VwGH 90/02/0034

VwGH90/02/003426.9.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 9. Jänner 1990, Zl. MA 70-10/692/89/Str, betreffend Übertretungen der StVO 1960

Normen

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §58 Abs1;
AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
StVO 1960 §97 Abs4;
VStG §44a lita;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §58 Abs1;
AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
StVO 1960 §97 Abs4;
VStG §44a lita;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird, soweit der Beschwerdeführer einer Übertretung nach § 9 Abs. 1 StVO 1960 schuldig erkannt und hiefür bestraft wurde, einschließlich des damit im Zusammenhang stehenden Kostenausspruches, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 9. Jänner 1990 wurde der Beschwerdeführer der Übertretungen nach § 99 Abs. 4 lit. i in Verbindung mit § 97 Abs. 4 StVO 1960 (zu 1.) und nach § 9 Abs. 1 StVO 1960 (zu 2.) schuldig erkannt und hiefür bestraft, weil er an einem näher bezeichneten Tag um n Uhr in Wien VI, A-Gürtel Kreuzung B-Straße, als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws 1. die Anordnung eines Organs der Straßenaufsicht, mit der ihm das Befahren der B-Straße in Richtung stadteinwärts untersagt worden sei, nicht befolgt habe, sondern er vom A-Gürtel kommend in der B-Straße weitergefahren sei, obwohl die Befolgung der Anordnung ohne Gefährdung von Personen und ohne Beschädigung von Sachen möglich gewesen sei, und 2. die auf der Fahrbahn deutlich sichtbar angebrachten "doppelten Sperrlinien" überfahren habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer macht - zwar der Diktion in der Beschwerde nach nur in Ansehung der Übertretung des § 99 Abs. 4 lit. i in Verbindung mit § 97 Abs. 4 StVO 1960, jedoch würde dies in gleichem Maße auch für die Übertretung nach § 9 Abs. 1 leg. cit. zutreffen - geltend, daß der Spruch des angefochtenen Bescheides nicht dem Erfordernis des § 44a lit. a VStG 1950 entspreche, weil er nicht die Angabe der als erwiesen angenommenen Tat enthalte. Dem Beschwerdeführer ist - im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u. a. die Erkenntnisse vom 22. November 1984, Zl. 83/02/0493, und vom 19. März 1990, Zl. 85/18/0174) - entgegenzuhalten, daß keine Vorschrift besteht, daß die Berufungsbehörde den gesamten Spruch des Straferkenntnisses der Behörde erster Instanz wiederholen muß, sofern - wie im Beschwerdefall - aus diesem mit Verbindung mit dem Spruch des Berufungsbescheides eindeutig die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat hervorgeht.

Der Beschwerdeführer rügt weiters, daß die belangte Behörde ihrer Entscheidung "lediglich die Anzeige sowie die Aussage des Meldungslegers" zugrundegelegt habe. Darauf ist zu erwidern, daß die belangte Behörde gemäß § 45 Abs. 2 AVG 1950 verpflichtet war, unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht, und die belangte Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung den Angaben des (auch als Zeugen vernommenen) Meldungslegers und nicht der Verantwortung des Beschwerdeführers, soweit sie überhaupt davon abweicht, gefolgt ist. Daß sie sich dabei "lediglich auf den 'Diensteid' des Meldungslegers" gestützt habe, ist aktenwidrig. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers war die Behörde nicht verpflichtet, ihn förmlich einzuvernehmen, und wurde auch nicht sein Parteiengehör verletzt, zumal sein Vorbringen, die belangte Behörde habe ihn "gar nicht mehr zu einer Stellungnahme bzw. einer Einvernahme auf Grund der Stellungnahme des Meldungslegers aufgefordert", nicht der Aktenlage entspricht. Der Beschwerdeführer hatte im Verwaltungsstrafverfahren hinreichend Gelegenheit, seinen Standpunkt darzutun, und er hat davon auch Gebrauch gemacht.

