VwGH 89/18/0173

VwGH89/18/017322.2.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Degischer und DDr. Jakusch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungskommissär Dr. Schmidt, über die Beschwerde der N gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 12. Oktober 1989, Zl. MA 70-9/509/89/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
StVO 1960 §20 Abs2;
StVO 1960 §99 Abs2 lita;
StVO 1960 §99 Abs2 litc;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §58 Abs2;
StVO 1960 §20 Abs2;
StVO 1960 §99 Abs2 lita;
StVO 1960 §99 Abs2 litc;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren der Beschwerdeführerin wird abgewiesen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Innere Stadt, vom 25. April 1989 wurde die Beschwerdeführerin für schuldig befunden, am 17. Dezember 1988 um 7.52 Uhr in Wien 9., Spittelauer Lände 23, Richtung Alserbachstraße fahrend, als Lenkerin eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeuges "die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit erheblich überschritten und dadurch unter besonders gefährlichen Verhältnissen und mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern gegen die Vorschriften eines Bundesgesetzes verstoßen" zu haben. Die Beschwerdeführerin habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs. 2 in Verbindung mit § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960

begangen, weshalb über sie eine Geld- und Ersatzarreststrafe verhängt worden sei.

Auf Grund der dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung der Beschwerdeführerin wurde dieses Straferkenntnis mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 12. Oktober 1989 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 "in der Schuldfrage mit der Abänderung bestätigt, daß die Tatumschreibung wie folgt zu lauten hat:

"Sie (Frau N) haben am 17. 12. 1988 um 07.52 Uhr in Wien 9, Spittelauer Lände 23 Richtung Alserbachstraße fahrend, als Lenkerin des Kraftfahrzeuges mit dem Kennzeichen ... die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit unter besonders gefährlichen Verhältnissen erheblich überschritten."

In der Begründung ihres Bescheides führte die Berufungsbehörde aus, die der Beschwerdeführerin zur Last gelegte Überschreitung der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit (um 54 km/h) sei durch die Anzeige in Verbindung mit einem Radarfoto als erwiesen anzusehen und von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten worden. Was die der Beschwerdeführerin angelastete besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern betreffe, habe eine solche nach der Aktenlage nicht festgestellt werden können. Wohl aber würden nach Ansicht der Berufungsbehörde besonders gefährliche Verhältnisse vorliegen, handle es sich bei dem Tatort doch nicht um eine Autobahn, sondern um eine Straße im Ortsgebiet. Da im Ortsgebiet immer mit anderen Verkehrsteilnehmern (Fußgängern, anderen Fahrzeugen) oder über die Straße laufenden Tieren gerechnet werden müsse, der Anhalteweg bei einer Geschwindigkeit von 104 km/h aber ca. 140 m betrage (also mehr als das Vierfache des Anhalteweges von 40 m bei einer im Ortsgebiet erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h), sei es einsichtig, daß die Beschwerdeführerin beim Auftauchen eines "Hindernisses" wohl nicht mehr rechtzeitig hätte reagieren können, sodaß ihr Fahrverhalten als besonders gefährlich eingestuft werden müsse. Hiebei werde bemerkt, daß die Beschwerdeführerin auf Grund ihres eigenen extrem rechtswidrigen Verhaltens nicht mehr darauf habe vertrauen dürfen, daß sich andere Verkehrsteilnehmer an die für die Benützung der Straße maßgeblichen Rechtsvorschriften halten werden. Demnach habe die auf der Spittelauer Lände Richtung Alserbachstraße fahrende Beschwerdeführerin z. B. nicht darauf vertrauen dürfen, daß Lenker von Fahrzeugen, die aus den in die Spittelauer Lände einmündenden Quergassen in die Spittelauer Lände einbiegen wollen, keine Vorrangverletzung begehen werden. Die Beschwerdeführerin habe ebensowenig darauf vertrauen dürfen, daß Fußgänger nicht plötzlich über die Fahrbahn der Spittelauer Lände laufen, zumal sich die U-Bahnstation Friedensbrücke in der Nähe des Tatortes befinde und auch an Samstagen knapp vor 8.00 Uhr mit erhöhter Fußgängerfrequenz zu rechnen sei (viele Geschäfte, z. B. in der Alserbachstraße, würden um 8.00 Uhr öffnen, die meisten Schulen hätten auch Samstag um 8.00 Uhr Unterricht, an der nahegelegenen Wirtschaftsuniversität gebe es auch Samstag Studienbetrieb, etc.). Da es sich noch dazu um den Samstag, eine Woche vor Weihnachten, gehandelt habe (zu dem noch nicht die Weihnachtsferien begonnen hätten), sei wegen der Weihnachtseinkäufe sogar mit vermehrter Fußgängerfrequenz auf der Spittelauer Lände zu rechnen gewesen, da sich auch das Kaufhaus G. am Julius Tandler-Platz in Tatortnähe befinde. Im übrigen seien bei einer derartigen Anprallgeschwindigkeit (wenn es zu einem Verkehrsunfall komme) auch die Unfallfolgen verheerend. Die der Beschwerdeführerin angelastete Tat sei daher als erwiesen anzunehmen gewesen, weshalb der Berufung keine Folge zu geben und der erstinstanzliche Schuldspruch mit der erwähnten Maßgabe zu bestätigen gewesen sei. Es folgen noch Ausführungen über die für die Strafbemessung maßgebenden Erwägungen.

Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsstrafakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 20 Abs. 2 StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges im Ortsgebiet nicht schneller als 50 km/h fahren, sofern die Behörde nicht eine geringere Höchstgeschwindigkeit erläßt (§ 43 Abs. 1) oder eine höhere Geschwindigkeit erlaubt (§ 43 Abs. 4).

