VwGH 86/06/0215

VwGH86/06/021513.4.1989

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte Mag. Onder, DDr. Hauer, Dr. Würth und Dr. Giendl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hinterwirth, über die Beschwerde des DC in K, vertreten durch Dr. Gerald Carli, Rechtsanwalt in Hartberg, Raimund-Obendrauf-Straße 9, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 14. Juli 1986, Zl. 03-12 0 52- 86/2, betreffend Einwendungen im Widmungsverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. Österreichischer Rundfunk in Wien, 2. Gemeinde K, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs4;
BauO NÖ 1969 §118 Abs1;
BauO Stmk 1968 §4 Abs1;
BauO Stmk 1968 §4 Abs3;
BauRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1989:1986060215.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 21. Jänner 1985 wurde dem Erstmitbeteiligten die Widmungsbewilligung für den nördlichen Teil des Weingartengrundstückes Nr. 163/2, KG X, im Ausmaß von 100 m2 zum Zwecke der Schaffung eines Bauplatzes zur Errichtung einer Fernsehsendestation unter Auflagen erteilt. Nach der Beschreibung handelt es sich um einen Antennentragmast in der Gesamthöhe von 45 m und eine Senderunterkunft im Ausmaß von 3,5 x 2,24 m und ca. 2,80 m Höhe. Der Abstand der Außenkante der Fundamentfüße zum Grundstück des Beschwerdeführers sollte mindestens 3 m betragen.

Der Beschwerdeführer hatte bei der mündlichen Widmungsverhandlung unter anderem vorgebracht, der Abstand zu seiner Grundgrenze müsse bei einer Gesamthöhe von 45,3 m gemäß § 4 Abs. 1 der Stmk. Bauordnung (BO) ca. 17 m betragen. Zu dieser Einwendung wurde im Widmungsbewilligungsbescheid ausgeführt, der Antennentragmast sei nicht als Gebäude anzusehen und werde für die massiven Fundamente der Stahlkonstruktion der Mindestabstand von 3 m von der Grundgrenze des Grundstückes des Beschwerdeführers eingehalten.

Gegen den Bescheid vom 21. Jänner 1985 erhob der Beschwerdeführer Berufung, in welcher er sich neuerlich gegen den vorgesehenen Abstand von 3 m von seiner Grundgrenze wandte und zur Begründung seiner Einwendung eine über das ortsübliche Ausmaß hinausgehende Belästigung und Gefährdung durch auf seine Liegenschaft herabfallende Eisstücke und -teile bei Sturm und Blitzschlag anführte. Weiters wurde eine Störung des Orts- und Landschaftsbildes und allenfalls auch eine Beeinträchtigung der Grundstücke des Beschwerdeführers durch die seiner Ansicht nach noch ungeklärte Zufahrtsmöglichkeit vorgebracht.

Dieser Berufung gab der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde mit Bescheid vom 11. Juni 1985 keine Folge. Zur Frage des Abstandes führte die Rechtsmittelbehörde begründend aus, der Beschwerdeführer hätte rechtzeitig im Sinne des § 42 AVG 1950 die Vorschreibung eines größeren Abstandes lediglich in bezug auf § 4 Abs. 1 BO gefordert. Eine Belästigung habe er weder behauptet noch sei eine solche nachgewiesen worden. Bei dem Vorbringen betreffend das Orts- und Landschaftsbild und die Zufahrt handle es sich um keine subjektiv-öffentlichen Rechte des Nachbarn im baubehördlichen Verfahren.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung wiederholte der Beschwerdeführer im wesentlichen sein Berufungsvorbringen.

Mit Bescheid der Stmk. Landesregierung vom 14. August 1985 wurde der Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 11. Juni 1985 wegen Verletzung von Rechten des Vorstellungswerbers behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde verwiesen. Dies wurde damit begründet, aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers bei der mündlichen Verhandlung wie auch aus seinem Berufungsvorbringen sei klar zu ersehen gewesen, daß er sich als Nachbar gegen den vorgesehenen Abstand des Bauwerkes von seiner Grundgrenze wandte. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes würden sich die Präklusionsfolgen nur auf die Einwendungen selbst, d. h. auf das Recht, dessen Verletzung behauptet werde, nicht aber auf die Gründe beziehen, auf die sich diese Behauptung stütze. Der Beschwerdeführer sei daher berechtigt gewesen, im Laufe des Verfahrens weitere Gründe gegen die Situierung des geplanten Baues im vorgesehenen Abstand von der Grundgrenze vorzubringen, ohne daß ihm die Vorschrift des § 42 AVG 1950 entgegengehalten werden könnte. Die Baubehörde zweiter Instanz habe dem Beschwerdeführer zu Unrecht eine Sachentscheidung in dieser Frage verweigert und es seien daher durch die bekämpfte Berufungsentscheidung Rechte des Beschwerdeführers verletzt worden.

