VwGH 86/07/0043

VwGH86/07/004328.4.1987

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schima und die Hofräte Dr. Salcher, Dr. Hoffmann, Dr. Fürnsinn und Dr. Zeizinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Teissl , über die Beschwerde der Stadtgemeinde Innsbruck, vertreten durch Dr. Karl Heinz Klee, Rechtsanwalt in Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 38, gegen den Bescheid des Obersten Agrarsenates beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft vom 4. Dezember 1985, Zl. 710.374/02-OAS/85, betreffend Regulierung von Weideservituten (mitbeteiligte Partei: Weideinteressentschaft A, vertreten durch den Obmann AW in A), zu Recht erkannt:

Normen

AgrVG §1;
AVG §66 Abs4;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AgrVG §1;
AVG §66 Abs4;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.750,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz (AB) hat mit Bescheid vom 12. Juli 1968 unter dem Betreff "Gemeinden M und A, Sicherung von Weiderechten am E-wald" gemäß § 42 des Tiroler Wald- und Weideservitutengesetzes, LGBl. Nr. 21/1952 (WWSG), nähere Bestimmungen "für die Ausübung der den Viehbesitzern von A liegenden Gütern nach der Servitutenregulierungsurkunde vom 12. 2. 1871, Nr. 21747/1260, zustehenden Weiderechte" erlassen. Gleichzeitig wurden die Eigentümer der im einzelnen angeführten berechtigten Liegenschaften zur "Weideinteressentschaft A" zusammengefaßt und für diese ein Vertretungsstatut erlassen.

Mit Bescheid der AB vom 20. Jänner 1977 wurde gemäß § 38 Abs. 2 WWSG der Umfang der Weiderechte der Mitglieder dieser Weideinteressentschaft, "deren Ausübung im Rahmen der bestehenden Servitutenregulierungsurkunden, ibs. der Urkunde vom 12. 2. 1871, Nr. 21747/1260, der Höhe nach beschränkt ist", festgestellt, und die Nutzungsausübung im Rahmen der urkundlichen Bestimmung geregelt. In der Begründung dieses Bescheides führte die AB u. a. aus, die Eigentümer der belasteten Grundstücke - zu denen auch die nunmehrige Beschwerdeführerin zählt - seien zu den Feststellungen dieses Bescheides nicht zu hören gewesen, da in ihre Rechtssphäre nicht eingegriffen werde; dieser Bescheid stelle lediglich eine Klarstellung der internen Verhältnisse der Weideinteressentschaft dar.

Gegen diesen Bescheid haben mehrere Weideberechtigte Berufung erhoben. Im Zuge des Berufungsverfahrens kam es am 7. Februar 1980 zu einer Verhandlung, an welcher u.a. drei Vertreter der Beschwerdeführerin teilnahmen. In dieser Verhandlung, deren Gegenstand auch nach der Ausschreibung vom 18. Jänner 1980 die Erledigung der gegen den Bescheid der AB vom 20. Jänner 1977 anhängigen Berufungen war, wurde eine in der Niederschrift im einzelnen festgehaltene "einvernehmliche Lösung nach den ausdrücklichen Erklärungen der anwesenden Parteien" getroffen.

Mit seinem Bescheid vom 26. März 1980 hat dann der Landesagrarsenat beim Amt der Tiroler Landesregierung (LAS) den Berufungen

"Folge gegeben und gemäß § 38 Abs. 2 WWSG festgestellt, daß

den Mitgliedern der Weideinteressentschaft A ... nachangeführte

Anteilsrechte an der Weideinteressentschaft A zukommen. Die Anteilsberechtigten können ihre Weiderechte wie bisher mit dem auf ihrem Gut überwinterten Viehstand ausüben. Die Ausübung erfolgt im Rahmen der bestehenden Servitutenregulierungsurkunden, insbesondere den Urkunden vom 12.2.1871, Nr. 21747/1260, vom 4.7.1901, Nr. 26582/46, vom 26.9.1872, Nr. 16613/822, und vom 31. 1. 1871, Nr. 21748/1261, und ist der Höhe nach, wie in den Urkunden vorgesehen, beschränkt."

In den nachfolgenden Punkten I und II dieses Bescheides folgten die Umschreibung des Umfanges der Anteilsrechte und nähere Regelungen für die Nutzungsausübung.

Begründend führte der LAS aus, aus Anlaß der anhängig gemachten Berufungen sei am 7. Februar 1980 eine mündliche Verhandlung durch Beauftragte des LAS unter Beiziehung einer Großzahl von Weideberechtigten durchgeführt worden, wobei es in Bereinigung der Berufungen zu Vereinbarungen gekommen sei. Der wesentliche Inhalt dieser Vereinbarungen sei es, daß jeder Anteilsberechtigte berechtigt sei, mit seinem auf dem Heimgut überwinterten Viehstand im Rahmen des urkundlichen Besatzes die Weide auszuüben. Der von der AB verfügte Anteilsschlüssel sei als Maßstab für die Reduzierung der Weiderechte im Falle einer Überbestoßung sowie als Maß zur Tragung von Lasten und Verteilung von Überschüssen heranzuziehen. Der LAS habe keinen Grund gesehen, dem Antrag der Parteien in der Verhandlung nicht zu entsprechen, wonach der Bescheid der AB gemäß diesen Vereinbarungen abgeändert werden solle.

In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin als Eigentümerin der Alpen X und Y aus, daß durch die vom LAS angeordnete Regelung der Weideausübung im Rahmen der Servitutenregulierungsurkunden Nr. 16613/822 und 21748/1261 eine globale Übertragung der Weiderechte an die Weideinteressentschaften A und M erfolgt sei. Dabei sei übersehen worden, daß es in diesen Urkunden zwei Arten von Weiderechten gebe, nämlich solche zugunsten der Alpen X und Y und solche zugunsten der Gemeinden A und M. Letztere seien mit Bescheid der AB vom 14. Oktober 1970 an die Weideinteressentschaften A und M übertragen worden, hinsichtlich der ersteren hingegen habe der LAS auf Grund einer damals von der Beschwerdeführerin erhobenen Berufung mit Bescheid vom 20. März 1972 festgestellt, daß sie nicht den genannten Weideinteressentschaften zustünden. Die Alpen X und Y gehörten auf Grund eines Kaufes zum Privateigentum (Gemeindevermögen) der Beschwerdeführerin. Ein ähnlicher Sachverhalt ergebe sich für die Alpen B und G. Die Beschwerdeführerin beantragte daher in ihrer Berufung abschließend, es möge in Ergänzung des Spruches des LAS festgestellt werden, daß die Weiderechte, welche gemäß den Servitutenregulierungsurkunden Nr. 16613 und Nr. 21748 zugunsten der genannten vier Alpen bestünden, nicht den Weideinteressentschaften A und M, sondern der Beschwerdeführerin als Privateigentümerin dieser Alpen zustünden.

Diese Berufung hat die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gemäß § 1 AgrVG 1950 und § 66 Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 38 WWSG als unbegründet abgewiesen. Die belangte Behörde bejahte vorerst ihre Zuständigkeit unter Hinweis auf § 7 Abs. 2 Z. 4 des Agrarbehördengesetzes sowie darauf, daß der LAS die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert habe, und führte dann begründend aus, daß diese Entscheidung des LAS inhaltlich der auch von den Vertretern der Beschwerdeführerin getroffenen Parteienvereinbarung entspreche. Es fehle der Beschwerdeführerin daher jedes Rechtsschutzinteresse, im nachhinein eine Entscheidung zu bekämpfen, deren Inhalt sie selbst gewünscht habe.

Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, welcher deren Behandlung jedoch mit Beschluß vom 27. September 1986, Zl. B 218/86, abgelehnt hat.

In ihrer parallel dazu beim Verwaltungsgerichtshof erhobenen Beschwerde macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten deshalb verletzt, weil sie in der Verhandlung vom 7. Februar 1980 vor dem LAS nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen sei, und weil die belangte Behörde verkannt habe, daß der LAS als Berufungsbehörde den Verfahrensgegenstand unzulässig erweitert habe.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Die mitbeteiligte Weideinteressentschaft hat sich trotz gebotener Gelegenheit am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950, der gemäß § 1 AgrVG 1950 auch im Verfahren vor den Agrarbehörden anzuwenden ist, ist die Berufungsbehörde, wenn sie eine Sachentscheidung zu treffen hat und nicht die Berufung aus einem formalen Grund zurückzuweisen hat, berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den bei ihr angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. Diese Befugnis steht der Berufungsbehörde jedoch nur bezüglich der "Sache" des Berufungsverfahrens zu, also in bezug auf die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterinstanz gebildet hat, soweit diese Angelegenheit - ihre rechtliche Teilbarkeit vorausgesetzt - mit Berufung angefochten worden ist. Die Berufungsbehörde darf sachlich nicht über mehr entscheiden als Gegenstand der Entscheidung der unteren Instanz war; ebensowenig darf sie gegenüber Parteien entscheiden, die am Verfahren der unteren Instanz im Hinblick auf den Umfang der dort verhandelten Sache nicht beteiligt waren (vgl. dazu Mannlicher-Quell, Das Verwaltungsverfahren2, S. 363 f; Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, S. 275 f; Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes3, S. 178; sowie die dort jeweils angeführte Rechtsprechung beider Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes).

