VwGH 92/06/0243

VwGH92/06/024317.11.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde des 1. F und des 2. A, beide in W und beide vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Gemeinderat der Gemeinde Krakauhintermühlen wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Bauangelegenheit, folgenden Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §1 Abs1;
AVG §38;
AVG §39 Abs2;
AVG §56;
AVG §63;
AVG §64a Abs1;
AVG §64a Abs2;
AVG §68 Abs1;
AVG §73 Abs2;
VwGG §27;
VwGG §33 Abs1;
AVG §1 Abs1;
AVG §38;
AVG §39 Abs2;
AVG §56;
AVG §63;
AVG §64a Abs1;
AVG §64a Abs2;
AVG §68 Abs1;
AVG §73 Abs2;
VwGG §27;
VwGG §33 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Aus der vorliegenden Säumnisbeschwerde und den weiteren von den Beschwerdeführern vorgelegten Unterlagen und erstatteten Äußerungen ergibt sich folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt:

Am 14. November 1991 suchten die Beschwerdeführer um die Erteilung einer Baubewilligung für einen Wohnhausneubau auf einem näher bezeichneten Grundstück der Gemeinde Krakauhintermühlen an.

Mit Bescheid vom 8. April 1992 wurde dieses Verfahren vom Bürgermeister als Baubehörde erster Instanz gemäß § 38 AVG ausgesetzt. Begründend wurde im genannten Bescheid ausgeführt, daß eine Baubewilligung gemäß § 62 der Steiermärkischen Bauordnung eine Widmung nach § 2 der Steiermärkischen Bauordnung voraussetze, im gegenständlichen Falle raumordnungsrechtliche Fragen noch ungeklärt seien und mit der Raumordnungsbehörde zu besprechen seien (Hintergrund der Rechtsauffassung der Gemeindebehörde ist die Meinung, daß die 1978 für das gegenständliche Grundstück erteilte Widmung ex lege erloschen sei).

Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer am 23. April 1992 Berufung. Nachdem innerhalb von sechs Monaten keine Berufungsentscheidung ergangen war, erhoben die Beschwerdeführer die vorliegende Säumnisbeschwerde.

Nach Einleitung des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens erging eine Berufungsvorentscheidung des Bürgermeisters der Gemeinde Krakauhintermühlen über die Berufung vom 23. April 1992 gegen den Aussetzungsbescheid. Gegen diese Berufungsvorentscheidung wurde von den Beschwerdeführern am 22. Dezember 1992 rechtzeitig ein Vorlageantrag gestellt. Auch nach diesem Vorlageantrag erging keine Entscheidung des Gemeinderates über die Berufung gegen den Bescheid, mit dem die Aussetzung des Verfahrens verfügt worden war.

In dem Verfahren betreffend die Widmung für das gegenständliche Grundstück erging zwischenzeitig ein Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Krakauhintermühlen, in dem Aufträge zu Arbeiten zur Baureifmachung erteilt wurden. Eine gegen den Bescheid eingebrachte Berufung der Beschwerdeführer wurde (nachdem zunächst Säumnis eingetreten war und auch in diesem Verfahren Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben worden war) vom Gemeinderat abgewiesen. Aufgrund der Vorstellung der Beschwerdeführer wurde dieser Bescheid von der Steiermärkischen Landesregierung mit Bescheid vom 1. Juli 1993 aufgehoben. Begründend führte die Landesregierung im wesentlichen aus, daß sich Widmungsverpflichtungen, die nach Fristsetzung zu erfüllen wären, aus dem ursprünglichen Widmungsbewilligungsbescheid ergeben müßten. Auflagen im Sinne des § 3 Abs. 4 der Steiermärkischen Bauordnung könnten nur zu Lasten des Widmungswerbers erteilt werden. Stehe im Zeitpunkt der Entscheidung über das Widmungsansuchen fest, daß der Bewilligungswerber rechtlich nicht in der Lage wäre, eine der Sicherung der Bewilligungsvoraussetzungen dienende Auflage zu erfüllen, könne ihm auch ein Rechtsanspruch auf Bewilligung unter einer solchen Auflage nicht eingeräumt werden. Der verfahrensgegenständliche Widmungsbewilligungsbescheid enthalte keine Widmungsverpflichtungen, welche in Form von Auflagen hätten erteilt werden müssen. Eine nachträgliche Fristsetzung in Verbindung mit erstmalig erteilten Auflagen sei im Gesetz nicht vorgesehen.

