VwGH 88/08/0113

VwGH88/08/011327.9.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Puck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungsrat Dr. Fischer, über die Beschwerde der RW in O, vertreten durch Dr. Heinz Walther, Rechtsanwalt in Klagenfurt, Alter Platz 23/I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 4. Februar 1988, Zl. 14-SV-3083/1/88, betreffend Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften, zu Recht erkannt:

Normen

AAV §49 Abs2;
AAV §86 Abs1;
ASchG 1972 §14 Abs4;
ASchG 1972 §31 Abs2 litp;
ASchG 1972 §31 Abs3 litb;
ASchG 1972 §31;
ASchG 1972 §6 Abs7;
ASchG 1972;
B-VG Art18 Abs2;
MRK Art6;
MRK Art64;
VStG §44a litb;
VStG §44a litc;
VStG §44a Z2;
VStG §44a Z3;
VStG §5 Abs2;
AAV §49 Abs2;
AAV §86 Abs1;
ASchG 1972 §14 Abs4;
ASchG 1972 §31 Abs2 litp;
ASchG 1972 §31 Abs3 litb;
ASchG 1972 §31;
ASchG 1972 §6 Abs7;
ASchG 1972;
B-VG Art18 Abs2;
MRK Art6;
MRK Art64;
VStG §44a litb;
VStG §44a litc;
VStG §44a Z2;
VStG §44a Z3;
VStG §5 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der Bestätigung des Punktes 1 des erstinstanzlichen Straferkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, hinsichtlich der Bestätigung des Punktes 2 des erstinstanzlichen Straferkenntnisses im Ausspruch über die Strafe und den Kostenersatz sowie hinsichtlich des diesbezüglichen Ausspruches über die Kosten des Berufungsverfahrens wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.900,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 26. November 1985 erstattete das Arbeitsinspektorat für den 13. Aufsichtsbezirk in Klagenfurt an die Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau die Anzeige, daß bei einer am 31. Juli 1985 durchgeführten Überprüfung des Gewerbebetriebes (Damenkleidermacherbetriebes) der Beschwerdeführerin unter anderem festgestellt worden sei, daß den einzelnen Arbeitnehmerinnen in der Schneiderei keine Sitzgelegenheiten zur Verfügung stünden, die den Körpermaßen angepaßt oder anpaßbar seien, und ihnen keine ausreichend großen, luftigen und versperrbaren Kleiderkästen zur Verfügung stünden. Es werde daher die Bestrafung der Beschwerdeführerin wegen Übertretung des § 49 und des § 86 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung - AAV, BGBl. Nr. 218/1983, beantragt.

In ihrer Stellungnahme vom 31. Jänner 1986 zum Vorwurf der Übertretung des § 49 AAV erklärte die Beschwerdeführerin, es stünden den Arbeitnehmerinnen sehr wohl Sessel zur Verfügung. Anläßlich der Kontrolle habe der Beamte des Arbeitsinspektorates aber verlangt, daß die Beschwerdeführerin Sesseln mit Rollen anschaffen müsse. Derartige Sessel federten aber derart, daß es unmöglich sei, die vorgesehenen Arbeiten ordnungsgemäß zu erledigen. Wenn das Arbeitsinspektorat der Beschwerdeführerin Firmen nennen könne, die Sessel ohne Rollen führten und an die Körpermaße anzupassen seien, werde sie selbstverständlich die Sessel sofort anschaffen. Sie habe sich nach der Kontrolle in den einschlägigen Fachgeschäften umgesehen und zur Kenntnis nehmen müssen, daß alle verstellbaren Sessel über Rollen verfügten. Zum Vorwurf der Übertretung des § 86 AAV brachte die Beschwerdeführerin vor, es sei vor Jahren vom nunmehrigen Leiter des Arbeitsinspektorates anläßlich einer Kontrolle beanstandet worden, daß die Beschwerdeführerin für ihre Arbeitnehmer keine Kleiderkästen zur Verfügung gestellt habe. Über Empfehlung dieses Beamten habe die Beschwerdeführerin damals entsprechende Betriebsgarderobekästen aus Metall der Firma S angekauft; diese Kästen stünden auch jetzt noch allen Arbeitnehmern zur Verfügung.

In seiner Stellungnahme vom 26. November 1986 bestritt das obgenannte Arbeitsinspektorat - zur angelasteten Übertretung nach § 49 AAV - die Behauptung der Beschwerdeführerin, es seien vom Beamten des Arbeitsinspektorates Sessel mit Rollen gefordert worden. Es gehe vielmehr darum, daß den Arbeitnehmern keine solchen Sitzgelegenheiten zur Verfügung stünden, die den Körpermaßen angepaßt oder anpaßbar seien. Zur angelasteten Übertretung des § 86 AAV brachte das Arbeitsinspektorat vor, es stünden den Arbeitnehmern im Betrieb der Beschwerdeführerin Garderobekästen mit den Maßen 22 x 30 x 50 cm zur Verfügung. Diese Kästchen erfüllten aber nicht die Anforderungen der genannten Bestimmung. Danach müßten die Kästen so beschaffen sein, daß Straßen-, Schutzkleider etc. untergebracht werden könnten. Die von der Beschwerdeführerin zur Verfügung gestellten Kästchen seien nur mit einer Ausnahmebewilligung der Gewerbebehörde, die bescheidmäßig erteilt werden müsse, zulässig. Ein solches Verfahren sei bisher nicht beantragt worden.

