Normen
AVG §59 Abs1;
EGVG Art8/Bundesländer ausser Wien Fall1 Anstandsverletzung;
PolStG NÖ 1975 §1 litb;
VStG §19;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1;
VwGG §42 Abs2 lita;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §59 Abs1;
EGVG Art8/Bundesländer ausser Wien Fall1 Anstandsverletzung;
PolStG NÖ 1975 §1 litb;
VStG §19;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1;
VwGG §42 Abs2 lita;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.450,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen richtete am 21. August 1984 an den Beschwerdeführer ein Straferkenntnis, dessen Spruch wie folgt lautete:
"Der Beschuldigte KH, geb. JJJJ, K, hat am 22. 1. 1984 1.) gegen 00.30 Uhr im Gasthaus der Marianne D. im alkoholisierten Zustand lautstark herumgeschrien, sieben anwesende Gäste angestänkert, auf die Schank gespuckt und die Gastwirtin fortwährend auf das gröblichste beschimpft, 2.) gegen 02.10 Uhr bis 02.30 Uhr im Hotel XY Gäste angestänkert und die Gastwirtin lautstark mit den Worten: 'Du Hure, du Sau, geh scheissen usw.'
gröblich beschimpft und hat dadurch a) ungebührlicherweise störenden Lärm erregt und b) den öffentlichen Anstand verletzt und dadurch eine Verwa1tungsübertretung nach 1.), 2.) a) § 1 lit. a des NÖ Polizeistrafgesetzes und 1.), 2.) b) § 1 lit. b des NÖ Polizeistrafgesetzes begangen.
Gemäß zu 1.) und zu 2.) a) und b) § 1 leg. cit. wird gegen den Beschuldigten zu 1.), 2.) a) und b) je 3 Tage Primärarrest (verhängt).
Der Bestrafte hat gemäß § 64 Abs. 2 des Verwaltungsstrafgesetzes als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens 10 v.H. der verhängten Strafe (ein Tag Arrest ist gleich 50 S), d.s. 30 S zu bezahlen und gemäß § 64 Abs. 3 des Verwaltungsstrafgesetzes die mit -,-- S bestimmten Barauslagen des Verwaltungsstrafverfahrens sowie gemäß § 67 des Verwaltungsstrafgesetzes die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen. Einzuzahlender Gesamtbetrag: S 30,--."
Der dagegen vom Beschwerdeführer rechtzeitig erhobenen Berufung gab die Niederösterreichische Landesregierung (belangte Behörde) mit Bescheid vom 5. Dezember 1984 keine Folge und schrieb dem Beschwerdeführer gemäß § 64 VStG als Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens S 30,-- vor.
In der Begründung ging die belangte Behörde davon aus, die Behörde erster Instanz habe mit dem Straferkenntnis vom 21. August 1984 Primärarreststrafen in der Höhe von zusammen 6 Tagen verhängt. Im Berufungsverfahren seien (die Gastwirtinnen) Marianne D. und Anna H. nochmals als Zeugen einvernommen worden. Marianne D. habe angegeben, dass die Personen, die vom Beschwerdeführer angestänkert worden seien, ihr nicht namentlich bekannt seien. Dies sei absolut glaubwürdig, da in einem Gasthaus erfahrungsgemäß zahlreiche Personen verkehrten, die dem Wirt nicht namentlich bekannt seien. Anna H. habe angegeben, dass der Beschwerdeführer lautstark randaliert hätte und sie und die anwesenden Gäste beschimpft habe. Der Beschwerdeführer habe derart laut geschimpft, dass dies für jedermann deutlich hörbar gewesen sei. Die Musik sei keinesfalls so laut gewesen, dass man die Worte des Beschwerdeführers nicht hätte wahrnehmen können. Die Angaben der beiden Wirtinnen seien absolut glaubwürdig. Es sei undenkbar, dass die beiden Zeuginnen, deren Gast der Beschwerdeführer ja gewesen sei, ihn grundlos Übertretungen des NÖ Polizeistrafgesetzes (LGBl. Nr. 4000-0, im folgenden: PolStG) beschuldigen würden. Das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte und als erwiesen angenommene Verhalten stelle zweifellos sowohl eine Übertretung nach § 1 lit. a als auch lit. b leg. cit. dar. Es könne als erwiesen angenommen werden, dass der durch das Schimpfen, Schreien und Randalieren des Beschwerdeführers hervorgerufene Lärm unter Zugrundelegung eines objektiven Maßstabes geeignet gewesen sei, das Wohlbefinden der anderen zur Tatzeit am Tatort anwesenden Personen zu beeinträchtigen. Auch die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verletzung des öffentlichen Anstandes erscheine, wie aus den obigen Ausführungen ersichtlich sei, erwiesen. (Es folgen Ausführungen zur Strafbemessung.)
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 1 PolStG begeht, wer a) ungebührlicherweise störenden Lärm erregt oder b) den öffentlichen Anstand verletzt, eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde von dieser, mit einer Geldstrafe bis zu S 3.000,-- oder mit Arrest bis zu zwei Wochen zu bestrafen.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers wurde hinsichtlich der zu 1.) im Spruch des Straferkenntnisses vom 21. August 1984 dargestellten Tathandlung rechtzeitig eine Verfolgungshandlung im Sinne der §§ 31 Abs. 2 und 32 Abs. 2 VStG 1950 gesetzt: Am 24. April 1984 wurde nämlich die Gastwirtin Marianne D. zu diesem Vorfall als Zeugin einvernommen, wobei sie auch auf die bezügliche Gendarmerieanzeige (vom 4. Februar 1984) Bezug nahm, in welcher der dem Beschwerdeführer insoweit angelastete Sachverhalt detailliert dargestellt ist. Da auch eine Zeugeneinvernahme dann, wenn daraus hervorgeht, dass die Behörde einen bestimmten Vorwurf gegen den Beschuldigten erhebt, zu dem der Zeuge befragt wurde, eine geeignete Verfolgungshandlung darstellt, wobei auch dem Hinweis auf Angaben in einer Anzeige Rechtserheblichkeit zukommt (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Februar 1985, Zl. 84/02/0292), ist die geltend gemachte Verfolgungsverjährung nicht eingetreten.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 8. Juni 1983, Zl. 81/10/0076, und die dort zitierte Vorjudikatur) wird der Tatbestand der Verletzung des öffentlichen Anstandes durch ein Verhalten erfüllt, das mit den allgemeinen Grundsätzen der Schicklichkeit nicht im Einklang steht und das einen groben Verstoß gegen diejenigen Pflichten darstellt, die jedermann in der Öffentlichkeit zu beachten hat. Bei der Beurteilung der Verletzung jener Form des äußeren Verhaltens, die nach Auffassung gesitteter Menschen der Würde des Menschen als sittlicher Person bei jedem Heraustreten aus dem Privatleben in die Öffentlichkeit entsprechen, ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Zum Tatbild der Anstandsverletzung gehört nicht, dass das Delikt an einem öffentlichen Ort begangen wird, jedoch muss die konkrete Möglichkeit der Kenntnisnahme über den Kreis der Beteiligten hinaus gegeben sein. Entgegen der offenbaren Ansicht des Beschwerdeführers verlangt die Bestimmung des § 1 lit. b PolStG keineswegs, dass die Anstandsverletzung, damit sie als "öffentlich" begangen anzusehen ist, von mehr als einer Person unmittelbar wahrnehmbar war. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die so genannte "Sukzessivöffentlichkeit" genügt, d. h., die "Öffentlichkeit" bei einer Anstandsverletzung ist zu bejahen, wenn die Möglichkeit bestand, dass die Handlung durch einen Zeugen im Hinblick auf den mit der Tat verbundenen Belästigungseffekt auch einer anderen Person bekannt werden würde (siehe das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Juni 1984, Zl. 84/10/0023, zur vergleichbaren Bestimmung des § 1 des Oberösterreichischen Polizeistrafgesetzes). Abgesehen davon, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers, sein anstandverletzendes Verhalten sei erst im Vorraum des Gastzimmers (zu der zu 2. angelasteten Tat) gesetzt worden, mit der Aussage der Zeugin Anna H. vom 5. November 1984 nicht im Einklang steht, wäre somit im Hinblick auf obige Rechtsprechung durch die alleinige Anwesenheit dieser Zeugin das Tatbestandsmerkmal der "Öffentlichkeit" der Anstandsverletzung gegeben.