Dieser Vorstellungsbescheid blieb - auch seitens der Gemeinde - unbekämpft.

Die belangte Behörde hat zur Säumnisbeschwerde keine Äußerung (§ 36 Abs. 2 VwGG) erstattet und auch keine Verwaltungsakten vorgelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zu den Prozeßvoraussetzungen:

Gemäß Art. 132 B-VG iVm § 27 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Weg eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat (da der Instanzenzug im Verfahren betreffend die Aussetzung des Baubewilligungsverfahrens jenem in der Hauptsache folgt, liegt eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches vor, für die der Instanzenzug auch im Land Steiermark beim Gemeinderat endet). Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.

Da über die Berufung vom 23. April 1992 eine Berufungsvorentscheidung gemäß § 64a AVG ergangen ist und von den Beschwerdeführern der Vorlageantrag gemäß § 64a Abs. 2 AVG rechtzeitig gestellt wurde, ist zunächst zu prüfen, ob das ursprünglich zulässige Säumnisbeschwerdeverfahren vom Verwaltungsgerichtshof fortzusetzen ist (auch eine Einstellung des Verfahrens setzt die Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde voraus (vgl. die

hg. Beschlüsse vom 18. Dezember 1992, Zl. 92/17/0222, vom 30. September 1993, Zl. 92/17/0223 und 11. Februar 1994, Zl. 93/17/0206).

Wie der Verwaltungsgerichtshof zum Rechtsinstitut der Berufungsvorentscheidung im Abgabenverfahren ausgesprochen hat, wird der Beschwerdeführer durch die Erlassung einer Berufungsvorentscheidung im Abgabenverfahren klaglos gestellt im Sinne des § 33 Abs. 1 VwGG. Zu dieser Auffassung kam der Verwaltungsgerichtshof aber im Hinblick darauf, daß mit der Einbringung eines Vorlageantrages nach den abgabenverfahrensrechtlichen Bestimmungen die Berufungsvorentscheidung nicht außer Kraft tritt (vgl. zB. den hg. Beschluß vom 22. November 1968, Slg. Nr. 3815/F oder das Erkenntnis vom 28. März 1991, Zl. 90/17/0449).

Da gemäß § 64a Abs. 2 AVG die Berufungsvorentscheidung mit der Einbringung eines rechtzeitigen Vorlageantrages außer Kraft tritt, ist im Bereich des AVG mit der Einbringung eines Vorlageantrages sowohl die Berufung wieder unerledigt, als auch keine dem Rechtsbestand angehörende Entscheidung über die Berufung vorhanden. Der Gesetzgeber des AVG hat anläßlich der Novelle des AVG im Jahre 1990, mit welcher § 64a AVG eingeführt wurde, auch davon Abstand genommen, etwa die Berechnung der Frist gemäß § 73 Abs. 2 AVG neu zu regeln. Auch § 27 VwGG wurde in diesem Zusammenhang nicht novelliert. Dies spricht dafür, das Verwaltungsgeschehen aufgrund einer Berufung nach AVG insoweit als eine Einheit aufzufassen, als die allfällige Säumnis im Sinne des § 73 Abs. 2 AVG und § 27 VwGG im Falle einer Berufung gemäß § 63 AVG und nachfolgender Berufungsvorentscheidung und Stellung eines Vorlageantrages nach § 64a AVG im Hinblick auf den (URSPRÜNGLICHEN) BERUFUNGSANTRAG anzunehmen ist und nicht etwa hinsichtlich einer Entscheidung über den Vorlageantrag. Eine eigene Säumnis hinsichtlich des Vorlageantrages kann nicht eintreten, da gemäß § 64a AVG nicht über den Vorlageantrag zu entscheiden ist, sondern der Vorlageantrag nur die Entscheidungspflicht der Berufungsbehörde über die Berufung konkretisiert. Der Vorlageantrag bewirkt, daß die Berufungsbehörde über die Berufung zu entscheiden hat; es ist damit neuerlich eine Entscheidungspflicht hinsichtlich des "ursprünglichen" Berufungsantrages gegeben; hinsichtlich dieser Entscheidungspflicht kann Säumnis eintreten. Es ist somit nicht ein eigenständiges Säumnisbeschwerdeverfahren aufgrund der nicht zeitgerechten Entscheidung nach Stellung des Vorlageantrages erforderlich. Die sechsmonatige Entscheidungsfrist des § 27 VwGG läuft nicht ab der Einbringung des Vorlageantrages, sondern ab der Einbringung des Berufungsantrages.

Es ist daher im Beschwerdefall davon auszugehen, daß durch die Erlassung der Berufungsvorentscheidung die Säumnis mit der Entscheidung über den Berufungsantrag nicht weggefallen ist, da ein Vorlageantrag gestellt wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof ist daher zuständig, über die Berufung aufgrund der vorliegenden Säumnisbeschwerde in der Sache zu entscheiden. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Berufungsvorentscheidung im Beschwerdefall außerhalb der von § 64a AVG normierten Zweimonatsfrist ergangen ist. Die sich insofern ergebende Unzuständigkeit der die Berufungsvorentscheidung erlassenden Behörde beseitigt nämlich nicht die Entscheidungspflicht der Berufungsbehörde in der Sache. Es ist im Falle der unzuständiger Weise erlassenen Berufungsvorentscheidung - anders als in jenem Fall, in dem die Behörde erster Instanz unzuständig war, eine erstinstanzliche Entscheidung in der Sache zu erlassen - nämlich kein Raum für eine (bloße) Aufhebung der Entscheidung durch die Berufungsbehörde, da die unzuständiger Weise erlassene Berufungsvorentscheidung durch den Vorlageantrag außer Kraft tritt. Dies ist auch dann anzunehmen, wenn die Berufungsvorentscheidung erst nach Ablauf der Zweimonatsfrist ergeht, da ansonsten ein gesondertes verwaltungsgerichtliches Verfahren über die unzuständiger Weise ergangene Berufungsvorentscheidung zu führen wäre; die letztere Lösung verbietet sich aus Gründen der Verfahrensökonomie. Es ist vielmehr umgekehrt davon auszugehen, daß der Gesetzgeber mit dem Vorlageantrag auch ein im Fall der verspüteten Erlassung einer Berufungsvorentscheidung wirksames Rechtsschutzinstrument zur Verfügung gestellt hat.

2. Gemäß § 38 Abs. 2 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof dann, wenn die Behörde die Akten nicht vorgelegt hat und der Gerichtshof die Behörde auf diese Säumnisfolge vorher ausdrücklich hingewiesen hat, berechtigt, aufgrund der Behauptung des Beschwerdeführers zu erkennen.

In der Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. November 1992, der Gemeinde Krakauhintermühlen zugestellt am 12. Dezember 1992, ist auf die Rechtsfolge des § 38 Abs. 2 VwGG ausdrücklich hingewiesen.

Der Verwaltungsgerichtshof ist daher berechtigt, aufgrund der Sachverhaltsdarstellung in der Beschwerde und den ergänzenden Schriftsätzen zu erkennen.

3. Da ein Bescheid, mit dem ein Verwaltungsverfahren gemäß § 38 AVG wegen einer Vorfrage (über die bereits ein Verfahren anhängig ist oder wegen der gleichzeitig ein Verfahren anhängig gemacht wird) ausgesetzt wird, nur solange Rechtswirkungen entfaltet, als das Verfahren, in dem über die Vorfrage abzusprechen ist, nicht rechtskräftig entschieden ist, ist im Beschwerdefall von ausschlaggebender Bedeutung, welche Wirkung die Vorstellungsentscheidung vom 1. Juli 1993 für das mit dem angefochtenen Bescheid ausgesetzte Verfahren hat (vgl. das hg. Erkenntnis VwSlg. 3359 A/1954).

4. Da die in erster Instanz verfügte Aussetzung des Baubewilligungsverfahrens mit den "noch zu klärenden raumordnungsrechtlichen Fragen" begründet wurde, ist zu prüfen, ob mit der Vorstellungsentscheidung - insbesondere aufgrund ihrer Bindungswirkung - eine Klärung der von den Gemeindebehörden gesehenen "offenen raumordnungsrechtlichen Fragen" herbeigeführt wurde. Dies ist zu bejahen. Die Begründung der Vorstellungsentscheidung geht insbesondere dahin, daß eine Erteilung von Aufträgen unter Fristsetzung, wie sie der erstinstanzliche Bescheid im Widmungsverfahren vorgenommen hatte, nach § 3 Abs. 4 der Steiermärkischen Bauordnung (bzw. sonstigen Vorschriften des Bau- und Raumordnungsrechtes des Landes Steiermark) nicht zulässig sei. Da diese Vorstellungsentscheidung unbekämpft blieb, entfaltet sie im weiteren Widmungsverfahren (ohne daß zu prüfen ist, ob die entsprechende Rechtsauffassung zutreffend ist oder nicht) Bindungswirkung sowohl für die Parteien als auch die Gemeindebehörden und den Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Säumnisbeschwerdeverfahren.

Aus der genannten Vorstellungsentscheidung ergibt sich aber, daß die ursprünglich erteilte Widmung - im Gegensatz zu der anscheinend von den Gemeindebehörden vertretenen Auffassung - nicht außer Kraft getreten ist. Zudem wurden die erteilten Aufträge im Hinblick auf die von der Landesregierung vertretene Unzulässigkeit gemäß § 3 Abs. 4 der Steiermärkischen Bauordnung 1968 aufgehoben. Sonstige Hindernisse, die trotz der damit rechtlich gegebenen Widmungsbewilligung in raumordnungsrechtlicher Hinsicht einem Abschluß des Baubewilligungsverfahrens entgegenstünden, sind aus den vorgelegten Schriftsätzen und Bescheiden nicht zu entnehmen.

5. Gleichgültig, ob zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens vorgelegen sind oder nicht, haben die Wirkungen des angefochtenen Bescheides daher mit der Erlassung der Vorstellungsentscheidung vom 1. Juli 1993 geendet. Das von den Beschwerdeführern angestrebte Verfahrensziel, die Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für die Fortsetzung des Baubewilligungsverfahrens, ist auf andere Weise als durch Nachholung des versäumten Bescheids erreicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 1991, Zl. 91/12/0037). Es besteht daher kein rechtliches Interesse der Beschwerdeführer an einem Ausspruch über den dem Säumnisbeschwerdeverfahren zugrunde liegenden Bescheid (vgl. den zitierten Beschluß vom 21. Oktober 1991 sowie den Beschluß vom 20. Jänner 1989, Zlen. 88/17/0154, 0172, 0173, 0198).

6. Die Behörde erster Instanz wird im fortgesetzten Verfahren über den von den Beschwerdeführern gestellten Antrag in der Sache zu entscheiden haben.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG. Da die Einstellung nicht aufgrund einer Klaglosstellung erfolgt, liegt kein Fall des § 56 VwGG vor. Kosten waren daher nicht zuzusprechen (§ 58 VwGG; vgl. die bereits zitierten Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes).

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