VwGH 92/01/0742

VwGH92/01/074222.2.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Bernegger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerden 1. der N S, mit den minderjährigen Kindern R, B und E, sowie 2. des A, alle in M, alle vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in M, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres jeweils vom 10. April 1992, Zlen. 4.331.268/3-III/13/92 (betreffend die Erstbeschwerdeführerin und die minderjährigen Kinder, hg. Zl. 92/01/0742) und 4.331.268/2-III/13/92 (betreffend den Zweitbeschwerdeführer, hg. Zl. 92/01/0743), jeweils betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

1. Der vom Zweitbeschwerdeführer angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Zweitbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. Die von der Erstbeschwerdeführerin erhobene Beschwerde wird hingegen als unbegründet abgewiesen.

Die Erstbeschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres jeweils vom 10. April 1992 wurden die Berufungen der beschwerdeführenden Parteien (Staatsangehörigkeit: "Jugoslawien") gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 22. Jänner 1992 (hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers) bzw. vom 18. Februar 1992 (hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin mit den minderjährigen Kindern) abgewiesen und ausgesprochen, daß die Beschwerdeführer nicht Flüchtlinge im Sinne des Asylgesetzes seien.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, vom jeweiligen Beschwerdeführer in Ansehung des ihn betreffenden Bescheides erhobenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Verbindung zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges erwogen hat:

1. Der Zweitbeschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 20. November 1991 zu seinen Fluchtgründen angegeben, er sei Angehöriger der türkischen Minderheit und sei nie bei irgendeiner Partei Mitglied gewesen. Ca. zwischen dem 8. und dem 10. November 1991 sei er von einem Militärkurier aufgesucht worden, um seinen Einberufungsbefehl zu übernehmen. Er habe diesen jedoch nicht entgegengenommen, da er an diesem Krieg nicht mitschuldig sein wolle. Daher sei er dann mit seiner Familie aus Jugoslawien geflüchtet.

In seiner gegen den abweislichen erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung ergänzte der Zweitbeschwerdeführer sein Vorbringen dahingehend, er habe als Betriebselektriker bei der staatlichen Bergbaugesellschaft RTB mit seiner Familie in einer Firmenwohnung gewohnt. Anfang November 1991 seien für ihn unerwartet und in bedrohlicher und die Sicherheit und das Leben seiner Familie gefährdenden Art und Weise Angehörige der serbischen nationalen Militärpolizei erschienen und hätten ihm unmißverständlich unter Gewaltandrohung das Ultimatum gestellt, sich binnen 48 Stunden beim zuständigen Militärkommando in Bor zu melden, um dann als Frontsoldat gegen Kroaten eingesetzt zu werden. Hiebei sei ihm auch sein gültiger jugoslawischer Reisepaß illegal abgenommen worden, ohne daß er ein diesbezügliches schriftliches Dokument erhalten hätte. Er gehöre dem Volk der Roma an, sei also kein Serbe und darüberhinaus praktizierender Mohammedaner, sodaß er sich in keiner Weise mit den politischen Interessen und den "kausalen Auswirkungen der serbischen Regierung" identifizieren könne. Seine ethnische Abstammung hätte auch zu einer diskriminierenden Unterdrückung bzw. einer Verwendung als "Kanonenfutter" innerhalb der serbischen Armee geführt, was einer eindeutigen Bedrohung seines Lebens gleichgekommen sei und "sämtlichen Menschenrechtskonventionen" widersprochen hätte. Seine Familie habe die Werkswohnung sofort zu räumen gehabt, wodurch sich auch eine außerordentliche existenzgefährdende und lebensbedrohliche Situation für diese ergeben hätte. Im Falle einer Rückkehr nach Jugoslawien wäre die sofortige Verhaftung seiner Person und seiner Familie zu erwarten, da er als Deserteur steckbrieflich gesucht werde. Die Sicherheit und die Existenz seiner Familie stünden überdies auf dem Spiel, da er mit Sicherheit eine längere Haftstrafe würde antreten müssen. Die katastrophale politische Situation und deren weiterer Verlauf in Serbien seien überhaupt nicht abzusehen, wodurch er bei einer eventuellen Rückkehr damit rechnen müsse, als politischer Regimegegner mit "fürchterlichen Repressalien" konfrontiert zu werden.

