VwGH 91/19/0273

VwGH91/19/027314.10.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weich, über die Beschwerde der V in G, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 31. Juli 1991, Zl. Fr 97/6-1990, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §18 Abs4;
AVG §38;
AVG §56;
FrPolG 1954 §13a Abs2;
FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z1;
FrPolG 1954 §3 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §4;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;
AVG §18 Abs4;
AVG §38;
AVG §56;
FrPolG 1954 §13a Abs2;
FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z1;
FrPolG 1954 §3 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §4;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (der belangten Behörde) vom 31. Juli 1991 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine rumänische Staatsangehörige, gemäß § 3 Abs. 1, Abs. 2 Z. 1 und Abs. 3 und § 4 Fremdenpolizeigesetz ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet erlassen.

Die belangte Behörde nahm als erwiesen an, daß die Beschwerdeführerin vom Bezirksgericht Hartberg zur AZ U 342/90 wegen Diebstahls zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten und am 9. April 1991 vom Landesgericht für Strafsachen Graz zur AZ 5 EVr 499/91 wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls gemäß den §§ 127, 130 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten (wovon sechs Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden) rechtskräftig verurteilt worden sei. Ferner habe die Beschwerdeführerin am 13. Februar 1991 "illegal die Grenze von Österreich nach Italien passieren wollen", sei dabei jedoch von italienischen Grenzorganen aufgegriffen und formlos nach Österreich zurückgeschoben worden. Das Asylverfahren sei mittlerweile negativ abgeschlossen worden. Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 3 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz sei den hier maßgebenden öffentlichen Interessen entsprechend höheres Gewicht beizumessen gewesen als den gegenläufigen persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin, die sich erst seit 1989 in Österreich aufhalte und auch "über keine besonderen familiären Bindungen im Bundesgebiet verfüge".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Gemäß § 3 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958, (MRK) genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Nach § 3 Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Gemäß § 3 Abs. 3 leg. cit. ist, wenn durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen würde, seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen, als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;

  1. 2. die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen;
  2. 3. die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen.

Nach Art. 8 Abs. 2 MRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

2. Die Beschwerdeführerin macht als Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend, daß sich die belangte Behörde damit begnügt habe, auf den rechtskräftigen Abschluß des Asylverfahrens hinzuweisen, ohne sich im Rahmen der Interessenabwägung mit dem Vorbringen im Asylverfahren auseinanderzusetzen.

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, daß im Hinblick auf den rechtskräftigen Bescheid über den Asylantrag der Beschwerdeführerin für die belangte Behörde im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bindend feststand, daß der Beschwerdeführerin weder die Rechtsstellung eines Asylwerbers noch die eines Flüchtlings zukommt. Soweit die Beschwerdeführerin auf "Nachstellungen von seiten der Securitate" verweist, ist ihr entgegenzuhalten, daß bei Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht zu untersuchen ist, in welchen Staat der Fremde allenfalls abgeschoben werden kann, sodaß hier die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 13a Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz nicht zu prüfen waren.

Aus diesen Gründen sind auch die von der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit der Nichtberücksichtigung ihres Vorbringens im Asylverfahren erhobenen Verfahrensrügen nicht berechtigt.

3. Die Beschwerdeführerin wendet sich dagegen, daß das Aufenthaltsverbot unbefristet und nicht bloß befristet erlassen wurde, und führt dazu aus, daß nach der Rechtsprechung ein Aufenthaltsverbot nur für jenen Zeitraum zu erlassen sei, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein werde.

Die Beschwerdeführerin hat damit die von ihr zitierte Rechtsprechung nur unvollständig wiedergegeben, weil in den von ihr genannten Erkenntnissen auch ausgesprochen wurde, daß ein Aufenthaltsverbot auf unbestimmte Zeit zu erlassen ist, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Erlassung nicht vorhergesehen werden kann (siehe das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1990, Zl. 90/19/0117, mit weiteren Judikaturhinweisen). Im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführerin wurde mit der Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes auch nicht ausgesprochen, daß ein "Charaktermangel für alle Zukunft vorliege". Die belangte Behörde hat damit vielmehr zum Ausdruck gebracht, daß sie einen bestimmten Zeitpunkt für den Wegfall des Grundes für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes nicht vorhersehen könne. Diese Auffassung kann aber im Hinblick auf die wiederholte Begehung von Diebstahlsdelikten durch die Beschwerdeführerin innerhalb kurzer Zeit nicht als rechtswidrig erkannt werden. Konkrete Argumente für eine andere Beurteilung werden in der Beschwerde nicht ins Treffen geführt.

