European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1985:1984080017.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Verwaltung) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,‑ ‑ binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 30. Juli 1968 lehnte die mitbeteiligte Partei die von der Beschwerdeführerin beantragte Begünstigung mit der Begründung ab, daß sie nach den durchgeführten Ermittlungen nicht zu dem in § 500 ASVG genannten Personenkreis gehöre.
In dem dagegen erhobenen Einspruch behauptete die Beschwerdeführerin, sie sei drei Jahre lang bis zum „Anschluß“ im Jahre 1938 mit Rechtsanwalt Dr. AB liiert gewesen und in engster Freundschaft gestanden; er habe damals von seiner Gattin getrennt gelebt. Als Jude habe er dann im April 1938 nach Holland und zuletzt nach Argentinien flüchten müssen. Da ihre Beziehungen zu ihm in ihrem Verwandten- und Freundeskreis bekannt gewesen seien, sei sie sowohl bei der GESTAPO (damaliges Hotel Metropol) sowie beim Polizeikommissariat Wien IV, Taubstummengasse, wegen „Rassenschande“ angezeigt und verschiedentlich bei beiden Stellen peinlichst verhört worden. Als durch die Überwachung ihrer Korrespondenz mit Dr. AB die Fortsetzung ihrer Verbindung mit ihm evident geworden sei, sei sie von befreundeter Seite dringend gewarnt worden, daß ihre Einlieferung ins KZ bevorstehe. Daher sei sie am 7. Oktober 1938 unter Zurücklassung all ihrer Habe nach Argentinien geflüchtet. Dadurch habe sie auch ihren seit sechs Jahren innegehabten Sekretärinnenposten bei der Gewerkschaft R in Wien verloren.
Diesen Einspruch wies der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 20. November 1969 als unbegründet ab.
Mit Bescheid vom 5. April 1982 hob der Bundesminister für soziale Verwaltung den Einspruchsbescheid gemäß § 68 Abs. 2 AVG 1950 auf.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies der Landeshauptmann von Wien den Einspruch neuerlich gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als unbegründet ab und stellte gemäß den §§ 413 und 414 in Verbindung mit § 355 ASVG fest, daß die Ablehnung der begünstigten Anrechnung von Versicherungszeiten für die Beschwerdeführerin in der Pensionsversicherung der Angestellten aufgrund der §§ 500 und 502 Abs. 4 ASVG zu Recht erfolgt sei. Die Beschwerdeführerin sei im fortgesetzten Verfahren vor der Österreichischen Botschaft in Buenos Aires einvernommen und deren Aussage den am Verfahren beteiligten Parteien zur Kenntnis gebracht worden. Während die mitbeteiligte Partei ihren bisherigen Rechtsstandpunkt einnehme, führe die Beschwerdeführerin ins Treffen, daß es keineswegs um eine von dem damaligen Bekannten „abgeleitete“ Begünstigung gehe. Vielmehr sei sie nicht deshalb ausgewandert, um sich von ihrem Bekannten nicht trennen zu müssen, sondern deshalb, weil sie selbst verfolgt und ihr die Mitteilung gemacht worden sei, ihre Verschickung in ein Konzentrationslager stünde bevor. Diese Verfolgung sei gegen sie als Person gerichtet gewesen und habe ihre Ursache in der nationalsozialistischen Rassengesetzgebung gehabt. Ausgelöst sei dies durch eine Anzeige ihrer Stiefmutter bei der GESTAPO worden. Zur Ausreise sei ihr in Hamburg ein deutscher Reisepaß ausgestellt worden. Über Montevideo sei sie im November 1938 als Touristin nach Buenos Aires gekommen, wo sie zunächst als Kindermädchen gearbeitet habe, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Auf Anweisung der Argentinischen Einwanderungsbehörde habe sie sich aber dann schließlich bei der Argentinischen Stelle der Deutschen Arbeitsfront melden müssen, die ihr eine Anstellung bei der Banco Germanico de America del sud, deren Mutterhaus sich in Berlin befunden habe, zugewiesen habe. Die Beschwerdeführerin mache somit im Sinne des § 502 Abs. 4 ASVG politische Gründe geltend, aus denen sie ausgewandert sei. Diese Gründe seien die damals zu erwarten gewesene Einlieferung in ein Konzentrationslager aufgrund ihres außerehelichen Verhältnisses mit einem Juden gewesen. Mit einer Bescheinigung gemäß § 506 Abs. 3 ASVG, ausgestellt von der Österreichischen Botschaft in Buenos Aires, werde bestätigt, daß die Beschwerdeführerin glaubhaft dargetan habe, aus politischen Gründen wegen ihres Verkehrs mit dem geflüchteten jüdischen Rechtsanwalt Dr. AB und der Fortsetzung des Briefwechsels mit ihm wegen Anklage der Rassenschande geflüchtet und seit Oktober 1938 emigriert gewesen zu sein.