Zufolge § 99 Abs. 2 lit. c leg. cit. begeht eine

Verwaltungsübertretung und ist ... zu bestrafen, wer als Lenker

eines Fahrzeuges ... im Hinblick auf eine allgemeine oder durch

Straßenverkehrszeichen kundgemachte

Geschwindigkeitsbeschränkung unter besonders gefährlichen

Verhältnissen ... gegenüber anderen Straßenbenützern gegen die

Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt, insbesondere Fußgänger, die Schutzwege vorschriftsmäßig benützen, gefährdet oder behindert.

Da die belangte Behörde der Beschwerdeführerin spruchgemäß vorgeworfen hat, "die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit unter besonders gefährlichen Verhältnissen ... überschritten" zu haben, und dieses Verhalten unter § 99 Abs. 2 lit. c leg. cit. subsumiert hat, hatte sie zu begründen, daß zu dem vom § 20 Abs. 2 leg. cit. erfaßten Tatbild ein zusätzliches Sachverhaltselement hinzugetreten ist, welches die Feststellung rechtfertigt, daß die Tat unter besonders gefährlichen Verhältnissen begangen worden ist (vgl. u. a. das hg. Erkenntnis vom 20. März 1963, Zl. 1221/62). Als solche besonders gefährliche Verhältnisse kommen bei Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit insbesondere beeinträchtigte Sichtverhältnisse, ungünstige Fahrbahnbeschaffenheit und starkes Verkehrsaufkommen, ferner der Verlauf und die Breite der Straße sowie die körperliche und geistige Verfassung des Lenkers in Betracht (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 13. Juni 1989, Zl. 89/11/0061, und die darin zitierte Vorjudikatur).

Die belangte Behörde hat in der bereits wiedergegebenen Begründung des angefochtenen Bescheides keine solchen zusätzlichen Sachverhaltselemente aufgezeigt, sondern lediglich abstrakt, also ohne aktenmäßig festgehaltene diesbezügliche Tatsachenfeststellungen eine besondere Gefährdung angenommen. Eine solche abstrakte Gefährdung darf aber mit dem Vorliegen besonders gefährlicher Verhältnisse im Sinne des § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 nicht gleichgesetzt werden (vgl. das hg.

Erkenntnis vom 19. Oktober 1982, Zl. 82/11/0039). Die in der

Begründung des angefochtenen Bescheides getroffene

Feststellung, daß "im Ortsgebiet immer mit anderen

Verkehrsteilnehmern (Fußgängern, anderen Fahrzeugen) oder über

die Straße laufenden Tieren gerechnet werden muß", genügt daher

im Beschwerdefall zur Begründung besonders gefährlicher

Verhältnisse umsoweniger, als der Meldungsleger anläßlich

seiner Einvernahme als Zeuge ausdrücklich erklärt hat, daß er

"keine zusätzlichen Kriterien bezüglich der besonders

gefährlichen Verhältnisse ... wahrnehmen konnte" und "sich

keine Fußgänger auf der Fahrbahn befanden und auch keine

anderen Kfz., ... die Straßen- und Witterungsverhältnisse ganz

normal" waren und "die Straße trocken und in gutem Zustand war". Die Anzeige gemäß § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 sei "auf Grund der extremen Geschwindigkeitsüberschreitung im Ortsgebiet erfolgt".

Auch die Annahme der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin durfte "nicht darauf vertrauen, daß Lenker von Fahrzeugen, die aus den in die Spittelauer Lände einmündenden Quergassen in die Spittelauer Lände einbiegen wollen, keine Vorrangverletzung begehen werden", sowie, daß "Fußgänger nicht plötzlich über die Fahrbahn der Spittelauer Lände laufen", vermag sohin angesichts der geschilderten Rechtslage den Schuldspruch der belangten Behörde nicht zu stützen, weil nicht festgestellt worden ist, wieweit die "einmündenden Quergassen" vom Tatort entfernt sind, und angesichts der gerichtsbekannten Mehrspurigkeit der Spittelauer Lände nicht von vornherein damit zu rechnen ist, daß - in Fahrtrichtung der Beschwerdeführerin gesehen, von rechts - einbiegende Fahrzeuge eine besondere Gefahrensituation herbeiführen, wenn, wie dies die Beschwerdeführerin entsprechend dem im Akt erliegenden Radarfoto getan hat, der äußerste linke Fahrstreifen benützt wird. Es steht auch nicht fest, daß sich zur Tatzeit außerhalb der Fahrbahn (vgl. die eben wiedergegebene Aussage des Meldungslegers) überhaupt Fußgänger in der Nähe des Tatortes befunden haben, also unter diesem Gesichtspunkt mit einer besonderen Gefährdung zu rechnen war.

Es zeigt sich also, daß die belangte Behörde im Hinblick auf ihre - in der Gegenschrift ausdrücklich hervorgehobene - rechtsirrige Auffassung, eine abstrakte Gefährdung reiche zur Annahme besonders gefährlicher Verhältnisse im Sinne des § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 aus, ergänzende Sachverhaltsfeststellungen im Sinne der vorstehenden Ausführungen unterlassen hat, weshalb der angefochtene Bescheid wegen der auf diesem Rechtsirrtum beruhenden Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das Mehrbegehren der Beschwerdeführerin war abzuweisen, weil an Schriftsatzaufwand lediglich der in der erwähnten Verordnung genannte Pauschalbetrag zusteht und an Stempelgebühr für zwei Beschwerdeausfertigungen eine Vollmacht und eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides insgesamt nur S 420,-- zuzusprechen war.

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