VwGH 92/01/0353

VwGH92/01/035320.5.1992

DerVerwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde der Z in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. September 1991, Zl. 4.290.391/3-III/13/90, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1968 §1;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der ehemaligen UdSSR, reiste am 9. Oktober 1989 in das Bundesgebiet ein und stellte am 5. Jänner 1990 einen Asylantrag. Bei der niederschriftlichen Befragung führte sie aus, sie habe Angst, in die Sowjetunion zurückzukehren. Ihr Ehegatte habe vor zwei Jahren begonnen, Videofilme zu drehen, die "über dem genehmigten Rahmen der Gewerbeberechtigung gelegen" seien. Im Jänner des Vorjahres sei seine Videokamera beschlagnahmt worden, weil er eine Veranstaltung mit politischem Inhalt gefilmt habe. Eine KGB-Dienststelle habe ihn gewarnt, daß er angezeigt bzw. ihm der Prozeß gemacht werde, wenn er weiterhin Veranstaltungen mit politischem Hintergrund filme. "Wegen ihres Ehegatten" habe die Beschwerdeführerin auch einen berufsbildenden Kurs nicht abschließen können. Aus Angst vor Verfolgung sei sie gemeinsam mit ihrem Ehegatten im Oktober 1989 aus der Sowjetunion ausgereist. Ihr Mann sei in der Folge noch einmal in die Sowjetunion zurückgekehrt, um die Wohnung an seine Eltern zu übergeben.

Mit dem im Instanzenzug erlassenen Bescheid stellte die belangte Behörde fest, daß die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde nach Darlegung des Verfahrensganges und der Rechtslage im wesentlichen aus, den Angaben der Beschwerdeführerin könne nicht entnommen werden, daß diese Verfolgung aus den in der Flüchtlingskonvention genannten Gründen befürchten müsse. Die Befragung ihres Ehegatten wegen der Überschreitung der Gewerbeberechtigung und der daraus resultierende Verweis seien nicht als Verfolgung im Sinne der Konvention zu qualifizieren. Hätte der Ehegatte der Beschwerdeführerin tatsächlich Verfolgungshandlungen zu befürchten gehabt, wäre er nicht mehr in die Sowjetunion zurückgekehrt. Das Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin, wegen ihres jüdischen Glaubens Verfolgungen ausgesetzt gewesen zu sein, erscheine nicht glaubhaft, weil die Beschwerdeführerin, wäre sie Verfolgungen im Sinne der Konvention ausgesetzt gewesen, dies bereits bei der niederschriftlichen Befragung angegeben hätte. Auch der Umstand, daß die Beschwerdeführerin erst beinahe drei Monate nach ihrer Einreise die Asylgewährung beantragt habe, spreche gegen ihre Behauptung, daß sie Verfolgungen ausgesetzt gewesen wäre. Dies gelte auch für den Umstand, daß die Beschwerdeführerin mit einem am 14. November 1987 ausgestellten Reisepaß legal und ohne Probleme ihre Heimat habe verlassen können. Im übrigen erfüllten die in der Berufung behaupteten Beeinträchtigungen nicht den Tatbestand einer individuell gegen die Beschwerdeführerin gerichteten Verfolgung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin macht zunächst (als Begründungsmangel) geltend, der angefochtene Bescheid enthalte zu der (ihrer Auffassung nach) entscheidungswesentlichen Frage der Verfolgung ihres Ehegatten keine hinreichende Auseinandersetzung mit ihrem Vorbringen. Dem angefochtenen Bescheid ist jedoch ausreichend deutlich zu entnehmen, daß die belangte Behörde ihrer Beurteilung im erwähnten Zusammenhang die oben wiedergegebenen, insoweit als glaubwürdig erachteten Angaben der Beschwerdeführerin zugrunde gelegt und diesen Sachverhalt rechtlich dahin beurteilt hat, daß keine Verfolgung des Ehegatten der Beschwerdeführerin aus in der Flüchtlingskonvention genannten Gründen vorliege. Ein relevanter Verstoß gegen die in § 60 AVG normierte Begründungspflicht liegt somit nicht vor.

Im übrigen ist - soweit die Beschwerdeführerin (wohlbegründete Furcht vor) Verfolgung ihres Ehegatten als Fluchtgrund geltend macht - darauf zu verweisen, daß mit dem unter anderem den Ehegatten der Beschwerdeführerin betreffenden, im Instanzenzug erlassenen Bescheid der belangten Behörde vom 6. September 1991 festgestellt wurde, daß dieser nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Ihrem zuletzt erwähnten Bescheid hatte die belangte Behörde jenen Sachverhalt zugrundegelegt, von dem sie - soweit es die behauptete Verfolgung des Ehegatten der Beschwerdeführerin betrifft - auch im angefochtenen Bescheid ausging. Die gegen den oben erwähnten Bescheid der belangten Behörde vom 6. September 1991 erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit dessen Erkenntnis vom 18. März 1992, Zl. 91/01/0192, als unbegründet abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof billigte die Rechtsauffassung der belangten Behörde, daß beim Beschwerdeführer keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention bestehe. Vom identen Sachverhalt ausgehend erweist sich daher auch im Beschwerdefall die Auffassung der belangten Behörde, beim Ehegatten der Beschwerdeführerin bestehe keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Asylgesetz in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, als nicht rechtswidrig.