Mit Straferkenntnis vom 19. Mai 1987 sprach die Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau aus, daß die Beschwerdeführerin als verantwortliche Gewerbeinhaberin des obgenannten Betriebes gegen die Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzes verstoßen habe,

"da - wie am 31. 7. 1985 von einem Organ des Arbeitsinspektorates Klagenfurt dienstlich festgestellt wurde - 1. für die einzelnen Arbeitnehmerinnen in der Schneiderei keine Sitzgelegenheiten zur Verfügung standen, die den Körpermaßen angepaßt oder anpaßbar sind, 2. haben Sie den Arbeitnehmern des Betriebes keine ausreichend großen, luftigen und versperrbaren Kleiderkästen zur Verfügung gestellt."

Die Beschwerdeführerin habe dadurch zu 1. § 49 und zu 2. § 86 AAV verletzt. Wegen dieser Verwaltungsübertretungen würden über sie gemäß § 31 Abs. 2 lit. p des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. Nr. 234/1972 (ASchG), Geldstrafen zu 1. S 500,-- (Ersatzarreststrafe 1 Tag) zu 2. S 1.000,-- (Ersatzarreststrafe 2 Tage) verhängt. Ferner habe die Beschwerdeführerin gemäß § 64 VStG 1950 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens S 150,--, das seien 10 % der Strafe, zu bezahlen. Bei ihrer Entscheidung ging die erstinstanzliche Behörde, gestützt auf die Strafanzeige und die Stellungnahme des Arbeitsinspektorates, davon aus, daß den Arbeitnehmerinnen der Beschwerdeführerin in der Schneiderei zum Zeitpunkt der Überprüfung des Betriebes keine Sitzgelegenheiten zur Verfügung gestanden seien, die den Körpermaßen der Arbeitnehmerinnen angepaßt oder anpaßbar gewesen seien, und nur die obgenannten Garderobekästen mit den Maßen 22 x 30 x 50 cm zur Verfügung gestanden seien. Dadurch habe die Beschwerdeführerin die im Spruch genannten Bestimmungen der AAV verletzt.

In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung hielt die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen in der Stellungnahme zur Strafanzeige und in einer zwischen der Datierung des erstinstanzlichen Bescheides und seiner Erlassung bei dieser Behörde eingelangten weiteren Stellungnahme aufrecht. Unter Berücksichtigung dieser Stellungnahmen wandte die Beschwerdeführerin zu der ihr zur Last gelegten Übertretung nach § 49 AAV (außer der weiteren Auseinandersetzung mit der behaupteten Forderung des Beamten des Arbeitsinspektorates nach Rollensesseln) ein, die erstinstanzliche Behörde sei mit ihrer Begründung des Straferkenntnisses lediglich der lapidaren Feststellung des Arbeitsinspektorates gefolgt, es stünden den Dienstnehmerinnen keine Sitzgelegenheiten zur Verfügung, die den Körpermaßen angepaßt oder anpaßbar seien. Die Behörde hätte jedoch ergründen müssen, welche Sessel dem Gesetz entsprechend angeschafft werden sollten und weshalb die vorhandenen Sessel nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprochen hätten. Es sei auch nicht klar, unter welchen der 7 Absätze des § 49 die Übertretung fallen solle. Zur Übertretung des § 86 AAV brachte die Beschwerdeführerin vor, es handle sich bei den in der Stellungnahme des Arbeitsinspektorates vom 26. November 1986 beschriebenen "Kästchen" um die sogenannten "schwedischen Garderobekästen". Sie seien so beschaffen, daß sich in ihrer Mitte eine Stange zum Aufhängen der Kleider befinde, darüber eine Garderobeablage und links und rechts von diesen Stangen die sperrbaren Kästen im Ausmaß von 22 x 30 x 50 cm. Diese Kästen seien über Empfehlungen des jetzigen Leiters des Arbeitsinspektorates angekauft worden. Er habe damals nicht davon gesprochen, daß für ihre Aufstellung eine Ausnahmebewilligung der Gewerbebehörde vorgeschrieben sei. Auch würden diese Garderobekästen vom Arbeitsinspektorat seit Jahren toleriert. Die belangte Behörde hätte auf Grund dieser Verantwortung der Beschwerdeführerin den Leiter des Arbeitsinspektorates als Zeugen zu diesem Thema befragen und Erkundigungen einziehen müssen, ob in anderen Betrieben nicht seit Jahren die genannten Kästen toleriert würden.

Das im Berufungsverfahren beigezogene Arbeitsinspektorat für den 11. Aufsichtsbezirk in Graz beantragte in seiner Stellungnahme vom 26. August 1987 die Abweisung der Berufung. Zur Übertretung des § 49 AAV erklärte diese Behörde, es seien den Arbeitnehmerinnen im Betrieb der Beschwerdeführerin anläßlich der Überprüfung durch das Arbeitsinspektorat Klagenfurt offensichtlich keine Sessel zur Verfügung gestanden, deren Sitzflächen und Rücklehnen verstellbar gewesen seien. Zur Übertretung des § 86 Abs. 1 AAV brachte die Behörde vor, es sei der Beschwerdeführerin bereits mit Aufforderung des Arbeitsinspektorates Klagenfurt vom 19. Dezember 1973 aufgetragen worden, den Arbeitnehmern große luftige Kleiderkasten zur Verfügung zu stellen. Die im Betrieb aufgestellten Kästchen entsprächen der gesetzlichen Forderung nicht.

In ihrer Stellungnahme vom 16. Oktober 1987 verwies die Beschwerdeführerin - zur Übertretung des § 49 AAV - darauf, daß aus der Anzeige nicht hervorgehe, aus welchem Grund die den Arbeitnehmerinnen zur Verfügung gestellten Sessel den Körpermaßen nicht angepaßt werden könnten bzw. nicht angepaßt gewesen seien. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin könnten diese Sessel sehr wohl angepaßt werden bzw. seien sie angepaßt gewesen. Es werde beantragt, dem Arbeitsinspektorat aufzutragen, entsprechende Beweismittel über die damalige Beschaffenheit der den Dienstnehmern zur Verfügung gestellten Sessel vorzulegen, wie etwa eine Fotografie derselben. Zur Übertretung des § 86 AAV erklärte die Beschwerdeführerin, es sei richtig, daß ihr mit dem genannten Schreiben vom 19. Dezember 1973 aufgetragen worden sei, den Arbeitnehmerinnen große luftige Kleiderkasten zur Verfügung zu stellen. Sie habe damals den jetzigen Leiter des Arbeitsinspektorates Klagenfurt um Rat gefragt, wie diese Kästen aussehen sollten. Über seine Empfehlung seien die nunmehr beanstandeten Kästen um relativ teures Geld angeschafft worden. Es handle sich dabei "um die allseits tolerierten sogenannten schwedischen Garderobekästen". Sie könnten bei zahlreichen Kärntner Firmen besichtigt werden, unter anderem auch beim Magistrat Klagenfurt. Darüber hinaus werde seitens des Arbeitsinspektorates Klagenfurt bei Sitzungen u. dgl. immer wieder erklärt, "daß solche Kästen auch wenn sie nicht ganz den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen würden, toleriert werden, wenn vorher seitens der Firmen um Genehmigung angesucht wird". Ein solches Extraansuchen sei aber für die Beschwerdeführerin nicht erforderlich gewesen, da ihr ja an Ort und Stelle die Genehmigung hiezu erteilt worden sei. Den Ratschlag (durch den jetzigen Leiter des Arbeitsinspektorates Klagenfurt) habe die Beschwerdeführerin deswegen erhalten, weil ihr auf Grund der räumlichen Beengtheit die Aufstellung der im Gesetz geforderten Kästen unmöglich gewesen sei und einen Zubau des Betriebes erforderlich gemacht hätte.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) keine Folge und bestätigte das erstinstanzliche Straferkenntnis. Die Beschwerdeführerin habe gemäß § 64 Abs. 1 VStG 1950 als Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens weitere 10 % der verhängten Strafe, das seien S 150,--, zu bezahlen. In der Bescheidbegründung wird nach zusammenfassender Darstellung des bisherigen Ganges des Verwaltungsstrafverfahrens und nach Zitierung des § 49 Abs. 2 erster Halbsatz AAV ausgeführt, es gehe aus der Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 31. Jänner 1986 ihre Bereitschaft hervor, Sessel ohne Rollen, die an die Körpermaße anzupassen seien, zu beschaffen. Die in ihrer abschließenden Gegenäußerung im Berufungsverfahren aufgestellte Behauptung, die den Arbeitnehmern zur Verfügung gestellten Sessel könnten sehr wohl den Körpermaßen angepaßt werden bzw. seien angepaßt gewesen, werde im Hinblick auf die Stellungnahme vom 31. Jänner 1986 als Schutzbehauptung angesehen. Den bezüglichen Anträgen der Beschwerdeführerin werde nicht Folge gegeben und den vom Arbeitsinspektor anläßlich der Betriebsüberprüfung an Ort und Stelle getroffenen Feststellungen über die vorgefundenen Sitzgelegenheiten gefolgt, da von einem fachlich geschulten Arbeitsinspektor die Beurteilung, ob der gesetzlichen Vorschrift des § 49 Abs. 2 AAV, wonach Arbeitssitze den menschlichen Körpermaßen angepaßt sein müssen, entsprochen worden sei, erwartet werden könne. Der Frage, ob Sitze mit Rollen gefordert worden seien, komme keine Bedeutung zu. Nach Zitierung des § 86 Abs. 1 AAV führt die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides weiters aus, es sei unbestritten, daß die im Betrieb der Beschwerdeführerin vorgefundenen Kästen nicht dieser Vorschrift entsprächen. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach die Kästen über Empfehlung des Arbeitsinspektorates angeschafft worden seien, solche Kisten vom Arbeitsinspektorat seit Jahren toleriert würden und der Beschwerdeführerin auf Grund der räumlichen Beengtheit die Aufstellung der vom Gesetz geforderten Kästen unmöglich gewesen sei, enthebe sie nicht der ihr obliegenden Verpflichtung, die gesetzliche Vorschrift des § 86 Abs. 1 AAV einzuhalten. Es folgen Ausführungen zur Strafbemessung.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und beantragte in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin soll der angefochtene Bescheid deshalb mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde behaftet sein, weil mit ihm "auch in zivilrechtliche Belange eingegriffen" werde und daher "darüber ein Gericht (Tribunal) im Sinne des Art. 6 MRK zu entscheiden gehabt" hatte und nicht eine Verwaltungsbehörde.

Dieser Einwand ist, wie sich aus dem Hinweis auf Art. 6 MRK klar ergibt, nicht so zu verstehen, daß die Beschwerdeführerin damit meinte, die belangte Behörde sei nicht die nach § 51 Abs. 1 VStG 1950 im Instanzenzug sachlich übergeordnete Behörde der erstinstanzlichen Behörde; damit macht sie vielmehr einen Verstoß dieser einfachgesetzlichen Bestimmung gegen Art. 6 der im Verfassungsrang stehenden MRK geltend. Dabei verkennt sie aber, daß der gemäß Art. 64 MRK erklärte Vorbehalt Österreichs zu Art. 5 MRK nicht bloß die Verhängung von Freiheits-, sondern auch von Geldstrafen (wegen Übertretung von bereits im Zeitpunkt des Vorbehaltes geltenden oder zwar erst später geschaffenen, aber mit früheren gleichartigen Straftatbeständen) durch Verwaltungsbehörden deckt und für alle diese Verfahren auch die Anwendung des Art. 6 MRK ausschließt (vgl. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Oktober 1987, Zlen. G 181/86 u. a., und vom 27. November 1987, Zlen. B 1231, 1232/86 u.a., sowie das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Mai 1987, Zl. 85/18/0257) und daß die §§ 49 Abs. 2 und 86 Abs. 1 AAV den im Zeitpunkt des Vorbehaltes geltenden §§ 33 Abs. 1 und 55 Abs. 1 der Allgemeinen Dienstnehmerschutzverordnung (ADSchV) gleichartig sind.

2. "Zu dem Faktum nach § 49 Abs. 2 AAV" befaßt sich die Beschwerdeführerin zunächst mit der behaupteten Forderung des Beamten des Arbeitsinspektorates anläßlich der Kontrolle nach "Rollsesseln", macht dann als Verfahrensmangel geltend, daß die belangte Behörde nicht dargelegt habe, warum die vorhandenen Sessel nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprochen hätten, und sie in Abweisung der gestellten Beweisanträge einfach den vom Arbeitsinspektor anläßlich der Betriebsüberprüfung an Ort und Stelle getroffenen Feststellungen über die vorgefundenen Sitzgelegenheiten gefolgt sei, und rügt schließlich als inhaltliche Rechtswidrigkeit, daß nach § 49 Abs. 2 letzter Satz AAV Sitzfläche und Rücklehne nur nötigenfalls verstellbar sein müßten und § 49 AAV über 7 Absätze verfüge, die belangte Behörde es aber unterlassen habe, die genaue Gesetzesstelle zu bezeichnen.

Durch den Ausspruch im angefochtenen Bescheid, es werde der Berufung gemäß § 66 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) nicht Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis bestätigt, hat die belangte Behörde im Rahmen ihrer Sachentscheidung den Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses als eigenen Spruch übernommen. Mit Punkt 1. des übernommenen Spruches wurde der Beschwerdeführerin ein Verstoß gegen § 49 AAV dadurch angelastet, daß "am 31. 7. 1985 ... für die einzelnen Arbeitnehmerinnen in der Schneiderei keine Sitzgelegenheiten zur Verfügung standen, die den Körpermaßen angepaßt oder anpaßbar sind". Es wurde ihr aber nicht zur Last gelegt, keine "Rollsessel" angeschafft zu haben. Daher stellt die Unterlassung der Prüfung der im Verwaltungsstrafverfahren zwischen den verfahrensbeteiligten Arbeitsinspektoraten und der Beschwerdeführerin strittigen Frage, ob das am 31. Juli 1985 kontrollierende Organ des Arbeitsinspektorates Klagenfurt die Anschaffung von Rollsesseln verlangt habe oder nicht, durch die belangte Behörde keine Rechtswidrigkeit dar.

Rechtswidrig ist der angefochtene Bescheid aber auch nicht deshalb, weil im zitierten Spruch als Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, im Sinne des § 44a lit. b VStG 1950 nur § 49 AAV ohne Absatzbezeichnung angeführt wurde, da die im Spruch bezeichnete, als erwiesen angenommene Tat nur im § 49 Abs. 2 AAV zuordenbar ist und nach der Begründung auch nur dieser Bestimmung zugeordnet wurde.

Hingegen sind die erhobenen Verfahrensrügen berechtigt.

§ 49 Abs. 2 AAV lautet:

"Arbeitssitze müssen den menschlichen Körpermaßen angepaßt sein; Arbeitssitze müssen eine solche Form und Höhe aufweisen, daß sie eine ungezwungene Körperhaltung zulassen und die Beine vom Körpergewicht entlasten. Beim Sitzen müssen die Füße auf dem Fußboden oder auf eine Fußstütze aufgestellt werden können. Die Sitzfläche muß genügend groß sein und aus glattem Material bestehen; Bezüge müssen luftdurchlässig sein. Die Tiefe der Sitzfläche hat etwa 0,35 m bis 0,45 m zu betragen. Die Vorderkante der Sitzfläche muß abgerundet oder gepolstert sein, ohne daß dadurch die Tiefe der Sitzflache verringert wird. Arbeitssitze müssen eine Rücklehne haben, die so geformt ist, daß sie die Lendenwirbelsäule stützt; erforderlichenfalls müssen auch Fuß- und Armstützen vorhanden sein. Sitzfläche und Rückenlehne müssen nötigenfalls verstellbar sein."

Diese Bestimmung stellt eine Konkretisierung des § 6 Abs. 7 ASchG (der wiederum weitgehend mit § 48 Abs. 6 AAV übereinstimmt) dar. Danach müssen Arbeitsplätze unter Bedachtnahme auf die Arbeitsvorgänge und die Arbeitsbedingungen entsprechend den Erfordernissen des Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer gestaltet sein; hiebei ist auch auf die arbeitsphysiologischen und ergonomischen Erkenntnisse Bedacht zu nehmen. Ob konkrete, den Arbeitnehmern eines Betriebes zur Verfügung gestellte Arbeitssitze den menschlichen Körpermaßen angepaßt sind, hängt demnach davon ab, ob sie unter Berücksichtigung der konkreten Arbeitsvorgänge und Arbeitsbedingungen den ersten 6 Sitzen des § 49 Abs. 2 AAV, die eine weitere Konkretisierung der allgemeinen Norm des ersten Halbsatzes des § 49 Abs. 2 AAV darstellen, entsprechen. Die konkreten Arbeitsvorgänge und Arbeitsbedingungen sind auch dafür entscheidend, ob im Sinne des 7. Satzes des § 49 Abs. 2 AAV Sitzfläche und Rücklehne der den Arbeitnehmern eines konkreten Betriebes zur Verfügung gestellten Arbeitssitze verstellbar sein müssen.

Auf dem Boden dieser Rechtslage stellt die "Feststellung" der belangten Behörde, die am 31. Juli 1985 den Arbeitnehmerinnen in der Schneiderei des Betriebes der Beschwerdeführerin zur Verfügung gestellten Arbeitssitze seien nicht den Körpermaßen der Arbeitnehmerinnen angepaßt oder anpaßbar gewesen, in Wahrheit eine rechtliche Beurteilung dar, die jedoch mangels jeglicher für eine solche rechtliche Beurteilung nach den obigen Darlegungen erforderlichen Feststellungen über diese Arbeitssitze sowie über die relevanten Arbeitsvorgänge und Arbeitsbedingungen nicht auf ihre Richtigkeit überprüft werden kann. Der Bezug auf die Strafanzeige und die späteren Stellungnahmen des Arbeitsinspektorates Klagenfurt sowie die Zeugeneinvernahme des kontrollierenden Organs dieses Arbeitsinspektorates, in der es lediglich die Richtigkeit der Strafanzeige bestätigte, reichte schon deshalb nicht aus, weil die diesbezüglichen Erklärungen vor dem Hintergrund der obigen rechtlichen Darlegungen eine rechtliche Bewertung der den Arbeitnehmerinnen der Beschwerdeführerin in der Schneiderei ihres Betriebes zur Verfügung gestellten Sessel nach § 49 Abs. 2 AAV darstellen, die die belangte Behörde aber nicht ohne Überprüfung ihrer Richtigkeit nach Durchführung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens über die hiefür entscheidenden Feststellungen übernehmen durfte. Daran ändert die Erklärung der Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 31. Jänner 1986 ("wenn das Arbeitsinspektorat aber der Beschuldigten Firmen nennen kann, die Sessel ohne Rollen führen und die an die Körpermaße anzupassen sind," womit sie, wie sich aus dem Zusammenhang ergibt, "verstellbare Sessel" meinte, "dann wird die Beschuldigte selbstverständlich diese Sessel sofort anschaffen.") schon deshalb nichts, weil die Frage, ob die konkret zu beurteilenden Arbeitssitze im Sinne des 7. Satzes des § 49 Abs. 2 AAV verstellbar sein mußten, um unter Bedachtnahme auf die konkreten Arbeitsvorgänge und die Arbeitsbedingungen eine Anpassung an die menschlichen Körpermaße im Sinne der ersten 6 Sätze des § 49 Abs. 2 während dieser Arbeitsvorgänge zu ermöglichen, gerade der Klärung bedurfte; die bloße Bereitschaft der Beschwerdeführerin, sich einer Rechtsauffassung des Arbeitsinspektorates unter den von ihm genannten Bedingungen zu fügen (die sie später überdies zurücknahm), enthob die belangte Behörde nicht der selbständigen Prüfung dieser Frage.

Der angefochtene Bescheid war daher insoweit, als mit ihm Punkt 1 des erstinstanzlichen Straferkenntnisses bestätigt wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Zum "Faktum nach § 86 Abs. 1 AAV" wendet die Beschwerdeführerin zunächst ein, diese Bestimmung erweitere in unzulässiger Weise § 14 Abs. 4 ASchG, weil darin nur von einer "geeigneten Aufbewahrungsmöglichkeit", aber nicht von einem versperrbaren Kasten für die Kleidung eines jeden Arbeitnehmers die Rede sei. Auch heiße es in den näher bezeichneten Gesetzesmaterialien zu § 14 Abs. 4 ASchG nur, daß als geeignete Möglichkeit tunlichst ein versperrbarer Kasten zur Verfügung zu stellen sei. Zur subjektiven Tatseite verweist die Beschwerdeführerin auf ihr bisheriges Vorbringen und ergänzt, es könne nach der in der Beschwerde zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht von vornherein gesagt werden, daß die Rechtsauskunft eines Behördenorganes für die Beurteilung der subjektiven Tatseite ohne Bedeutung sei. Auch habe die Beschwerdeführerin schon im Verwaltungsstrafverfahren darauf hingewiesen, daß die Anschaffung der nunmehr geforderten Kästen für fünf Dienstnehmer wesentlich mehr Platz beanspruchen würde als die derzeit vorhandenen, sodaß ein Zubau notwendig wäre. Ein solcher Zubau sei aber aus baurechtlichen Gründen unmöglich und würde von der Baubehörde nicht bewilligt werden. Diesbezüglich komme daher das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Februar 1976, Slg. Nr. 8997/A, zum Tragen, wonach dann, wenn der Erfüllung der durch die Gewerbebehörde vorgeschriebenen Auflagen baurechtliche Vorschriften entgegenstünden und sie deshalb unverschuldet unmöglich sei, in diesem Umfang die Bestrafung nach § 367 Z. 26 Gewerbeordnung 1973 ausgeschlossen sei. Hätte die belangte Behörde im Ermittlungsverfahren den Bürgermeister als zuständige Baubehörde vernommen, so wäre sie zum Ergebnis gelangt, daß ein Schuldausschließungsgrund gemäß § 5 VStG 1950 im Beschwerdefall gegeben sei. § 14 Abs. 4 erster Satz ASchG lautet:

"Jedem Arbeitnehmer ist zur Aufbewahrung und zur Sicherung vor Wegnahme seiner Straßen-, Arbeits- und Schutzkleidung eine geeignete Aufbewahrungsmöglichkeit sowie für die von ihm für die Verrichtung der Arbeitsleistung mitgebrachten Gegenstände und jener Sachen, die von ihm nach Verkehrsauffassung und Berufsüblichkeit zur Arbeitsstätte mitgenommen werden, eine ausreichend große, versperrbare Einrichtung zur Verfügung zu stellen, wobei auch die Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen sind."

§ 86 Abs. 1 AAV lautet:

"Jedem Arbeitnehmer ist zur Aufbewahrung und zur Sicherung gegen Wegnahme seiner Straßen-, Arbeits- und Schutzkleidung ein ausreichend großer, luftiger und versperrbarer Kasten zur Verfügung zu stellen, in dem die Kleidung gegen Einwirkungen, wie Nässe, Staub, Rauch, Dämpfe oder Gerüche, geschützt ist."

Die belangte Behörde hat zu Recht angenommen, daß die am 31. Juli 1985 den Arbeitnehmern der Beschwerdeführerin zur Verfügung gestellten Garderobekästen mit einem versperrbaren Teil im Ausmaß von nur 22 x 33 x 50 cm nicht den Erfordernissen des § 86 Abs. 1 AAV entsprochen haben (vgl. die zur im wesentlichen inhaltsgleichen Bestimmung des § 55 Abs. 1 ADSchV ergangenen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. September 1964, Slg. Nr. 6414/A, vom 29. April 1980, Zl. 2743/78, vom 7. Oktober 1980, Zl. 2608/76, und vom 26. Mai 1986, Zl. 86/08/0026). Die genannte Verordnungsbestimmung stellt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin keine im Sinne des Art. 18 Abs. 2 B-VG unzulässige Erweiterung der gesetzlichen Bestimmung des § 14 Abs. 4 ASchG dar. Denn § 14 Abs. 4 fordert eine "geeignete Aufbewahrungsmöglichkeit" der Straßen-, Arbeits- und Schutzkleidung jedes Arbeitnehmers "zur Aufbewahrung und zur Sicherung vor Wegnahme". Wenn der Verordnungsgeber als eine in dieser zweifachen Hinsicht geeignete Aufbewahrungsmöglichkeit (vgl. zu dieser Zweckbestimmung die eben zitierten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes) einen ausreichend großen luftigen und versperrbaren Kasten fordert, so überschreitet er damit nicht die nach Art. 18 Abs. 2 B-VG zulässige Präzisierung der gesetzlichen Regelung. Daran hindert der Hinweis auf die Gesetzesmaterialien deshalb nichts, weil diese Bemerkung im Gesetz selbst keinen Niederschlag gefunden hat.

Was die subjektive Tatseite anlangt, so ist zunächst davon auszugehen, daß die Unkenntnis einer Verwaltungsvorschrift, der der Täter zuwidergehandelt hat, gemäß § 5 Abs. 2 VStG 1950 nur dann entschuldigt, wenn sie erwiesenermaßen unverschuldet ist und der Täter das Unerlaubte seines Verhaltens ohne Kenntnis der Verwaltungsvorschrift nicht einsehen konnte.

Die Unkenntnis eines Gesetzes kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 30. November 1981, Zlen. 81/17/0126, 0127, 0131, mit weiteren Judikaturhinweisen) nur dann als unverschuldet angesehen werden, wenn jemandem die Verwaltungsvorschrift trotz Anwendung der nach seinen Verhältnissen erforderlichen Sorgfalt unbekannt geblieben ist; insbesondere muß von einem Gewerbetreibenden verlangt werden, daß er über die Rechtsvorschriften, die er bei der Ausübung seines Gewerbes zu beachten hat, ausreichend orientiert ist; er ist verpflichtet, sich über diese Vorschriften, zu denen auch die Arbeitnehmerschutzvorschriften zählen (vgl. Erkenntnis vom 27. Juni 1980, Zl. 3300/78), zu unterrichten. Dabei ist auch eine irrige Gesetzesauslegung ein (Rechtsirrtum, die den Beschuldigten nicht zu entschuldigen vermag, wenn nach seinem ganzen Verhalten nicht angenommen werden kann, daß sie unverschuldet war und daß er das Unerlaubte seines Verhaltens nicht einsehen konnte (vgl. die Erkenntnisse vom 30. November 1981, Zlen. 81/17/0126, 0127, 0131, vom 18. April 1983, Zlen. 81/17/0199, und vom 15. April 1983, Zl. 82/17/0151).

Der Beschwerdeführerin ist darin beizupflichten, daß die Rechtsauskunft eines zuständigen Behördenorgans nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf die Beurteilung der Schuldfrage einen (in der Rechtsprechung näher bestimmten) Einfluß auszuüben vermag (vgl. außer den von der Beschwerdeführerin zitierten Erkenntnissen vom 30. April 1969, Zl. 1050/68, und vom 1. April 1981, Zlen. 03/3324/80 und 03/3454/80, die Erkenntnisse vom 13. Juni 1975, Z1. 1796/74, vom 13. Oktober 1976, Zlen. 1771, 1772/76, vom 30. Jänner 1979, Zl. 1837/78, vom 18. September 1979, Zlen. 1331/79 und 1465/79, vom 2. Juni 1981, Zl. 07/3530/80, vom 14. Februar 1984, Zl. 83/04/0148, und vom 24. September 1987, Zl. 87/02/0018), demnach der behaupteten Empfehlung eines Beamten des zuständigen Arbeitsinspektorates (nach der von Seiten des Arbeitsinspektorates erfolgten Beanstandung wegen Fehlens von Garderobekästen), die nunmehr beanstandeten Kisten anzuschaffen, nicht von vornherein eine Bedeutung in diesem Zusammenhang abgesprochen werden könnte. Die Beschwerdeführerin hat aber in ihrer Stellungnahme vom 16. Oktober 1987 selbst vorgebracht, daß später von seiten des Arbeitsinspektorates immer wieder erklärt worden sei, solche Kästen würden, "auch wenn sie nicht ganz den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen würden", toleriert, "wenn vorher seitens der Firmen um Genehmigung angesucht wird". Aus diesen Erklärungen des Arbeitsinspektorates konnte und mußte die Beschwerdeführerin aber erkennen, daß einerseits die von ihr auf Grund der behaupteten Empfehlung angeschafften Garderobekästen nicht den Erfordernissen des § 55 Abs. 1 ADSchV bzw. des § 86 Abs. 1 AAV entsprachen und andererseits das Arbeitsinspektorat solche Kästen nur toleriere (d.h. von Strafanzeigen vorläufig absehe), wenn um eine Ausnahmegenehmigung angesucht werde. Es kann im Beschwerdefall dahingestellt bleiben, ob dann, wenn die Beschwerdeführerin bei der nach § 99 Abs. 1 AAV zuständigen Behörde um eine Ausnahme von § 86 Abs. 1 AAV gemäß § 97 AAV angesucht hätte, die behaupteten Erklärungen des Arbeitsinspektorates einen Schuldausschließungsgrund dargestellt hätten (am objektiven Tatbestand hätte das bloße Ansuchen nichts geändert: vgl. die zwar zu anderen Arbeitnehmerschutzvorschriften ergangenen, aber auch im vorliegenden Zusammenhang anwendbaren Erkenntnisse vom 25. Februar 1988, Zl. 87/08/0144, und vom 7. Oktober 1980, Zl. 2608/76), da die Beschwerdeführerin einen derartigen Antrag gar nicht gestellt hat. Ihre Meinung, es habe eines solchen "Extraansuchens" nicht bedurft, weil "ihr ja an Ort und Stelle die Genehmigung hiezu erteilt" worden sei, beruhte auf dem Rechtsirrtum, es stünde die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung dem Arbeitsinspektorat zu und die behauptete Empfehlung eines Beamten des Arbeitsinspektorstes, auf Grund derer die strittigen Garderobekästen angeschafft wurden, stelle eine solche Genehmigung dar. Dieser Rechtsirrtum vermochte die Beschwerdeführerin aber deshalb nicht zu exkulpieren, weil sie sich, wie oben dargestellt wurde, als Gewerbeinhaberin mit den einschlägigen Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzes, somit auch den §§ 97 und 99 AAV, hätte vertraut machen bzw. entsprechende Erkundigungen hätte einziehen müssen und sich nicht mit der von ihr behaupteten Auslegung der Erklärungen des Arbeitsinspektorates hätte begnügen dürfen. In der Unterlassung entsprechender Erkundigungen ist im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein zumindest fahrlässiges Verhalten zu erblicken (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 7. Dezember 1973, Slg. Nr. 8514/A, und vom 24. September 1987, Zl. 87/02/0018).

Richtig ist, daß die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 16. Oktober 1987 vorgebracht hat, daß ihr die Aufstellung der im Gesetz geforderten Kästen auf Grund der räumlichen Beengtheit unmöglich gewesen wäre und einen Zubau des Betriebes erforderlich gemacht hätte. Daß ein Zubau von der Baubehörde nicht bewilligt worden wäre, hat die Beschwerdeführerin im Verwaltungsstrafverfahren nicht behauptet. Wegen des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbotes war daher auf allfällige, im vorliegenden Zusammenhang relevante rechtliche Konsequenzen aus diesem Vorbringen nicht einzugehen.

Rechtswidrig ist aber der mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte Punkt 2 des erstinstanzlichen Straferkenntnisses im Strafausspruch und in der Festsetzung eines Beitrages zu den Kosten des Strafverfahrens. Wie der Verfassungsgerichtshof nämlich in seinem Erkenntnis vom 7. Dezember 1979, Slg. Nr. 8695, ausführlich dargelegt hat, ist bei Anwendung der Straftatbestände des § 31 ASchG zu prüfen, ob das Verhalten einen schon im Gesetz (unter Berücksichtigung seiner allfälligen Konkretisierung durch die Verordnung) für strafbar erklärten Tatbestand erfüllt; ist dies der Fall, so ist die betreffende Strafe nach § 31 Abs. 2 oder 3 ASchG verwirkt; ist dies nicht der Fall, so erfolgt die Bestrafung nach § 31 Abs. 2 lit. p leg. cit. Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich dieser Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes an. Unter Zugrundelegung derselben ist aber die Übertretung des § 86 Abs. 1 AAV dem § 31 Abs. 3 lit. b ASchG zu subsumieren, da § 86 Abs. 1 AAV als Konkretisierung der "geeigneten Einrichtungen zur Aufbewahrung zur Sicherung vor Wegnahme der Straßen-, Arbeits- und Schutzkleidung" zu werten ist (vgl. zur Einfügung des § 55 Abs. 1 ADSchV in die Straftatbestände des § 31 ASchG das Erkenntnis vom 7. Oktober 1980, Zl. 2608/76). Dadurch nun, daß im Spruch des von der belangten Behörde bestätigten erstinstanzlichen Straferkenntnisses als angewendete Strafbestimmung hinsichtlich der Übertretung des § 86 Abs. 1 AAV zu Unrecht § 31 Abs. 2 lit. p ASchG angeführt und somit eine Strafnorm angewendet wurde, die eine höhere Strafobergrenze aufweist als die richtige Strafbestimmung des § 31 Abs. 3 lit. b ASchG, ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig und war der Strafausspruch und, zufolge der Abhängigkeit der Festsetzung der Kosten des Strafverfahrens nach § 64 VStG 1950, diese Festsetzung sowie jene der diesbezüglichen Kosten des Berufungsverfahrens wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Hinsichtlich der zitierten, in der Amtlichen Sammlung nicht veröffentlichten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen.

Wien, am 27. September 1988

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