VwGH 87/01/0230

VwGH87/01/023016.12.1987

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerde des GM in S, vertreten durch Dr. Heinrich Vana, Rechtsanwalt in Wien VI, Gumpendorfer Straße 22/7, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. Juli 1987, Zl. 217.145/3-II/6/86, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1
AVG §37
AVG §45 Abs2
AVG §46
AVG §58 Abs2
FlKonv Art1 AbschnA

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1987:1987010230.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsangehöriger der albanischen Minderheit, gelangte am 5. April 1986 illegal in Begleitung seines Vetters beim Grenzübergang Spielfeld auf österreichisches Staatsgebiet und stellte am selben Tag bei der Bezirkshauptmannschaft Baden Asylantrag. Zur Begründung führte er aus, er habe sich seit dem Jahre 1981 politisch betätigt; er kämpfe für die Rechte der albanischen Minderheit in Jugoslawien. Am 11. April 1981 habe er in Pristina, am 30. April 1981 in Istog an Demonstrationen der Albaner teilgenommen. Danach habe er sich mit zwei anderen Personen zu einer Gruppe zusammengeschlossen. Sie hätten unzählige Parolen "verteilt" und seien aus diesem Grunde 1983 zweimal zu ihrer Tätigkeit von den jugoslawischen Behörden befragt worden. Obwohl der Beschwerdeführer nichts gestanden habe, sei über die ganze Familie "Isolation" verhängt worden; der Beschwerdeführer selbst sei von der weiteren Schulbildung ausgeschlossen worden. Nach einer neuerlichen Befragung im Jahre 1984 sei er am 21. April 1984 vom Kreisgericht Pec wegen der Verteilung von Propagandamaterial und der Teilnahme an Demonstrationen zu einer zweimonatigen Gefängnisstrafe verurteilt worden, obwohl er auch diesmal nichts gestanden habe. Die Haftstrafe habe er zur Gänze im Gefängnis in Pec abgebüßt. Seit diesem Zeitpunkt habe er keine Verbindung mehr zu den anderen Mitgliedern der Gruppe. Am 20. Februar 1986 habe er in drei näher bezeichneten Ortschaften Parolen staatsfeindlichen Inhalts auf den Asphalt geschrieben. Dies müsse den Behörden bekannt geworden sein, da er seit drei Wochen zwei bis dreimal täglich zu Hause gesucht worden sei. Als er davon erfahren habe, habe er sich in den Bergen versteckt und mit Einwilligung seiner Frau den Entschluß zum Verlassen seiner Heimat gefaßt. Einer seiner Brüder sei im Jahre 1981 wegen seiner Teilnahme an einer Demonstration in Slowenien zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden; diese verbüße er in Slowenien.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 5. Mai 1986 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention sei. Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß der Beschwerdeführer nicht glaubhaft dargetan habe, aus einem der im Artikel 1, Abschnitt A, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge angeführten Gründe Verfolgung erlitten zu haben oder eine solche befürchten zu müssen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er im wesentlichen ausführte, der Bescheid der Behörde erster Instanz gebe das Vorbringen des Beschwerdeführers nur verkürzt und unvollständig wieder; es seien keine Feststellungen darüber getroffen worden, was als erwiesen angenommen werde und was nicht. Eine solche Begründung entspreche nicht dem § 60 AVG 1950. Ergänzend führte der Beschwerdeführer zu seinem Vorbringen vor der Behörde erster Instanz aus, er sei Angehöriger der albanischen Minderheit in Jugoslawien. Die Verfolgung dieser Minderheit sei amtsbekannt, wozu er auf die jährlichen Berichte von Amnesty International hinweise. Unrichtig sei, daß er unmittelbar vor seiner Ausreise keinen gravierenden Verfolgungshandlungen im Sinne der Genfer Konvention ausgesetzt gewesen sei, da er doch ausgeführt habe, von den Behörden seines Heimatstaates gesucht worden und deshalb in die Berge geflüchtet zu sein. Der Beschwerdeführer legte im Berufungsverfahren eine Vorladung des Kreisgerichtes Pec samt beglaubigter Übersetzung vom 29. März 1986 vor.

Mit dem nun vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde die Berufung abgewiesen. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, es sei unrichtig, daß Verfahrensmängel vorlagen. Die Behauptung, die Angehörigen der albanischen Minderheit seien allgemein Verfolgungen von seiten der jugoslawischen Behörden ausgesetzt, sei für sich allein nicht geeignet, die Anerkennung als Konventionsflüchtling zu rechtfertigen. Vielmehr müsse ein Asylwerber glaubhaft machen, daß er individuell Ziel von gravierenden, von den Behörden ausgehenden Maßnahmen gewesen sei. Die Haftstrafe von zwei Monaten könne nicht als Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention qualifiziert werden, weil sie keine Maßnahme darstelle, die unmittelbar vor der Ausreise des Beschwerdeführers gegen ihn ergriffen worden sei. In diesem Zusammenhang sei zu erwähnen, daß der vom Beschwerdeführer zitierte Art. 114 des jugoslawischen Strafgesetzbuches einen Strafrahmen nicht unter einem Jahr vorsehe. Eine Verurteilung zu einer zweimonatigen Haftstrafe ließe darauf schließen, daß gegenüber dem Beschwerdeführer die jugoslawischen Behörden äußerste Milde angedeihen hätten lassen. Der Vorladung, deren Empfänger im übrigen nicht angeführt sei, lasse sich lediglich entnehmen, daß gegen den Beschwerdeführer Untersuchungen eingeleitet worden seien und daß er inhaftiert gewesen sei. Es sei jedoch nicht angeführt, aus welchem Grunde der Beschwerdeführer in Haft gewesen sei. Die Behauptung, daß der Beschwerdeführer wegen Schreibens staatsfeindlicher Parolen die letzten drei Wochen vor seiner Ausreise mehrmals täglich von den jugoslawischen Behörden zu Hause gesucht worden sei, erscheine als reine Schutzbehauptung. Der Beschwerdeführer habe nämlich während des gesamten Asylverfahrens keinerlei diesbezügliche Vorladungen oder andere schriftliche Unterlagen vorlegen können, aus denen man ableiten könnte, daß die Behörden seines Heimatlandes tatsächlich Maßnahmen gegen ihn ergriffen hätten bzw. zu ergreifen beabsichtigen. Der Beschwerdeführer habe auch keine Unterlagen dafür vorbringen können, daß die jugoslawischen Behörden seit seiner Ausreise ein Verfahren gegen ihn eingeleitet oder sonstige Schritte unternommen hätten. Die Behauptung, der Beschwerdeführer hätte im Jahre 1983 aus politischen Gründen sein Hochschulstudium nicht beenden können, erscheine unglaubwürdig, da er auch hierüber keinerlei Unterlagen vorlegen habe können. Da nur solche von den Behörden des Heimatlandes ausgehende Maßnahmen, die gegen den Asylwerber konkret gerichtet gewesen seien, als Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention gewertet werden könnten, sei die Behauptung, daß der Bruder des Beschwerdeführers wegen seiner politischen Tätigkeit zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, ungeeignet, die Anerkennung der Person des Beschwerdeführers als Konventionsflüchtling zu rechtfertigen. Überdies habe der Beschwerdeführer auch diese Behauptung durch keinerlei Zeugenaussagen oder Unterlagen belegen können. Die Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge enthalte keine Bestimmung, wonach der Grundsatz der "Familieneinheit" für die rechtliche Beurteilung anzuwenden wäre. Es werde aber angenommen, daß auch bei den nächsten Familienangehörigen (Eltern, Gatten oder Kindern) eines anerkannten Konventionsflüchtlings eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention gegeben sei. Da jedoch keiner der nächsten Angehörigen des Beschwerdeführers als Konventionsflüchtling anerkannt worden sei, habe der Beschwerdeführer aus diesem Grunde auch keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft machen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 126/1968 und in seinem Recht auf ein gesetzmäßiges Verfahren verletzt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968 über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 126 in der Fassung der Novelle vom 27. November 1974, BGBl. Nr. 796, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt sind und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F der Konvention vorliegt. Art. 1 A Punkt 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne des Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, der Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, die belangte Behörde habe keine Feststellungen über die politische Tätigkeit des Beschwerdeführers und die sich daraus ergebende Verfolgung getroffen. Sie hätte auch im Sinne der Amtswegigkeit des Verfahrens weitere Nachforschungen über die Haft, die Verweisung von der Hochschule oder über die dem Beschwerdeführer unmittelbar vor seiner Flucht drohenden Verhaftung anstellen müssen. Dem ist entgegenzuhalten, daß im Asylverfahren das Vorbringen des Flüchtlings als zentrales Entscheidungskriterium herangezogen werden muß und es dem Asylwerber obliegt, alles Zweckdienliche für die Erlangung der Begünstigung seiner Rechtsstellung vorzubringen. Anfragen an jene staatlichen Stellen des Heimatlandes, dessen Schutz der Asylwerber gerade nicht in Anspruch nehmen will, sind aus naheliegenden Gründen des Schutzes der Person des Asylwerbers nicht zweckmäßig und zielführend Die Wiedergabe des wesentlichen Vorbringens des Beschwerdeführers im angefochtenen Bescheid ist daher als ausreichende Feststellung anzusehen.