Schon deshalb bildet - unabhängig davon, daß konkrete Auswirkungen der behaupteten Verfolgung ihres Ehegatten in der Sphäre der Beschwerdeführerin, die als Verfolgungshandlungen ihr gegenüber qualifiziert werden könnten, nicht vorgebracht wurden - die behauptete Verfolgung des Ehegatten der Beschwerdeführerin keinen Grund, diese als Konventionsflüchtling anzuerkennen.

Auch jene Ausführungen der Beschwerde, mit denen sich die Beschwerdeführerin gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde im Zusammenhang mit den in der Berufung behaupteten Benachteiligungen wegen ihres jüdischen Glaubens wendet, können der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Zwar trifft es zu, daß im Beschwerdefall aus der Stellung eines Asylantrages erst längere Zeit nach Einreise in das Bundesgebiet nicht ohne weiteres der Schluß gezogen werden konnte, die Angaben der Beschwerdeführerin wären unglaubwürdig. Die Beschwerdeführerin hat die verhältnismäßig lange Zeit nach der Einreise erfolgte Einbringung des Asylantrages damit begründet, sie habe geglaubt, ein Asylantrag werde der Sowjetunion bekanntgegeben; ein Bekanntwerden des Asylantrages wäre schlecht für ihren Mann gewesen, der noch einmal in die Sowjetunion habe reisen wollen. Mit dieser Behauptung hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt.

Dennoch ist die Beweiswürdigung nicht als unschlüssig anzusehen, weil sich die belangte Behörde nur hilfsweise auf den verhältnismäßig langen Zeitraum zwischen Einreise und Asylantrag gestützt hat. Sie hat ihre Auffassung, den erst in der Berufung enthaltenen Behauptungen der Beschwerdeführerin käme keine Glaubwürdigkeit zu, insbesondere darauf gestützt, daß den ersten Angaben der Beschwerdeführerin keinerlei Anhaltspunkte für Verfolgung aus Gründen der Religion zu entnehmen waren. Mit ihrer Auffassung, daß der Erstbefragung des Asylwerbers besondere Bedeutung zukomme, befindet sich die belangte Behörde im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. das bereits erwähnte Erkenntnis vom 18. März 1992, Zl. 91/01/0192).

Die Beweiswürdigung der belangten Behörde kann daher insgesamt nicht als unschlüssig angesehen werden.

Im übrigen ist die belangte Behörde auch mit ihrer Auffassung im Recht, die Beschwerdeführerin habe keinen Sachverhalt behauptet, aus dem abgeleitet hätte werden können, es liege der in § 1 Asylgesetz in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genannte Tatbestand der wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Religion vor. In ihrer ersten Befragung hatte die Beschwerdeführerin Verfolgung aus Gründen der Religion nicht behauptet. Auch ihren Berufungsbehauptungen, als Juden hätten sie und ihr Mann trotz guter Ausbildung in der Sowjetunion keine Zukunft gehabt und sich nicht als gleichberechtigt betrachten können; sie seien schikaniert und gedemütigt und ihrem Kind sei "der Kindergarten verweigert" worden, kann kein Erfolg beschieden sein. Allgemeine Benachteiligungen auf Grund der Religionszugehörigkeit können nur dann als konkrete, gegen den Asylwerber gerichtete Verfolgungshandlungen gewertet werden, wenn sie dessen Lebensgrundlage massiv bedrohen (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Oktober 1989, Zl. 89/01/0161). Eine massive Bedrohung der Lebensgrundlagen kann den oben wiedergegebenen, nicht weiter konkretisierten Behauptungen der Beschwerdeführerin in ihrer Berufung nicht entnommen werden.

Dem Beschwerdevorwurf, die belangte Behörde habe sich mit der Frage, ob die geänderten politischen Verhältnisse in der Sowjetunion Anlaß zu wohlbegründeter Furcht seien, nicht auseinandergesetzt, obwohl amtsbekannt sei, daß Juden seit Eintritt dieser Veränderungen verstärkt Verfolgungen ausgesetzt seien, ist zu erwidern, daß selbst mit einem solchen Hinweis auf die allgemeine Lage einer bestimmten Bevölkerungsgruppe im Heimatland des Asylwerbers dessen Verpflichtung, konkrete, ihn selbst betreffende Umstände zu behaupten und glaubhaft zu machen, aus denen die von Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention geforderte Furcht abgeleitet werden kann (vgl. hiezu z. B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. Juni 1991, Zl. 90/01/0198), nicht entsprochen worden wäre.

Solche konkreten, sie selbst betreffenden Umstände hat die Beschwerdeführerin nicht behauptet. Es kann daher auf sich beruhen, ob die oben wiedergegebenen Beschwerdeausführungen schon am Neuerungsverbot (§ 41 VwGG) scheitern müssen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Damit erübrigte sich eine Entscheidung über den zur Zl. AW 92/01/0037 protokollierten Antrag der Beschwerdeführerin, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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