VwGH 92/01/0790

VwGH92/01/079017.2.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des A in W, geb. am 13.5.1954, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Juni 1992, Zl. 4.294.770/6-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland vom 10. Mai 1991 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer - ein tunesischer Staatsangehöriger, der am 11. Dezember 1989 in das Bundesgebiet eingereist ist - nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Juni 1992 gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat anläßlich seiner ersten Befragung im Asylverfahren am 10. Jänner 1990 angegeben, in Tunesien "einer Minderheit einer Berbergruppe" angehört zu haben. In den Jahren 1978 bis 1980 habe es in Tunesien Unruhen im Zusammenhang mit Arbeiterprotesten gegeben. Er habe sich daran beteiligt und in der Folge das Land verlassen. In Tunesien wäre er wegen seiner Beteiligung an den Unruhen sofort festgenommen worden. Auf Grund dieser Umstände, seiner persönlichen Verhältnisse privater Natur, aber auch seiner Anschauung "über die Probleme der Palästinenser" sei er vorerst 1980 der Gruppe des Georges Habasch (einer eigenen Kampfgruppe der Palästinenser) und dann 1983 der El Fatah beigetreten und habe in der Folge im Libanon gegen die Israelis gekämpft. Er habe sich dann mit seiner Mutter in Algerien getroffen, sei aber dort "im September" festgenommen, einen Monat lang festgehalten und "auf Wunsch der Tunesier" an Tunesien ausgeliefert worden, wo er sechs Monate ohne Gerichtsurteil eingesperrt, "über die verschiedenen Organisationen in Tunis" befragt und hiebei mißhandelt worden sei. "Neben Schlägen" sei sein Kopf in einen Ring gesteckt worden, der dann zusammengeschraubt worden sei, wovon die bei ihm noch sichtbaren Narben am Kopf herrührten. Er sei auch mit Elektroschocks gequält worden. Man habe von ihm auch wissen wollen, ob er Waffen nach Tunesien geschmuggelt habe. Da er nichts zugegeben habe, man ihm nichts habe beweisen können und auch auf Grund einer Amnestie sei er freigelassen worden. Zwölf Tage danach sei er aber wieder festgenommen und abermals für fünf Monate ohne Gerichtsurteil eingesperrt worden. Er sei neuerlich vernommen und mißhandelt worden. Der Grund für die zweite Festnahme sei gewesen, daß tunesische Studenten fälschlich behauptet hätten, er habe sie anläßlich des Treffens mit seiner Mutter zu überreden versucht, im Libanon auf seiten der El Fatah gegen Israel zu kämpfen. Er sei wieder "im Oktober 1978" entlassen worden. Er sei dann nach Lybien geflüchtet und habe dort wieder mit der El Fatah Kontakt aufgenommen, die ihn wieder in den Libanon geschickt habe. Die Frage, warum er konkret geflüchtet sei, beantwortete er damit, daß es auf Grund der verworrenen Situation im Libanon "nun so" sei, daß er zur Zeit "nicht nur mehr gegen die Israelis sondern auch gegen die Syrer, die meine Brüder sind, kämpfen sollte". Da er nicht mehr habe kämpfen wollen "und schon gar nicht gegen die Syrer", habe er, um von dort wegzukommen, keinen anderen Ausweg als die Flucht gesehen.

Am 5. April 1991 wurde der Beschwerdeführer neuerlich niederschriftlich vernommen. Hiebei schilderte er näher seine Teilnahme an Kampfhandlungen im Libanon gegen die Israelis vorerst im Rahmen der Gruppe des Georges Habasch und dann seit 1983 "bis zur Flucht nach Österreich" der El Fatah. Er ergänzte, daß seine bereits vorgebrachten Haftzeiten als "politischer Häftling" in Tunesien vom 7. Juni bis 7. Dezember 1988 und vom 19. Dezember 1988 bis 19. Mai 1989 gedauert hätten. Der Grund seiner Inhaftierung sei einerseits gewesen, daß die tunesische Regierung dagegen sei, daß er "als Mitglied der vorangeführten Organisationen" für diese gekämpft habe, und andererseits, daß er sich in Algerien mit verschiedenen Studentengruppen getroffen habe, "welche sich negativ gegen das tunesische Regime äußerten", und er dabei von "Spitzel" beobachtet und angezeigt worden sei. Während seiner Inhaftierungen habe die Sicherheitspolizei von ihm Informationen "über die verschiedensten Organisationen der PLO, der Georges Habaschgruppe und der El Fatah, sowie überhaupt über Gruppierungen, welche negativ gegen das tunesische Regime eingestellt sind", erhalten wollen. Er verwies in diesem Zusammenhang nochmals auf die erfolgten Mißhandlungen und die dabei erlittenen Verletzungen, wobei neuerlich ausdrücklich festgehalten wurde, daß der Beschwerdeführer "tatsächlich Narben an der rechten Schläfe und der Stirn" aufweise. Er führte weiters aus, daß er ca. 20 Tage nach seiner letzten Haftentlassung nach Lybien geflüchtet sei. Außer auf Grund der erlittenen Verfolgungen habe er sein Heimatland deshalb verlassen, weil er "dort auch künftig keine Ruhe gehabt hätte und ständig Mißhandlungen und Schikanen durch die dortige Polizei ausgesetzt gewesen wäre". Auch habe er als Seemann nicht mehr arbeiten können, weil er bei Kampfhandlungen gegen die Israelis eine Splitterverletzung erlitten habe und dadurch sein rechtes Bein nicht mehr voll belasten könne. Seit seiner Flucht sei er nicht mehr in Tunesien gewesen, und er sei "unter den gegebenen Umständen des dortigen Regimes auch nicht bereit und gewillt, dorthin zurückzukehren". Er fügte hinzu, daß, während die PLO ihren Hauptsitz in Tunis habe, die Gruppe des Georges Habasch und die El Fatah ihren Hauptsitz in Damaskus hätten und diese beiden Organisationen in Tunesien verboten seien und dort verfolgt würden. Abschließend gab er an, daß er "von Palästina und den ganzen Kampfhandlungen im Nahen Osten endgültig genug habe und mir in einem freien Land eine neue Existenz gründen möchte um in Ruhe leben zu können".

In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid bekräftigte der Beschwerdeführer im wesentlichen seine bisherigen Angaben, aus denen sich seiner Ansicht nach ergebe, daß er Tunesien aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus politischen Gründen verlassen habe und er auf Grund der erlittenen Verfolgungen in Tunesien bei seiner Rückkehr "mit erneuten Verfolgungshandlungen, auch mit Haft und erneuten Mißhandlungen", aus politischen Gründen rechnen müsse.

Die belangte Behörde vertrat in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Auffassung, daß "das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere auch Ihre niederschriftliche Einvernahme", keine Anhaltspunkte dafür ergeben habe, daß der Beschwerdeführer "Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes" sei. Hinsichtlich ihrer Ansicht, dem Beschwerdeführer habe in wesentlichen Punkten kein Glaube geschenkt werden könne, steht ihre Erwägung im Vordergrund, daß es nicht einsichtig sei, warum der Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zu den erwähnten Palästinenserorganisationen in einem arabischen Land wie Tunesien verfolgt werden sollte.

Der Beschwerdeführer bekämpft mit Recht diesen Teil der Beweiswürdigung. Er hat bereits im Verwaltungsverfahren ausdrücklich behauptet, daß die beiden von ihm genannten Organisationen, deren aktives Mitglied er in zeitlicher Aufeinanderfolge gewesen sei, in Tunesien verboten seien und dort verfolgt würden. Damit hat sich die belangte Behörde überhaupt nicht auseinandergesetzt, obwohl diesbezüglich bereits das erstinstanzliche Ermittlungsverfahren offenkundig mangelhaft war, weshalb sie seine Ergänzung im Sinne des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 - dessen Bestimmungen bei Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits anzuwenden waren - anzuordnen gehabt hätte. Bei Überprüfung der Angaben des Beschwerdeführers wäre allenfalls auch auf § 16 Abs. 1 zweiter Satz leg. cit. Bedacht zu nehmen gewesen, wonach Bescheinigungsmittel erforderlichenfalls von Amts wegen beizuschaffen sind. Durch den bloßen Umstand, daß es sich beim Heimatland des Beschwerdeführers um ein arabisches Land handelt, erscheint seine Behauptung, er sei deswegen, weil er Angehöriger dieser Organisationen (gewesen) und verdächtigt worden sei, versucht zu haben, andere tunesische Staatsangehörige als Kämpfer für die El Fatah anzuwerben, in seinem Heimatland verfolgt worden, keineswegs widerlegt. Gerade deshalb, weil es sich um Kampforganisationen der Palästinenser handelte, denen der Beschwerdeführer angehörte, kann nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden, daß sie in den Augen des herrschenden Regimes in Tunesien eine Gefahr darstellten und daher entsprechende Maßnahmen getroffen wurden.