Die belangte Behörde hat die Abweisung seines Asylantrages insbesondere damit begründet, daß die Einberufung zur Militärdienstleistung für sich allein noch keine asylrechtlich beachtliche Verfolgungsmaßnahme darstelle. Auch die Beweggründe des Zweitbeschwerdeführers, der von ihm geforderten Militärdienstpflicht nachzukommen, seien asylrechtlich insofern unbeachtlich, als sie für sich noch keine Rückschlüsse auf eine Verfolgungsmotivation des Staates zuließen. Ausgangspunkt der asylrechtlichen Betrachtungsweise sei nämlich ausschließlich die Verfolgungsabsicht des Staates. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß der Zweitbeschwerdeführer Kriegsdienst zu leisten gehabt hätte. Die damit verbundenen Gefahren seien in der Tatsache begründet, daß der Heimatstaat des Zweitbeschwerdeführers in einen Bürgerkrieg verwickelt sei. Auch das Vorbringen des Zweitbeschwerdeführers, er hätte eine Bestrafung in seiner Heimat deshalb zu erwarten, weil er es abgelehnt habe, den Militärdienst zu leisten, könne nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft führen, weil es sich beim Militärdienst um eine Pflicht handle, die jeder Staat seinen Bürgern auferlegen könne. Auch die Tatsache, daß ein Asylwerber von den geltend gemachten bürgerkriegsähnlichen Ereignissen und Unruhen im Heimatstaat betroffen sei und ihm dadurch die Möglichkeit einer gesicherten Lebensführung fehle, stelle keinen asylrechtlich beachtlichen Nachteil im Sinne der Konvention dar. Die Zugehörigkeit eines Asylwerbers zu einer Minderheit allein könne darüber hinaus auch nicht als Grund für seine Anerkennung als Konventionsflüchtling angesehen werden. Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sei, daß den vom Asylwerber im Laufe des Verwaltungsverfahrens vorgebrachten Argumenten entnommen werden müsse, er hätte konkrete Verfolgung oder Furcht vor Verfolgung befürchten müssen, was im vorliegenden Fall nicht zutreffe.

Der belangten Behörde ist darin beizupflichten, daß die Einberufung zur Militärdienstleistung im allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung darstellt, was der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entspricht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. April 1993, Zlen. 92/01/1121 und 1122, sowie das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, und die dort angegebene Judikatur). Danach stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes grundsätzlich keinen Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dar, da die Militärdienstpflicht alle in einem entsprechenden Alter befindlichen männlichen Staatsbürger in gleicher Weise trifft. Eine wegen der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes bzw. wegen Desertion drohende, auch strenge Bestrafung wird in diesem Sinne grundsätzlich nicht als Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention angesehen, und zwar auch in jenen Fällen, in denen in den betroffenen Heimatstaaten Bürgerkrieg, Revolten oder bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen stattgefunden haben (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis des verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, und die dort wiedergegebene Judikatur, die sich gleichermaßen auf Asylverfahren sowohl nach dem Asylgesetz (1968), welches auch im vorliegenden Fall Anwendung zu finden hatte und auch von der belangten Behörde angewendet wurde, als auch zum Asylgesetz 1991, dessen Flüchtlingsbegriff gemäß § 1 Z. 1 mit jenem des Art. 1 A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention übereinstimmt, bezog).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes könnte die Flucht vor Einberufung zum bzw. Ableistung von Militärdienst nur dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen eine drohende allfällige Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen gewesen wäre (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis vom 21. April 1993, Zlen. 92/01/1121, 1122 und Erkenntnis des verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377).

