VwGH 91/12/0295

VwGH91/12/029529.7.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Herberth, Dr. Germ, Dr. Höß und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Steiner, über die Bechwerde des NN in S, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 30. Oktober 1991, Zl. 132.393/15-III/19/91, betreffend Aussetzung des Berufungsverfahrens gemäß § 38 AVG, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §38;
VwRallg;
AVG §38;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer steht als Mittelschullehrer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund; seine derzeitige Dienststelle ist das Bundesrealgymnasium X. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 11. Februar 1991, Zl. 132.393/15-III/19/91, war dem Beschwerdeführer aus gesundheitlichen Gründen für die Dauer des Schuljahres 1989/90 eine Lehrpflichtermäßigung auf die Hälfte seiner Lehrverpflichtung gewährt worden. Da sich in der Folge Zweifel an der von dem Beschwerdeführer geltend gemachten Gesundheitsschädigung ergaben, hatte der Landesschulrat für Salzburg am 8. April 1991 Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Salzburg wegen des Verdachtes der Erschleichung der Lehrpflichtermäßigung erstattet und mit Bescheid vom 2. April 1991 festgestellt, daß dem Beschwerdeführer ab 15. November 1989 die Bezüge gemäß § 13 Abs. 3 Z. 2 Gehaltsgesetz 1956 eingestellt würden. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 12. Juli 1991 wurde das infolge des dagegen angestrengten Rechtsmittels anhängig gemachte Berufungsverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die vom Landesschulrat für Salzburg erhobene Disziplinaranzeige bzw. die rechtskräftige Absprache über die erstattete strafgerichtliche Anzeige gemäß § 38 AVG - vom Beschwerdeführer unangefochten gelassen - ausgesetzt. Bereits am 28. November 1990 hatte der Beschwerdeführer ein Ansuchen um Versetzung in den Ruhestand gemäß § 14 Abs. 1 Z. 1 BDG 1979 bzw. auf Feststellung der Verwendungsänderung gemäß § 40 leg. cit. eingebracht; beide Begehren wurden mit Bescheid des Landesschulrates für Salzburg vom 26. April 1991 abgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 13. Mai 1991 Berufung.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde auch dieses Berufungsverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Gerichtes im anhängigen Strafverfahren (Verdacht des Betruges durch Erschleichung einer Lehrpflichtermäßigung für das Schuljahr 1989/90) ausgesetzt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt, und legte die Verwaltungsakten vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung damit, daß die Frage des Zutreffens der seinerzeit für die Gewährung der Lehrpflichtermäßigung aus gesundheitlichen Gründen relevanten Verminderung der Dienstfähigkeit des Beschwerdeführers insofern für das gegenständliche Berufungsverfahren betreffend Nichtversetzung in den Ruhestand sowie Verwendungsänderung von erheblicher Bedeutung sei, weil dann - sollte tatsächlich die Erschleichung der ausgesprochenen Begünstigung rechtskräftig festgestellt werden - berechtigte Zweifel am Bestand bzw. Fortbestand der vom Beschwerdeführer behaupteten verminderten Dienstfähigkeit bzw. Dienstunfähigkeit gegeben wären. Die Berufungsbehörde sei zur Beurteilung der Frage, ob tatsächlich eine Lehrpflichtermäßigung aus gesundheitlichen Gründen erschlichen worden und daher die behauptete verminderte Dienstfähigkeit bzw. Dienstunfähigkeit vorgelegen sei, nicht zuständig. Da diese Frage für die Entscheidung in der gegenständlichen Berufungsangelegenheit für die Beurteilung der nunmehr behaupteten Dienstunfähigkeit eine wesentliche Grundlage bilde, sei das angestrengte Berufungsverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Gerichtes im anhängigen Strafverfahren (Verdacht des Betruges) vorerst auszusetzen.

Unter dem Beschwerdegrund der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer geltend, dem angefochtenen Bescheid lasse sich nicht entnehmen, ob und gegebenenfalls welche Interessenabwägung die belangte Behörde vorgenommen habe, die einer Aussetzung des Berufungsverfahrens gegenüber einer Sachentscheidung den Vorzug gäbe, ob durch eine weitere Verfahrensverzögerung die wirtschaftliche Existenz des Beschwerdeführers im erheblichen Ausmaß gefährdet sei und daher diesem nicht zugemutet werden könne; sie habe gänzlich ungeprüft gelassen, ob überhaupt ein Strafverfahren gegenüber dem Beschwerdeführer anhängig sei.

