VwGH 89/13/0279

VwGH89/13/027930.5.1990

S gegen Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 7. November 1989, GZ. GA 7-1161/3/89, betreffend Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten

Normen

BAO §236 Abs1;
B-VG Art139 Abs6;
B-VG Art140 Abs7;
BAO §236 Abs1;
B-VG Art139 Abs6;
B-VG Art140 Abs7;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 2. November 1988 beantragte der Beschwerdeführer die Nachsicht der von ihm geschuldeten und vom Abfuhrpflichtigen für seine Rechnung abgeführten Aufsichtsratsabgabe für die Jahre 1982 bis 1985 und 1987 in Höhe von S 228.197,70. Die Unbilligkeit der Einhebung dieser Abgabe liege darin, daß einerseits der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 17. März 1988, G 37-61/88, das Aufsichtsratsabgabengesetz und die dazu ergangene Verordnung als verfassungswidrig aufhob, weshalb "die Einhebung bzw. Entrichtung der Abgabe einen verfassungswidrigen Eingriff" in seine "verfassungsgemäß gewährleisteten Rechte" darstelle und daß andererseits vom Finanzamt über seinen Antrag vom 31. Juli 1987 auf Rückerstattung zu Unrecht einbehaltener Aufsichtsratsabgabe erst nach Einbringung eines Devolutionsantrages am 26. Jänner 1988 mit Bescheid vom 3. März 1988 (zugestellt am 4. März 1988) abweislich entschieden worden sei. Gegen diesen Bescheid habe der Beschwerdeführer noch am 4. März 1988 Berufung erhoben, "die jedoch bis dato unerledigt ist" und "mangels Anlaßfallwirkung der Aufhebung des Aufsichtsratsabgabegesetzes durch den Verfassungsgerichtshof abzuweisen sein wird". Wegen dieser "verzögerten Abwicklung des Verfahrens" durch die Finanzbehörde habe der Beschwerdeführer keine Möglichkeit gehabt bis 8. März 1988 (Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof) Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof zu erheben. Wäre ihm dies jedoch möglich gewesen, hätte sein Fall einen Anlaßfall dargestellt. Die Verzögerungen im Verfahren beim Finanzamt hätten dazu geführt, daß völlig gleichgelagerte Fälle noch in den Genuß der Aufhebung gekommen seien, er jedoch nicht.

Da das Finanzamt über dieses Nachsichtsbegehren nicht entschied, stellte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 9. Mai 1989 einen entsprechenden Devolutionsantrag.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 2. November 1988 ab und führte aus, der Umstand, daß sein Fall im Verfahren betreffend die Aufhebung des Aufsichtsratsabgabengesetzes durch den Verfassungsgerichtshof nicht zum Anlaßfall geworden sei, treffe nicht nur ihn allein, sondern auch eine Vielzahl anderer Steuerpflichtiger. Es sei daher schon aus diesem Grund die vom Gesetz geforderte Besonderheit des einzelnen Falles nicht gegeben und der Unbilligkeitstatbestand im Sinne des § 236 BAO daher nicht verwirklicht.

Der Einwand, daß die Abgabenbehörde nicht so rechtzeitig entschieden habe, daß der Fall des Beschwerdeführers zum "Anlaßfall" hätte werden können, gehe ins Leere, weil es eine gesetzliche Verpflichtung der Abgabenbehörde, bei Vorliegen eines Gesetzesprüfungsverfahrens durch den Verfassungsgerichtshof über Erstanträge oder Berufungen besonders rasch zu entscheiden, nicht gebe.

Im Streitfall handle es sich um eine rechtmäßig erhobene Abgabe, "auch wenn das zugrundeliegende Gesetz verfassungsrechtliche Mängel" aufgewiesen habe. Die Gewährung der begehrten Nachsicht würde "eine Durchbrechung des in Art. 140 Abs. 7 zweiter Satz DVG (richtig: B-VG) normierten Grundsatzes bedeuten, wonach auch ein verfassungsrechtlich mangelhaftes Gesetz auf sämtliche Tatbestände, die vor dem durch den Gerichtshof bestimmten Zeitpunkt der Aufhebung des Gesetzes liegen, anzuwenden ist". Dies sei jedoch nicht der Sinn des Rechtsinstitutes der Nachsicht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Gemäß § 236 Abs. 2 leg. cit. findet Abs. 1 auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.

Voraussetzung für die Ermessensübung durch die Behörde ist somit, daß die Einhebung nach der Lage des Falles unbillig ist. Unbilligkeit liegt nicht schon dann vor, wenn die Einhebung zu Einbußen an vermögenswerten Interessen führt, die mit Abgabenleistungen allgemein verbunden sind. Hinzu kommen muß, daß die Einhebung "nach der Lage des Falles" unbillig wäre. Das wäre dann anzunehmen, wenn die Einhebung zu einer abnormalen Belastungswirkung und, verglichen mit anderen Fällen, zu einer atypischen Vermögensbelastung führt (vgl. Stoll, BAO-Handbuch, Seite 582 ff und die dort zitierte hg. Rechtsprechung). Dies ist aber beim Beschwerdeführer nicht der Fall, weil die von ihm subjektiv als Härte empfundene Belastung eine Auswirkung der sich aus Art. 140 Abs. 7 B-VG ergebenden Rechtslage ist, die alle von den oben bezeichneten, vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Vorschriften erfaßten Abgabepflichtigen in gleicher Weise trifft. Die in Art. 139 Abs. 6 und 140 Abs. 7 B-VG enthaltene Regelung, daß die aufgehobenen Vorschriften auf die vor der Aufhebung bzw. vor Ablauf der vom Verfassungsgerichtshof gesetzten Frist verwirklichten Tatbestände anzuwenden und nur die Anlaßfälle davon ausgenommen sind, führt notwendigerweise dazu, daß die Anlaßfälle gegenüber anderen Fällen begünstigt werden. Die sich daraus ergebenden Unterschiede in der Belastung treten allgemein ein und führen ebensowenig wie Gesetzesänderungen oder Änderungen der Rechtsprechung zu atypischen Belastungen und daher auch nicht zur Unbilligkeit der Abgabeneinhebung im Einzelfall (vgl. Stoll, a.a.O., Seite 586 ff und die dort zitierte hg. Rechtsprechung; Erkenntnis vom 17. Mai 1989, Zlen. 85/13/0201, 0202).

Im Gegensatz zur Auffassung des Beschwerdeführers kann die Unbilligkeit auch nicht aus einer ungebührlichen Säumnis der belangten Behörde abgeleitet werden. Dem Beschwerdeführer stand es - was von ihm konkret nie auch nur in Abrede gestellt wird - frei, seinen Rückzahlungsantrag schon zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt zu stellen, und damit selbst zum Anlaßfall im Sinne des Art. 140 Abs. 7 B-VG zu werden (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom heutigen Tage, Zl. 89/13/0266).

Aus den dargelegten Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Kostenanspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte