VwGH 84/03/0079

VwGH84/03/00793.10.1984

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leibrecht und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Baumgartner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schemel, über die Beschwerde der Mag. HG in I, vertreten durch Dr. Wolfgang Walser, Rechtsanwalt in Innsbruck, Schmerlingstraße 2, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 4. Jänner 1984, Zl. IIb2-V-1475/11-1983, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

StVO 1960 §52 lita Z1;
StVO 1960 §54 Abs1;
StVO 1960 §52 lita Z1;
StVO 1960 §54 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 8.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 4. Jänner 1984 wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, sie habe am 2. März 1981 um 15.15 Uhr in Innsbruck, Reithmannstraße, als Lenkerin eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws diese trotz gekennzeichnetem Fahrverbot "ausgenommen Anrainerverkehr" von Ost nach West befahren und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 52 Z. 1 StVO begangen. Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a leg. cit. wurde über die Beschwerdeführerin eine Geldstrafe von S 500,-- (Ersatzarreststraße 25 Stunden) verhängt. Zur Begründung führte die Behörde aus, die Beschwerdeführerin bringe in der Berufung vor, daß sie als Lehrperson am Reithmanngymnasium beschäftigt und berechtigt sei, den Parkplatz, welcher unmittelbar vor der Schule liegt, zu benützen. Es biete sich für sie keine andere Möglichkeit, um zu ihrem Parkplatz zu gelangen, als durch die Reithmannstraße zu fahren. Da Anrainer auch Besitzer der neben der Straße befindlichen Liegenschaften seien und sie im eigenen Namen ein auf Dauer angelegtes Gebrauchsrecht ausübe, das mit der Innehabung einer Sache (Liegenschaft) verbunden sei, sei sie (als Rechtsbesitzerin) Anrainerin. Diesen Berufungseinwendungen komme, so wird in der Berufung weiter dargelegt, keine Berechtigung zu. Die Beschwerdeführerin habe anläßlich der Lenkererhebung angegeben, daß sie eine in der Reithmannstraße wohnende Kollegin aufgesucht habe, um mit ihr etwas zu besprechen. Als sie gesehen habe, daß das Fahrzeug der Kollegin nicht vor dem Haus gestanden sei, sei sie sofort zum Professorenparkplatz weitergefahren. Laut Mitteilung der Direktion des Gymnasiums in der Reithmannstraße habe die Beschwerdeführerin am 2. März 1981 nachmittags keine schulische Verpflichtung gehabt, da ihr Unterricht an diesem Tage nach der fünften Stunde um 12.35 Uhr geendet habe. Die Beschwerdeführerin sei aber an diesem Tage um 15.15 Uhr in die Schule gefahren, um Vorbereitungsarbeiten für den nächsten Tag durchzuführen. Die Reithmannstraße verbinde die im Osten gelegene Andechsstraße mit der im Westen gelegenen Kravogel-Straße. Von der Andechsstraße kommend sei beim Haus Reithmannstraße 20 ein Fahrverbot, ausgenommen Anrainerverkehr, angebracht. Von der Kravogel-Straße kommend sei beim Haus Reithmannstraße 2 ebenfalls ein Fahrverbot, ausgenommen Anrainerverkehr, aufgestellt. Von der Kravogel-Straße könne in den Schulparkplatz ohne Behinderung durch Schranken etc. eingefahren werden. Um den Schulparkplatz zu erreichen, müsse demnach die Reithmannstraße nicht befahren werden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien als Anrainer die Besitzer der neben der Straße befindlichen Liegenschaften anzusehen. Der Begriff Anrainer umfasse somit außer dem Eigentümer einer neben der Straße gelegenen Liegenschaft auch jene Personen, die an dieser Liegenschaft ein Bestandrecht besitzen und zur Ausübung eines mit der Liegenschaft verbundenen Rechtes (etwa Jagdrecht) berechtigt sind. Hinsichtlich der Reithmannstraße seien somit als Anrainer die Eigentümer von Grundstücken entlang dieser Straße, allfällige Pächter von Liegenschaften entlang dieser Straße, Eigentümer und Mieter von Wohnungen in der Reithmannstraße anzusehen. Sicherlich sei auch das Bundesgymnasium und Bundesrealgymnsaium in der Reithmannstraße 1 und 3 als Anrainer zu betrachten. Die Beschwerdeführerin sei von ihrem Wohnort her gesehen nicht Anrainerin, weil durch die Zusatztafel "ausgenommen Anrainerverkehr" nur den Anrainern - nicht aber Besuchern - ein Fahren erlaubt sei. Als Besucherin ihrer Kollegin, die Anrainerin sei, sei die Beschwerdeführerin vom Fahrverbot nicht ausgenommen. Aber auch als Professorin des Bundesgymnasiums und Bundesrealgymnasiums Reithmannstraße komme der Beschwerdeführerin keine Anrainerstellung für ein erlaubtes Befahren dieser Straße zu. Vom Direktor dieser Schule könnten nur Verfügungen über die Benützung des schuleigenen Parkplatzes, nicht aber über ein Befahren der Reithmannstraße getroffen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

In einem als Urkundenvorlage bezeichneten Nachtrag zur Beschwerde legte die Beschwerdeführerin ein Schreiben des Stadtmagistrates Innsbruck, Straßenverkehrsbehörde, vom 6. März 1984 an den Direktor des Bundesgymnasiums und Bundesrealgymnasiums in der Reithmannstraße vor, dem zu entnehmen ist, daß nach Auffassung der Behörde sowie des gemeinderätlichen Verkehrsausschusses unter der Bezeichnung "Anrainerverkehr" der Verkehr zu bzw. für die Anrainer, also Kunden, Besucher, Gäste etc. zu verstehen sei. Mitglieder des Lehrkörpers, die den Parkplatz der Schule anfahren bzw. von diesem abfahren, seien daher ebenfalls von dem verordneten Fahrverbot in der Reithmannstraße ausgenommen, sodaß sich eine Änderung der bestehenden Zusatzbeschilderung erübrige.

Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Anwendung des § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG 1965 erwogen:

Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht verletzt, daß sie nur dann gemäß § 52 Z. 1 StVO in Verbindung mit § 99 Als. 3 lit. a leg.cit. bestraft werden dürfe, wenn sie unberechtigterweise eine mit einem Fahrverbot belegte öffentliche Straße befahre. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes trägt die Beschwerdeführerin vor, es sei aktenkundig, daß sie aktiv am Bundesgymnasium und Bundesrealgymnasium in Innsbruck, Reithmannstraße als Lehrperson tätig sei und daß sie auf Grund dieser Funktion das Recht habe, den schuleigenen Parkplatz, einem Anrainergrundstück der mit einem Fahrverbot "ausgenommen Anrainer" belegten Reithmannstraße, zum Abstellen ihres Pkws zu benützen. Dieses Recht sei ihr vom Verfügungsberechtigten, nämlich vom Direktor der Schule, auf Dauer ihrer Beschäftigung als Lehrperson eingeräumt worden. Die Zusatztafel "ausgenommen Anrainer" zu der angebrachten Fahrverbotstafel bedeute, daß jedermann, der - aus welchem Titel immer ein dauerndes Recht besitze, eine an die Reithmannstraße unmittelbar angrenzende Liegenschaft mit Fahrzeugen zu befahren, auch berechtigt sei, über die ansonsten mit Fahrverbot belegte Reithmannstraße zu dieser Liegenschaft zuzufahren. Der Begriff des Anrainers mache keinen Unterschied zwischen einem Eigentümer, Mieter oder sonstigen Nutzungsberechtigten einer Liegenschaft, sondern stelle vielmehr auf die Tatsache des Rechtsbesitzes ab, wobei der zugehörige Rechtstitel, der zu diesem Besitz führe, irrelevant sei.

Es kann im Beschwerdefall dahingestellt bleiben, ob eine Person - wie die Beschwerdeführerin meint - schon dadurch zum Anrainer wird, daß ihr das Recht eingeräumt wird, auf einer Liegenschaft ihr Fahrzeug abzustellen, die an eine mit einem allgemeinen Fahrverbot gemäß § 52 Abs. 1 StVO mit der Zusatztafel "ausgenommen Anrainerverkehr" angrenzt. Der angefochtene Bescheid erweist sich nämlich, ohne daß es der von der Beschwerdeführerin angestellten Überlegungen bedarf, im Ergebnis aus folgenden Erwägungen als rechtswidrig:

Die belangte Behörde bezweifelte nicht, daß die Kollegin der Beschwerdeführerin und die Schule, an der die Beschwerdeführerin beschäftigt ist, Anrainer der Reithmannstraße sind, sie meinte allerdings, daß die Beschwerdeführerin weder als Besucherin ihrer Kollegin noch als Mitglied des Lehrkörpers der Schule vom Fahrverbot ausgenommen sei, weil durch die Zusatztafel "ausgenommen Anrainerverkehr" nur den Anrainern, nicht aber den Besuchern oder den Angestellten eines Anrainers, das Fahren in dieser Straße erlaubt sei. Dieser Ansicht könnte allenfalls gefolgt werden, wenn das Wort "Anrainerverkehr" so eindeutig wäre und keinen Zweifel offen ließe, daß darunter nur der Verkehr der Anrainer zu verstehen ist, also der Eigentümer einer neben der Straße gelegenen Liegenschaft und jedenfalls jener Person, die an solchen Liegenschaften ein Bestandrecht besitzen. (Vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. September 1980, Zl. 807/80, Slg. Nr. 10.226/A.) Das Wort "Anrainerverkehr" läßt jedoch - wie gerade der vorliegende Beschwerdefall zeigt - auch die Auslegung zu, daß damit auch der mit den Anrainern bloß in Zusammenhang stehende und diese betreffende Verkehr vom Fahrverbot ausgenommen ist, also der Verkehr für die Anrainer zu den Anrainern, sodaß von der Ausnahme auch Besucher und Angestellte eines Anrainers umfaßt sind. (Vgl. im übrigen zur Auslegung von Ausnahmeformulierungen auf Zusatztafeln betreffend Anrainer die Ausführungen im nichtveröffentlichten Teil des hg. Erkenntnisses vom 19. November 1982, Zl. 2695/80, Slg. Nr. 10.888/A, und die weitere darin zitierte Vorjudikatur; auf § 43 Abs. 2 VwGG 1965 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 298/1984 sowie auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, wird im Zusammenhang hingewiesen.)

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit, was zu seiner Aufhebung gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 führte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 lit. a und b VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981. Die Abweisung des Mehrbegehrens hat nicht erforderlichen Stempelgebührenaufwand zum Gegenstand, weil die Beschwerde lediglich in zweifacher Ausfertigung einzubringen und pro Ausfertigung mit S 120,-- zu vergebühren war. Der angefochtene Bescheid war lediglich in einfacher Ausfertigung vorzulegen und mit S 60,-- zu vergebühren. Wien, am 3. Oktober 1984

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte