VwGH 92/03/0008

VwGH92/03/000826.5.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Sauberer und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Werner, über die Beschwerde des J in R, vertreten durch Dr. D, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 29. November 1991, Zl. 8V-1638/2/1991, betreffend Übertretungen der StVO 1960, zu Recht erkannt:

Normen

StVO 1960 §4 Abs1 litc;
VStG §19;
StVO 1960 §4 Abs1 litc;
VStG §19;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. c StVO 1960 einschließlich des damit zusammenhängenden Ausspruches über die Strafe und die Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Das Land Kärnten hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 29. November 1991 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt,am 18. Dezember 1988 gegen

21.15 Uhr als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws auf der Südautobahn A 2 von Klagenfurt kommend in Richtung Villach an einem bestimmten Ort nach der Beschädigung einer Leitschiene es unterlassen zu haben, sofort anzuhalten und an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken zumal, er an der Unfallstelle bei der Unfallaufnahme vorerst bestritten habe, der Lenker des Fahrzeuges gewesen zu sein, weshalb er Übertretungen gemäß § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960 und § 4 Abs. 1 lit. c leg. cit. begangen habe. Es wurden über ihn deshalb Geldstrafen von insgesamt S 8.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafen insgesamt 10 Tage) verhängt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, in eventu den Bescheid allenfalls nur wegen der Höhe der verhängten Geldstrafen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsstrafakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1) Zur Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960:

Der Beschwerdeführer rügt zunächst, daß die belangte Behörde nicht beachtet habe, daß er zum Zeitpunkt der angelasteten Verwaltungsübertretungen deliktsunfähig gewesen sei und daß bei ihm kein Verschulden vorgelegen sei. Die belangte Behörde hätte zu dieser Frage von Amts wegen ein Gutachten einholen müssen.

Der Beschwerdeführer hat diesbezüglich im Verwaltungsstrafverfahren vorgebracht, daß die Geschehnisse unmittelbar nach dem Unfall "unter dem Aspekt einer unfallbedingten psychischen Ausnahmesituation zu sehen" seien und bei ihm "sicher" ein "massiver Schockzustand" vorgelegen sei, der durch den Unfall ausgelöst worden sei. Der Beschwerdeführer hat jedoch ein konkretes Vorbringen, woraus geschlossen hätte werden können, daß bei ihm ein über einen Unfallschrecken hinausgehender Zustand eines Unfallschocks vorgelegen sei, nicht erstattet. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch ein sogenannter Unfallschock nur in besonderes gelagerten Fällen und bei GRAVIERENDEN psychischen Ausnahmesituationen das Unterlassen eines pflichtgemäßen Verhaltens entschuldigen. Einem dispositionsfähig gebliebenen Unfallbeteiligten ist trotz eines sogenannten "Unfallschrecks" in Verbindung mit einer begreiflichen affektiven Erschütterung pflichtgemäßes Verhalten zumutbar, weil von einem Kraftfahrer, welcher die Risken einer Teilnahme am Straßenverkehr auf sich nimmt, ein solches Maß an Charakter und Willensstärke zu verlangen ist, daß er den Schreck über den Unfall und die etwa drohenden Folgen zu überwinden vermag (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. September 1991, Zl. 91/02/0055, mit weiteren Judikaturhinweisen). Schon im Hinblick auf das situationsbezogene - die Täterschaft mit konkreten Argumenten leugnende - Verhalten des Beschwerdeführers an Ort und Stelle war es für die belangte Behörde entbehrlich, über seine Zurechnungsfähigkeit ein ärztliches Sachverständigengutachten einzuholen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 1992, Zlen. 92/02/0195, 0196).