Die belangte Behörde untersuchte zunächst, ob ein „abgeleiteter“, auf der abstammungsbedingten Verfolgung eines Dritten beruhender Begünstigungstatbestand vorliege, verneinte dies aber aus in der Bescheidbegründung näher angeführten Gründen.
Es liege aber aus folgenden Gründen auch kein Begünstigungstatbestand politischer Natur vor: Zwar werde versucht, der dargestellten freundschaftlichen Beziehung zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem damaligen Bekannten eine politische Note zu verleihen, um auf diese Weise die Voraussetzungen des § 500 ASVG zu erfüllen. Dies könne aber ebensowenig zum gewünschten Erfolg führen, da nichts für die Annahme spreche, daß eine konkrete Gefahr für eine Verfolgung der Beschwerdeführerin durch die NS‑Machthaber bis zu ihrem Verlassen Österreichs im Oktober 1938 bestanden hätte. Das Setzen konkreter politischer Maßnahmen (durch die Beschwerdeführerin) gegen die damaligen Machthaber sei von der Beschwerdeführerin nie behauptet worden. Die geltend gemachte Vernehmung durch die GESTAPO sage an sich noch nichts darüber aus, ob die Freundschaft der Beschwerdeführerin zu Dr. AB überhaupt der Grund für ihre Vernehmung gewesen sei. Die diesbezüglichen Zeugenaussagen im Vorverfahren beruhten nur auf Wissen aus Erzählungen, irgendwelche darauf bezogenen Aktenunterlagen hätten bei zuständiger Stelle nicht ermittelt werden können. Auch die Aussage der Beschwerdeführerin, es habe ihre bevorstehende Einlieferung in ein Konzentrationslager gedroht, sei durch nichts bewiesen. Vielmehr müsse aufgrund ihrer eigenen Aussage angenommen werden, daß familiäre Unstimmigkeiten zwischen ihr und ihrer Stiefmutter in der Folge ein Grund für ihre freiwillige Auswanderung gewesen sei. Dies werde auch durch die Aussage von Dr. AB erhärtet, der selbst diese Möglichkeit in Betracht ziehe. Ob es sich bei der behaupteten „Anzeige“ der Stiefmutter der Beschwerdeführerin bei der GESTAPO allerdings wirklich um eine solche gehandelt habe, könne als unwahrscheinlich ausgeschlossen werden, da die Stiefmutter in ihrer Position als Jüdin wohl kaum auf diese Art und Weise mit einer nationalsozialistischen Behörde in Kontakt getreten wäre. Wenn die Beschwerdeführerin weiters vorbringe, sie habe ja an und für sich keinen Grund gehabt, Österreich zu verlassen, zumal sie bei der Firma R mit einem Spitzengehalt für damalige Verhältnisse beschäftigt gewesen sei, so treffe sie damit den Kern der Sache. Grundlage jeder Begünstigung nach § 500 ASVG sei nämlich der Eintritt eines Schadens in den sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen. Eine derartige Schädigung könne jedoch in gegebenen Fall nicht erblickt werden, da die Beschwerdeführerin ihre gut bezahlte Stelle ohne Zwang und vollkommen freiwillig aufgegeben habe. Wenn in diesem Zusammenhang die Vernehmung bei einer behördlichen Dienststelle ins Treffen geführt werde, wen der überdies gar nicht bekannt sei, was die wirkliche Ursache dafür gewesen sei, so müsse dies mit der kurze Zeit später erfolgten ungehinderten Ausreise der Beschwerdeführerin in Verbindung gebracht werden. Die Beschwerdeführerin habe ebenso wegen einer Paßangelegenheit die erwähnte Behörde aufgesucht haben können, zumal andernfalls nicht erklärbar wäre, wieso sie ‑ trotz der behaupteten politisches Verfolgung ‑ mit einen offiziellen Ausreisevisum nach Uruguay habe abreisen können. Bei politischen Bedenken wäre das Ausreisevisum von den zuständigen Behörden jedenfalls verweigert worden und in der Folge auch keine Anstellung der Beschwerdeführerin bei der Deutschen Bank in Buenos Aires erfolgt, insbesondere, da dies über Vermittlung der Deutschen Arbeitsfront geschehen sei. Eine andere Auslegung würde nämlich zum widersinnigen Ergebnis führen, daß Behörden eines totalitären Staates ‑ Deutschland und das damals besetzte Österreich seien im September 1938 bereits einheitliches Staatsgebiet gewesen ‑ einerseits gegen eine Person politisch vorgehen und andererseits eben dieser Person in der Folge einen offiziellen Reisepaß ausstellen, um ihr auf diese Weise die Ausreise zu ermöglichen. Darnach habe auch die Deutsche Arbeitsfront in Buenos Aires ‑ also eine argentinische Dienststelle der reichsdeutschen Behörden ‑ der Beschwerdeführerin eine Anstellung verschafft, was ebenfalls gegen die behauptete politische Verfolgung spreche. Dabei sei vorauszusetzen, daß die Deutsche Arbeitsfront Informationen über die „politische Zuverlässigkeit“ der Beschwerdeführerin eingeholt habe und diese Antragen hätten positiv ausgefallen sein müssen. In diesem Zusammenhang müsse auch auf die in Versichertenakt aufscheinende finanzielle Transaktion zwischen der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte und der damals schon in Argentinien lebenden Beschwerdeführerin hingewiesen werden, die in Kriegsjahr 1940 stattgefunden habe. Auch dies wäre bei einer tatsächlichen politischen Verfolgung kaum abgewickelt worden. Semit sei auch kein Begünstigungstatbestand politischer Natur gegeben, weil für dessen Vorhandensein subjektive Eindrücke und Empfindungen allein nicht genügten, sondern konkrete, objektivierbare Maßnahmen gesetzt worden sein müßten, die eine sozialversicherungsrechtliche Schädigung herbeigeführt hätten. Die Beschwerdeführerin habe aber freiwillig ihre Stelle aufgegeben und Österreich verlassen, bald darnach den Ausstattungsbetrag bekommen und kurze Zeit später eine Anstellung bei der Deutschen Bank in Buenos Aires erhalten. Von einer sozialversicherungsrechtlichen Schädigung könne somit keine Rede sein.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei beantragten in ihren Gegenschritten die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach den §§ 500, 502 Abs. 4 ASVG werden unter anderem Personen begünstigt, die in der Zeit vom 4. März 1933 bis 9. Mai 1945 aus politischen Gründen ‑ außer wegen nationalsozialistischer Betätigung‑ oder religiösen Gründen oder aus Gründen der Abstammung ausgewandert sind und vorher Versicherungszeiten der in § 502 Abs. 4 ASVG genannten Art zurückgelegt haben.
Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist strittig, ob die Beschwerdeführerin im Oktober 1938 aus einem der angeführten Gründe ausgewandert ist.
Die Beschwerdeführerin weist zunächst zutreffend darauf hin, daß sie keinen „abgeleiteten“ Begünstigungstatbestand im Sinn der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes geltend gemacht, d.h. sachverhaltsbezogen ‑ nicht behauptet habe, ihre Auswanderung habe den Grund in der verfolgungsbedingten Auswanderung eines Drittens mit den sie familienrechtlich oder familienhaft verbunden gewesen sei, und nicht in ihrer eigenen Verfolgung gehabt (vgl. dazu die Erkenntnisse von 8. November 1961, Slg. Nr. 5658/A, vom 23. Mai 1962, Zl. 2191/59, vom 25. November 1976, Zl. 150/76, und vom 11. September 1981, Zl. 08/0785/80). Sie hat vielmehr ihre Auswanderung schon im Einspruch damit begründet, daß sie jahrelang mit Dr. AB, einer Person jüdischer Abstammung, „liiert und in engster Freundschaft gestanden“ sei und daß deshalb die näher begründete konkrete (durch ihre Auswanderung abgewendete) Gefahr bestanden habe, wegen „Rassenschande“ in ein KZ eingeliefert zu werden. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des angefochtenen Bescheides, mit denen die belangte Behörde das Vorliegen eines „abgeleiteten“ Begünstigungstatbestandes verneint, brauchte daher nicht eingegangen zu werden.
