VwGH 90/18/0091

VwGH90/18/00914.6.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler, Dr. Degischer, Dr. Dorner, Dr. Stoll, Dr. Bernard, DDr. Jakusch, Dr. Baumann und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der Ethlene N gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 21. Februar 1990, Zl. MA 70-10/188/90/Str, betreffend Übertretung der StVO 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §46;
B-VG Art9 Abs1;
KFG 1967 §103 Abs2;
VStG §25 Abs2;
VwGG §13 Abs1 Z2;
VwRallg;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §46;
B-VG Art9 Abs1;
KFG 1967 §103 Abs2;
VStG §25 Abs2;
VwGG §13 Abs1 Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 21. Februar 1990 wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, ihr dem Kennzeichen nach bestimmtes Fahrzeug am 22. Jänner 1989 um 20.45 Uhr in Wien 4, Margaretenstraße 9, mit 4 Rädern auf dem Gehsteig abgestellt und diesen somit vorschriftswidrig benützt zu haben. Sie habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 8 Abs. 4 StVO 1960 begangen, weshalb gemäß § 99 Abs. 3 lit. a leg. cit. über sie eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 13 Abs. 1 Z. 2 VwGG verstärkten Senat erwogen:

Die Beschwerdeführerin bestritt im Verwaltungsstrafverfahren, die Tat begangen zu haben mit dem Hinweis, Lenker des Fahrzeuges im Tatzeitpunkt sei die von ihr der Behörde gemäß § 103 Abs. 2 KFG 1967 bekanntgegebene, in Jamaica wohnhafte Person gewesen.

Die Erstbehörde forderte daraufhin die Beschwerdeführerin auf, innerhalb einer Frist von 4 Wochen Beweise für die Existenz und den Aufenthalt dieser Person zum Tatzeitpunkt in Österreich und für ihre Lenkereigenschaft anzubieten oder entsprechende Beweismittel vorzulegen. Diese Aufforderung ließ die Beschwerdeführerin unbeachtet, weshalb die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid von der Unrichtigkeit der Behauptung der Beschwerdeführerin und ihrer Lenkereigenschaft im Tatzeitpunkt ausging.

In ihrer Beschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, es wäre Aufgabe der belangten Behörde gewesen, die von ihr als Lenker im Tatzeitpunkt (einschließlich "ladungsfähiger Adresse") bekanntgegebene Person von amtswegen, wenn auch im Rechtshilfeweg, vernehmen zu lassen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt dargetan hat, verpflichtet die Bezeichnung einer Person, die sich ständig oder überwiegend im Ausland aufhält und deren verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung, aber auch deren Heranziehung zur Mitwirkung am administrativen Ermittlungsverfahren zumindest erheblich erschwert ist, als Lenker im Sinne des § 103 Abs. 2 KFG 1967 den befragten Zulassungsbesitzer zu einer verstärkten Mitwirkung an dem Verwaltungs(straf)verfahren. Die Behörde kann dann, wenn ihr Versuch, mit der als Lenker bezeichneten Person in Kontakt zu treten, scheitert, den Zulassungsbesitzer dazu verhalten, zumindest die Existenz dieser Person und deren Aufenthalt in Österreich zum fraglichen Zeitpunkt glaubhaft zu machen. In diesem Zusammenhang kann davon ausgegangen werden, daß ein Zulassungsbesitzer sein Kraftfahrzeug nur Personen zum Lenken überläßt, die er näher kennt. Die Behörde hat umgekehrt die Verpflichtung, von amtswegen jene Ermittlungen über die Richtigkeit der Angaben des Zulassungsbesitzers anzustellen, die ihr ohne Schwierigkeiten möglich sind, wie etwa die Einholung von Meldeauskünften. Verweigert es der Zulassungsbesitzer grundlos, die Glaubhaftmachung im oben genannten Sinn zu versuchen, wird die Behörde in der Regel berechtigt sein, die Angabe eines im Ausland befindlichen Lenkers als unrichtig zu qualifizieren. Ist der Zulassungsbesitzer dazu grundsätzlich bereit, reichen aber dessen Behauptungen zur Glaubhaftmachung nach Auffassung der Behörde (noch) nicht aus, so hat ihn die Behörde zu zweckdienlichen Ergänzungen zu verhalten und darüberhinaus selbständige Ermittlungen anzustellen. Die Unterlassung dieser Vorgangsweisen wird regelmäßig die Bestrafung des Zulassungsbesitzers wegen Verletzung seiner Auskunftspflicht nach § 103 Abs. 2 KFG 1967 mit Rechtswidrigkeit belasten (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 19. April 1989, Zl. 88/02/0210).

Obwohl dieses Erkenntnis in einem Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretung des § 103 Abs. 2 KFG 1967 erging, handelt es sich bei der in diesem Erkenntnis behandelten Rechtsfrage um dieselbe, wie sie im vorliegenden Fall zu lösen ist, nämlich, welche Ermittlungspflichten die Behörde treffen, wenn als Entlastungszeuge eine im Ausland lebende Person namhaft gemacht wird.

Im Erkenntnis vom 29. November 1989, Zl. 88/03/0154, - das nicht im Zusammenhang mit der Namhaftmachung eines Lenkers im Sinne des § 103 Abs. 2 KFG 1967 erging, sondern den Fall der Namhaftmachung eines im Ausland (Bundesrepublik Deutschland) wohnhaften Entlastungszeugen in einem Verwaltungsstrafverfahren wegen § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO 1960 betraf - wurde nach Darstellung der damals geltenden Rechtslage, die eine formelle Vernehmung dieses Zeugen im Rechtshilfeweg ausschloß, ausgeführt, die belangte Behörde, die auf Grund des Offizialprinzips zur amtswegigen Ermittlung verpflichtet sei, hätte, wenn es zur Klärung des Sachverhaltes notwendig gewesen sei, zumindest versuchen müssen, mit dem der Anschrift nach bekannten Zeugen in Verbindung zu treten und ihn allenfalls zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme aufzufordern. Erst nach fehlgeschlagenem Versuch könnte davon ausgegangen werden, daß die "Einvernahme" dieses Zeugen nicht möglich gewesen sei.

Demgegenüber erblickte der Verwaltungsgerichtshof in den Erkenntnissen vom 17. Dezember 1986, Zl. 86/03/0125, vom 23. September 1987, Zl. 87/03/0060, und vom 15. Mai 1990, Zl. 89/02/0152, denen jeweils ein Verwaltungsstrafverfahren zugrundelag, in dem es die Behörde unterlassen hatte, mit einem namhaft gemachten, im Ausland lebenden Entlastungszeugen in Verbindung zu treten, in dieser Unterlassung keine Verletzung von Verfahrensvorschriften. Er sprach vielmehr aus, die Behörde treffe über die Aufforderung an den Beschuldigten, im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht Beweise für die Existenz und den angeblichen Aufenthalt dieser Personen zur Tatzeit in Österreich vorzulegen, und über die Einräumung der Möglichkeit an den Beschuldigten, seine Behauptung durch Vorlage einer entsprechenden schriftlichen Erklärung des angeblichen Lenkers unter Beweis zu stellen, hinaus keine Verpflichtung zu "weiteren aufwendigen Ermittlungen".

Der Verwaltungsgerichtshof vermag diese zuletzt genannte Rechtsprechung nicht weiter aufrecht zu erhalten.

Gemäß § 25 Abs. 1 VStG sind Verwaltungsübertretungen mit Ausnahme der Fälle des § 56 von Amts wegen zu verfolgen. Zufolge Abs. 2 dieser Gesetzesstelle sind die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden.

Diese Gesetzesstelle bildet keine Grundlage für die generelle Aussage, die Behörde sei im Rahmen der Berücksichtigung der der Entlastung des Beschuldigten dienenden Vernehmung von Zeugen, die im Ausland leben, nicht zu "aufwendigen" Ermittlungen verpflichtet. Die hier zu ziehende Grenze ist vielmehr durch die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten der Behörde bestimmt.

Das in der eingangs zitierten Rechtsprechung (Erkenntnisse vom 19. April 1989, Zl. 88/02/0210, und vom 29. November 1989, Zl. 88/03/0154) geforderte "in Verbindung treten" wird - sofern nicht ein Rechtshilfeabkommen eine andere Vorgangsweise gebietet - regelmäßig dadurch zu geschehen haben, daß die Behörde an die namhaft gemachte, im Ausland lebende Person ein Schreiben mit dem Ersuchen um schriftliche Stellungnahme richtet. Im Hinblick darauf, daß mit einem derartigen Schreiben keinerlei Sanktionsdrohungen verbunden sind, geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, daß die Zustellung eines derartigen Schreibens an eine im Ausland lebende Person keinen Eingriff in die Hoheitsrechte des betreffenden ausländischen Staates bildet und dieser Vorgangsweise daher völkerrechtliche Schranken nicht entgegenstehen.

Die Behörde wird daher, entsprechend der eingangs zitierten Rechtsprechung, in einem Verwaltungsstrafverfahren, in dem der Beschuldigte als Entlastungszeugen eine Person bezeichnet, die sich ständig oder überwiegend im Ausland aufhält, jedenfalls den Versuch unternehmen müssen, mit dieser Person in der soeben dargestellten Form in Verbindung zu treten. Langt innerhalb angemessener Frist - aus welchen Gründen immer - eine Erklärung der betreffenden Person bei der Behörde nicht ein, so muß dieser Versuch als gescheitert angesehen werden und die Behörde hat dem Beschuldigten im Rahmen des Parteiengehörs Gelegenheit zu geben, entsprechend seiner erhöhten Mitwirkungspflicht den Entlastungsbeweis in anderer Weise - etwa in der Form, daß er selbst eine schriftliche Erklärung des Entlastungszeugen vorlegt oder, wenn es um die Lenkereigenschaft des Beschuldigten im Tatzeitraum geht, durch Glaubhaftmachung zumindest des Aufenthaltes dieser Person in Österreich zum fraglichen Zeitpunkt - zu erbringen. Darüberhinaus treffen die belangte Behörde die weiteren, im bereits eingangs zitierten hg. Erkenntnis vom 19. April 1989, Zl. 88/02/0210, dargestellten Ermittlungspflichten.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich in diesem Zusammenhang veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß eine gesetzliche Grundlage, die schriftliche Erklärung des im Ausland befindlichen Entlastungszeugen in gerichtlich oder notariell beglaubigter Form zu fordern, wie dies in dem in diesem Punkt vom tatsächlichen Inhalt des Erkenntnisses vom 17. Dezember 1986, Zl. 86/03/0125, abweichenden, in der Amtlichen Sammlung N.F. unter Nr. 12355/A abgedruckten Rechtssatz ausgedrückt ist, nicht besteht.

Im vorliegenden Fall unterließ es die belangte Behörde, den Versuch zu unternehmen, mit der von der Beschwerdeführerin als Entlastungszeugin genannten, angeblich in Jamaica, mit welchem Staat ein entsprechendes Rechtshilfeabkommen nicht besteht, wohnhaften Person in der geschilderten Art in Verbindung zu treten. Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie bei Vermeidung dieses Verfahrensverstoßes zu einem anderen Bescheid gekommen wäre, belastete sie damit den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

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