4. Die Beschwerdeführerin meint, aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Verhältnis der Generalklausel des § 3 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz zu der beispielsweisen Aufzählung im § 3 Abs. 2 leg. cit. ableiten zu können, daß die Behörden in der Frage, ob eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 3 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. vorliege, an die Urteile der Gerichte nicht gebunden seien und das Vorliegen strafbarer Handlungen einer selbständigen Vorfragenbeurteilung zu unterziehen hätten. Die Beschwerdeführerin zitiert in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 2. April 1990, Zl. 90/19/0136.

Die dargestellte Auffassung der Beschwerdeführerin ist völlig verfehlt, weil der Verwaltungsgerichtshof in dieser Frage nicht die Auffassung vertreten hat, daß die Behörden an verurteilende Entscheidungen der Gerichte nicht gebunden seien, sondern - wie es dem Begriff der Generalklausel entspricht - zum Ausdruck gebracht hat, daß auch andere, in der beispielsweisen Aufzählung des § 3 Abs. 2 leg. cit. nicht umschriebene Fälle unter die Generalklausel des § 3 Abs. 1 fallen könnten, wenn triftige Gründe vorliegen, die zwar nicht die Voraussetzungen der im Abs. 2 angeführten Fälle aufweisen, wohl aber in ihrer Gesamtheit die im Abs. 1 umschriebene Annahme rechtfertigen.

Die von der Beschwerdeführerin angestrebte selbständige Beurteilung der strafbaren Handlungen durch die Verwaltungsbehörden würde zudem dem insofern klaren Wortlaut des § 3 Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz widersprechen, weil dort die rechtskräftige Verurteilung Tatbestandselement ist und nicht die Begehung strafbarer Handlungen. Nur im letzteren Fall würde sich überhaupt die Frage stellen, ob in Ansehung der Annahme strafbarer Handlungen Bindung an verurteilende Entscheidungen der Gerichte gegeben ist.

5. Die Beschwerdeführerin bringt vor, der erstinstanzliche Bescheid sei auf Seite 2 des verwendeten Formulars unterfertigt. Die folgenden drei Blätter, die einseitig beschrieben seien, seien lediglich mit einem Stempel der erstinstanzlichen Behörde, nicht aber mit einer diese Textpassagen genehmigenden Unterschrift versehen. Das Schriftstück der erstinstanzlichen Behörde stelle daher in Wahrheit keinen Bescheid dar. Mangels Vorliegens eines erstinstanzlichen Bescheides sei die belangte Behörde unzuständig.

Auch diese Ausführungen können der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Unabhängig davon, ob nach der Formulierung des erstinstanzlichen Bescheides - der dem Verwaltungsgerichtshof nicht vorliegt - der gesamte Text oder nur die ersten zwei Seiten von der Unterschrift des genehmigenden Organs gedeckt sind, ist jedenfalls vom Vorliegen eines - allenfalls unzureichend begründeten - erstinstanzlichen Bescheides auszugehen. Die inhaltliche Unrichtigkeit oder unvollständige Begründung des erstinstanzlichen Bescheides ist aber nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens über eine Bescheidbeschwerde; zu prüfen ist hier nur der angefochtene Bescheid. In diesem Zusammenhang soll erwähnt werden, daß die bereits im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin erstmals in der Beschwerde die Auffassung vertreten hat, der erstinstanzlichen Erledigung komme kein Bescheidcharakter zu.

Als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht die Beschwerdeführerin schließlich geltend, daß dem mit Schriftsatz ihres Vertreters vom 11. Juni 1991 an die erstinstanzliche Behörde gerichteten Ersuchen um Übermittlung einer Aktenabschrift in Kopie gegen Kostenersatz nicht entsprochen worden sei.

Die Beschwerdeführerin behauptet jedoch damit einen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtlichen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens. Gleiches gilt für die von der Beschwerdeführerin gerügte Befangenheit des in erster Instanz tätig gewordenen Organs Dr. L.

7. Da somit der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Angesichts der Entscheidung in der Hauptsache erübrigt sich ein gesonderter Abspruch über den mit der Beschwerde verbundenen (zur hg. Zl. AW 91/19/0068 protokollierten) Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

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