VwGH 90/11/0210

VwGH90/11/021014.5.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des K gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 8. Oktober 1990, Zl. Ib-277-56/90, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §59 Abs1;
KFG 1967 §73 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs6;
VwGG §36 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §59 Abs1;
KFG 1967 §73 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs6;
VwGG §36 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.630,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren hinsichtlich Stempelgebühren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Mandatsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 27. März 1990 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B vorübergehend entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. die Dauer dieser Entziehungsmaßnahme mit sechs Monaten festgesetzt, "berechnet ab dem Tage der Abnahme bzw. Abgabe des Führerscheines". Der Beschwerdeführer gab seinen Führerschein am 13. April 1990 ab. Diese Entscheidung wurde mit Vorstellungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 5. Juni 1990 aufrechterhalten; gemäß § 64 Abs. 2 AVG 1950 wurde die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 8. Oktober 1990 wurde der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben und der Vorstellungsbescheid im Umfang seines Ausspruches nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 geändert (die "Zeit" wurde nunmehr mit acht Monaten bemessen), im übrigen jedoch bestätigt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides liegt dieser Entziehungsmaßnahme die - im Wege der selbständigen Vorfragenbeurteilung gemäß § 38 AVG 1950 getroffene - Annahme zugrunde, der Beschwerdeführer habe am 17. Februar 1990 durch Verweigerung der Blutabnahme (neuerlich) ein Alkoholdelikt begangen. Damit liege eine bestimmte Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 vor, die aufgrund ihrer Wertung zu der Annahme zwinge, dem Beschwerdeführer mangle die Verkehrszuverlässigkeit und er werde sie nicht vor Ablauf der festgesetzten Zeit wiedererlangen. In Ansehung ihrer Annahme, der Beschwerdeführer habe am 17. Februar 1990 eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit. c in Verbindung mit § 5 Abs. 6 StVO 1960 begangen, traf die Behörde die Feststellungen, daß bei dem vom Beschwerdeführer verursachten Verkehrsunfall zumindest eine von ihm verschiedene Person (A) erheblich verletzt worden sei und dies bereits bei der Aufforderung zur Blutabnahme mit gutem Grund habe angenommen werden können, sowie daß die Blutabnahme zur Feststellung seines Blutalkoholgehaltes erforderlich gewesen sei, der Beschwerdeführer sie aber verweigert habe, obwohl er sowohl an der Unfallstelle als auch im Landeskrankenhaus Feldkirch dazu aufgefordert worden sei.

2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die belangte Behörde habe die Vorfrage, ob er am 17. Februar 1990 eine Verwaltungsübertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. c StVO 1960 begangen habe, unrichtig gelöst. Für die Verpflichtung zur Blutabnahme sei nämlich entscheidend, ob die Verletzungen der am Unfall beteiligten Personen unmittelbar nach dem Verkehrsunfall mit gutem Grund als erheblich zu qualifizieren gewesen seien. Dies sei nach den Verletzungsbildern, die sich den einschreitenden Exekutivorganen im Zeitpunkt der Aufforderung zur Blutabnahme geboten hätten, nicht der Fall gewesen.

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer nicht im Recht.

Gemäß § 99 Abs. 1 lit. c StVO 1960 begeht eine Verwaltungsübertretung, wer sich bei Vorliegen der im § 5 Abs. 6 leg. cit. bezeichneten Voraussetzungen weigert, sich Blut abnehmen zu lassen. Nach der Verfassungsbestimmung des § 5 Abs. 6 StVO 1960 hat, wenn der Vorgeführte im Verdacht steht, in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand einen Verkehrsunfall verursacht zu haben, bei dem eine Person getötet oder erheblich verletzt worden ist, die Untersuchung, wenn dies erforderlich und ärztlich unbedenklich ist, eine Blutabnahme zu umfassen. Erheblich im Sinne dieser Bestimmung ist eine Verletzung, wenn sie nicht bloß geringfügig ist; das ist insbesondere dann der Fall, wenn sie eine über die Erste-Hilfe-Leistung hinausgehende ärztliche Behandlung erfordert (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Jänner 1987, Zl. 85/03/0027). Um die Rechtsfrage des Vorliegens einer "erheblichen" Verletzung erschöpfend beurteilen zu können, bedarf es - sofern dies nicht nach den gegebenen Umständen auf der Hand liegt - eines ärztlichen Gutachtens über die mit der Verletzung verbundenen Gesundheitsfolgen für den Verletzten (vgl. neben dem soeben erwähnten Erkenntnis auch jenes vom 16. Jänner 1987, Zl. 86/18/0225).