1. Gemäß § 97 Abs. 4 StVO 1960 sind die Organe der Straßenaufsicht sowie die nach Abs. 3 betrauten Organe, wenn es die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs erfordert, berechtigt, einzelnen Straßenbenützern für den Einzelfall Anordnungen für die Benützung der Straße zu erteilen, und zwar auch solche, die von den sonstigen diesbezüglichen Bestimmungen abweichen. Diese Anordnungen dürfen a) nur gegeben werden, wenn ihre Befolgung ohne Gefährdung von Personen und ohne Beschädigung von Sachen möglich ist, b) nur befolgt werden, wenn dies ohne Gefährdung von Personen und ohne Beschädigung von Sachen möglich ist.

Der Annahme der belangten Behörde, daß die gegenständliche, vom Beschwerdeführer (unbestrittenermaßen) nicht befolgte Anordnung vom Meldungsleger ihm gegenüber eindeutig ausgesprochen worden sei, vermag der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der ihm zustehenden eingeschränkten Kontrollbefugnis hinsichtlich der Beweiswürdigung (vgl. insbesondere das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) nicht entgegenzutreten. Allerdings war der Beschwerdeführer nur dann verpflichtet, der Anordnung Folge zu leisten, wenn der Meldungsleger berechtigt war, sie zu erteilen, was nur dann der Fall war, wenn die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des Verkehrs diese Anordnung im konkreten Fall erforderte (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. September 1986, Zl. 86/02/0062).

Der Beschwerdeführer bestreitet - wie bereits im Verwaltungsstrafverfahren - das Vorliegen dieser Voraussetzung. Feststeht, daß die betreffende Anordnung des Meldungslegers an den Beschwerdeführer im Zusammenhang mit einem (der Aktenlage nach auf der B-Straße in Richtung C-Straße sich bewegenden) Demonstrationszug ergangen ist. Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, daß "die Absperrung" ihm gegenüber nicht gerechtfertigt gewesen sei, weil er lediglich "zu einem Haus in der B-Straße zufahren" habe wollen und "der Demonstrationszug bereits über die Absperrung" - gemeint, auch im Hinblick auf das im Verwaltungsstrafverfahren erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers, offenbar: über den vom Beschwerdeführer für das Zufahren benötigten Bereich "der Absperrung"

- "hinausgelangt" gewesen sei. Die belangte Behörde hat sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides demgegenüber auf den Standpunkt gestellt, daß der Beschwerdeführer zufolge Nichtbefolgung der Anordnung diesen Tatbestand verwirklicht habe und es dabei ohne Belang sei, ob er "die B-Straße tatsächlich bis zur C-Straße durchfuhr oder ob er lediglich zu einem 100 m von der Absperrung entfernt gelegenen Haus zufahren wollte, weshalb auch von weiteren Erhebungen dahingehend abzusehen war". Damit hat die belangte Behörde zwar die Rechtslage verkannt, kommt es doch darauf an, ob zur Erreichung des der Bestimmung des § 97 Abs. 4 StVO 1960 entsprechenden Zweckes die gegenständliche Anordnung erforderlich war, wovon dann nicht hätte ausgegangen werden dürfen, wenn der Beschwerdeführer dem Meldungsleger im Rahmen der mit ihm am Tatort abgeführten Amtshandlung seine Absicht, in die B-Straße nur deshalb einfahren zu wollen, um in einen von der Demonstration nicht (mehr) betroffenen Straßenbereich zu gelangen, zweifelsfrei mitgeteilt hätte. Den Schluß, daß dies tatsächlich der Fall war, läßt aber die Verantwortung des Beschwerdeführers im Verwaltungsstrafverfahren nicht zu, weil sich daraus ergibt, daß er sein Ersuchen an den Meldungsleger, ihn in die B-Straße einfahren zu lassen, damit begründet hat, daß er nur in den 6. Bezirk zufahren wolle, ohne jedoch sein Fahrziel zu präzisieren. Dem Meldungsleger war daher kein dem Zweck der Anordnung entgegenstehender Umstand bekannt. Er war auch nicht verpflichtet, den Beschwerdeführer über dessen Fahrziel näher zu befragen oder sich mit ihm darüber in eine Debatte einzulassen, sondern es wäre vielmehr Sache des Beschwerdeführers gewesen, den Meldungsleger ausreichend zu informieren, um ihm die Möglichkeit zur Beurteilung, ob die Anordnung erforderlich ist, zu geben. Die aktenkundige Tatsache, daß der Beschwerdeführer nachträglich (auf Grund der Nichtbefolgung der Anordnung) lediglich eine solche Strecke in der B-Straße (bis zum Abstellen seines Fahrzeuges) zurückgelegt hat, daß er nicht mit dem Demonstrationszug in Berührung kam, vermag daran nichts zu ändern. Wenn der Beschwerdeführer weiters ins Treffen führt, daß der Meldungsleger einem anderen Verkehrsteilnehmer vor ihm "das Zufahren zur B-Straße gestattet" habe, so kann er daraus - selbst wenn auch in diesem Falle eine derartige Anordnung zu erteilen gewesen wäre - keine subjektiven Rechte für sich ableiten. Es geht zwar aus den Angaben des Meldungslegers hervor, daß er den Tatort bald nach dem gegenständlichen Vorfall verlassen hat, er mit seinem Motorrad am Beschwerdeführer, der inzwischen sein Fahrzeug in der B-Straße abgestellt hat, vorbeigefahren ist und ihn der Beschwerdeführer daraufhin, um die Angelegenheit zu regeln, an einer anderen Kreuzung mit der B-Straße wieder angetroffen hat. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß zur Tatzeit die Anordnung, nicht in die B-Straße einzufahren, sachlich nicht begründet gewesen wäre. Es mußte dem Meldungsleger als geschultem Straßenaufsichtsorgan die Beurteilung überlassen bleiben, wann er "die Sperre" dieses Teiles der B-Straße aufhebt und sie nach den Erfordernissen des Verkehrs "zurückverlegt". Diesbezüglich bestehen, objektiv gesehen, ebenfalls keine Bedenken. Der Beschwerdeführer wäre bei dieser Sach- und Rechtslage nur dann nicht verpflichtet gewesen, der Anordnung Folge zu leisten, wenn der Meldungsleger unmißverständlich zu erkennen gegeben hätte, daß er von ihr Abstand nimmt.

Da sich somit die Beschwerde in diesem Punkt als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

2. Der Beschwerdeführer gesteht zu, bei seiner Weiterfahrt die am Tatort befindliche doppelte Sperrlinie überfahren zu haben, um auf diese Weise (entgegen der Anordnung des Meldungslegers) in die B-Straße zu gelangen. Er beruft sich aber - wie sinngemäß schon im Verwaltungsstrafverfahren - darauf, daß er "auch bei Befolgung der Weisung des Straßenaufsichtsorgans (Meldungsleger) die Sperrlinie jedenfalls hätte überfahren müssen, da ich am 'Tatort' umkehren hätte müssen". Die belangte Behörde hat sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides damit nicht auseinandergesetzt, sondern dazu erst in der Gegenschrift Stellung genommen, indem sie meint, "daß ein Überfahren der Sperrlinie auf Grund einer Weisung des Sicherheitswachebeamten seine Rechtfertigung erfahren hätte und somit nicht unter Strafdrohung gestanden wäre", jedoch im Hinblick darauf, daß "im vorliegenden Falle ein weisungswidriges Verhalten vorlag, das vom Beschwerdeführer gesetzte Verhalten nicht exkulpiert war und daher zu Recht verfolgt wurde". Dieser (noch nicht in der Begründung des angefochtenen Bescheides zum Ausdruck kommenden) Ansicht vermag sich der Gerichtshof nicht anzuschließen, weil dann, wenn die Anordnung des Meldungslegers, nicht in die B-Straße einzufahren, nur auf die Weise, daß hiebei die Sperrlinie überfahren wird, hätte befolgt werden können, das Überfahren der Sperrlinie insofern der Anordnung entsprochen und sich der Beschwerdeführer damit in diesem Punkt nicht strafbar gemacht hätte. Ob der Beschwerdeführer diese Übertretung begangen hat, kann daher mangels geeigneter Feststellungen der belangten Behörde abschließend noch nicht beurteilt werden.

Insoweit war somit der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr.206/1989. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der angefochtene Bescheid nur in einer einzigen Ausfertigung (mit den darauf entfallenden Stempelgebühren) vorzulegen war.

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