VwGH 91/10/0112

VwGH91/10/011214.10.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Mag. Onder und Dr. Puck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Mandl, über die Beschwerde der NN in B, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 8. März 1991, Zl. Ia 909-7/91, betreffend Übertretung des Verbotes der Prostitution nach dem Vorarlberger Sittenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
EMRK Art8;
SittenpolG Vlbg 1976 §4 Abs1;
SittenpolG Vlbg 1976 §4 Abs3;
VwRallg;
AVG §45 Abs2;
EMRK Art8;
SittenpolG Vlbg 1976 §4 Abs1;
SittenpolG Vlbg 1976 §4 Abs3;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1.0. Aus der Beschwerde und dem angefochtenen Bescheid ergibt sich nachstehender Sachverhalt:

1.1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 7. Jänner 1991 wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, sie habe am 18. September 1990 um 21.50 Uhr in Hard im Haus XY die gewerbsmäßige Unzucht ausgeübt, indem sie mit einem Mann einen Geschlechtsverkehr (französisch) gegen ein Entgelt von sfr 100 durchgeführt habe. Es wurde über sie eine Verwaltungsstrafe wegen Übertretung nach § 18 Abs. 1 lit. c und § 4 Abs. 1 des Sittenpolizeigesetzes - SPG, Vorarlberger LGBl. Nr. 6/1976 (im folgenden: Vlbg SittenPolG), in Höhe von S 20.000,-- verhängt.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung.

1.2. Mit Bescheid vom 8. März 1991 gab die Vorarlberger Landesregierung dieser Berufung keine Folge. Nach der Begründung dieses Bescheides nahm die belangte Behörde folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

"Am 18.9.1990 gegen 21.45 Uhr stand NN vor dem Hause XY in Hard, um sich zur gewerbsmäßigen Unzucht anzubieten, als ein PKW stehen blieb. NN einigte sich mit dem Lenker des PKW's, einen Geschlechtsverkehr für 100,-- sfr durchzuführen. Im ersten Stockwerk des Hauses XY bezahlte der Freier NN 100,-- sfr., worauf sie mit ihm einen Geschlechtsverkehr durchführte.

Nachdem die Berufungswerberin mit dem Freier den Geschlechtsverkehr durchgeführt hatte, wollte dieser das Geld zurück, wobei er NN an ihrer Jacke faßte, wo sie das Geld eingesteckt hatte. Die Berufungswerberin versuchte, die Treppe hinunterzulaufen. Der Freier versperrte ihr jedoch den Weg, gab ihr eine Ohrfeige und schüttelte sie durch. Gleichzeitig griff er in seine Jacke, wobei die Berufungswerberin glaubte, daß er ein Messer oder eine Pistole hervorholen wolle. Die Berufungswerberin war dadurch in große Furcht versetzt. Der Freier drohte, die Wohnung zu zerstören, wenn sie das Geld nicht herausgebe. Schließlich gelang NN die Flucht aus dem Haus, worauf sie dann von einer Passantin zum Gendarmerieposten Hard gefahren wurde.

NN gab an, daß es sich beim Fahrzeug des Täters um einen PKW der Marke Ford Sierra mit dem Schweizer

Kennzeichen SG nnn.nnn handelt. Tatsächlich ist dieses Kennzeichen jedoch auf einen PKW der Marke Opel Vectra zugelassen.

NN arbeitet als Prostituierte im Hause XY in Hard und wurde bereits mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 17.11.1987 wegen Übertretung der §§ 18 Abs. 1 lit. c und 4 Abs. 1 des Sittenpolizeigesetzes rechtskräftig bestraft."

Nach der weiteren Begründung des angefochtenen Bescheides stützten sich die getroffenen Feststellungen hinsichtlich der Tatsache, daß die Beschwerdeführerin zum Tatzeitpunkt die gewerbsmäßige Unzucht ausgeübt habe, auf deren eigene Angaben. Sie habe nämlich, nachdem sie auf den Gendarmerieposten gebracht worden war, Anzeige gegen den unbekannten Täter erstattet. Dabei habe sie niederschriftlich angegeben, zuvor mit dem Täter entgeltlich einen Geschlechtsverkehr (französich) durchgeführt zu haben. Der Tatsache, daß das von der Beschwerdeführerin abgelesene Kennzeichen mit dem hiefür zugelassenen Fahrzeug nicht übereinstimme, komme keine Bedeutung zu, da es durchaus verständlich sei, daß die Beschwerdeführerin entweder das Kennzeichen falsch abgelesen oder aber die Fahrzeugtype nicht richtig erkannt habe. Immerhin habe sie nach ihren eigenen Angaben damit gerechnet, daß der Freier aus seiner Jacke ein Messer oder einen Revolver hervorhole, wodurch sie sehr in Angst und Furcht versetzt worden sei. Es sei auch anzunehmen, daß es die Beschwerdeführerin, nachdem es ihr gelungen gewesen sei, das Haus zu verlassen, sehr eilig gehabt habe und sie sich daher nicht genügend Zeit genommen habe, um sich das Kennzeichen und die Fahrzeugtype einzuprägen. Die Berufungsausführungen, wonach die Beschwerdeführerin entweder geträumt habe, Halluzinationen gehabt oder sich im Delirium befunden habe, da der Freier gar nicht existieren könne, da es ja das Fahrzeug nicht gebe, hätten die Behörde nicht zu überzeugen vermocht.

Da die Beschwerdeführerin selbst angebe, nebenbei als Prostituierte zu arbeiten, und sie überdies bereits einmal rechtskräftig wegen Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht bestraft worden sei, sei die Gewerbsmäßigkeit gegeben.

Als Erschwerungsgrund wurde der Beschwerdeführerin angelastet, daß sie bereits einmal wegen derselben, auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Handlung rechtskräftig bestraft worden sei.

1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf amtswegige Sachverhaltsfeststellung, im Recht, nicht ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen bestraft zu werden, sowie im Recht auf ordnungsgemäße Strafbemessung verletzt.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1.1. In der Beschwerde wird zunächst geltend gemacht, daß ein Geständnis oder eine Selbstbezichtigung allein für eine Bestrafung nicht ausreichten. Obwohl nur eine Selbstbezichtigung der Beschwerdeführerin vorgelegen sei, die sie in der Berufung zurückgenommen habe, habe die belangte Behörde ohne Ermittlungsverfahren das erstinstanzliche Straferkenntnis bestätigt. Die Person des potentiellen Freiers wäre ausfindig zu machen gewesen. Es wäre erforderlich gewesen, durch eine Gegenüberstellung oder durch eine Konfrontation mit einem Lichtbild zu ermitteln, ob es sich beim angegebenen Kennzeichen um das richtige Kennzeichen gehandelt habe oder nicht und ob der Verdächtige mit dem Zulassungsbesitzer identisch sei.

2.1.2. Der auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendende § 45 Abs. 2 AVG schließt eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, d.h. ob sie unter anderem den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen (vgl. u. a. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 1974, Slg. N.F. Nr. 8619/A). Ob aber der Akt einer Beweiswürdigung nicht bloß schlüssig, sondern richtig ist, kann der Verwaltungsgerichtshof auf Grund seiner eingeschränkten Prüfungsbefugnis in einem Verfahren über eine Bescheidbeschwerde nicht überprüfen (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053, nur teilweise veröffentlicht in Slg. N.F. Nr. 11894/A).