Das von der belangten Behörde zusätzlich verwendete Argument, der Beschwerdeführer habe nach seinen eigenen Angaben - abgesehen von der weit zurückliegenden Teilnahme an Unruhen in den Jahren 1978 bis 1980 - keine oppositionelle Tätigkeit gegen die tunesische Regierung entfaltet, ist deshalb nicht schlüssig, weil der Beschwerdeführer auch schon allein auf Grund seiner den staatlichen Behörden seines Heimatlandes bekannten, dem dortigen Regime aber allenfalls nicht genehmen politischen Gesinnung Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sein könnte, die bei unveränderten politischen Verhältnissen die Annahme rechtfertigten, daß er für den Fall seiner Rückkehr aus diesem Grunde weitere Verfolgung zu befürchten habe. Die erforderliche Schlüssigkeit fehlt aber auch der weiteren Begründung der belangten Behörde, es sei unglaubwürdig, daß man den Beschwerdeführer "derart massiv zu diesen Organisationen befragt hatte", obwohl er keine führende Position innegehabt habe, lag doch im Hinblick darauf, daß sich der Beschwerdeführer bereits seit langem im Dienste dieser Organisationen befunden hatte, seitens der staatlichen Behörden seines Heimatlandes die Annahme nahe, daß er diesbezüglich über nähere Kenntnisse, die für sie von politischem Interesse sind, verfügt. Der belangten Behörde ist wohl darin beizupflichten, daß eine Verfolgung des Beschwerdeführers wegen des Verdachtes des Schmuggels von Waffen für sich allein nicht aus politischen Gründen erfolgt wäre. Diese Begründung wäre aber nur dann ausreichend, wenn sich der Beschwerdeführer ausschließlich auf diesen Verfolgungsgrund berufen oder die belangte Behörde in mängelfreier Weise - was allerdings nicht zutrifft - sein übriges Vorbringen nicht als glaubhaft angesehen hätte.

Wenn die belangte Behörde ausführt, zusammengefaßt lasse das Vorbringen des Beschwerdeführers erkennen, daß er der allgemeinen politischen Lage im Nahen Osten habe entfliehen wollen, was sich auch aus seiner Antwort auf die konkrete Frage nach seinen Fluchtgründen im Rahmen der ersten Einvernahme ableiten lasse, so übersieht sie hiebei, daß es im vorliegenden Beschwerdefall nicht darum geht, welche Gründe den Beschwerdeführer bewogen haben, den Libanon zu verlassen und nicht mehr auf seiten der El Fatah zu kämpfen. Diese Gründe hätten ihn nämlich nicht daran gehindert, wieder in sein Heimatland zurückzukehren. Lediglich die Gründe, die für den Beschwerdeführer ausschlaggebend waren, dies nicht zu tun, und die mit den Gründen ident sind, die ihn nach seinen Behauptungen zuletzt veranlaßt haben, wieder aus seinem Heimatland auszureisen, sind daher entscheidend. Was schließlich die Begründung der belangten Behörde hinsichtlich der "Verletzungen" des Beschwerdeführers (offenbar gemeint jene, welche im Bereich des Kopfes sichtbar sind) anlangt, diese könnte er genauso wie die von ihm geschilderte Beinverletzung im Rahmen seiner ausgedehnten Kampftätigkeit im Libanon erlitten haben und daher nicht als ausreichendes Indiz für etwaige Mißhandlungen durch die tunesischen Behörden gewertet werden, so ist ihr entgegenzuhalten, daß die bloße Denkmöglichkeit in dieser Richtung nicht genügt, zumal durch die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu dieser Frage zumindest der Versuch hätte unternommen werden müssen, eine entsprechende Sachverhaltsgrundlage zu gewinnen. Zu bemerken ist auch, daß die belangte Behörde nicht die Ansicht vertreten hat, daß der Beschwerdeführer unter Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention falle und ihm daher auf Grund des § 2 Abs. 2 Z. 1 Asylgesetz 1991 kein Asyl zu gewähren sei.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil Stempelgebühren zufolge Bewilligung der Verfahrenshilfe nicht aufgelaufen sind.

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