VwGH 90/13/0104

VwGH90/13/010414.11.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schnizer-Blaschka, über die Beschwerde des Dr. S gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat I, vom 12. März 1990, Zl. 6/1-1283/88-02, betreffend Umsatzsteuer und Einkommensteuer für 1982, zu Recht erkannt:

Normen

AbgÄG 1984;
EStG 1972 §19 Abs1;
EStG 1972 §4 Abs3 idF 1984/531 ;
EStG 1972 §4 Abs3;
RLBA 1977 §43;
UStG 1972 §4 Abs3;
UStG 1972 §4;
AbgÄG 1984;
EStG 1972 §19 Abs1;
EStG 1972 §4 Abs3 idF 1984/531 ;
EStG 1972 §4 Abs3;
RLBA 1977 §43;
UStG 1972 §4 Abs3;
UStG 1972 §4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.590,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der beschwerdeführende Rechtsanwalt ermittelt seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG 1972 und berechnet seine Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten (§ 17 Abs. 1 UStG 1972). Eine abgabenrechtliche Prüfung (BP) stellte fest, daß die in der "Einheitswerterklärung" zum 1. Jänner 1983 ausgewiesenen Fremdgeldverbindlichkeiten nur zum Teil durch geeignete Vermögenswerte gedeckt und ihre jederzeitige Befriedigung nur insoweit gesichert wäre. Den nicht gedeckten Betrag behandelte die BP für das Jahr 1982 bei der Umsatzsteuer als Entgelte (netto S 1,481.317,--) und bei der Einkommensteuer als Betriebseinnahme (S 1,777.580,--).

Der Beschwerdeführer erhob gegen die den Feststellungen der BP folgenden Abgabenbescheide Berufung, zu welcher die BP eine Stellungnahme abgab. Hiezu äußerte sich wieder der Beschwerdeführer. Nach abweisender Berufungsvorentscheidung beantragte der Beschwerdeführer die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab auch die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Die strittigen Beträge wären als dem Beschwerdeführer im Sinne des § 19 Abs. 1 EStG 1972 zugeflossen anzusehen. Der Beschwerdeführer wäre objektiv in der Lage gewesen, über diese Beträge frei zu verfügen, da es zu Gutschriften von Honorarvorschüssen, Fremdgeldern und Zinsen in einer Summe auf den zur freien Verfügung des Beschwerdeführers stehenden Kanzleikonten gekommen sei. Die tatsächliche Verfügungsmöglichkeit über die Fremdgelder erweise dessen eigene Auffassung, die ihm auf seinen Konten gutgeschriebenen Beträge seien - auch hinsichtlich eventuell darin enthaltener Fremdgelder - bis zur endgültigen Abrechnung mit seinen Klienten als Honorarvorschüsse zu betrachten, über die zu verfügen er das Recht habe. Die vom Beschwerdeführer durchgeführte, gesonderte Verbuchung der "Fremdgelder" in eigenen Journalen hätte an der Verwirklichung des Zuflußtatbestandes auf Grund der allein maßgeblichen Erlangung der tatsächlichen Dispositionsbefugnis durch die unbestritten erfolgten Gutschriften auf den Konten des Beschwerdeführers nichts ändern können, da mit dieser buchhalterischen Maßnahme die Verfügungsmacht über die Gelder noch nicht übertragen worden, sondern dem Beschwerdeführer zumindest bis zur Abrechnung mit dem Klienten vorbehalten geblieben sei. Ein wirtschaftlicher Vermögenszuwachs sei durch die Fremdgeldgutschriften bzw. deren Verwendung durch den Beschwerdeführer zu eigenen Zwecken zumindest indirekt dadurch erfolgt, daß ihm die Inanspruchnahme wirtschaftlicher Erträgnisse bzw. die Aufnahme von betrieblichen Bankkrediten für die Abdeckung offener Forderungen an ihn im Streitjahr erspart blieben. Durchlaufende Posten hätten nur bei gesonderter Verwahrung der Fremdgelder unterstellt werden können.

Dem Berufungseinwand, die zugeflossenen Fremdgelder hätten keinen Umsatz im steuerlichen Sinn bewirkt, sei entgegenzuhalten, daß sich die Verfügung über diese Beträge wie über eigenes Geld durch den Beschwerdeführer sehr wohl aus (seinen anwaltlichen) Leistungen begründe und daher ein Leistungsaustausch im Sinne des Umsatzsteuergesetzes vorgelegen sei.

Vorliegende Beschwerde macht inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In Streit steht die umsatzsteuerrechtliche und einkommensteuerrechtliche Behandlung von "Fremdgeldern" bei einem Rechtsanwalt. Die belangte Behörde erblickt in ihnen nach der Lage des Beschwerdefalles grundsätzlich umsatzsteuerrechtliche Entgelte und einkommensteuerrechtliche Betriebseinnahmen: Der Beschwerdeführer habe über diese in seinen anwaltlichen Leistungen begründeten Beträge wie über eigenes Geld verfügt bzw. sei es hinsichtlich der Fremdgelder bei ihm zu einem Zufluß im Sinne des § 19 Abs. 1 EStG 1972 gekommen. Andererseits sieht die belangte Behörde nicht in den gesamten, vom Beschwerdeführer zum 31. Dezember 1982 geschuldeten Fremdgeldern Entgelte bzw. Betriebseinnahmen, sondern lediglich insoweit, als die Fremdgeldschuld nicht durch geeignete Vermögenswerte gedeckt war. Insoweit, als eine Deckung bestand, unterstellt die belangte Behörde (steuerlich unbeachtliche) "verwendungsneutrale, finanzielle Vermögensgüter". Konkrete Feststellungen darüber, welcher Art die fraglichen Fremdgelder sind, trifft der angefochtene Bescheid nicht. Die Äußerung des Beschwerdeführers vom 22. April 1988 zur Stellungnahme der BP vom 1. Dezember 1987 sowie die Beschwerdeausführungen lassen darauf schließen, daß der beschwerdeführende Rechtsanwalt überwiegend Entschädigungswerber gegenüber Versicherungen vertritt. Nach den Feststellungen der BP fließen dem Beschwerdeführer auf den Kanzleigirokonten neben Honoraren auch Fremdgelder zu, deren Eingang und Ausgang sowohl dem Namen als auch dem Betrag nach in den jeweiligen Journalen erfaßt werden. In der Regel erfolgt bereits bei Gutschrift eine Aufteilung in Honorare und weiterzugebende Gelder. Anstelle einer Kontrolle mit Hilfe von Anderkonten erfolgt die exakte Ermittlung der jeweiligen Fremdgeldbestände durch separate Aufzeichnungen in Fremdgeldbüchern (BP-Bericht Tz 8, BP-Stellungnahme vom 1. Dezember 1987). Es handelt sich demnach bei den von der BP und der belangten Behörde festgestellten FREMDgeldern (WEITERZUGEBENDEN GELDERN) offenkundig um Beträge, die der Beschwerdeführer von den Versicherungen im Namen und auf Rechnung der von ihm vertretenen Entschädigungswerber vereinnahmte und (wie auch die weiteren Ausführungen zeigen werden) an diese verausgabte. Sie entsprächen damit dem Begriff der durchlaufenden Posten, die gemäß § 4 Abs. 3 UStG 1972 nicht zum Engelt gehören. Diese Auffassung deutete der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren bereits mit dem Beispiel der von einem Gebäudeverwalter vereinnahmten Mieten an (Berufung Seite 3), in der Beschwerde vertritt er sie nunmehr ausdrücklich.

Übernimmt der Rechtsanwalt für seinen Klienten den eingeforderten Betrag, dann handelt es sich dabei nach dem Schrifttum um das typische Beispiel eines durchlaufenden Postens (siehe Doralt-Ruppe, Grundriß des österreichischen Steuerrechts4, I 314, Frühwald, Umsatzsteuergesetz, Seite 122, Kranich-Siegl-Waba, Mehrwertsteuer-Kommentar, § 4 Tz 174). Bereits die Tatsache, daß das "Fremdgeld" im Namen und für Rechnung des Klienten vereinnahmt und verausgabt wird, erfüllt das Tatbestandsmerkmal des durchlaufenden Postens. Eine von den "eigenen" Mitteln gesonderte Verwahrung des durchlaufenden Betrages ist nicht gefordert. Dies ergibt sich schon aus der Überlegung, daß ein durchlaufender Posten auch vorliegt, wenn die Verausgabung der Vereinnahmung vorangeht. Es wäre daher ein durchlaufender Posten auch gegeben, wenn der beschwerdeführende Rechtsanwalt dem Klienten den eingeforderten Betrag vorgestreckt - dies notwendigerweise aus "eigenen" Mitteln - und von der Versicherung erst in weiterer Folge ersetzt erhalten hätte (siehe Kranich-Siegl-Waba, Mehrwertsteuer-Handbuch5, 106, und Kranich-Siegl-Waba, Mehrwertsteuer-Kommentar, § 4 Tz 140, sowie die dort erwähnte hg. Rechtsprechung).

Eine andere Frage ist es, ob die Tatsache, daß "Fremdgeld" im Namen und für Rechnung des Klienten vereinnahmt und verausgabt wird, als erwiesen angesehen werden kann. Liegen keine Aufzeichnungen vor, die eine Trennung der durchlaufenden Posten von den Entgelten zulassen, dann kann durchaus ein "Anderkonto" eines Rechtsanwaltes, das allein der Fremdgeldgebarung dient, Beweis für den durchlaufenden Posten bieten. Beweis über die durchlaufenden Posten können jedoch auch Aufzeichnungen liefern, welche (wie von der BP für den Beschwerdefall festgestellt) die entsprechenden Beträge in besonderen Aufzeichnungen "exakt" festhalten. Wollte man bei Rechtsanwälten den Erlag auf "Anderkonten" als zwingende Voraussetzung für die Anerkennung durchlaufender Posten ansehen, wären Rechtsanwälte schlechter gestellt als andere Berufsgruppen (wie z.B. Makler), bei denen weder Lehre noch Rechtsprechung eine gesonderte Verwahrung fordern. Auch nach dem Berufsrecht der Rechtsanwälte ist bei Fremdgeldern eine gesonderte Verwahrung nicht unabdingbar. Vielmehr hat nach § 43 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter, wiedergegeben in Heller-Jahoda-Schuppich, RAO3, Seite 100, der Rechtsanwalt fremdes Geld nach Möglichkeit getrennt von dem eigenen zu verwahren, jedenfalls aber so aufzuzeichnen, daß er jederzeit darüber Rechnung legen kann. Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren stichhältige Gründe aufgezeigt, warum ihm die Führung von Anderkonten nicht möglich war (insbesondere Vielzahl kleiner, bald weitergeleiteter Überweisungen, die ständige Konteneröffnungen und Kontenlöschungen erforderlich machen könnten). Daß er der Aufzeichnungspflicht nach § 43 der eben genannten Richtlinien entsprach, ergibt sich aus den schon erwähnten Feststellungen der BP.

Mit den im vorhergehenden Absatz angeführten Erwägungen lassen sich unter Bedachtnahme auf den damals entscheidungswesentlichen Sachverhalt auch die von der belangten Behörde ins Treffen geführten, noch zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Umsatzsteuergesetzes 1972 und des Einkommensteuergesetzes 1972 ergangenen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. März 1959, Zlen. 1593, 2333/58, und vom 7. Juli 1971, Zl. 140/69, in Einklang bringen:

Da in jenen Beschwerdefällen für die Fremdgelder weder ausreichende Aufzeichnungen geführt wurden noch eine von den "eigenen" Mitteln gesonderte Verwahrung erfolgte, konnten durchlaufende Posten nicht als erwiesen angesehen werden; vielmehr waren Entgelte und Betriebseinnahmen (siehe unten) anzusetzen.