Die belangte Behörde schließt unmittelbar an die Feststellung, es spreche nichts für die Annahme, daß eine konkrete Gefahr für eine Verfolgung der Beschwerdeführerin durch die NS‑Machthaber bis zu ihrem Verlassen Österreichs in Oktober 1938 bestanden habe, den Satz an: „Das Setzen konkreter politischer Maßnahmen gegen die damaligen Macht habe wurde von FS nie behauptet.“ Das versteht die Beschwerdeführerin nach den Beschwerdeausführungen so, daß die belangte Behörde meine, eine Verfolgung aus politischen Gründen habe „das Setzen konkreter politischer Maßnahmen gegen die damaligen Machthaber“ zur Voraussetzung. Das aber sei rechtsirrig. Von Bedeutung sei nur, ob für die betreffende Person eine konkrete Verfolgung oder die begründete Gefahr einer solchen Verfolgung bestanden habe. Ob die Verfolgungsmaßnahme oder die konkrete Gefahr einer solchen Maßnahme durch politische Aktivitäten der betroffenen Person gegen die Staatsmacht „provoziert“ worden sei oder ob derartige Verfolgungsmaßnahmen (oder die konkrete Gefahr solcher Maßnahmen) gegen eine Person gesetzt worden sei, die politisch gar nicht tätig gewesen sei, sei unentscheidend. Entscheidend sei, ob die Verfolgungsmaßnahme in der politischen (allenfalls religiösen bzw. rassenpolitischen) Haltung der damaligen Staatsmacht gelegen sei; mit anderen Worten, ob ‑ bezogen auf die NS‑Zeit ‑ die Verfolgungshandlungen auf einem Gedankengut beruhten, das entweder als „typisch nationalsozialistisch“ oder ‑ immer unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Rechts- und Verfassungsordnung der Republik Österreich ‑ aus anderen Gründen als verpönt anzusehen sei. Unter den Begriff der „Gründe der Abstammung“ in § 500 ASVG sei zweifellos jede behördliche Maßnahme zu verstehen, die ihre Ursache in der nationalsozialistischen Rassengesetzgebung habe oder doch auf dem einschlägigen Gedankengut des Nationalsozialismus beruhe. Gerade eine derartige Verfolgung habe die Beschwerdeführerin aber behauptet.
Zwar läßt sich der Bescheidbegründung nicht zweifelsfrei entnehmen, ob die belangte Behörde wirklich die von der Beschwerdeführerin abgelehnte Rechtsauffassung vertritt. Die mitbeteiligte Partei ist jedenfalls, wie sich aus der Gegenschrift klar ergibt, dieser Auffassung. Sie meint ‑ unter anderem unter Bezug auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. September 1972, Zlen. 1009, 1010/72 ‑, Grundvoraussetzung einer Begünstigung wegen Verfolgung aus politischen Gründen sei, daß sich die betreffende Person durch ein als politisch zu wertendes und nach außen in Erscheinung tretendes Bekenntnis, z.B. durch die Mitgliedschaft zu einer damals verpönten Partei, dem nationalsozialistischen Regime widersetzt habe. Erst wenn dieses Kriterium zu bejahen sei, könne das Vorliegen von Verfolgungsmaßnahmen bzw. einer entsprechenden Gefahr von Bedeutung sein. Die konsequente Verwirklichung des von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Gedankens, daß für die Anspruchsbegründung lediglich der Nachweis einer Verfolgungsgefahr erforderlich sei, die mit dem extensiv interpretierbaren Begriff des nationalsozialistischen Gedankengutes in Verbindung gebracht werden könne, würde die Rechtseinrichtung der Begünstigung ad absurdum führen. Die Anzahl der Begünstigungswerber nicht jüdischer Abstammung würde sich in einem Ausmaß vergrößern, das der Gesetzgeber des Rechtsinstitutes der Begünstigung nicht habe vorhersehen können und der heutige Gesetzgeber keinesfalls billigen könne. Die belangte Behörde habe daher die Rechtsfrage richtig gelöst und, ausgehend davon, daß die Beschwerdeführerin das Setzen konkreter politischer Maßnahmen gegen die NS‑Machthaber nie behauptet habe, auch zu Recht den Begünstigungsantrag abgewiesen.
Wäre diese Rechtsauffassung der mitbeteiligten Partei richtig, so wäre der Spruch des angefochtenen Bescheides ‑ ungeachtet der Rechtsrichtigkeit seiner Begründung ‑ schon wegen des Fehlens einer Behauptung der Beschwerdeführerin, konkrete politische Maßnahmen gegen die NS‑Machthaber gesetzt zu haben, rechtmäßig. Es bedarf daher einer Auseinandersetzung mit den widerstreitenden Rechtsauffassungen der Beschwerdeführerin und der mitbeteiligten Partei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem von der mitbeteiligten Partei zitierten Erkenntnis vom 6. September 1972, Zlen. 1009, 1010/72, im Anschluß an das Erkenntnis vom 26. April 1950, Slg. Nr. 1392/A, ausgeführt, eine aus politischen Gründen veranlaßte Arbeitslosigkeit oder eine aus solchen Gründen veranlaßte Auswanderung ab 4. März 1933 liege gemäß den Bestimmungen der §§ 500 ff ASVG nur dann vor, wenn die betreffenden Personen sich aus politischen Gründen gegen die damaligen Träger der Macht im Staate und die von ihnen vertretene politische Ordnung gestellt hätten und dadurch versicherungsrechtlich zu Schaden gekommen seien. Damit wurde aber in beiden Erkenntnissen ‑ sachverhaltsbezogen ‑ lediglich eine Abgrenzung zwischen einer Verfolgung aus politischen Gründen und Gründen der Abstammung in der Zeit vom 4. März 1933 bis zur Okkupation durch das Deutsche Reich vorgenommen, aber nicht die Verfolgung aus politischen Gründen abschließend definiert. Der Gerichtshof hat vielmehr in dem schon vor dem erstgenannten Erkenntnis ergangenen Erkenntnis vom 6. Dezember 1967, Zl. 868/67, auf das die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren hingewiesen hat, eine Auswanderung aus politischen Gründen auch darin erblickt, daß eine Frau, die wegen ihrer intimen Beziehungen mit einem jüdischen Arzt auf den Vorwurf der „Rassenschande“, somit typisch nationalsozialistischen Gedankengutes, gestützten Drohungen seitens eines nationalsozialistischen Funktionärs ausgesetzt war, von einem Urlaub in der Schweiz nicht mehr nach Österreich zurückgekehrt, sondern nach Argentinien ausgewandert ist. Dabei erachtete es der Verwaltungsgerichtshof als bedeutungslos, ob diese Frau mit dem erwähnten jüdischen Arzt verlobt war oder ob zwischen beiden eine Lebensgemeinschaft begründet wurde. Im Erkenntnis vom 12. Dezember 1980, Zl. 3280/78, hielt der Verwaltungsgerichtshof diese Rechtsauffassung aufrecht und präzisierte sie wie folgt: Eine Auslegung des § 500 ASVG dahingehend, daß ein vom Gesetzgeber anerkannter Auswanderungsgrund nur vorliege, wenn gegen den Anspruchswerber bereits konkrete Verfolgungsmaßnahmen gesetzt worden seien, widerspräche nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem Sinn dieser Regelung; war es doch dem Gesetzgeber bekannt, daß in vielen Fällen das Einsetzen konkreter Verfolgungshandlungen gegen eine Person bereits die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Möglichkeit ihrer Auswanderung zunichte gemacht hätte. In dem dem Erkenntnis zugrunde liegenden Beschwerdefall sprach aber nichts für die Annahme, daß eine konkrete Gefahr für eine Verfolgung der Beschwerdeführerin durch die