Zu Unrecht rügt der Beschwerdeführer auch, dass die belangte Behörde dem Konkretisierungsgebot des § 44 a lit. a VStG 1950 in Hinsicht auf die angelasteten Tathandlungen nicht nachgekommen sei, da der im Instanzenzug aufrecht erhaltene Spruch des Straferkenntnisses vom 21. August 1984 durchaus entsprechende verbale Ausführungen enthält.
Der Beschwerde ist dennoch ein Erfolg beschieden:
Betrachtet man den von der belangten Behörde sich zu Eigen gemachten Schuldspruch des zitierten Straferkenntnisses für sich allein, so wäre dieser (im Einklang mit der Rechtslage) durchaus dahingehend auslegbar, dass dem Beschwerdeführer insgesamt vier Verwaltungsübertretungen (jeweils eine Anstandsverletzung und eine Lärmerregung um 03.30 Uhr und jeweils eine Anstandsverletzung und Lärmerregung gegen 02.10 Uhr bis 02.30 Uhr) angelastet werden sollten. Auch die Anzahl der verhängten Strafen "je 3 Tage Primärarrest" spräche nicht gegen diese Auslegung. Allerdings ist aus den weiteren Ausführungen im Spruch in Hinsicht auf die Vorschreibung von Kosten des Strafverfahrens ersichtlich, dass über den Beschwerdeführer offenbar insgesamt nur 6 (und nicht 12) Tage Arrest verhängt werden sollten. Auch die belangte Behörde hat - wie sich aus der Kostenvorschreibung und der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt - den Spruch des Straferkenntnisses in letzterem Sinne verstanden. Damit aber wird der Schuldspruch unverständlich, weil nicht (mehr) eindeutig erkennbar ist, wie viele Verwaltungsübertretungen dem Beschwerdeführer angelastet werden sollten bzw. für welche Tat welche Strafe verhängt wurde. Dies belastet den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, was gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zu seiner Aufhebung führte.
Für das fortgesetzte Verfahren sei noch auf folgendes verwiesen:
Die belangte Behörde hat im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 9. Juli 1984, Zl. 84/10/0013, und die dort zitierte Vorjudikatur) darauf hingewiesen, dass der vom Beschwerdeführer hervorgerufene Lärm dann als "störend" anzusehen gewesen war, wenn er nach einem objektiven Maßstab geeignet war, das "Wohlbefinden" der anderen anwesenden Personen zu stören. Allerdings vermögen die bisherigen Ermittlungsergebnisse die diesbezügliche Annahme der belangten Behörde nicht zu stützen:
Abgesehen davon, dass fraglich erscheint, ob am jeweiligen Tatort zur Tatzeit ein niedriger Lärmpegel herrschte (was in einem Gasthaus keineswegs immer der Fall sein muss, bei der zu 2. angelasteten Tat steht nach der Aktenlage sogar fest, dass in einem anderen Raum eine Tanzunterhaltung stattfand), fehlen auch Feststellungen darüber, ob der vom Beschwerdeführer hervorgerufene Lärm seiner Art und/oder seiner Intensität wegen geeignet war, das Wohlbefinden normal empfindender Menschen (am jeweiligen Tatort) zu stören, was bei einer Lautstärke, die das Schimpfen für "jedermann deutlich hörbar" gemacht hat (vgl. insoweit die Ausführungen im angefochtenen Bescheid), nicht ohne weiteres gesagt werden kann.
Was die Rüge der Strafbemessung betrifft, so sei allerdings darauf verwiesen, dass die Behörde bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen nicht daran gehindert ist, sich bei der ihr zustehenden Wahl, eine Geldstrafe oder eine Arreststrafe zu verhängen, sich für die Verhängung einer (primären) Arreststrafe zu entscheiden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 1983, Zl. 83/10/0031).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981.
Wien, am 29. April 1985
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