Diesen Grundsätzen entsprach die im Beschwerdefall vom LAS erlassene, mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte Berufungsentscheidung nicht. Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens und der dagegen erhobenen Berufungen war die Regelung der Weiderechte der Mitglieder der Weideinteressentschaft A im Rahmen der Servitutenregulierungsurkunde vom 12. Februar 1871, Nr. 21747/1260, wobei die AB in der Begründung ihres Bescheides ausdrücklich betonte, daß mit dieser Klarstellung der internen Verhältnisse der Weideinteressentschaft in die Rechtssphäre der Eigentümer der belasteten Grundstücke nicht eingegriffen werde. Aus diesem Grunde war die Beschwerdeführerin auch nicht dem erstinstanzlichen Verfahren als Partei zugezogen worden. Dem Bescheid der AB ist ferner nicht zu entnehmen, daß damit auch Regelungen gemäß den Servitutenregulierungsurkunden vom 26. September 1872, Nr. 16613/822, vom 31. Jänner 1871, Nr. 21748/1261, und vom 4. Juli 1901, Nr. 26582/46, getroffen werden sollten.

Diese zuletzt genannten Urkunden wurden im vorliegenden Verwaltungsverfahren erstmals in der Verhandlung vor dem LAS am 7. Februar 1980 genannt, an welcher erstmals auch Vertreter der Beschwerdeführerin teilgenommen haben. Die auf die Ergebnisse dieser Verhandlung gestützte Berufungsentscheidung des LAS, welche erstmals Rechte der Beschwerdeführerin betraf, hielt sich daher weder in der Sache noch hinsichtlich des Kreises der beteiligten Parteien innerhalb der Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der AB gebildet hat, weshalb der LAS mit seiner Berufungsentscheidung insoweit den Rahmen seiner funktionellen Zuständigkeit überschritten hat (vgl. dazu Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. Dezember 1981, Slg. Nr. 10604/A).

Daran vermag nichts zu ändern, daß der LAS seine Entscheidung auf ein von den Teilnehmern an der Verhandlung vom 8. Februar 1980 geschlossenes Übereinkommen gestützt hat, ist er doch bei Erlassung seiner Entscheidung ausschließlich als Berufungsbehörde aufgetreten. Bei dieser Sachlage konnte die Erörterung der Frage unterbleiben, ob der LAS das bei ihm anhängige Berufungsverfahren auch auf eine andere Weise, etwa durch bloße Beurkundung eines (Parteien-)Übereinkommens, zum Abschluß hätte bringen können. In gleicher Weise erübrigten sich Erwägungen zu der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren aufgeworfenen Rechtsfrage, ob und inwieweit die im Verfahren vor dem LAS aufgetretenen Vertreter der Beschwerdeführerin zum Abschluß eines derartigen Übereinkommens überhaupt befugt gewesen sind.

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid damit begründet, daß der Beschwerdeführerin ein Rechtsschutzinteresse an einer Beseitigung der Berufungsentscheidung des LAS fehle, weil sie deren Inhalt "selbst gewünscht" habe. Selbst wenn man jedoch davon ausgeht, die Beschwerdeführerin sei bei der Verhandlung vom 7. Februar 1980 ordnungsgemäß vertreten worden, kann ihr Rechtsschutzinteresse nicht auf diese Weise abgetan werden; dieses Interesse kann nämlich durchaus auch darin erblickt werden, bescheidmäßige Rechtsfolgen eines bereits abgeschlossenen, aber nachträglich als nachteilig erkannten Übereinkommens mit rechtlichen Mitteln wieder aus der Welt zu schaffen. Solche Nachteile hat die Beschwerdeführerin in ihrer an die belangte Behörde gerichteten Berufung aufgezeigt, wenn sie dort auf Widersprüche zwischen dem vom LAS zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen Übereinkommen und dem von ihr behaupteten Privateigentum (Gemeindevermögen) an mehreren von diesem Übereinkommen erfaßten Alpen hinwies.

Die Nichtbeachtung von Zuständigkeitsnormen (hier: der funktionellen Unzuständigkeit des LAS) durch die höhere Instanz, die über das an sie gerichtete Rechtsmittel jedenfalls zu entscheiden hatte, ist formell gesehen eine Rechtswidrigkeit des Inhaltes (vgl. dazu die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, auf S. 581 f. angeführten Entscheidungen). Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47, 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 sowie 59 VwGG in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 28. April 1987

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