NS‑Machthaber bis zu ihrem Verlassen Österreichs im März 1939 bestand; sie wurde nach den Märzereignissen 1938 wegen ihrer Beziehungen zu einer Person jüdischer Abstammung nicht einmal „kontaktiert“. Aus diesem Grund erachtete der Gerichtshof die Annahme der damaligen belangten Behörde, es liege keine verfolgungsbedingte Auswanderung der damaligen Beschwerdeführerin vor, für nicht rechtsirrig. In den Erkenntnissen vom 9. Juli 1982, Zl. 81/08/0193, und vom 30. Juni 1983, Zl. 83/08/0018, sprach der Gerichtshof nur aus, daß nach zeitgeschichtlichen Quellen in der Zeit vom 13. März 1938 bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges keine allgemeine Verfolgungsgefahr für Personen „arischer“ Abstammung, die mit Juden intime Beziehungen unterhielten, bestand; daß der Gerichtshof aber auch in diesen beiden Erkenntnissen an der eben zitierten Judikatur festhielt, zeigt sich darin, daß er in beiden Erkenntnissen darauf hinwies, die jeweilige Beschwerdeführerin habe nicht behauptet, wegen ihrer Beziehungen konkreten Verfolgungen durch die NS‑Behörden ausgesetzt gewesen zu sein. Wenn daher der Verwaltungsgerichtshof ‑ in anderem Zusammenhang ‑ ausgesprochen hat, unter den in § 500 Abs. 1 ASVG genannten politischen Gründen, aus denen der Begünstigungswerber ausgewandert sei, könne nicht schon eine politische Überzeugung oder allein die Mitgliedschaft zu einer bestimmten politischen Partei verstanden werden, sondern nur eine konkrete politische Verfolgung oder die begründete Gefahr einer solchen (Erkenntnisse vom 25. Oktober 1974, Zl. 695/74, vom 20. Mai 1976, Zl. 2071/75, vom 3. Oktober 1980, Zl. 3451/78, und vom 26. März 1982, Zl. 08/3539/80), so brachte er auch dadurch nicht zum Ausdruck, eine konkrete politische Verfolgung oder die begründete Gefahr einer solchen könne überhaupt nur dann in Betracht kommen, wenn die betreffende Person konkrete politische Maßnahmen gegen die NS‑Machthaber gesetzt habe. Mit der vom Verwaltungsgerichtshof aufrecht erhaltenen Interpretation der aus politischen Gründen verfolgungsbedingten Auswanderung ist aber keineswegs die von der mitbeteiligten Partei in der Gegenschrift heraufbeschworene Gefahr einer mit den Intentionen des Gesetzgebers nicht mehr übereinstimmenden Ausuferung des Rechtsinstituts der Begünstigung verbunden. Denn nicht der Nachweis einer Verfolgungsgefahr, „die mit dem extensiv interpretierbaren Begriff des nationalsozialistischen Gedankengutes in Verbindung gebracht werden könnte“, sondern nur jener einer konkreten politischen Verfolgung oder der begründeten Gefahr einer solchen vermag anspruchsbegründend zu sein.
Auf dem Boden dieser Rechtslage kommt es somit nicht darauf an, ob die Beschwerdeführerin konkrete politische Maßnahmen gegen die NS‑Machthaber gesetzt hat. Die Rechtsauffassung der mitbeteiligten Partei ist daher unrichtig. Da jedoch die belangte Behörde diese Rechtsauffassung nicht zweifelsfrei in der Bescheidbegründung zum Ausdruck gebracht hat, ist der angefochtene Bescheid ‑ entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin ‑ nicht mit der ihm zum Vorwurf gemachten inhaltlichen Rechtswidrigkeit behaftet.