Am 10. Oktober 1985 wurde vom Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde für den 29. d. M. eine mündliche Berufungsverhandlung an Ort und Stelle anberaumt und die Ladung hiezu kundgemacht. Mit Schriftsatz vom 20. Oktober 1985 wiederholte der Beschwerdeführer im wesentlichen sein bereits im ersten Rechtsgang erstattetes Vorbringen.

Bei der mündlichen Verhandlung, die vom Beschwerdeführer unbesucht blieb, erstatteten ein Sachverständiger für Maschinen- und Stahlbautechnik, der Medizin und der Bautechnik Gutachten, in denen u. a. die Ansicht vertreten wurde, daß bei einem 45 m hohen Mast eine Fläche im Umkreis von 10 m um die Mastachse durch herabfallende Eisteile gefährdet scheine und bei den in dieser Gegend auftretenden Windgeschwindigkeiten mit keiner das ortsübliche Maß übersteigenden Lärmbelästigung zu rechnen sei. Der beigezogene medizinische Sachverständige wertete die durch die Senderausgangsleistung von 20 Watt bedingte Strahlenbelastung der Nachbarn von 0,0003 mW/cm2 nicht als gesundheitsgefährdend, zumal der internationale Grenzwert 10 mW/cm2 betrage.

Mit Bescheid vom 7. November 1985 erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde die Widmungsbewilligung, wobei der Abstand der Achse des Sendemastes zur Liegenschaftsgrenze des Beschwerdeführers mit mindestens 10 m und jener der Außenkante der Fundamentfüße mit mindestens 5,5 m festgelegt wurde.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gab der Gemeinderat keine Folge.

Die gegen diesen Berufungsbescheid erhobene Vorstellung stützte der Beschwerdeführer auf das bereits im Verfahren vor den Baubehörden erstattete Vorbringen und machte zudem die Verletzung seines Rechtes auf Parteiengehör geltend, da ihm keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu den in der Verhandlung erstatteten Gutachten geboten worden sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 14. Juli 1986 wies die Stmk. Landesregierung (belangte Behörde) die Vorstellung ab und führte in der Begründung ihres Bescheides im wesentlichen aus, daß weder die vom Beschwerdeführer behauptete Lärmentwicklung noch die Gefährdung durch möglicherweise herabfallende Eisstücke Einwirkungen, welche vom Verwendungszweck des Baues herrührten, darstellen, weshalb diese Umstände, selbst wenn sie das ortsübliche Maß übersteigen sollten, keinen Grund für die Festsetzung größerer Abstände bilden könnten.

Die festgestellte Strahlenemission erweise sich nicht als eine das ortsübliche Maß übersteigende Gesundheitsgefährdung des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer, der an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen habe, hätte die Möglichkeit gehabt, sich durch Akteneinsicht Kenntnis vom Verlauf der mündlichen Verhandlung und vom Inhalt der erstatteten Gutachten zu verschaffen. Seine Einwände gegen diese Gutachten hätte der Beschwerdeführer noch in der Berufung anbringen können, sodaß er in seinem Recht auf Parteiengehör nicht verletzt worden sei.

Daß nach Aufhebung des Berufungsbescheides des ersten Rechtsganges nicht der Gemeinderat, sondern der Bürgermeister tätig geworden sei, stelle zwar - so führte die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides weiter aus - eine Unzuständigkeit dar, doch sei der Beschwerdeführer dadurch in keinem Recht verletzt worden, zumal dieses rechtsirrige Vorgehen eine Verlängerung des Instanzenzuges zu seinen Gunsten bewirkt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem aus § 4 BO erfließenden Recht auf Schutz vor Gefährdung durch die Bauführung auf anrainenden Liegenschaften und die Festsetzung von Abständen, in seinem Recht auf Parteiengehör und in seinem Recht darauf, daß die zuständige Behörde nach Aufhebung des Berufungsbescheides durch die Aufsichtsbehörde entscheide, verletzt.