Zu beachten ist allerdings auch, daß § 4 Abs. 3 UStG 1972 Vereinnahmung UND VERAUSGABUNG im Namen und für Rechnung eines anderen fordert, soll ein durchlaufender Posten vorliegen. Plückebaum-Malitzky, Mehrwertsteuer-Kommentar10, § 10 Rz 332/1, die es als unschädlich ansehen, wenn ein vereinnahmter Betrag zur Zeit der Veranlagung noch nicht verausgabt ist, nehmen für den vereinnahmten Betrag so lange einen durchlaufenden Posten an, als die Mittelsperson zur Verausgabung verpflichtet und GEWILLT ist. Dem tritt der Verwaltungsgerichtshof mit der Maßgabe bei, daß der Mittelsperson der Wille zur Verausgabung auch abzusprechen ist, wenn sie ihn mangels vorhandener Mittel nicht mehr realisieren kann. Darauf läßt der vorliegende Sachverhalt aber nicht schließen. Vielmehr brachte der Beschwerdeführer sowohl in der Berufung als auch in der Beschwerde vor, daß er der Verpflichtung zur Weiterleitung der Fremdgelder stets anstandslos nachgekommen sei. Die Abgabenbehörden haben dem nicht widersprochen. Weiters ist dem angefochtenen Bescheid zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer in einer nicht aktenkundigen Vorhaltsbeantwortung gegenüber der BP auf hohe Forderungsaußenstände von rund 8 Mio S und seine (offenbar dadurch gegebene) Kreditwürdigkeit bei der Bank hinwies. Die belangte Behörde irrt, wenn sie diese Hinweise, die durchaus auf die Zahlungsfähigkeit des Beschwerdeführers hindeuten, im angefochtenen Bescheid als unbeachtlich abtut.

Bei der Einkommensteuer brachte zwar erst das Abgabenänderungsgesetz 1984, BGBl. Nr. 531, im Rahmen des § 4 Abs. 3 EStG 1972 ab 1985 eine gesetzliche Regelung, die der "Durchlauferregelung" des § 4 Abs. 3 UStG 1972 entspricht. Der Gerichtshof teilt aber die Auffassung beider Streitteile, daß hiedurch aus der Sicht des Beschwerdefalles nur eine Klarstellung zu schon bisher geltendem Recht bewirkt wurde. Waren doch schon vor dem Abgabenänderungsgesetz 1984 durchlaufende Posten keine Betriebseinnahmen, da sie wirtschaftlich nicht in das Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen (der Mittelsperson) gelangten (Herrmann-Heuer-Raupach, Kommentar zum Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 4 EStG Anm. 46, 63-64, und § 11 EStG Anm. 50, sowie Schubert-Pokorny-Schuch-Quantschnigg, Einkommensteuerhandbuch2, § 4 Tz 68). Die Eigenschaft der strittigen Fremdgelder als durchlaufende Posten im Sinne der vorstehenden Ausführungen stünde daher aus gleichartigen Erwägungen auch einem Ansatz als Betriebseinnahmen entgegen.

Sollte somit das fortzusetzende Verwaltungsverfahren ergeben, daß die umstrittenen Fremdgelder (weiterzugebenden Gelder) tatsächlich durchlaufende Posten darstellen, die weiterzuleiten der Beschwerdeführer gewillt und befähigt war, woran die bisherigen Feststellungen der belangten Behörde nicht zweifeln lassen, so wären die fraglichen Fremdgelder zu Unrecht als Entgelte bzw. Betriebseinnahmen der Umsatz- und Einkommensbesteuerung zugrunde gelegt worden. Die erforderliche Prüfung unterblieb, weil die belangte Behörde die Rechtslage verkannte. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG und die Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

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