VwGH 89/05/0235

VwGH89/05/023526.6.1990

Franz und Elisabeth N gegen Oberösterreichische Landesregierung vom 3. Juli 1989, Zl. BauR-010291/3-1989 Pi/Ja, betreffend Nichtstattgebung eines Wiedereinsetzungsantrages (Punkt I) sowie Zurückweisung einer Vorstellung (Punkt II) in einer Bauangelegenheit (mitbeteiligte Partei: Gemeinde X, vertreten durch den Bürgermeister).

Normen

AVG §66 Abs4;
AVG §69 Abs4;
AVG §71 Abs1;
AVG §71 Abs4;
AVG §72 Abs1;
AVG §72 Abs3;
B-VG Art118 Abs4;
B-VG Art119a Abs5;
B-VG Art119a Abs9;
B-VG Art144 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs1;
VwGG §43 Abs7;
VwGG §46 Abs4;
VwGG §59 Abs1;
VwGG §59 Abs2;
VwRallg;
AVG §66 Abs4;
AVG §69 Abs4;
AVG §71 Abs1;
AVG §71 Abs4;
AVG §72 Abs1;
AVG §72 Abs3;
B-VG Art118 Abs4;
B-VG Art119a Abs5;
B-VG Art119a Abs9;
B-VG Art144 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs1;
VwGG §43 Abs7;
VwGG §46 Abs4;
VwGG §59 Abs1;
VwGG §59 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich seines Spruchteiles I. wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Unter Punkt I. des Bescheides der OÖ Landesregierung vom 3. Juli 1989 wurde dem Antrag der Beschwerdeführer auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Vorstellung gegen den Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 21. März 1989 unter Berufung auf § 71 AVG 1950 keine Folge gegeben. Die Vorstellung gegen diesen Bescheid des Gemeinderates wurde unter Punkt II. dieses Bescheides der OÖ Landesregierung gemäß § 102 Abs. 1 und 5 der OÖ Gemeindeordnung 1979 als verspätet zurückgewiesen.

Die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag begründete die Aufsichtsbehörde damit, daß die Frist für einen allfälligen Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Vorstellung gegen den einen Wiederaufnahmeantrag der Beschwerdeführer in einer Bauangelegenheit abweisenden Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 21. März 1989 unbestritten am 21. Mai 1989 zu laufen begonnen habe. § 71 AVG 1950 räume für dieses außerordentliche Rechtsmittel einen Zeitraum von einer Woche ein. Der Antrag wäre daher spätestens am 28. Mai 1989 bei der zuständigen Behörde einzubringen oder - an die zuständige Stelle adressiert - zur Post zu geben gewesen. Gemäß § 71 Abs. 4 AVG 1950 sei zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war. Im Vorstellungsverfahren könne nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur die Aufsichtsbehörde entscheiden, ob sie einem Wiedereinsetzungsantrag wegen versäumter Frist zur Einbringung der Vorstellung stattgebe. Nach Art. 119 a Abs. 5 B-VG komme nämlich der Gemeinde im aufsichtsbehördlichen Verfahren nicht behördliche Funktion, sondern Parteistellung zu, sodaß über einen Wiedereinsetzungsantrag keinesfalls ein Gemeindeorgan, sondern immer die Aufsichtsbehörde zu entscheiden habe. Der Antrag sei auch bei der zur Entscheidung berufenen Behörde einzubringen (Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 726; Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 3. Aufl., S. 496). Der Wiedereinsetzungsantrag sei innerhalb der am 28. Mai 1989 endenden Rechtsmittelfrist an die mitbeteiligte Gemeinde gerichtet worden, wo er am 26. Mai 1989 eingelangt sei. Wegen Unzuständigkeit sei der Antrag von der Gemeindebehörde am 5. Juni 1989 an die OÖ Landesregierung als Aufsichtsbehörde weitergeleitet worden. Bei dieser sei der Antrag erst am 6. Juni 1989, also nach Ablauf der Rechtsmittelfrist, eingetroffen. Gemäß § 33 Abs. 3 AVG 1950 würden zwar die Tage des Postenlaufes in die Rechtsmittelfrist nicht eingerechnet. Dies setze aber voraus, daß der Antrag spätestens am letzten Tag der Rechtsmittelfrist an die richtige Stelle zur Post gegeben werde. Werde ein Rechtsmittel, wie dies im vorliegenden Fall geschehen sei, bei der unzuständigen Stelle eingebracht, so erfolge die Weiterleitung an die zuständige Behörde auf Gefahr des Einschreiters. Das bedeute, daß die Frist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann gewahrt sei, wenn die unzuständige Behörde das Rechtsmittel zur Weiterleitung an die zuständige Stelle spätestens am letzten Tag der Rechtsmittelfrist zur Post gebe. In der vorliegenden Angelegenheit habe die Frist gemäß § 71 AVG 1950 bereits am 28. Mai 1989 geendet. "Die" (gemeint wohl: Weiterleitung) "des Antrages durch die Gemeindebehörde erfolgte erst am 5. 6. 1989". Auch wenn § 6 Abs. 1 AVG 1950 die Weiterleitung "ohne unnötigen Aufschub" vorsehe, so bedeute dies nicht, daß das Risiko des Einschreiters dann ausgeschaltet und daher seine an eine Frist gebundene Prozeßhandlung als rechtzeitig anzusehen sei, wenn die sofortige Weiterleitung zur Folge gehabt hätte, daß das Schriftstück noch innerhalb der Frist bei der zuständigen Behörde eingelangt oder durch die - noch rechtzeitige - Übergabe des Schriftstückes an die Post zur Beförderung die Frist gewahrt geblieben wäre. Da im vorliegenden Verfahren die Fristversäumnis ausschließlich auf ein Versehen des Rechtsvertreters der Beschwerdeführer zurückzuführen sei, der bezüglich der zur Entscheidung berufenen Behörde und damit auch bezüglich der Einbringungsstelle einem Rechtsirrtum unterlegen sei, sei der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als verspätet eingebracht zurückzuweisen gewesen.

Zur Zurückweisung der Vorstellung führte die Aufsichtsbehörde in der Begründung ihres Bescheides aus, daß die Vorstellung gemäß § 102 Abs. 2 der OÖ Gemeindeordnung 1979 innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides schriftlich oder telegraphisch bei der Gemeinde einzubringen sei. Auch die Rechtsmittelbelehrung im bekämpften Bescheid gebe diese Frist von zwei Wochen wieder. Die Frist zur Einbringung der Vorstellung habe somit mit Ablauf des 5. April 1989 geendet. Bis zu diesem Tage hätte die Vorstellung zur Post gegeben oder persönlich beim Gemeindeamt der mitbeteiligten Gemeinde abgegeben werden müssen. Da die Stellungnahme der Beschwerdeführer, nunmehr anwaltlich vertreten, zur Mitteilung der Aufsichtsbehörde über die offensichtlich verspätete Einbringung der Vorstellung nichts anderes ergeben habe und aus den oben genannten Gründen dem Wiedereinsetzungsantrag nicht habe Folge gegeben werden können, sei die Vorstellung gemäß § 102 Abs. 5 leg. cit. als verspätet zurückzuweisen gewesen.

Mit Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 1989, Zl. B 944/89-3, wurde die Behandlung der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Zu I. des Spruches des angefochtenen Bescheides:

Das zufolge § 109 Abs. 1 der OÖ Gemeindeordnung 1979 auch im Verfahren vor der belangten Aufsichtsbehörde anzuwendende Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1950 (vgl. auch Art. II lit. A Z. 1 EGVG 1950) enthält zwar ausdrückliche Regelungen darüber, daß die Berufung oder ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens bei der Behörde einzubringen ist, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat (vgl. die §§ 63 Abs. 5 sowie 69 Abs. 2), läßt aber nicht expressis verbis erkennen, bei welcher Stelle ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einzubringen ist.

Aus § 71 Abs. 3 AVG 1950, wonach die Partei im Falle der Versäumung einer Frist die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen hat, ist jedoch zu schließen, daß der Wiedereinsetzungsantrag im Falle der Versäumung einer Handlung bei jener Behörde einzubringen ist, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war. Im Beschwerdefall wurde die Frist zur Einbringung der Vorstellung versäumt, weshalb die Vorschrift des § 102 Abs. 2 der OÖ Gemeindeordnung 1979 entscheidend ist, wonach dieses Rechtsmittel bei der Gemeinde einzubringen ist. Der von den Beschwerdeführern gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Vorstellung ist daher ungeachtet des Umstandes, daß über einen solchen Antrag, abweichend von § 72 Abs. 4 AVG 1950, nicht die Gemeindebehörde, sondern die Aufsichtsbehörde zu entscheiden hatte (vgl. u. a. das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1969, Slg. N. F. Nr. 7606/A), zutreffend bei jener Gemeinde eingebracht worden, bei welcher auch die Vorstellung einzubringen war. Aus dieser Besonderheit hinsichtlich der Zuständigkeit zur Entscheidung über Wiedereinsetzungsanträge, welche wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Vorstellung eingebracht werden, ergibt sich auch, daß die für die Einbringung des Wiedereinsetzungsantrages zuständige Behörde und jene, welche darüber zu entscheiden hat, in diesen Fällen nicht identisch ist, weshalb die belangte Behörde mit ihrem schon wiedergegebenen Hinweis auf die - für den Beschwerdefall eben nicht heranzuziehenden - Lehrmeinungen für ihren Standpunkt nichts gewinnen kann.

Die belangte Behörde ist daher auf Grund eines Rechtsirrtums zu Unrecht davon ausgegangen, daß der in Rede stehende Wiedereinsetzungsantrag als verspätet eingebracht zurückzuweisen war, weshalb der diesbezügliche Teil des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben war.

Zu Punkt II. des Spruches des angefochtenen Bescheides:

Gegen diesen Teil des angefochtenen Bescheides wenden sich die Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf § 72 Abs. 3 AVG 1950, wonach auf die Erledigung der Berufung erst einzugehen sei, wenn der Antrag auf Wiedereinsetzung abgewiesen worden ist, und meinen, daß die Zurückweisung der Vorstellung wegen Verspätung nur im Falle der Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages rechtmäßig gewesen wäre. Erst nach Abweisung oder gerechtfertigter Zurückweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Vorstellung sei über die Vorstellung selbst zu entscheiden.

Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, daß die Rechtmäßigkeit eines Bescheides grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zur Zeit seiner Erlassung zu beurteilen ist, was bedeutet, daß der Zurückweisungsbescheid dann rechtmäßig ist, wenn zur Zeit seiner Erlassung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht bewilligt war. Wird die Wiedereinsetzung später bewilligt, so tritt der Zurückweisungsbescheid nach § 72 Abs. 1 AVG 1950 von Gesetzes wegen außer Kraft (vgl. das

hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Oktober 1986, Slg. N. F. Nr. 12.275/A). Sollte demnach im fortgesetzten Verfahren dem Antrag der Beschwerdeführer auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Vorstellung Folge gegeben werden, so würde Punkt II. des angefochtenen Bescheides ex lege außer Kraft treten. Die Beschwerdeführer sind daher unter diesem Gesichtspunkt durch die Zurückweisung ihrer Vorstellung in keinem Recht verletzt worden. Daß die belangte Behörde bei der Zurückweisung der Vorstellung zu Unrecht von deren verspäteter Einbringung ausgegangen ist, wurde von den Beschwerdeführern nicht behauptet und entspräche auch nicht der Aktenlage.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, daß der angefochtene Bescheid hinsichtlich seines Spruchteiles I. gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben, die Beschwerde im übrigen aber gemäß § 42 Abs. 1 leg. cit. als unbegründet abzuweisen war.

Der Vollständigkeit halber wird noch darauf hingewiesen, daß der in den Beschwerdeanträgen an den Verfassungsgerichtshof enthaltene Antrag der Beschwerdeführer auf Kostenzuspruch im Falle einer Abtretung der Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG für den Verwaltungsgerichtshof unbeachtlich ist (vgl. dazu die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Aufl., auf S. 723 wiedergegebene hg. Judikatur), weshalb ein Zuspruch von Aufwandersatz an die Beschwerdeführer (vgl. dazu insbesondere § 50 VwGG) zu entfallen hatte.

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