Die belangte Behörde und die erstmitbeteiligte Partei erstatteten Gegenschriften, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragten.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Feststeht, daß die Steiermärkische Landesregierung mit Bescheid vom 14. August 1985 den Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 11. Juni 1985 behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die mitbeteiligte Gemeinde verwiesen hat. Nach Durchführung einer ausdrücklich als solche bezeichneten Berufungsverhandlung am 29. Oktober 1985 entschied aber nicht der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde als zuständige Behörde zweiter Instanz über die Berufung des Beschwerdeführers, sondern es erließ der Bürgermeister als Baubehörde erster Instanz den Widmungsbescheid vom 7. November 1985, gegen den in weiterer Folge sämtliche Rechtsmittel ausgeschöpft wurden. Da der Gemeinderat als nach der Aufhebung des Bescheides vom 11. Juni 1985 zuständige Behörde den Bescheid erster Instanz vom 21. Jänner 1985 aber zuvor nicht nach § 66 Abs. 2 AVG 1950 behoben hatte, womit die Zuständigkeit an den Bürgermeister als Baubehörde erster Instanz übergegangen wäre, war der Bürgermeister für eine neuerliche Entscheidung in derselben Sache nicht zuständig.

Wie die belangte Behörde richtig erkannte, hätte der Gemeinderat neuerlich über die Berufung entscheiden müssen, der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde entschied sohin bei Erlassung des Bescheides vom 7. November 1985 als unzuständige Behörde. Die Berufungsbehörde hätte den Bescheid des Bürgermeisters vom 7. November 1985 deshalb wegen Unzuständigkeit beheben müssen. Nun hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, daß dann, wenn die Berufungsbehörde, obwohl sie den bei ihr angefochtenen Bescheid wegen Unzuständigkeit der Unterbehörde aufzuheben hätte, in der Sache selbst (hier:

materiell über das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers gegen den Bescheid vom 7. November 1985) entschieden hat, ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet (vgl. u. a. Erkenntnisse vom 1. Juli 1974, Zl. 1358/73, und vom 4. Oktober 1978, Zl. 2474/77, und die dort zitierte Judikatur).

Es kommt entgegen der Ansicht der belangten Behörde nämlich nicht darauf an, ob durch die unzuständigerweise ergangene Entscheidung des Bürgermeisters als Baubehörde erster Instanz vom 7. November 1985 für den Beschwerdeführer eine Verlängerung des Instanzenzuges und damit de facto eine Besserstellung entstanden ist oder nicht, da die Unzuständigkeit der Behörde von Amts wegen wahrzunehmen ist.

Die belangte Behörde belastete dadurch, daß sie den Bescheid der Berufungsbehörde nicht behob, obwohl diese die Unzuständigkeit der Behörde erster Instanz nicht wahrnahm, ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Aus verfahrensökonomischen Gründen wird jedoch darauf hingewiesen, daß sich die Ansicht des Beschwerdeführers, aus der Verweisung des Abs. 3 des § 4 BO auf Abs. 1 sei zu schließen, daß bei derartigen Bauten ebenfalls die Mindestabstände für Gebäude einzuhalten wären, als verfehlt erweist. Diese Verweisung bezieht sich lediglich auf das Ausmaß der festzusetzenden Abstände, keinesfalls bietet sie eine tragfähige Grundlage für eine Auslegung dahin, daß bei Bauten jedenfalls die bei Gebäuden einzuhaltenden Mindestabstände des Abs. 1 einzuhalten wären. Dies läßt den Schluß zu, daß gemäß § 4 Abs. 3 leg. cit. für Bauten, die nicht Gebäude darstellen und deren Verwendungszweck keine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung und keine Gefährdung der Nachbarn erwarten läßt, die Festlegung von Abständen nicht vorgeschrieben ist. Es ist in einem derartigen Fall daher zu prüfen, ob der Verwendungszweck des Baues (Sendemast) eine das ortsübliche Maß übersteigende Belästigung oder eine Gefährdung darstellt und die Festsetzung von Abständen erfordert.

Nun erkannte die belangte Behörde richtig, daß weder die behauptete Gefährdung durch herabfallende Eisstücke noch die Belästigung durch das Rauschen des Windes als Einwirkungen, welche ihren Ursprung im Verwendungszweck des Sendemastes haben, bezeichnet werden können, denn solche Emissionen könnten auch von einem höheren Baum an der Grundstücksgrenze ausgehen. Die behauptete Strahleneinwirkung allerdings könnte als eine Emission im Sinne des § 4 Abs. 3 leg. cit. gewertet werden, wobei - gestützt auf ein medizinisches Gutachten - hiezu jedoch festgestellt wurde, daß die durch die Sendeausgangsleistung bedingte Strahlenbelastung mit Sicherheit keine gesundheitliche Gefährdung der Nachbarn nach sich zieht. Zusammenfassend ist festzustellen, daß von einer Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers dadurch, daß Abstände von 10 m bzw. 5,5 m zu seiner Liegenschaftsgrenze festgelegt wurden, nicht gesprochen werden kann.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 13. April 1989

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