Gegen die entscheidungswesentliche Feststellung der belangten Behörde, es spreche nichts für die Annahme, daß eine konkrete Gefahr für eine Verfolgung der Beschwerdeführerin durch die NS‑Machthaber bis zu ihrem Verlassen Österreichs im Oktober 1938 bestanden habe, wendet die Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften ein, es lasse sich der Bescheidbegründung weder entnehmen, von welchem Sachverhalt die belangte Behörde hiebei ausgegangen sei, noch, aufgrund welcher Beweisergebnisse sie zu diesem Sachverhalt gelangt sei und welche Überlegungen bei der Beweiswürdigung maßgebend gewesen seien. Soweit die Bescheidbegründung aber Ansätze einer Beweiswürdigung enthalte, lasse sie die Gründe für die Beweiswürdigung vermissen und entziehe sich damit in Wahrheit der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof.
Darauf ist vorerst zu erwidern, daß die belangte Behörde in der Bescheidbegründung zwar nicht jene Umstände, die sie für erwiesen erachtet hat (Feststellungen) und die Erwägungen, aus denen sie zu diesen Feststellungen gelangte, getrennt dargelegt hat, daß sich aber der Bescheidbegründung doch die Feststellungen entnehmen lassen, auf die die belangte Behörde die bestrittene Annahme gestützt hat, nämlich: Grund für die „ohne Zwang und vollkommen freiwillig“ erfolgte Aufgabe ihres gut bezahlten Dienstpostens und ihre „freiwillige Auswanderung“ seien familiäre Unstimmigkeiten zwischen ihr und ihrer (jüdischen) Stiefmutter gewesen. Eine Vernehmung vor der GESTAPO sei nicht wegen der Freundschaft mit Dr. AB (arg. „auch die Aussage ... ist durch nichts erwiesen) erfolgt. Eine bevorstehende-Einlieferung in ein KZ habe ihr nicht gedroht. Die Vernehmung vor dem Polizeikommissariat Wien müsse „mit der kurze Zeit später erfolgten ungehinderten Ausreise“ (der Paßengelegenheit) der Beschwerdeführerin „in Verbindung gebracht werden“.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zwar gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im Falle einer Bescheidbeschwerde den angefochtenen Bescheid grundsätzlich aufgrund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes zu überprüfen. Diese Bindung besteht aber nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu das Erkenntnis vom 24. Mai 1974, Slg. Nr. 8619/A) dann nicht, wenn der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzungbedarf oder wenn Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können (§ 42 Abs. 2 Z. 3). Auch die Regelung des § 45 Abs. 2 AVG 1950 schließt nach den eben zitierten Erkenntnis die verwaltungsgerichtliche Kontrolle nicht in der Richtung aus, ob der Sachverhalt genügend ermittelt ist oder ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, d.h., ob sie unter anderem den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen. Ist der Sachverhalt in dem genannten Sinn nicht mängelfrei festgestellt, so ist der Verwaltungsgerichtshof im obgenannten Sinn an der Prüfung der inhaltlichen Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides gehindert (vgl. unter anderen die Erkenntnisse vom 17. Oktober 1984, Zl. 83/11/0075, und von 30. Mai 1985, Zl. 84/08/0047).
Auf dem Boden dieser Rechtslage, nach der also dem Verwaltungsgerichtshof nicht die Vornahme einer selbständigen Würdigung der im Verwaltungsverfahren aufgenommenen Beweise, sondern - hinsichtlich der von der Verwaltungsbehörde vorgenommenen Beweiswürdigung - ihr mängelfreies Zustandekommen und die Schlüssigkeit zu prüfen obliegt, ist der angefochtene Bescheid mit relevanten Verfahrensmängeln behaftet. Die entscheidungswesentliche Feststellung, die Beschwerdeführerin sei wegen familiärer Unstimmigkeiten mit ihrer (jüdischen) Stiefmutter freiwillig ausgewandert, stützt die belangte Behörde auf die Aussage der Beschwerdeführerin, die durch die Aussage des Dr. AB, der selbst diese Möglichkeit in Betracht ziehe, erhärtet werde. Die Beschwerdeführerin hat aber in ihrer Aussage vor der österreichischen Botschaft in Buenos Aires am 28. Dezember 1982 bekundet, es sei