Die freie Beweiswürdigung der Behörde unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle dahingehend, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind sie nur dann, wenn sie unter anderem den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen (vgl. etwa das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053).

Auf dem Boden dieser Rechtslage bestehen weder gegen die Beweiswürdigung durch die belangte Behörde noch gegen ihre rechtliche Beurteilung Bedenken. Ihre Annahme, es sei zumindest eine Person erheblich verletzt worden, stützte die belangte Behörde in erster Linie auf das Gutachten eines ärztlichen Amtssachverständigen vom 22. August 1990. Dieser legte darin ausgehend von der Aktenlage, insbesondere der Krankengeschichte des Landeskrankenhauses Feldkirch, dar, daß die Lenkerin des zweiten am Unfall beteiligten Fahrzeuges, A, neben einer Prellung des Kopfes und der rechten Hand sowie einer Hautabschürfung an der rechten Hand eine Zerrung der Halswirbelsäule erlitten habe, weshalb eine sogenannte Schanzkrawatte angelegt worden sei. Auch sei ein "Schädel-CT" notwendig gewesen. Weiters hätten der Genannten Glassplitter aus der linken Hand entfernt werden müssen. All dies lasse ebenso wie der Umstand, daß eine stationäre Aufnahme erforderlich gewesen und die Verletzte für die Dauer von nahezu vier Wochen als arbeitsunfähig beurteilt worden sei, erkennen, daß eine über die Erste-Hilfe-Leistung hinausgehende ärztliche Behandlung erforderlich gewesen sei. Der Beschwerdeführer ist diesen Ausführungen des medizinischen Sachverständigen nicht entgegengetreten. Im Hinblick auf dieses unbestritten gebliebene Gutachten konnte die belangte Behörde unbedenklich davon ausgehen, daß zumindest eine am Unfall beteiligte Person nicht bloß geringfügige Verletzungen erlitten habe und damit das Tatbestandsmerkmal der "erheblichen Verletzung" im Sinne des § 5 Abs. 6 StVO 1960 verwirklicht sei. Daran vermag der Hinweis in der Beschwerde auf das "exculpierende Beweisverfahren" im Strafverfahren vor dem Landesgericht Feldkirch nichts zu ändern. Ein konkretes Vorbringen, das insoweit einen vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmenden Mangel der Beweiswürdigung der belangten Behörde aufzeigen könnte, hat der Beschwerdeführer nicht erstattet.

Bei seinem Einwand, die Annahme, es habe zumindest eine Person erhebliche Verletzungen erlitten, sei bei der Aufforderung zur Blutabnahme nicht berechtigt gewesen, weil keine der am Unfall beteiligten Personen sichtbare Verletzungen erlitten habe, verkennt der Beschwerdeführer, daß diese Annahme das Vorliegen sichtbarer Verletzungen keineswegs voraussetzt. Was die vom Beschwerdeführer in erster Linie in Frage gestellte Erkennbarkeit der durch das ärztliche Gutachten objektivierten Tatsache der erheblichen Verletzung zumindest einer Person anlangt, konnte die belangte Behörde aufgrund der ihr vorliegenden Ermittlungsergebnisse unbedenklich davon ausgehen, daß bereits bei der Aufforderung zur Blutabnahme ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme bestanden, daß zumindest eine Person bei dem Verkehrsunfall erheblich verletzt worden sei. Die belangte Behörde konnte sich insoweit auf die Aussage des Rev.Insp. R bei seiner Vernehmung als Zeuge am 27. April 1990 stützen, die Lenkerin des Fahrzeuges habe über starke Schmerzen im Bereich der Brust und der Wirbelsäule geklagt und am Kopf sichtbare Schnittwunden aufgewiesen; sie habe sehr mitgenommen gewirkt. Im übrigen bestreitet der Beschwerdeführer selbst nicht, daß die Genannte von der Rettung ins Krankenhaus transportiert und dort ärztlich versorgt werden mußte. Er hat auch nicht behauptet, daß ihm all diese auf das Vorliegen einer erheblichen Verletzung hindeutenden Umstände nicht bekannt gewesen seien.

2.2. In Ansehung der Annahme, er habe die Blutabnahme trotz Aufforderung hiezu verweigert, bringt der Beschwerdeführer vor, er habe sich dahin geäußert, daß "es ihm egal sei". Damit sei seine Entscheidung offengeblieben; einen Verweigerungstatbestand habe er jedenfalls nicht gesetzt.

Der Beschwerdeführer behauptet erstmals in seiner Beschwerde, sich auf die wiedergegebene Weise geäußert zu haben. Es handelt sich daher insoweit um eine unzulässige Neuerung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, weshalb sich eine Auseinandersetzung damit wie auch ein Eingehen auf das in diesem Zusammenhang in der Beschwerde erwähnte hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1985, Zl. 85/02/0183, erübrigt.

2.3. Auch der weitere Einwand des Beschwerdeführers, es habe keine Untersuchung im Sinne des § 5 Abs. 6 StVO 1960 stattgefunden, weshalb sich die Erforderlichkeit der Blutabnahme bei ihm nicht objektivieren lasse, ist nicht berechtigt. Richtig ist zwar, daß der Verwaltungsgerichtshof in seinem (in der Beschwerde erwähnten) Erkenntnis vom 19. Jänner 1990, Zl. 89/18/0139, aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 6 StVO 1960 ("... hat die Untersuchung ... zu umfassen ...") abgeleitet hat, daß sich die dort vorgesehene Untersuchung nicht auf die Blutabnahme zu beschränken hat. Der Gerichtshof hat weiters ausgesprochen, daß für den damaligen Beschwerdeführer nur dann eine Verpflichtung, sich Blut abnehmen zu lassen, bestanden hätte, wenn eine Untersuchung zwecks Feststellung des Grades der Alkoholeinwirkung stattgefunden hätte, bei welcher sich überdies ergeben hätte, daß eine Blutabnahme erforderlich sei, um den Grad der Alkoholeinwirkung feststellen zu können. Mit dem Hinweis auf dieses Erkenntnis ist aber für den Beschwerdeführer deshalb nichts zu gewinnen, weil im vorliegenden Fall ohnedies eine solche Untersuchung stattgefunden hat. In der den Beschwerdeführer betreffenden Verletzungsanzeige des Landeskrankenhauses Feldkirch vom 17. Februar 1990 heißt es nämlich im Befund unter anderem "... Pat. ist offensichtlich alkoholisiert. Gerötete Bindehäute, die Ausatmungsluft riecht nach Alkohol, die Sprache verwaschenÜ Die klinische Untersuchung gestaltet sich, seinem Zustand entsprechend, sehr schwierig, ..." Daraus ist nicht nur die Tatsache der Untersuchung des Beschwerdeführers unter anderem auf seine Alkoholbeeinträchtigung zu ersehen, sondern auch erkennbar, daß unter den gegebenen Umständen eine Blutabnahme zur eindeutigen Feststellung des Grades der Alkoholbeeinträchtigung erforderlich war.

3. Der angefochtene Bescheid ist allerdings aus folgendem Grund mit Rechtswidrigkeit behaftet.

Die belangte Behörde hat in Ausübung ihrer reformatorischen Funktion (vgl. zu diesem Begriff das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11237/A) den Ausspruch nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 durch Festsetzung einer längeren "Zeit" geändert. Die belangte Behörde hat damit die Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers über die von der Erstbehörde festgesetzte Entziehungszeit hinaus ausgesprochen. Dem liegt die Prognose zugrunde, der Beschwerdeführer werde seine Verkehrszuverlässigkeit erst mit Ablauf des 13. Dezember 1990 (acht Monate nach Abgabe des Führerscheines) wiedererlangen. Diese Entscheidung entspricht deshalb nicht dem Gesetz, weil zufolge § 73 Abs. 2 KFG 1967 die Berufungsbehörde in Ausübung ihrer reformatorischen Funktion die Entziehung einer Lenkerberechtigung unter anderem nur dann aussprechen darf, wenn sie zu der Annahme gelangt, die Verkehrszuverlässigkeit des Berufungswerbers werde voraussichtlich nicht vor Ablauf von drei Monaten ab Erlassung ihres Bescheides eintreten (vgl. das vorhin erwähnte Erkenntnis eines verstärkten Senates). Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor. Die belangte Behörde ist nämlich davon ausgegangen, der Beschwerdeführer werde seine Verkehrszuverlässigkeit bereits nach etwas mehr als zwei Monaten ab Erlassung des angefochtenen Bescheides (am 9. Oktober 1990), nämlich mit Ablauf des 13. Dezember 1990 wiedererlangen. Im Hinblick auf die aufgezeigte Rechtswidrigkeit ist der angefochtene Bescheid, und zwar wegen der Untrennbarkeit des Ausspruches nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 von jenem über die Entziehungsmaßnahme (vgl. auch dazu das vorhin erwähnte Erkenntnis eines verstärkten Senates) zur Gänze, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das abgewiesene Mehrbegehren betrifft die Stempelgebühren für Beilagen. Zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung genügte die Vorlage einer Ausfertigung des angefochtenen Bescheides; hiefür waren S 150,-- an Stempelgebühren zu entrichten.

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