Normen
ASVG §110;
VwGG §48 Abs1 Z1;
ASVG §110;
VwGG §48 Abs1 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat den Beschwerdeführern Aufwendungen von je S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das auf den Ersatz von 20 % Umsatzsteuer und von Stempelgebühren gerichtete Mehrbegehren des Zweitbeschwerdeführers wird abgewiesen.
Begründung
Die Erstbeschwerdeführerin hat mit Bescheid vom 19. Februar 1985 ausgesprochen, daß der Zweitbeschwerdeführer in der Zeit vom 1. Oktober 1972 bis 24. März 1984 aufgrund seiner Tätigkeit als örtlicher Reiseleiter der erstmitbeteiligten Partei der Sozialversicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG und der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 1 AlVG unterlegen sei. Nach der Begründung dieses Bescheides habe der Zweitbeschwerdeführer angegeben, daß er in der genannten Zeit als örtlicher Reiseleiter der erstmitbeteiligten Partei beschäftigt gewesen sei. Diese Tätigkeit sei mit einer festgelegten Arbeitszeit nach den Weisungen des Büros der erstmitbeteiligten Partei gegen ein laufendes Entgelt in einem von der erstmitbeteiligten Partei gemieteten Büro verrichtet worden. Der Zweitbeschwerdeführer sei durch die jeweils mit ihm abgeschlossene Zielortvereinbarung laut Punkt 11. in allen touristischen Belangen gegenüber den örtlichen Vertragspartnern zur Kontrolle und zu Weisungen im Auftrag der erstmitbeteiligten Partei befugt gewesen. Die Reiseroute, die Stationen für die Mahlzeiten, Übernachtungen und der Ablauf des genauen Programms seien von der erstmitbeteiligten Partei vorgeschrieben worden. Diese sei somit gemäß § 33 Abs. 1 ASVG verpflichtet gewesen, den Zweitbeschwerdeführer binnen sieben Tagen nach Beginn der Pflichtversicherung zur gesetzlichen Sozialversicherung anzumelden. Dieser Verpflichtung sei die erstmitbeteiligte Partei nicht nachgekommen. Aufgrund der gegebenen Sach- und Rechtslage sehe sich die Erstbeschwerdeführerin veranlaßt, die Einbeziehung des Zweitbeschwerdeführers in die Sozialversicherung "für die Zeit vom 1. Jänner 1980 bis 24. März 1984" von Amts wegen vorzunehmen und die Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen für die vorangeführte Zeit nachzurechnen.
Gegen diesen Bescheid erhob die erstmitbeteiligte Partei Einspruch, in dem sie u.a. behauptete, daß der Zweitbeschwerdeführer nicht verpflichtet gewesen sei, die vertraglich übernommenen Aufgaben selbst durchzuführen. Damit hätten andere Personen betraut werden können. Auch wenn die Delegation von Aufgaben in der Vereinbarung nicht ausdrücklich erwähnt worden sei, dürfe daraus keineswegs geschlossen werden, daß alle Aufgaben höchstpersönlich erbracht werden hätten müssen.
Diesem Einspruch der erstmitbeteiligten Partei wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 30. Juli 1986 keine Folge gegeben und der Bescheid der Erstbeschwerdeführerin vom 19. Februar 1985 aus seinen zutreffenden Gründen bestätigt. In der Begründung dieses Einspruchsbescheides wird zur Frage der generellen Vertretungsmöglichkeit des Zweitbeschwerdeführers ausgeführt, daß dieser die Tätigkeit persönlich habe ausüben müssen. Dies habe vor allem für die Durchführung des Gästetransfers, die Abhaltung von regelmäßigen Sprechstunden und die Organisation und Durchführung des Erlebnispaketes und von Veranstaltungen gegolten.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung hat die erstmitbeteiligte Partei neuerlich behauptet, daß sich der Zweitbeschwerdeführer beliebig habe vertreten lassen können.
Dieser Berufung der erstmitbeteiligten Partei wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 6. November 1986 keine Folge gegeben und der mit Berufung bekämpfte Einspruchsbescheid des Landeshauptmannes aus seinen zutreffenden Gründen bestätigt.