Es stand der Beschwerdeführerin als Partei des Strafverfahrens frei, frühere Angaben zu widerrufen. Allerdings unterlag dieser Widerruf ebenso wie die ursprünglich gemachten Angaben der freien Beweiswürdigung durch die Behörde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 1978, Zl. 2002/77 = ZfVB 1978/3/1061, 1232, mit weiteren Judikaturhinweisen). Anders als etwa in dem dem hg. Erkenntnis vom 27. September 1984, Zl. 83/08/0194 = ZfVB 1985/2/712, zugrundeliegenden Fall hat sich die belangte Behörde im Beschwerdefall in der Begründung des angefochtenen Bescheides sehr wohl mit dem Inhalt der ursprünglichen Angaben der Beschwerdeführerin einerseits und ihrer in der Berufung vorgebrachten Version andererseits auseinandergesetzt. Wenn die belangte Behörde dem Umstand, daß das von der Beschwerdeführerin seinerzeit angegebene Kfz-Kennzeichen nicht mit der Fahrzeugtype übereinstimmte, für die Richtigkeit der späteren Berufungsbehauptung, daß "der Freier gar nicht existiere" und die Beschwerdeführerin folglich entweder geträumt, Halluzinationen gehabt oder sich im Delirium befunden habe, keinen Beweiswert beigemessen und daher auch keine weiteren Ermittlungsschritte für erforderlich gehalten hat, kann ihr kein vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen seiner Kontrollbefugnis wahrzunehmender Verstoß gegen § 45 Abs. 2 in Verbindung mit § 60 AVG vorgeworfen werden. Andere "Beweise" für die behauptete Einbildung (Halluzination) hat die Beschwerdeführerin nicht angeboten. Die belangte Behörde durfte daher von der ursprünglichen Sachverhaltsangabe der Beschwerdeführerin - einer Version, die einen Irrtum beim Ablesen des Kennzeichens oder der Wahrnehmung der Fahrzeugtype, wie die belangte Behörde zu Recht hervorhebt, durchaus erklärlich erscheinen läßt - ausgehen, ohne den angefochtenen Bescheid mit der behaupteten Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zu belasten.

2.2.1. In der Beschwerde wird weiters davon ausgegangen, daß nur die öffentliche Prostitution unter Strafe gestellt werden dürfe, während die privaten Kontakte zweier Menschen grundsätzlich deren Privatangelegenheit seien.

"Verfassungskonform reduziert", sei hier keine öffentliche Betätigung und damit keine öffentliche (gewerbsmäßige) Unzucht vorgelegen. Nach dem Deutschen Universal-Wörterbuch (Duden II) bedeute gewerbsmäßige Unzucht Prostitution und Prostituion bedeute gewerbsmäßige Preisgabe des EIGENEN Körpers für sexuelle Zwecke. Ein Oralverkehr sei nach dieser Definition nicht als Prostituionsausübung anzusehen. Da die Beschwerdeführerin sohin weder einen Geschlechtsverkehr durchgeführt noch irgendeine Anbahnungshandlung in der Öffentlichkeit gesetzt habe, sei öffentliche gewerbsmäßige Unzucht nicht vorgelegen, selbst wenn man von der Richtigkeit der Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde ausginge.

2.2.2. Gemäß § 4 Abs. 1 Vlbg SittenPolG ist die Ausübung gewerbsmäßiger Unzucht und das Anbieten hiezu, soweit nicht Ausnahmen infolge einer Bewilligung gemäß § 5 zugelassen sind, verboten. Nach § 4 Abs. 3 leg. cit. ist die Unzucht gewerbsmäßig, wenn sie in der Absicht betrieben wird, sich durch ihre wiederkehrende Ausübung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen.

Wenn die Beschwerdeführerin ausführt, daß sie keinen Geschlechtsverkehr durchgeführt habe, und daraus ableiten will, daß der Tatbestand der gewerbsmäßigen Unzucht nicht verwirklicht sei, so übersieht sie, daß sich der als erwiesen angenommene Oralverkehr - seine Durchführung in gewerbsmäßiger Absicht vorausgesetzt - nach der von ihr selbst wiedergegebenen Definition der Prostitution sehr wohl als Preisgabe des eigenen Körpers für sexuelle Zwecke, zur sexuellen Befriedigung des Partners, darstellt. Es trifft somit nicht zu, daß ein Oralverkehr (unter der genannten Voraussetzung) nicht als Ausübung gewerbsmäßiger Unzucht im Sinne des § 4 Abs. 1 Vlbg SittenPolG anzusehen wäre.

