cit. liegt Notlage vor, wenn dem Arbeitslosen die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich ist. Die näheren Bestimmungen dazu sind in der Notstandshilfeverordnung BGBl. Nr. 352/1973 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 429/1990 zu finden. Gemäß § 2 Abs. 1 und 2 erster und zweiter Satz Notstandshilfeverordnung sind bei der Beurteilung die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des (der) Arbeitslosen selbst sowie des mit dem (der) Arbeitslosen im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) zu berücksichtigen. Durch eine vorübergehende Abwesenheit (Kur-, Krankenhausaufenthalt, Arbeitsverrichtung an einem anderen Ort und ähnliches) wird der gemeinsame Haushalt nicht aufgelöst.

§ 6 Abs. 1, 3 und 4 Notstandshilfeverordnung lauten:

"(1) Bei Heranziehung des Einkommens des Ehepartners (Lebengefährten bzw. der Lebengefährtin) des (der) Arbeitslosen für die Beurteilung der Notlage ist wie folgt vorzugehen: Von dem Einkommen ist ein Betrag freizulassen, der zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhaltes des Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) und der allenfalls von ihm zu versorgenden Familienmitglieder bestimmt ist (Freigrenze). Der die Freigrenze übersteigende Teil des Einkommens ist auf die Notstandshilfe anzurechnen.

(3) Die Freigrenze beträgt 4.821 S pro Monat für den das Einkommen beziehenden Ehepartner (Lebensgefährten bzw. die Lebensgefährtin). Dazu kommt ein Betrag von S 2.429,-- pro Monat für jede Person, für deren Unterhalt der Ehepartner (Lebensgefährte bzw. Lebensgefährtin) auf Grund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht tatsächlich wesentlich beiträgt.

(4) In berücksichtigungswürdigen Fällen, wie z.B. Krankheit bzw. Behinderung in der Familie, Aufwendungen aus Anlaß einer Schwangerschaft oder einer Niederkunft, Aufwendungen aus Anlaß von Todesfällen in der Familie, Rückzahlungsverpflichtungen für Darlehen, die aus Anlaß der Gründung eines Hausstandes oder zur Beschaffung einer Wohnung aufgenommen worden sind, besondere Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung des Einkommens, können die im Abs. 3 angeführten Einkommensgrenzen bis zu 50 % erhöht werden. Wenn der Arbeitslose oder sein Ehepartner (Lebensgefährte bzw. Lebengefährtin) das 50. Lebensjahr vollendet hat und einen Grad der Behinderung von mindestens 50 % aufweist, so ist in jedem Fall eine Erhöhung der Einkommensgrenzen um 50 % vorzunehmen; der Nachweis der Behinderung hat gemäß § 14 Behinderteneinstellungsgesetz zu erfolgen."

Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides bezog der Ehegatte der Beschwerdeführerin ab Juli 1991 ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von S 11.423,24. Von diesem Einkommen hat die belangte Behörde aber die sogenannte Freigrenze im Sinne des § 6 Abs. 1 Notstandshilfeverordnung in Abzug gebracht und nur den diese Freigrenze übersteigenden Teil des Einkommens auf die Notstandshilfe angerechnet.

Die Beschwerdeführerin macht nur geltend, ein "berücksichtigungswürdiger Fall" im Sinn des § 6 Abs. 4 Notstandshilfeverordnung läge in ihrem Fall vor, weshalb ein den von der belangten Behörde zuerkannten Erhöhungsbetrag von S 550,-- übersteigender Betrag in Anrechnung zu bringen gewesen wäre.

Die Berücksichtigungswürdigkeit nach § 6 Abs. 4 Notstandshilfeverordnung gestattet keine Ermessensentscheidung. Es handelt sich hiebei vielmehr um einen sogenannten unbestimmten Gesetzesbegriff, der Gebundenheit der Behörde nach sich zieht. Liegt daher Berücksichtigungswürdigkeit vor, ist die Möglichkeit zur Erhöhung der Freigrenze gegeben, wobei es - erst hier - im Ermessen der Behörde steht, ob bei Geltendmachung erhöhte Aufwendungen die Freigrenze um 50 % oder darunter erhöht wird (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. September 1967, Zl. 793/67). Für das Ausmaß der Erhöhung ist die Höhe der berücksichtigungswürdigen Aufwendungen maßgebend. Wenn diese Aufwendungen 50 % der Freigrenze übersteigen, kann nur maximal um 50 % andernfalls höchstens um den Betrag der Aufwendungen erhöht werden. Solche Aufwendungen sieht die Beschwerdeführerin im wesentlichen darin, daß für sie durch die auch von der belangten Behörde festgestellte Erkrankung Mehrkosten, nämlich Rezeptgebühren, Diätkosten und Kosten für Ausflüge in abgasärmere Gebiete, entstehen. Weder in der Berufung noch in deren Ergänzung vom 23. Oktober 1991 wurden jedoch die der Beschwerdeführerin erwachsenden krankheitsbedingten Mehraufwendungen konkret beziffert bzw. für deren Höhe entsprechende Nachweise vorgelegt.

Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen sei oder nicht.

Nach § 60 AVG sind in der Bescheidbegründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtslage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Diesen Grundsätzen entspricht der angefochtene Bescheid:

Die Beschwerdeführerin machte zwar das Vorliegen eines berücksichtigungswürdigen Falles im Sinn des § 6 Abs. 4 Notstandshilfeverordnung für sich geltend, weil sie an verschiedenen im einzelnen genannten chronischen Erkrankungen leide, sie ist aber dadurch, daß sie die von ihr bekämpften Mehraufwendungen im Verwaltungsverfahren (und auch in der Beschwerde) nicht beziffert und auch keine Unterlagen dazu vorgelegt hat, aus denen abgeleitet werden könnte, daß die Freigrenzenerhöhung, welche die belangte Behörde (ohnehin) vorgenommen hat, ermessensfehlerhaft wäre, ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen (zur Mitwirkungspflicht bei begünstigenden Verwaltungsakten vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Dezember 1986, Zl. 85/08/0122).

Es kann keineswegs als "klar erkennbar" gelten, daß ein monatlicher Erhöhungsbetrag von S 550,-- die Mehrausgaben an Rezeptgebühren, Diätkosten und Kosten für "Ausflüge in abgasärmere Gebiete", die im übrigen zwar krankheitsbedingt indiziert sein mögen, die aber als Kosten der Krankenbehandlung nicht anerkannt werden könnten, nicht angemessen berücksichtigt oder daß er gar "bei weitem zu niedrig angesetzt", wäre. Die Begründung der belangten Behörde erweist sich unter diesen Umständen als ausreichend. Dabei ist die Orientierung an den Sätzen des Bundesministeriums für Finanzen (hier S 550,--) nicht rechtswidrig, solange keine höheren Ausgaben konkret nachgewisen werden.

Aus all dem ergibt sich, daß die von der Beschwerdeführerin aufgezeigte oder auch eine andere von Amts wegen wahrzunehmende Rechtswidrigkeit dem angefochtenen Bescheid nicht anhaftet, weshalb die Beschwerde als unbegründet abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte