VwGH 88/05/0156

VwGH88/05/015628.4.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde der C in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 10. Mai 1988, Zl. BauR-010031/1/1988 Ru/Lan, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. S und B B in W, beide vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, sowie

2. Stadtgemeinde W, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

BauO OÖ 1976 §32 Abs2 litb;
BauO OÖ 1976 §41 Abs2;
B-VG Art144 Abs1;
B-VG Art7 Abs1;
StGG Art2;
BauO OÖ 1976 §32 Abs2 litb;
BauO OÖ 1976 §41 Abs2;
B-VG Art144 Abs1;
B-VG Art7 Abs1;
StGG Art2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Oberösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- und den mitbeteiligten Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde erteilte am 13. März 1987 den erstmitbeteiligten Parteien die Baubewilligung für die Errichtung einer Aufstockung auf dem bestehenden Gebäude, Grundstück-Nr. 2852/69, KG. V. Im vorangegangenen Verwaltungsverfahren hatte die nunmehrige Beschwerdeführerin - soweit dies für den Zusammenhang des gegenständlichen Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof noch von Bedeutung ist - geltend gemacht, daß sie seinerzeit einem Kompromiß zugestimmt habe, welcher anstelle eines Vollgeschoßes ein ausgebautes Dachgeschoß vorgesehen hätte. Durch die steilere Dachfläche und die geringere Höhe der Dachtraufe wäre die Beeinträchtigung des Lichteinfalles (bei diesem seinerzeitigen Bauvorhaben) gegenüber dem (nunmehr in Rede stehenden) Vollgeschoß wesentlich geringer. Sie spreche sich daher gegen die Genehmigung der Aufstockung des Gebäudes aus. In der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides wird dazu festgehalten, daß die Beschwerdeführerin in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten nicht verletzt sein könne, da aus § 32 der O.ö. Bauordnung sowie § 25 der O.ö. Bauverordnung ein solches Recht nicht ableitbar sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung und führte im wesentlichen aus, daß ihre Einwendungen hinsichtlich der steileren Dachfläche und der größeren Höhe der Dachtraufe und der damit verbundenen Beeinträchtigung des Lichteinfalles für die Nachbarschaft durch den Bescheid des Bürgermeisters überhaupt nicht gewürdigt worden seien. Insbesondere stünde § 32 der O.ö. Bauordnung dem Vorhaben entgegen. Von einem Altbestand im Sinne dieser Bestimmung, der es erlauben würde, die Abstandsbestimmungen zu unterschreiten, könne deshalb nicht gesprochen werden, weil das bestehende Gebäude noch im Rohbau sei.

Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 18. Dezember 1987 wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. Die Einwendung hinsichtlich der Nichteinhaltung des § 32 Abs. 2 lit. b der O.ö. Bauordnung stelle zwar eine öffentlich-rechtliche, aber inhaltlich unbegründete Einwendung dar. Aus den Bestimmungen der O.ö. Bauordnung sei jedenfalls entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht ableitbar, daß ein Rohbau keinen Altbestand im Sinne dieser Bestimmung darstelle und es wäre somit die Unterschreitung der Mindestabstände des § 32 möglich.

In einer dagegen gerichteten Vorstellung der Beschwerdeführerin wurde geltend gemacht, daß das Bauvorhaben zu einer Umgehung der Abstandsbestimmungen der O.ö. Bauordnung führte, wenn man den Rohbau als Altbestand im Sinne des § 32 Abs. 2 ansähe.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die Oberösterreichische Landesregierung der Vorstellung der Beschwerdeführerin keine Folge. In der Begründung stellt die belangte Behörde zunächst zur Erwägung, ob die Beschwerdeführerin nicht hinsichtlich der Geltendmachung der Mindestabstände bereits präkludiert sei. Sie habe die konkrete Einwendung hinsichtlich der angeblichen Unterschreitung der Mindestabstände nach § 32 der O.ö. Bauordnung nämlich erst in der Berufung erhoben. Man könnte - so die belangte Behörde - diese Einwendung aber auch als nähere Ausführung einer rechtzeitig erhobenen Einwendung deuten, weshalb die belangte Behörde im weiteren Begründungszusammenhang durchaus auf die materielle Frage der allfälligen Rechtswidrigkeit eingeht. Nach Ansicht der belangten Behörde sei nun aus dem Wortlaut des § 32 Abs. 2 der O.ö. Bauordnung klar abzuleiten, daß Zubauten - und ein solcher liege beim Bauvorhaben der erstmitbeteiligten Parteien eindeutig vor - nur dann vorlägen, wenn es sich um die Vergrößerung eines bestehenden Gebäudes der Länge oder Breite nach handelt. Vergrößerungen der Höhe nach wären jedoch ex lege von den Abstandsbestimmungen des § 32 Abs. 2 lit. b der O.ö. Bauordnung ausgenommen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Sie sieht den angefochtenen Bescheid als inhaltlich rechtswidrig und als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften an und beantragt seine Aufhebung.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. In die gleiche Richtung geht eine Gegenschrift der erstmitbeteiligten Parteien.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 32 der O.ö. Bauordnung, LGBl. Nr. 35/1976, in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 82/1983 trägt die Überschrift "Lage und Höhe der Gebäude". Abs. 2 dieser Bestimmung lautet:

"(2) Neubauten und solche Zubauten, die eine Vergrößerung des Gebäudes der Länge oder Breite nach bezwecken, müssen außerhalb eines geschlossen bebauten Gebietes gegen die seitlichen Grenzen des Bauplatzes (§ 2) und gegen die innere Bauplatzgrenze,

  1. a) wenn es sich um Hochhäuser handelt, einen Mindestabstand von der Hälfte der Gesamthöhe des Gebäudes,
  2. b) wenn es sich nicht um Hochhäuser handelt, einen Mindestabstand von einem Drittel der Gesamthöhe des Gebäudes, jedenfalls aber einen Mindestabstand von drei Meter erhalten. Die Gesamthöhe des Gebäudes ist jeweils vom tiefsten Punkt des Geländeanschnittes an der der Bauplatzgrenze nächstglegenen Gebäudewand bis zum höchsten Punkt des Gebäudes zu messen."

    § 41 trägt die Überschrift "Bewilligungspflichtige Bauvorhaben". Sein Abs. 1 lit. a lautet:

"(1) Einer Bewilligung der Baubehörde (Baubewilligung) bedürfen:

a) Der Neu-, Zu- oder Umbau von Gebäuden;

...".

Abs. 2 lit. c dieser Bestimmung lautet:

"(2) Im Sinne des Abs. 1 ist unter

...

d) Zubau die Vergrößerung eines Gebäudes der Höhe, Länge oder Breite nach,

...

zu verstehen."

Als Beschwerdepunkt wird das Recht der Beschwerdeführerin auf den gemäß § 32 Abs. 2 lit. a der Bauordnung einzuhaltenden Mindestabstand geltend gemacht. Als Beschwerdegrund wird ausgeführt, daß diese Bestimmung in "teleologischer" Auslegung so verstanden werden müsse, daß von einem "Zubau" nur dann gesprochen werden könnte, wenn bereits ein - entsprechend den Vorschreibungen der Baubehörde errichteter - "Altbau" existierte. Die Bauwerber hätten aber von vornherein die Absicht gehabt, ein mehrgeschoßiges Bauwerk zu errichten. Das Bauwerk sei auch nicht entsprechend dem Baubewilligungsansuchen errichtet worden. Zum Zeitpunkt der Entscheidung der Baubehörde erster Instanz sei lediglich ein Rohbau mit einer nicht überdachten Betondecke errichtet gewesen. Der mit der Bauordnungsnovelle LGBl. Nr. 82/1983 eingeführte § 32 Abs. 2 der O.ö. Bauordnung habe aber den eindeutigen Zweck, bei langjährigem Bestand von Gebäuden für Aufstockungsmaßnahmen Härtefälle zu vermeiden. Beim Gebäude der erstmitbeteiligten Parteien könne aber von einem schützenswerten "Altbestand" nicht gesprochen werden. Für den Fall, daß eine solche Auslegung nach dem Wortlaut der Bestimmung nicht möglich scheint, regt die Beschwerdeführerin an, der Verwaltungsgerichtshof möge im Wege eines Gesetzesprüfungsantrages die Frage der Verfassungswidrigkeit der Worte "... die eine Vergrößerung des Gebäudes der Länge oder Breite nach bezwecken ..." im § 32 Abs. 2 lit. b der O.ö. Bauordnung an den Verfassungsgerichtshof herantragen. Es sei nämlich - bei der dann gegebenen Lesart der Bestimmung - keine sachliche Rechtfertigung dafür erkennbar, weshalb der Gesetzgeber im Hinblick auf den Nachbarschutz zwischen der Neuerrichtung von Gebäuden und der Aufstockung bereits bestehender Gebäude - ohne weitere gesetzliche Voraussetzungen - differenziere.

In den Gegenschriften wird dazu im wesentlichen ausgeführt, daß der Wortlaut des § 32 Abs. 2 lit. b der O.ö. Bauordnung (in Verbindung mit der einen "Zubau" definierenden Bestimmung des § 41 Abs. 2 leg. cit.) keine andere Auslegung zulasse, als daß für die Aufstockung eines Gebäudes die Mindestabstände nicht gelten und daß die Bestimmung im übrigen gleichheitskonform sei. Die belangte Behörde weist auch insbesondere darauf hin, daß jede irgendwie geartete Grenzziehung zwischen "Altbestandsgebäuden" - wie sie dem Gesetzgeber vielleicht vorgeschwebt sein möge - und zwar bewilligten, aber noch nicht so alten Gebäuden praktisch kaum möglich wäre.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes ist zunächst davon auszugehen, daß der Wortlaut der hier einschlägigen Bestimmungen keine andere Auslegung zuläßt als jene der belangten Behörde. Dies nimmt im Prinzip auch die Beschwerdeführerin zur Kenntnis. Deutet man die von ihr vorgeschlagene Auslegung des § 32 Abs. 2 lit. b der O.ö. Bauordnung und die Anregung auf Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG im Zusammenhang, so läuft das Argument der Beschwerdeführerin auf die Notwendigkeit einer den Rahmen des Wortlautes sprengenden gleichheitskonformen Interpretation hinaus.

Da eine solche Auslegung nicht in Betracht kommt, bleibt die Anregung, den Verfassungsgerichtshof zu befassen. Der Verwaltungsgerichtshof sieht hiefür aber keine Veranlassung. Abgesehen davon, daß die in Betracht kommende Bestimmung vom Verwaltungsgerichtshof bereits bei früherer Gelegenheit angewendet wurde, ohne daß der Verwaltungsgerichtshof verfahrensrechtliche Bedenken gehabt hätte (vgl. insbesondere das Erkenntnis vom 18. Dezember 1984, Zl. 84/05/0140 = BauSlg. Nr. 362), ist auch nicht zu erkennen, aus welcher Erwägung heraus sie im Hinblick auf den Gleichheitssatz bedenklich sein sollte. Bereits bestehende konsensmäßige Gebäude, soweit es ihre Aufstockung betrifft, zu begünstigen, ist auch nach Ansicht der Beschwerdeführerin sachlich gerechtfertigt. Daß der Gesetzgeber zur Vermeidung einer ungleichmäßigen oder unsachlichen Vollziehung dabei eine generelle Anordnung trifft und der Behörde keinen Ermessensspielraum einräumt, scheint gleichfalls unbedenklich (vgl. in diesem Zusammenhang die bei Neuhofer-Sapp, O.ö. Baurecht, 3. Aufl., 1991, 147, wiedergegebenen Materialien).

Mit einer derartigen generellen Regelung können aber - wie aus der hier einschlägigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes hervorgeht - durch den Gesetzgeber im Grenzbereich auch Härtefälle in Kauf genommen werden (vgl. die bei Klecatsky-Morscher, Das österreichische Bundesverfassungsrecht, 3. Aufl., 1982, 90 f, wiedergegebene Judikatur). Die belangte Behörde hat zu Recht darauf hingewiesen, daß eine irgendwie geartete Abgrenzung "echter" Altbestandsbauten von anderen bereits bewilligten Bauvorhaben kaum möglich scheint. Jedenfalls wäre sie wiederum mit der Möglichkeit des Entstehens von Härtefällen behaftet. Dabei ist aus der Sicht gleichheitsrechtlicher Erwägungen zu beachten, daß ein solcher Härtefall sowohl aus der Sicht des Bauwerbers gegeben sein kann, als auch - mit umgekehrtem Vorzeichen - aus der Sicht des Anrainers. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen sieht der Verwaltungsgerichtshof somit keinen Anlaß, der Anregung der Beschwerdeführerin zu folgen, einen Antrag gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof zu richten.

Unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht die Beschwerdeführerin geltend, daß die belangte Behörde zur Frage, ob das bestehende Gebäude tatsächlich konsensgemäß errichtet wurde bzw. ob das Bauwerk Abweichungen gegenüber dem konsensmäßigen Zustand aufwiese, keine wie immer gearteten Sachverhaltsverhaltsfeststellungen getroffen habe. Der von der belangten Behörde festgestellte und ihrer Entscheidung zugrunde gelegte Sachverhalt sei daher in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig. Hätte die belangte Behörde zu dieser Frage entsprechende Feststellungen getroffen, so wäre sie zu dem Ergebnis gelangt, daß das bestehende Bauwerk keinesfalls konsensmäßig errichtet wurde, sohin keinesfalls ein "Zubau" im Sinne des § 41 Abs. 2 lit. d der O.ö. Bauordnung vorliege.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Auffassung der belangten Behörde, daß die im Instanzenzug entscheidenden Baubehörden im Hinblick auf die mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 22. August 1985 rechtskräftig genehmigte Planänderung des Bauvorhabens der erstmitbeteiligten Parteien von der Konsensmäßigkeit des bestehenden Gebäudes, auf dem der Zubau errichtet werden soll, ausgehen konnten. Die belangte Behörde ist auch damit im Recht, daß etwaige "Absichten" der Konsenswerber unbeachtet bleiben müssen, da es im Baubewilligungsverfahren nur darum gehen kann, ein konkretes Projekt auf seine Gesetzmäßigkeit zu überprüfen.

Auf Grund der dargelegten Erwägungen war die Beschwerde als in allen Punkten unbegründet gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG und die Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

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