Was hingegen die Gewerbsmäßigkeit der Ausübung der Unzucht anlangt, so trifft die Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin zu, daß nur die öffentliche Prostitution unter Strafe gestellt werden darf. Das Gesetz sieht dementsprechend auch nur das Verbot der Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht und das Anbieten hiezu vor. Dabei wohnt dem Begriff der Gewerbsmäßigkeit das Merkmal der Öffentlichkeit inne (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Oktober 1980, Slg. Nr. 8907, wonach durch die Gewerbsmäßigkeit der Unzucht die sexuelle Betätigung aufhört, eine private zu sein, da einer unbeschränkten Öffentlichkeit die Kenntnisnahme möglich ist). Im Beschwerdefall erfolgte auf dem Boden des mängelfrei festgestellten Sachverhaltes die Anbahnungshandlung auf der Straße vor dem erwähnten Haus, somit in der Öffentlichkeit. Die behauptete Privatheit der sexuellen Handlung liegt daher nicht vor und steht hier der Annahme der Gewerbsmäßigkeit nicht entgegen. Auf Grund der Entgeltlichkeit, der eigenen Angaben der Beschwerdeführerin, (nebenbei) als Prostituierte zu arbeiten und der Tatsache einer einschlägigen früheren Bestrafung, durfte die belangte Behörde auf die Absicht, sich durch die wiederkehrende Ausübung der Unzucht eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, schließen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. März 1983, Zl. 83/10/0052 = ZfVB 1984/1/149). Es war daher nicht verfehlt, das Tatbestandsmoment der Gewerbsmäßigkeit im Sinne des § 4 Abs. 1 und 3 Vlbg SittenPolG als erfüllt anzusehen.

2.3.1. Der Verwaltungsgerichtshof vermag auch die Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin nicht zu teilen, daß die verhängte Strafe angesichts des gesetzlichen Strafrahmens von bis zu S 30.000,-- an Geldstrafe, gegen den verfassungsrechtliche Bedenken aus Anlaß des Beschwerdefalles, etwa wegen des behaupteten krassen Mißverhältnisses zum gerichtlichen Strafrecht, nicht entstanden sind, "an sich exzessiv" wäre.

2.3.2. In der Beschwerde wird schließlich geltend gemacht, die belangte Behörde habe bei der Strafbemessung auch einen Erschwerungsgrund berücksichtigt, der bereits im Tatbestand erfaßt sei. Der Bescheid ziehe die Vorstrafe ausdrücklich zur Begründung der Gewerbsmäßigkeit heran. Wenn die Vorstrafe schon zum Tatbild der Gewerbsmäßigkeit gehöre, dürfe sie nicht noch einmal gesondert als Erschwerungsgrund herangezogen werden.

Die Beschwerdeführerin übersieht bei dieser Beschwerdebehauptung, daß die belangte Behörde die Gewerbsmäßigkeit in erster Linie nicht auf die ("überdies") verhängte Vorstrafe, sondern primär darauf gestützt hat, daß die Beschwerdeführerin angegeben habe, als Prostituierte zu arbeiten. Als Erschwerungsgrund wurde nicht das Tatbestandsmerkmal der Gewerbsmäßigkeit der Prostitutionsausübung, sondern die rechtskräftige Bestrafung wegen derselben, auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Handlung herangezogen. Die rechtskräftige Vorstrafe durfte daher ohne Verstoß gegen § 19 VStG (sogenanntes Doppelverwertungsverbot) als Erschwerungsgrund herangezogen werden.

2.4. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, daß die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

2.5. Es wird darauf hingewiesen, daß die Beendigung des Beschwerdeverfahrens, für dessen Dauer die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt wird, einen Abspruch über diesen Antrag entbehrlich macht (vgl. z.B. den hg. Beschluß vom 6. September 1978, Zlen. 1902, 1903/78 = ZfVB 1979/2/513).

2.6. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte