VwGH 91/06/0026

VwGH91/06/002614.3.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Leukauf, Dr. Giendl und Dr. Müller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über den Antrag der N auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der Beschwerde gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 6. Februar 1990, Zl. Ve-550-1523/10, betreffend Versagung einer Baubewilligung, den Beschluß gefaßt:

Normen

ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 lita;
VwGG §34 Abs2;
VwGG §46 Abs1 idF 1985/564;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;
ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 lita;
VwGG §34 Abs2;
VwGG §46 Abs1 idF 1985/564;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Dezember 1990, Zl. 90/06/0157, wurde das Verfahren über die Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid eingestellt, weil die Antragstellerin den ihr gemäß § 34 Abs. 2 VwGG erteilten Verbesserungsauftrag vom 16. Oktober 1990 nur teilweise befolgt habe. Die Antragstellerin habe nämlich den ergänzenden Schriftsatz in seiner zweiten und dritten Ausfertigung unvollständig (es fehlte die Seite 2) und die ursprüngliche Beschwerde insgesamt zweifach, anstatt dreifach vorgelegt.

Mit dem vorliegenden Antrag begehrt die Antragstellerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Oktober 1990 erteilten Frist zur Behebung der der Beschwerde anhaftenden Mängel. Zur Begründung brachte sie im wesentlichen vor, sie sei durch ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen und vollständigen Erfüllung des an sie ergangenen Verbesserungsauftrages verhindert gewesen. Der Rechtsvertreter der Antragstellerin habe nach Einlangen der Verfügung vom 16. Oktober 1990 einen entsprechenden Schriftsatz ins Diktaphon diktiert und angeordnet, daß dieser Schriftsatz in dreifacher Ausfertigung an den Verwaltungsgerichtshof zu übermitteln sei. Weiters habe er angeordnet, diesem Schriftsatz die ursprüngliche Beschwerde in insgesamt dreifacher Ausfertigung sowie eine entsprechende Vollmacht beizufügen. Für die Ausführung dieser Anweisungen sei in der Kanzlei des Rechtsvertreters der Antragstellerin Frau A. K. zuständig. Diese sei eine langjährige Mitarbeiterin, die insgesamt schon mehr als sieben Jahre in der Kanzlei tätig sei. Sie sei von allem Anfang an genau eingeschult und verfüge über ein entsprechendes Fachwissen. Sie sei in der Lage, insbesondere Anweisungen per Diktaphon selbständig zu erledigen. Es sei bisher noch nie vorgekommen, daß Frau A. K. ein derartiger Fehler passiert sei, wie ihr nunmehr mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Dezember 1990 vorgeworfen werde. Der Vertreter der Antragstellerin überprüfe die Arbeiten seiner Mitarbeiterin ständig in Form von Stichproben, wobei er bisher keinen derartigen Fehler bemerkt habe. Er habe sich daher auch im gegenständlichen Fall auf seine Mitarbeiterin verlassen können, welche im übrigen auf dem Durchschlag handschriftlich vermerkt habe, daß mit dem Schriftsatz die Verfassungsgerichtshofbeschwerde (richtig wohl: Verwaltungsgerichtshofbeschwerde) dreifach plus eine Vollmacht übermittelt worden sei. Es sei Frau A. K. vollkommen unverständlich, daß die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde nicht in dreifacher Ausfertigung beim Verwaltungsgerichtshof eingelangt sei, ebenso sei es ihr unerklärlich, daß bei der zweiten und dritten Ausfertigung des Schriftsatzes die zweite Seite gefehlt habe.

Zur Bescheinigung dieses Vorbringens legte der Rechtsvertreter der Antragstellerin eine eidesstattliche Erklärung der Frau A. K. vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG in der Fassung des Bundesgesetzes vom 12. Dezember 1985, BGBl. Nr. 564, ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung sowohl zu § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 als auch zu § 46 Abs. 1 VwGG ausgesprochen, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei gleichzusetzen ist. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist dem Rechtsanwalt als Verschulden anzurechnen, wenn der Anwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Der bevollmächtigte Anwalt muß den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Insbesondere muß der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß u.a. auch die vollständige und fristgerechte Erfüllung von Mängelbehebungsaufträgen, die ja bereits das Vorliegen einer zumindest zum Teil nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Eingabe zur Grundlage haben, gesichert scheint. An dieser grundsätzlichen Verpflichtung hat sich auch durch die Neufassung des § 46 Abs. 1 VwGG durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 564/1985 nichts geändert. Es ist daher in derartigen Fällen weiterhin ausschlaggebend, ob der Rechtsanwalt der genannten Verpflichtung entsprochen hat, wobei der Unterschied zur früheren Rechtslage lediglich darin besteht, daß dann, wenn ein Verschulden des Rechtsanwaltes hervorkommt, nunmehr noch zusätzlich zu klären ist, ob es sich hiebei nicht um einen minderen Grad des Versehens handelte. Der - aus der Zivilprozeßordnung in der Fassung der Zivilverfahrensnovelle 1983 übernommene - Begriff des minderen Grades des Versehens wird als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber oder sein Vertreter darf nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten von Rechtsanwälten sind diesen zuzurechnen und ermöglichen jedenfalls dann eine Wiedereinsetzung, wenn sie trotz der Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfaltspflichten des Anwaltes bei der Kontrolle der Termin- und Fristenevidenz und trotz bisheriger objektiver Eignung und Bewährung der Kanzleiangestellten unterlaufen und eine durch die konkreten Umstände des Einzelfalles bedingte entschuldbare Fehlleistung gewesen sind (vgl. u.a. die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Oktober 1987, Zl. 87/08/0256, sowie vom 15. Dezember 1988, Zl. 88/08/0278).

Der ergänzende Schriftsatz, der aufgrund der hg. Verfügung vom 10. Oktober 1990 dem Gerichtshof vorgelegt worden war, enthält auf seinem Deckblatt den Hinweis "3-fach", jedoch nicht den Hinweis auf Beilagen, obwohl das Anbringen des Hinweises auf Beilagen auch in der Kanzlei des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin üblich ist, wie aus einem Vergleich mit der ursprünglich eingereichten Beschwerde und dem Wiedereinsetzungsantrag hervorgeht. Beim Fehlen des sonst üblichen Hinweises auf Beilagen wäre der Rechtsvertreter aber verpflichtet gewesen, zu überprüfen, ob die mit Verfügung vom 16. Oktober 1990 angeforderten insgesamt drei Ausfertigungen der Beschwerde auch tatsächlich angeschlossen sind. Angesichts des Fehlens des sonst üblichen Hinweises durfte sich der Rechtsvertreter auch nicht mehr darauf verlassen, daß seine langjährige und entsprechend eingeschulte Mitarbeiterin die erforderliche Anzahl von Beilagen anschließen würde. Da er offensichtlich keine Überprüfung der Anzahl angeschlossener Beilagen vorgenommen hat, fällt dem Rechtsvertreter der Antragstellerin hier ein Verschulden zur Last, das einen minderen Grad des Versehens übersteigt. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob sich der Rechtsvertreter der Antragstellerin vor Unterfertigung des Ergänzungsschriftsatzes auch davon überzeugen hätte müssen, ob in jeder Ausfertigung des Ergänzungsschriftsatzes alle drei Seiten enthalten sind.

Dem Wiedereinsetzungsantrag konnte daher nicht stattgegeben werden.

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