Insoweit der Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren in seinem anwaltlichen Schriftsatz vom 27. September 1989 seine Erinnerungslücken an Ort und Stelle damit zu erklären suchte, daß er beim gegenständlichen Unfall mit seinem Kopf "entweder an die Windschutzscheibe oder aber an die Seitenscheibe gestoßen" sei und hiebei eine Gehirnerschütterung mit einer retrograden Amnesie erlitten hätte, setzt er sich mit seinen eigenen, zuvor gemachten Angaben in Widerspruch. Nach seiner vorerst leugnenden Verantwortung bei Betretung durch die Gendarmeriebeamten hatte der Beschwerdeführer nämlich bei seiner Einvernahme am 20. Dezember 1988 - somit zwei Tage nach der Tat - ausgesagt, er habe vor Fahrtantritt ca. 3/4 Liter Wein, einen Aperitif (ein Stamperl Schnaps) und zwei Kaffee getrunken und selbst bei der gegenständlichen Fahrt das Fahrzeug gelenkt, wobei er nicht das Gefühl gehabt hätte, daß er alkoholisiert gewesen sei. Auf der Autobahnabfahrt sei er mit dem Fahrzeug, vermutlich wegen der holprigen Fahrbahn, ins Schleudern gekommen und in der Folge mit der linken Fahrzeugseite gegen die rechten Leitschienen gestoßen, wobei das Fahrzeug links leicht beschädigt worden sei.

Erinnerungslücken erklärte der Beschwerdeführer hiebei damit, daß er "die ganze Woche und so auch am 18.12.1988" Tabletten wegen Halsschmerzen zu sich genommen und das Zusammenwirken von Alkohol und Tabletten sein "merkwürdiges" Verhalten ausgelöst habe. Weder nach dem Inhalt dieser Vernehmung noch auf Grund der Aussagen der Gendarmeriebeamten (und auch nicht auf Grund der Angaben der übrigen Vernommenen) hatte die belangte Behörde einen Anhaltspunkt dafür, der Beschwerdeführer sei durch den Unfall so geschockt oder verwirrt oder auf Grund einer unfallbedingten Kopfverletzung in einem Zustand gewesen, daß zumindest Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 VStG angenommen werden müßten.

Schuldausschließungsgründe sind beim Beschwerdeführer daher nicht gegeben.

Insoweit der Beschwerdeführer das Vorliegen eines Sachschadens bestreitet, bekämpft er - ebenso wie mit seinen Auführungen zur Aussage des Zeugen Mayrhofer - inhaltlich die Beweiswürdigung der belangten Behörde, wobei an der bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu seiner diesbezüglichen Kontrollbefugnis, die sich nur auf die Vollständigkeit des ermittelten Sachverhaltes und die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung zu erstrecken hat (vgl. u.a. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) festzuhalten ist. Die belangte Behörde hat nicht nur den maßgeblichen Sachverhalt vollständig dargestellt, sondern auch im Rahmen der Beweiswürdigung, insbesondere auch zur Beschädigung an der Leitschiene, aufgezeigt, warum sie den Angaben der Gendarmeriebeamten gefolgt ist.

Was die Anhaltepflicht des Beschwerdeführers nach § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960 anlangt, ist ihm zu entgegnen, daß wohl Voraussetzung für diese als objektives Tatbildmerkmal der Eintritt eines Sachschadens und in subjektiver Hinsicht das Wissen vom Eintritt eines derartigen Schadens ist; der Tatbestand ist aber schon dann erfüllt, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewußtsein gekommen sind ODER BEI GEHÖRIGER AUFMERKSAMKEIT ZU BEWUßTSEIN HÄTTEN KOMMEN MÜSSEN, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermochte (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Dezember 1992, Zl. 91/03/0298, mit weiterem Judikaturhinweis). Schon im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer - wie er selbst bei seiner Vernehmung am 20. Dezember 1988 zugestand - einwandfrei erkannte, daß er mit seinem Fahrzeug gegen die Leitschiene gestoßen war und sein Fahrzeug beschädigt wurde, hätte er bei gehöriger Aufmerksamkeit auch erkennen müssen, daß an der Leitschiene eine Sachbeschädigung nicht auszuschließen ist. Insoweit der Beschwerdeführer rügt, es sei unterlassen worden, von ihm selbst angefertigte, der Bezirkshauptmannschaft St. Johann zur Verfügung gestellte Lichtbilder beizuschaffen, ist ihm zu entgegnen, daß er selbst im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht einen Abzug der Photos auch der belangten Behörde hätte vorlegen müssen. Daß er hieran gehindert gewesen wäre, hat er nicht geltend gemacht. Der vom Beschwerdeführer beantragte Ortsaugenschein ist nicht geeignet, Aufschlüsse über das Tatgeschehen zu liefern. Daß ihm das sofortige Anhalten auf Grund der Gegebenheiten an der Unfallsörtlichkeit nicht möglich gewesen wäre, hat sich nicht ergeben. Der vom Beschwerdeführer behauptete "Verdacht", daß bei den Bremsen ein technisches Versagen vorliegen hätte können, "sodaß ein Ausrollen sinnvoll war", hindert nicht die Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960. Auch seine Ausführungen, sein Fahrzeug sei defekt gewesen und die belangte Behörde hätte hiezu einen Vertreter einer namentlich genannten Kfz-Firma einvernehmen und ein technisches Gutachten einholen müssen, ist schon im Hinblick darauf, daß er bei seiner Einvernahme am 20. Dezember 1988 zu diesem Thema bloß darauf verwiesen hatte, daß sich das Fahrzeug "in der Folge nicht mehr starten ließ", für die Tatbildmäßigkeit der zuvor genannten Gesetzesstelle nicht relevant.

Mit dem Hinweis, die belangte Behörde habe als Tatzeit "gegen 21.15 Uhr" angenommen, vermag der Beschwerdeführer keinen Verstoß gegen § 44a lit. a VStG aufzuzeigen. Sowohl die Tatzeit als auch der Tatort sind eindeutig und ausreichend konkretisiert, um den Beschwerdeführer davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden.

Zur Strafbemessung rügt der Beschwerdeführer, die belangte Behörde habe nicht berücksichtigt, daß die angelasteten Verwaltungsübertretungen schon länger zurückliegen und daß er sich seit damals wohlverhalten habe. Diesem Wohlverhalten seit Begehung der Übertretung kommt jedoch nicht die vom Beschwerdeführer zugedachte Bedeutung zu (vgl. Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, 793 f, und die darin zitierten Judikaturhinweise). Die von der belangten Behörde - in Billigung des Straferkenntnisses der Erstbehörde - wegen Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960 verhängte Strafe ist daher nicht überhöht.

Die vorliegende Beschwerde erweist sich somit, was die Bestrafung wegen Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960 anlangt, als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

2) Zur Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. c StVO 1960:

Mit Recht rügt der Beschwerdeführer, daß diese Gesetzesbestimmung nicht dazu dient, unter Strafdrohung ein Geständnis zu erzwingen. Der Tatbestand einer Verwaltungsübertretung nach der zitierten Bestimmung wird auch nicht von jener Person verwirklicht, die zunächst ein Verschulden am Verkehrsunfall bestritten hat (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Jänner 1985, Zl. 85/18/0008). Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer mit dem von ihr bestätigten Schuldspruch der Behörde erster Instanz vorgeworfen, daß er - zum Personenkreis des § 4 Abs. 1 StVO 1960 gehörend - es unterlassen habe, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken, "zumal er an der Unfallstelle bei der Unfallaufnahme vorerst bestritten habe, der Lenker des Kombi gewesen zu sein". Damit hat sie zum Ausdruck gebracht, daß er verpflichtet gewesen wäre, seine "Beteiligung" am Unfall zuzugeben, also ein Geständnis abzulegen. Diese Verpflichtung ergibt sich aus der genannten Gesetzesstelle jedoch nicht. Der - aus den Gründen des angefochtenen Bescheides hervorgehende - Umstand, daß der Beschwerdeführer die Unfallstelle vorzeitig verlassen hat, ist von der Tatumschreibung im Spruch des angefochtenen Bescheides im Sinne des § 44a lit. a VStG nicht umfaßt.

Die Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. c StVO 1960 erfolgte daher nicht zu Recht, weshalb der diesbezügliche Teil des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren betrifft Stempelgebühren für nicht erforderliche Beilagen.

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