im August oder September (offensichtlich: 1938) eine Anzeige bei der GESTAPO durch die Stiefmutter erfolgt. Nun schließt aber die belangte Behörde eine „Anzeige“ der Stiefmutter der Beschwerdeführerin als unwahrscheinlich aus, „da die genannte Stiefmutter in ihrer Position als Jüdin wohl kaum auf diese Art und Weise mit einer nationalsozialistischen Behörde in Kontakt getreten wäre“. Ist aber die „Anzeige“ nicht als erwiesen zu erachten, so ist unklar, woraus die belangte Behörde aus der Aussage der Beschwerdeführerin solche familiären Unstimmigkeiten ableiten will, die sie zu einer freiwilligen Auswanderung bewegten. Dr. AB erhärtete „diese Möglichkeit“ keineswegs. Denn er bekundete in seiner niederschriftlichen Vernehmung vor der belangten Behörde am 7. Februar 1969 im Anschluß an seine Aussage, er habe von der Beschwerdeführerin selbst von Drohungen und Anzeigen gegen sie gehört, er könne nicht genau angeben, „ob diese Drohungen und Anzeigen nur darauf zurückzuführen waren, weil sie mit mir befreundet war oder weil sie auch eine jüdische Stiefmutter ... hatte“. Demnach führte er nicht eine „freiwillige“ Auswanderung auf familiäre Unstimmigkeiten mit der jüdischen Stiefmutter, sondern Drohungen, und Anzeigen auf die Freundschaft mit ihm oder das Vorhandensein der jüdischen Stiefmutter zurück. Die Feststellung, die Beschwerdeführerin habe ihre gut bezahlte Stelle „ohne Zwang und vollkommen freiwillig aufgegeben“, gründet die belangte Behörde im Zusammenhang offensichtlich auf ihr Vorbringen, sie habe ja an und für sich überhaupt keinen Grund gehabt, Österreich zu verlassen, da sie bei der Firma mit einem Spitzengehalt für damalige Verhältnisse beschäftigt gewesen sei. Damit bezieht sich die belangte Behörde auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrem Schriftsatz vom 15. April 1983. Daß sie mit dem genannten Verbringen aber nur meinte, sie habe keinen Grund zur Aufgabe ihres hochbezahlten Dienstpostens außer eben jenem der durch die Drohungen und Vernehmungen bedingten begründeten Furcht vor einer Einlieferung in ein Konzentrationslager gehabt, kann nach dem genannten Schriftsatz überhaupt nicht zweifelhaft sein, weshalb sich aus diesem Vorbringen gerade das Gegenteil von dem ergibt, was die belangte Behörde daraus ableiten will. Ist aber die entscheidende Argumentationskette der belangten Behörde unschlüssig, so vermögen auch die von der belangten Behörde als sie bekräftigend gewerteten Umstände (wie die Paßerteilung ‑ die Erteilung des Ausreisevisums scheidet, wie die Beschwerdeführerin zutreffend betont, aus ‑ sowie ihre Beschäftigung in Argentinien und die Bezahlung eines Ausstattungsbetrages) nicht die Schlüssigkeit der entscheidungswesentlichen Feststellung, es spreche nichts für die Annahme, daß eine konkrete Gefahr für eine Verfolgung der Beschwerdeführerin durch die NS‑Machthaber bis zu ihrem Verlassen Österreichs im Oktober 1938 bestanden habe, zu begründen, da die Ermittlungsergebnisse zumindest zum Teil (ihrem isolierten Wortlaut nach, ohne sie also im Zusammenhalt im einzelnen zu würdigen, was dem Verwaltungsgerichtshof verwehrt ist) doch für eine solche Annahme sprechen. Die belangte Behörde wird daher in dem gemäß § 63 Abs. 1 VwGG fortzusetzenden Verfahren die Ermittlungsergebnisse, die für die behauptete Gefahr einer konkreten Verfolgung sprechen könnten, und jene, die gegen eine solche Annahme und für eine freiwillige Auswanderung sprechen könnten, im Sinne des § 45 Abs. 2 AVG 1950 zu beurteilen und das Ergebnis dieser Beurteilung in einer den §§ 60, 67 AVG 1950 entsprechenden Weise im Ersatzbescheid darzulegen haben.
Da die belangte Behörde somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte demgemäß nach § 39 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. Abstand genommen werden.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit Art. I und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.
Wien, am 13. September 1985
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