Diese Einwände erweisen sich als beachtlich.

Die Bestimmung des gemäß § 1 DVG in Angelegenheiten öffentlich-rechtlichen Dienst-, Ruhe- oder Versorgungsverhältnisses zum Bund geltenden § 38 AVG lautet:

"Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheide zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."

Voraussetzung für die Aussetzung ist daher

  1. 1. die Präjudizialität der Entscheidung über die Vorfrage und
  2. 2. die Anhängigkeit des darüber bei der zuständigen Behörde durchzuführenden Verfahrens.

Ob die Behörde bei Vorliegen der beiden oben genannten inhaltlichen Erfordernisse dann von der ihr im § 38 Satz 2 AVG eingeräumten Befugnis (Möglichkeit zur Aussetzung) Gebrauch macht, obliegt ihrem Ermessen. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob überhaupt die Voraussetzungen für die Ausübung dieses Ermessens vorlagen.

Unter einer Vorfrage im Sinn des § 38 AVG ist eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten oder auch von derselben Behörde jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist. Die Beantwortung der Vorfrage liefert ein unentbehrliches Tatbestandsmoment für die Entscheidung in der Hauptsache (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 15. September 1969, Slg. Nr. 7632/A, vom 15. Oktober 1984, Zl. 84/08/0105 und vom 15. Dezember 1988, Zl. 87/08/0139). Präjudiziell - und damit Vorfragenentscheidung (durch die hiefür zuständige Behörde) im verfahrensrechtlich relevanten Sinn - ist daher nur eine Entscheidung, die erstens eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung UNABDINGBAR - d.h. eine notwendige Grundlage - ist, und zweitens die diese in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 24. November 1981, Zl. 81/11/0051, vom 15. September 1986, Zl. 86/10/0129, vom 15. Dezember 1988, Zl. 87/08/0139 und vom 2. Juli 1990, Zl. 90/19/0181).

Der Gegenstand des bei der belangten Behörde anhängigen Berufungsverfahrens betrifft ausschließlich die Frage des Vorliegens der für die Versetzung in den Ruhestand gemäß § 14 BDG 1979 normierten Voraussetzungen, die der Beschwerdeführer in diesem Verfahren geltend macht. Auch wenn das Strafgericht bei einem verurteilenden Erkenntnis davon ausginge, daß eine vorsätzliche Erschleichung der Lehrpflichtermäßigung für das Schuljahr 1989/90 durch den Beschwerdeführer vorgelegen hat, sagt dies über das Vorliegen der vom Beschwerdeführer geltend gemachten gesundheitlichen Gründe für eine Versetzung in den Ruhestand nichts aus, geschweige denn, daß die diesbezügliche Entscheidung des Strafgerichtes für das Ansuchen des Beschwerdeführers BINDEND wäre. Der zwischen beiden Verfahren bestehende tatsächliche Konnex bezieht sich ausschließlich auf zur Beweiswürdigung gehörende Erwägungen, aus denen im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers Zweifel an der von ihm behaupteten Dienstunfähigkeit abgeleitet werden könnten. Eine bindende Rechtsfrage, die für das Ansuchen des Beschwerdeführers auf Versetzung in den Ruhestand präjudiziell wäre, wird vom Strafgericht daher nicht gelöst. Aus der Tatsache, daß der Beschwerdeführer in einem parallel laufenden Berufungsverfahren den Aussetzungsbescheid nicht bekämpft hat, ist in diesem Verfahren nichts zu gewinnen.

Schon aus diesem Grunde erweist sich daher der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig.

Da der angefochtene Bescheid somit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet ist, war auf die unter dem Beschwerdepunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemachte im Rahmen der Ermessensausübung vorzunehmende Interessenabwägung nicht einzugehen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, wobei die Kosten für eine dritte Beschwerdeausfertigung als überflüssig abzuweisen waren.

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