VwGH 90/02/0035

VwGH90/02/003520.6.1990

N gegen Wiener Landesregierung vom 19. Jänner 1990, Zl. MA 70-9/439/89/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960.

Normen

StVO 1960 §20 Abs2 idF 1975/402;
StVO 1960 §99 Abs2 litc idF 1976/412;
VStG §44a lita;
StVO 1960 §20 Abs2 idF 1975/402;
StVO 1960 §99 Abs2 litc idF 1976/412;
VStG §44a lita;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 19. Jänner 1990 wurde der Beschwerdeführer einer Übertretung nach § 20 Abs. 2 in Verbindung mit § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 schuldig erkannt und hiefür bestraft, weil er am 13. September 1988 um 15.49 Uhr in Wien 5, Margaretengürtel Kreuzung Einsiedlergasse, als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit um 70 km/h, "somit unter besonderer Rücksichtslosigkeit anderen Straßenbenützern gegenüber," überschritten habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer erblickt eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin, daß dieser "in seinem Spruch nicht hinreichend das, die besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern qualifizierende Verhalten, das diese Rücksichtslosigkeit begründet, beschreibt". Dabei nimmt er Bezug auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Jänner 1984, Zl. 82/03/0100. In diesem Erkenntnis wurde unter Hinweis auf das Vorerkenntnis vom 20. März 1963, Zl. 1221/62, ausgesprochen, daß, um eine Übertretung der Straßenverkehrsordnung oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen auf Grund des § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 bestrafen zu können, zu dem an sich strafbaren verkehrswidrigen Verhalten des Täters noch zusätzliche Sachverhaltselemente hinzukommen müssen, die die Annahme rechtfertigen, daß die Tat unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit begangen wurde. Die besondere Rücksichtslosigkeit im Sinne der genannten Gesetzesstelle sei ein strafsatzändernder Umstand. Sie sei im Verhalten des Täters gegenüber den anderen Straßenbenützern begründet und liege dann vor, wenn zu einem Tatbestand der Straßenverkehrsordnung, der eine mangelnde Rücksichtnahme gegenüber anderen Straßenbenützern beinhalte, wie etwa die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, ein besonderes Übermaß mangelnder Rücksichtnahme hinzutrete. Es bedürfe also (entsprechend dem weiteren Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Juni 1980, Zl. 459/80) des Vorliegens zusätzlicher Sachverhaltselemente. Gemäß § 44a lit. a VStG 1950 habe der Spruch, wenn er nicht auf Einstellung laute, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Die (damals) belangte Behörde habe übersehen, daß die unter § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 fallenden Verwaltungsübertretungen dem Tatbild nach einen qualifizierten Verstoß gegen die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung darstellten und die besondere Rücksichtslosigkeit somit zum Tatbestand der betreffenden Verwaltungsübertretungen gehöre (hiebei wurde abermals auf das Vorerkenntnis zur Zl. 459/80 verwiesen). Es müsse daher, da die besondere Rücksichtslosigkeit ein strafsatzändernder Umstand im Sinne des § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 sei, dieser Umstand nicht nur sachverhaltsmäßig feststehen, sondern auch bei der Umschreibung der Tat im Sinne des § 44a lit. a VStG 1950 seinen Ausdruck finden, weil nur auf eine solcherart umschriebene Tat der geänderte Strafsatz des § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 im Sinne des § 44a lit. c VStG 1950 angewendet werden könne und dürfe. Diesem Erfordernis trage der Spruch des von der (damals) belangten Behörde bestätigten erstinstanzlichen Straferkenntnisses nicht Rechnung, weil in einer, wenn auch erheblichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet allein nicht in jedem Falle eine besondere Rücksichtslosigkeit erblickt werden könne und die Anführung bloß in der Begründung, daß die Tat mit besonderer Rücksichtslosigkeit begangen worden sei, hiefür nicht ausreiche.

Die belangte Behörde vertritt in der Gegenschrift die Auffassung, daß die Rechtsansicht des Beschwerdeführers, im Spruch müsse bereits "detailliert dargelegt werden", "worin konkret die besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern bei der Verwaltungsübertretung bestand", unzutreffend sei und sich auch nicht aus dem genannten Erkenntnis vom 11. Jänner 1984, Zl. 82/03/0100, ergebe. Dieser Entscheidung sei lediglich zu entnehmen, daß das Merkmal "besondere Rücksichtslosigkeit" zum Tatbestand der betreffenden Verwaltungsübertretung gehöre und dieser Umstand als strafsatzändernder Umstand des § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 auch bei der Umschreibung der Tat im Sinne des § 44a lit. a VStG 1950 seinen Ausdruck finden müsse. Die Anführung der "besonderen Rücksichtslosigkeit" bloß in der Begründung habe der Verwaltungsgerichtshof für nicht ausreichend erachtet. Im Gegensatz zu dem zitierten Erkenntnis sei im gegenständlichen Fall im Spruch das Tatbestandsmerkmal "mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern" sehr wohl enthalten. Aus diesem Grunde und weil im übrigen in der Begründung des angefochtenen Bescheides "sehr umfangreich ausgeführt" worden sei, auf Grund welcher Umstände die belangte Behörde "die massive Geschwindigkeitsüberschreitung" als mit besonderer Rücksichtslosigkeit begangen erachtet habe, sei den gesetzlichen Anforderungen ausreichend Rechnung getragen worden.

Der belangten Behörde ist entgegenzuhalten, daß der Verwaltungsgerichtshof die im Erkenntnis vom 11. Jänner 1984, Zl. 82/03/0100, getroffenen Aussagen in der Folge jedenfalls dahin verstanden hat, daß die Anführung der konkreten, die besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern begründenden Umstände im Spruch des Straferkenntnisses geboten erscheine (vgl. dazu die Erkenntnisse vom 14. Februar 1985, Zlen. 85/02/0087, 0088, vom 4. Juli 1989, Zl. 89/11/0070, und vom 19. September 1989, Zl. 89/11/0068). Der Verwaltungsgerichtshof sieht im vorliegenden Beschwerdefall keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Die belangte Behörde hat zwar an sich richtig erkannt, daß die Überschreitung der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h am angeführten Tatort zur angegebenen Tatzeit selbst in dem von ihr festgestellten (vom Beschwerdeführer bestrittenen) Ausmaß für sich allein nicht die Annahme einer besonderen Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern im Sinne des § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 rechtfertigt, sondern hiefür das Vorliegen zusätzlicher Sachverhaltselemente, die in Beziehung zur eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit des Beschwerdeführers zu setzen waren, erforderlich war. Diese maßgeblichen Begleitumstände haben daher auch in der Begründung des angefochtenen Bescheides ihren Niederschlag gefunden, wobei nach Ansicht des Gerichtshofes insbesondere dem Hinweis auf das starke Verkehrsaufkommen besonderes Gewicht zukommt. Der von der belangten Behörde erhobene Tatvorwurf, der Beschwerdeführer habe die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit um etwa 70 km/h, "somit unter besonderer Rücksichtslosigkeit anderen Straßenbenützern gegenüber", überschritten, stellt eine unrichtige und mit ihrer eigenen Begründung im angefochtenen Bescheid nicht in Einklang stehende Schlußfolgerung dar.

Da somit die belangte Behörde diesbezüglich die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

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