Der belangten Behörde ist auch darin beizupflichten, daß weder ein Jahresbericht 1981 der Amnesty International noch die Verurteilung eines Bruders des Beschwerdeführers wegen Teilnahme an Demonstrationen, die offenbar nicht mit den Bestrebungen der albanischen Minderheit in Zusammenhang stehen, Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an den Beschwerdeführer sein können, weil darin nicht zu erkennen ist, daß die Behörden des Heimatstaates konkrete Verfolgungshandlungen aus Gründen der Konvention gegen den Beschwerdeführer gerichtet haben.

Der Beschwerdeführer rügt weiters, daß die belangte Behörde das Vorbringen mit der Begründung abtue, der Beschwerdeführer habe keine ausreichenden Beweismittel (keine Urkunden, keine Vorladungen oder andere Unterlagen) beigebracht.

Die Glaubhaftmachung der Gründe für eine gesetzmäßige Feststellung im Sinne der Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge hat im Gegensatz zu einer Beweisführung nur den Nachweis der Wahrscheinlichkeit zum Gegenstand. Die Frage, ob der Beschwerdeführer Verfolgung im Sinne der Konvention glaubhaft machen kann, ist von der Rechtsfrage zu unterscheiden, ob die glaubhaft gemachten Gründe als Verfolgung im Sinne der Konvention zu qualifizieren sind. Die belangte Behörde hat einerseits zu Unrecht dem Beschwerdeführer zur Begründung der Abweisung seines Asylantrages die Nichtvorlage von Urkunden entgegengehalten, da eine Beweisführung im Asylverfahren nicht erforderlich ist, andererseits aber nicht in nachprüfbarer Weise dargetan, warum sie gerade das entscheidende Vorbringen des Beschwerdeführers, nämlich insbesondere der Ausschluß vom weiteren Hochschulstudium und die Nachforschungen der jugoslawischen Behörden nach dem Beschwerdeführer kurz vor seiner Flucht zunächst in die Berge und dann in das österreichische Bundesgebiet, als unwahrscheinlich und unglaubwürdig ansieht; es genügt nicht, ein Vorbringen bloß mit dem Hinweis, es handle sich um eine Schutzbehauptung, abzuqualifizieren, wenn der Beschwerdeführer bereits von einem Gericht seines Heimatstaats aus politischen Gründen bestraft worden ist.

Der so mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastete angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da die Umsatzsteuer mit dem pauschalierten Schriftsatzaufwand abgegolten ist.

Wien, am 16. Dezember 1987

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