Es trifft des weiteren zu, daß die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe ALLEIN nicht als Grund für die Anerkennung als Konventionsflüchtling angesehen werden kann, doch übersieht die belangte Behörde im vorliegenden Fall, daß gerade in der (von ihm in der Berufung aufgestellten und von der belangten Behörde übernommenen) Behauptung des Beschwerdeführers, Mohammedaner und Angehöriger des Volkes der Roma zu sein, jene asylrechtlich relevanten Umstände liegen können, die auch einer Wehrdienstverweigerung einen asylrechtlich relevanten Aspekt verleihen. Die belangte Behörde, die die Nichtbefolgung der Einberufung zum Militärdienst durch den Zweitbeschwerdeführer ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Verletzung seiner staatsbürgerlichen Pflichten behandelte, verkannte daher in diesem Zusammenhang rechtlich das Problem des vom Zweitbeschwerdeführer behaupteten Zusammenhanges zwischen seiner Einberufung zum Militärdienst und seiner Eigenschaft als Angehöriger der ethnischen Minderheit der Roma sowie seiner Religionszugehörigkeit zum Islam. Die Behörde hätte vielmehr auf Basis entsprechender Ermittlungsergebnisse Feststellungen zu treffen gehabt, ob nicht im Falle des Zweitbeschwerdeführers die Einberufung zum Militärdienst bzw. die Umstände seiner Ableistung und die ihm wegen der Nichtbefolgung des Einberufungsbefehles drohenden Sanktionen als Maßnahmen einer drohenden Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit anzusehen sind und somit an asylrechtlich relevante Merkmale anknüpfen. Dies wäre zu bejahen, wenn sich ergäbe, daß Angehörige jener ethnischen Minderheit, der der Zweitbeschwerdeführer angehört, im Vergleich zu anderen in den genannten Belangen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichenden Weise benachteiligt würden; dies ist hier insbesondere auch dann anzunehmen, wenn Angehörige dieser Minderheiten als "Kanonenfutter" verwendet würden, wie dies der Beschwerdeführer behauptet (vgl. hiezu insbesondere das bereits zitierte hg. Erkenntnis des verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, auf welches im übrigen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

Aus den dargelegten Gründen hat die belangte Behörde ihren Bescheid infolge einer unrichtigen Rechtsansicht mit (sekundären) Verfahrensmängeln belastet, weshalb dieser Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

2. Die Erstbeschwerdeführerin (mit den minderjährigen Kindern) hat bei ihrer niederschriftlichen Vernehmung vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich, ebenfalls am 20. November 1991, zu ihren Fluchtgründen befragt angegeben, sie gehöre zur türkischen Minderheit und sei nie Parteimitglied gewesen, sie sei ihrem Mann gefolgt, der sich geweigert habe, in den Krieg zu gehen. Sie hätten keinen Grund gehabt, auf jemanden zu schießen und seien mit den Landsleuten nie in Streit gekommen. Sie seien mit allen gut ausgekommen. In ihrer Berufung macht die Erstbeschwerdeführerin Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Bescheides geltend, da die Behörde in ihrer Bescheidbegründung auf ihr gesamtes bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren nicht konkret eingegangen sei und sie daher auch nicht in der Lage sei, eine auf den bekämpften Bescheid eingehende Begründung zu geben. Sie halte allerdings ihre in erster Instanz gemachten Angaben aufrecht.

Auf dem Boden ihrer Darlegungen ist aber für den Standpunkt der Erstbeschwerdeführerin, die keine Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, sondern lediglich Begründungsmängel des angefochtenen Bescheides geltend machte, nichts zu gewinnen. Ausgehend von ihren erstinstanzlichen Angaben konnte eine konkrete, individuell gegen sie gerichtete Verfolgungshandlung aus einem der Gründe des Art. 1 A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht erkannt werden. Eine auf sie durchschlagende Verfolgung ihres Ehegatten hat sie nicht geltend gemacht. Daß sie darüberhinaus selbst, so wie der Zweitbeschwerdeführer, Maßnahmen zu befürchten gehabt hätte, die bei ihr wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hervorgerufen hätten, hat sie nicht dargetan.

Da sich in ihrem Falle die Beschwerde daher als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen. Die Erstbeschwerdeführerin wird allerdings auf die Möglichkeit einer Antragstellung auf Ausdehnung der (allenfalls ihrem Gatten zuteil werdenden) Asylgewährung gemäß § 4 Asylgesetz 1991 hingewiesen.

Die Aussprüche über den Aufwandersatz gründen sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

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