Dieser Bescheid der belangten Behörde wurde von der erstmitbeteiligten Partei mit Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof angefochten und mit Erkenntnis vom 24. November 1988, Zl. 86/08/0255, AW 86/08/0046, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. In der Begründung dieses Erkenntnisses führte der Verwaltungsgerichtshof aus, daß aus der Begründung des Einspruchsbescheides nicht ersichtlich sei, weshalb aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens die Einspruchsbehörde zur Auffassung gekommen sei, daß der Zweitbeschwerdeführer seine Tätigkeit persönlich habe ausüben müssen. In der Berufung der erstmitbeteiligten Partei seien dazu neuerlich Ausführungen in konkreter Weise gemacht worden, mit denen sich die belangte Behörde nicht näher auseinandergesetzt habe.
Im fortgesetzten Verfahren erfolgte über Veranlassung der belangten Behörde die Einvernahme des Zweitbeschwerdeführers, seiner Ehefrau und mehrerer anderer Zeugen. Nach Einholung von Stellungnahmen zum Ergebnis dieser Einvernahmen gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid der Berufung der erstmitbeteiligten Partei nunmehr Folge und stellte in Abänderung des Einspruchsbescheides fest, daß der Zweitbeschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeit für die erstmitbeteiligte Partei in der Zeit vom 1. Oktober 1972 bis 24. März 1984 nicht der Voll- und Arbeitslosenversicherung nach dem ASVG und dem AlVG unterlegen sei.
Nach einer Wiedergabe des Ganges des Verfahrens und der von der belangten Behörde angewendeten Rechtsvorschriften (einschließlich der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) führte die belangte Behörde begründend aus, daß die im fortgesetzten Verfahren vernommenen Zeugen über die zwischen der erstmitbeteiligten Partei und dem Zweitbeschwerdeführer getroffenen Vereinbarungen keine konkreten Angaben hätten machen können. Der Gebietsbeauftragte der erstmitbeteiligten Partei habe angegeben, er sei der Meinung gewesen, der Zweitbeschwerdeführer habe sich vertreten lassen können, wisse jedoch nicht, was tatsächlich zugetroffen habe und ob sich der Zweitbeschwerdeführer tatsächlich vertreten habe lassen. Die Ehefrau des Zweitbeschwerdeführers und dieser selbst hätten angegeben, eine generelle Vertretungsmöglichkeit habe nicht bestanden, doch lasse der Umstand, daß der Zweitbeschwerdeführer fast ausschließlich selbst die Gäste der erstmitbeteiligten Partei betreut habe, noch keinen Schluß darauf zu, daß er dazu auch verpflichtet gewesen sei. Die (gemeint: schriftlichen) Zielortvereinbarungen hätten ebenfalls keine ausdrückliche Verpflichtung zu persönlicher Arbeitsleistung enthalten, doch schließe die belangte Behörde aus Punkt 9. der Zielortvereinbarung, in dem es heiße "der Gebietsbeauftragte oder dessen Vertreter ist gegenüber dem örtlichen Vertragspartner ... befugt", daß auch für die Zielortereiseleiter grundsätzlich eine generelle Vertretungsmöglichkeit bestanden habe, wenngleich von dieser nur äußerst selten oder überhaupt nicht Gebrauch gemacht worden sei. Zufolge dieser von der belangten Behörde angenommenen Vertretungsmöglichkeit sei eine persönliche Abhängigkeit des Zweitbeschwerdeführers wegen der dadurch fehlenden Ausschaltung seiner Bestimmungsfreiheit nicht gegeben.
Gegen diesen Bescheid richten sich die vorliegenden, von der Gebietskrankenkasse (zu Zl. 90/08/0201) und vom Zweitbeschwerdeführer (zu Zl. 90/08/0206) erhobenen, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machenden Beschwerden.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und erklärt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand zu nehmen.
Die erstmitbeteiligte Partei hat Gegenschriften erstattet, in denen sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Beschwerden zufolge ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges miteinander verbunden und darüber erwogen:
Die Beschwerdeführer behaupten - unter Hinweis auf die Aussagen der im zweiten Rechtsgang gehörten Zeugen - die Unschlüssigkeit der Annahme der belangten Behörde, es habe für den Zweitbeschwerdeführer bei Erbringung seiner Arbeitsleistung eine generelle Vertretungsmöglichkeit bestanden.
Gemäß § 41 Abs. 1 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid aufgrund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu überprüfen, soweit er nicht - u.a. - Rechtswidrigkeit wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gegeben findet.
Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung des Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.
Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde - soweit nicht offenkundige Tatsachen vorliegen oder gesetzliche Vermutungen Platz greifen (§ 45 Abs. 1 AVG) - unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen sei oder nicht.
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet lediglich, daß die Würdigung der Beweise keinen, insbesondere nicht gesetzlichen Beweisregeln unterworfen ist, schließt jedoch eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind solche Erwägungen nur dann, wenn sie u.a. den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen. Ferner ist der Verwaltungsgerichtshof an den angenommenen Sachverhalt nicht gebunden, als er aktenwidrig ist, in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf oder Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Mai 1974, Slg. Nr. 8619/A und - aus jüngerer Zeit - das Erkenntnis vom 14. März 1989, Zl. 87/08/0159 uva.).
Die belangte Behörde stützte ihre dem Tatsächlichen zuzurechnende Feststellung, daß für den Zweitbeschwerdeführer als Zielortreiseleiter grundsätzlich eine generelle Vertretungsmöglichkeit bestanden habe, bei von ihr gleichzeitig eingeräumter Indifferenz des aus den Aussagen des Zweitbeschwerdeführers und der Zeugen gewonnenen Beweisergebnisses, ausschließlich auf "Punkt 9." der Zielortvereinbarung (nach dem Inhalt eines bei den Verwaltungsakten befindlichen Exemplares einer solchen Vereinbarung ist offenbar PUNKT 11. gemeint, worauf der Zweitbeschwerdeführer zutreffend verweist); diese Bestimmung lautet:
"11. Der Gebietsbeauftragte oder dessen Vertreter ist gegenüber dem örtlichen Vertragspartner in allen touristischen Belangen zur Kontrolle und zu Weisungen befugt."
Wenn die belangte Behörde aus der Wendung "oder dessen Vertreter" eine generelle Vertretungsbefugnis des Zweitbeschwerdeführers ableitet, so ist dies in zweifacher Hinsicht unschlüssig: Zum einen deshalb, weil sich diese nicht auf den Zielortreiseleiter selbst, sondern auf den Gebietsbeauftragten (also den Vorgesetzten des Zielortreiseleiters) bezieht und die belangte Behörde nicht einmal andeutet, woraus sie einen Schluß vom Gebietsbeauftragten auf den Zweitbeschwerdeführer logisch rechtfertigen zu können meint, zum anderen aber auch deshalb, weil schon die Wendung "oder sein Vertreter" für sich allein genommen keinen Schluß darauf zuläßt, daß damit ein Vertreter gemeint ist, der vom Vertretenen im Sinne einer generellen Vertretungsbefugnis frei gewählt werden konnte; mit dieser Wendung wird vielmehr zum Ausdruck gebracht, daß der Zielortreiseleiter im dort angegebenen Umfang den Weisungen und Kontrollen auch des Vertreters des Gebietsbeauftragten in gleicher Weise unterstellt sei ohne eine Aussage über persönliche Arbeitspflicht zu enthalten.
Da die belangte Behörde abgesehen von dieser - wegen der ihr anhaftenden Unschlüssigkeit als weitere Grundlage für rechtliche Erörterungen ungeeigneten - Feststellung keine weiteren Tatsachenfeststellungen im Sinne des in der verwaltungsgerichtlichen Judikatur zur Frage des Vorliegens persönlicher Abhängigkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG entwickelten Merkmalschemas (vgl. dazu unter anderem das Erkenntnis vom heutigen Tage, Zl. 90/08/0131, 0146, betreffend einen anderen Zielortereiseleiter der erstmitbeteiligten Partei) getroffen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Das Mehrbegehren des Zweitbeschwerdeführers auf Ersatz von 20 % Umsatzsteuer aus den Pauschalsätzen der zitierten Verordnung war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in diesen Pauschalsätzen bereits enthalten ist. Ebenso mußte das Begehren auf Ersatz von Stempelgebühren für die beigebrachte Vollmacht des Beschwerdevertreters des Zweitbeschwerdeführers abgewiesen werden, weil eine auf das gegenständliche Verfahren eingeschränkte, diesfalls gemäß § 110 ASVG gebührenbefreite Vollmacht ausreichend gewesen wäre und die Vorlage einer darüber hinausgehenden (gebührenpflichtigen) Vollmacht daher nicht erforderlich war.
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