VwGH 89/08/0148

VwGH89/08/014819.3.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des M gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 30. März 1989, Zl. MA 14-M 47/88, betreffend Beitragshaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse in 1101 Wien, Wienerbergstraße 15-19), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §67 Abs10 idF 1986/111;
BAO §80;
BAO §9;
ASVG §67 Abs10 idF 1986/111;
BAO §80;
BAO §9;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- und der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 23. August 1988 wurde der Beschwerdeführer als ehemaliger Geschäftsführer und nunmehriger Liquidator gemäß § 67 Abs. 10 ASVG im Zusammenhang mit § 83 ASVG verpflichtet, der Mitbeteiligten die auf dem Beitragskonto des Beitragsschuldners prot. Fa. U-GmbH (in der Folge: Gesellschaft), rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren (Verzugszinsen berechnet bis 18. August 1988) im Betrag von S 42.672,18 zuzüglich Verzugszinsen seit 19. August 1988 in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, berechnet von S 33.044,10, zu bezahlen.

Nach der Begründung seien die im angeschlossenen Rückstandsausweis vom 18. August 1988 ausgewiesenen Beiträge samt Nebengebühren bisher trotz Fälligkeit und Mahnung nicht entrichtet worden. Der Beschwerdeführer sei als ehemaliger Geschäftsführer und nunmehriger Liquidator zur Vertretung des Beitragsschuldners berufen. Zu den Pflichten des Geschäftsführers gehöre es, dafür zu sorgen, daß die Beiträge bei Fälligkeit entrichtet würden. Da dies schuldhaft unterblieben sei, sei die Haftung für die Beiträge samt Nebengebühren auszusprechen und gemäß § 410 Abs. 1 Z. 4 ASVG dieser erstinstanzliche Bescheid zu erlassen gewesen.

Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer Einspruch erhoben.

1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 teilweise stattgegeben und gemäß §§ 413 und 414 in Verbindung mit § 355 ASVG festgestellt, daß der Beschwerdeführer nur mehr verpflichtet sei, rückständige Sozialversicherungsbeiträge (3. Nachtrag VI/87) samt Nebengebühren, Verzugszinsen berechnet bis 18. August 1988 im Betrag von S 35.658,60 zuzüglich Verzugszinsen seit 19. August 1988 in der sich jeweils ergebenden Höhe, berechnet von S 31.983,-- an die mitbeteiligte Partei zu bezahlen.

In ihrer Begründung verwies die belangte Behörde zunächst auf den Einspruch des Beschwerdeführers, in dem dieser im wesentlichen vorgebracht habe, daß die offenen Beiträge das Ergebnis einer Beitragsprüfung seien. Am nachträglichen Auflaufen der Beiträge treffe ihn daher kein Verschulden.

Der Beschwerdeführer habe im Rahmen des Ermittlungsverfahrens vor der belangten Behörde eine Aufstellung der von der Gesellschaft im Haftungszeitraum geleisteten Zahlungen vorgelegt, aus der sich im Zusammenhang mit der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 1988 ergebe, daß eine Ungleichbehandlung der Sozialversicherungsbeiträge wohl im Monat Juli 1987, nicht jedoch in den Monaten August und Oktober 1987 erfolgt sei. Im Monat Juli 1987 seien z.B. Löhne, Telefon und Rundfunkrechnungen voll bezahlt worden, für die Sozialversicherungsbeiträge (3. Nachtrag VI/87), die im Juli 1987 fällig geworden seien, sei jedoch nur eine Teilzahlung von S 3.000,-- geleistet worden. In den Monaten August und Oktober 1987 habe allerdings nach den vorgelegten Aufstellungen keine Benachteiligung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse festgestellt werden können. Eine Haftung für diese Zeiträume sei deshalb zu verneinen gewesen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei zur Auslegung des § 67 Abs. 10 ASVG die Rechtsprechung zu § 9 Abs. 1 der Bundesabgabenordnung (BAO) heranzuziehen. Danach sei insbesondere eine Haftung anzunehmen, wenn trotz vorhandener Mittel die Abgabenverbindlichkeiten nicht erfüllt, sondern Mittel für andere Zwecke verwendet würden. Reichten die Mittel zur Bezahlung aller Verbindlichkeiten nicht aus, so sei eine entsprechende Aliquotierung vorzunehmen. Da eine solche Aliquotierung vom Beschwerdeführer zumindest im Juli 1987 nicht vorgenommen worden sei, habe diesbezüglich eine Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG bejaht werden müsse.

1.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

1.4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift erstattet.

Der Beschwerdeführer hat zur Gegenschrift der mitbeteiligten Partei eine Stellungnahme erstattet.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. In der Beschwerde wird zunächst darauf hingewiesen, daß vor dem Verfassungsgerichtshof ein Verfahren zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 67 Abs. 10 ASVG anhängig sei. Es erscheine daher verfrüht, den Beschwerdeführer in Anwendung dieser Bestimmung zu einer Mithaftung zu verpflichten, da derzeit ungeklärt sei, ob diese Bestimmung überhaupt aufrechterhalten werde. Davon abgesehen liege jedoch kein schuldhaftes Verhalten des Beschwerdeführers vor. Er habe als Geschäftsführer der Gesellschaft im Sommer 1987 in jenem Umfang noch Einnahmen erzielen können, um vorhersehbare Zahlungsverpflichtungen, so etwa Löhne, Gehälter und sämtliche Krankenkassenbeiträge in Höhe der LAUFENDEN Beitragsmeldungen, erfüllen zu können. Die nachträgliche Vorschreibung VI/87 habe einen vergangenen Prüfungszeitraum betroffen und sei aus den laufenden Mitteln der Gesellschaft nicht mehr finanzierbar gewesen. Dies sei auch der Grund dafür gewesen, weshalb der Beschwerdeführer ein Ratenansuchen gestellt habe, das von der mitbeteiligten Kasse jedoch abgelehnt worden sei. Er habe im Juli 1987 sogar eine erste Rate in Höhe von S 3.000,-- in der Hoffnung auf Bewilligung seines Ansuchens geleitet. Erst im Oktober sei es dann überhaupt zu Zahlungseinstellungen gekommen. Am 10. Juli 1987 habe er die komplette Sozialversicherung für Mai bezahlt; am 24. Juli die komplette Sozialversicherung für Juni. Die Sozialversicherung für Juli sei am 25. August und 12. Oktober entrichtet worden. Mit Ausnahme der unvorhergesehenen Nachtragsvorschreibung seien die laufenden Löhne und die laufende Sozialversicherung ebenso wie laufende Mieten und laufende Steuern gleichmäßig bezahlt worden. Er habe die Mittel der Gesellschaft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes verwaltet. Für eine Aliquotierung gebe es keinerlei Grundlage. Wenn der angefochtene Bescheid davon ausgehe, der Beschwerdeführer hätte zumindest im Juli die mitbeteiligte Kasse "ungleich behandelt", so sei dem entgegenzuhalten, daß die Betrachtung nicht auf einen einzelnen Monat reduziert werden könne. Bei der Betrachtung eines längeren Zeitraumes zeige sich, daß er die Kasse nahezu bevorzugt habe.

2.2. § 67 Abs. 10 ASVG in der Fassung der 41. Novelle, BGBl. 1986/111, hat folgenden Wortlaut:

"Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haften im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge aus Verschulden des Vertreters nicht bei Fälligkeit entrichtet werden."

2.3. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntis vom 9. März 1989, G 163/88 und Folgezahlen, die Worte "zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die" in § 67 Abs. 10 ASVG als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, daß die Aufhebung mit Ablauf des 28. Februar 1990 in Kraft tritt. Da der dem Beschwerdefall zugrundeliegende Tatbestand jedoch vor der Aufhebung verwirklicht wurde und es sich um keinen Anlaßfall handelt, ist die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Gesetzesstelle im Beschwerdefall gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG weiterhin anzuwenden. Das diesbezüglich erstattete Beschwerdevorbringen geht daher ins Leere.

2.4. Mit der durch die 41. Novelle zum ASVG, BGBl. 1986/111, neu geschaffenen Bestimmung des § 67 Abs. 10 ASVG wurde unter anderem das Ziel verfolgt, die Haftungsregelungen des ASVG an die der Bundesabgabenordnung anzupassen. Da sich die Regelung eng an die §§ 9 und 80 BAO anlehnt, können für die Frage des Verschuldens des Vertreters an der Nichtentrichtung der Sozialversicherungsbeiträge sinngemäß die von Lehre und Rechtsprechung zu den genannten Bestimmungen der BAO entwickelten Grundsätze herangezogen werden (vgl. etwa das Erkenntnis vom 13. März 1990, Zl. 89/08/0217).

Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede die Nachtragsvorschreibung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom Juni 1987, deren Fälligkeit spätestens im Juli 1987 eintrat, nicht zur Gänze bezahlt zu haben. Löhne und Gehälter sowie Mieten und laufende Steuern wurden hingegen nach seinen eigenen Angaben "gleichmäßig", d.h. in vollem Umfang, entrichtet. Der Beschwerdeführer führt dabei zu seiner Entlastung ins Treffen, daß es sich bei der Nachtragsvorschreibung um eine unvorhergesehene Ausgabe gehandelt habe, die aus laufenden Mitteln nicht mehr finanzierbar gewesen sei, behauptet aber nicht, andere fällige Forderungen überhaupt nicht oder nur in geringerem Umfang als die Beitragsschulden erfüllt zu haben.

Gerade mit diesem Vorbringen gibt der Beschwerdeführer jedoch zu, gegen den - in der Rechtsprechung zum Ausdruck kommenden - Grundsatz der Aliquotierung hinsichtlich der Beitragsforderung verstoßen zu haben.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Sache des Geschäftsführers einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Gründe darzulegen, die ihn ohne sein Verschulden daran gehindert haben, die ihm obliegenden Verpflichtungen zu erfüllen, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung gemäß § 9 Abs. 1 BAO angenommen werden darf. Als schuldhaft im Sinne dieser Bestimmung gilt jede Form des Verschuldens, somit auch die leichte Fahrlässigkeit. Der Geschäftsführer haftet für nichtentrichtete Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung standen, hiezu nicht ausreichten, es sei denn, er weist nach, daß er diese Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet, die Abgabenschulden daher im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als andere Verbindlichkeiten (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. April 1989, Zl. 89/08/0013, und das Erkenntnis vom 19. September 1989, Zl. 88/08/0283).

Der Haftungseintritt ist schon an die Nichtentrichtung der Beiträge bei Fälligkeit aus Verschulden des Geschäftsführers bei Vertretung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Beitragsangelegenheiten geknüpft (vgl. das bereits genannte Erkenntnis vom 25. April 1989). Daher ist auch nur auf die im Fälligkeitszeitraum geleisteten Zahlungen abzustellen. Die Betrachtung eines darüberhinausgehenden, längeren Zeitraumes, wofür der Beschwerdeführer eintritt, kommt deshalb nicht in Frage.

Die belangte Behörde handelte daher nicht rechtswidrig, wenn sie das Vorliegen eines objektiven Schadens der mitbeteiligten Kasse, eines Verschuldens des Beschwerdeführers und des Rechtswidrigkeitszusammenhanges zwischen der Unterlassung des Beschwerdeführers und dem eingetretenen Schaden bejahte.

2.5. Aus diesen Erwägungen folgt, daß die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

2.6. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. 1991/104, deren Art. III Abs. 2 zur Anwendung kam.

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